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BVerwG Beschluss v. - 2 B 51.24

Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit

Gesetze: § 96 Abs 1 VwGO, § 86 Abs 1 VwGO

Instanzenzug: Hessischer Verwaltungsgerichtshof Az: 1 A 24/24 Urteilvorgehend VG Frankfurt Az: 9 K 3151/19.F Urteil

Gründe

1Der Kläger wendet sich gegen seine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit.

21. Der ... geborene Kläger steht als Lokomotivbetriebsinspektor (Besoldungsgruppe A 9 BBesO) im Dienst der Bundesrepublik Deutschland. Mit Bescheid vom 17. April ... versetzte das beklagte Bundeseisenbahnvermögen den Kläger mit Ablauf des 30. April ... wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand und verwies zur Begründung auf die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers in Kombination mit dem Fehlen einer anderweitigen Verwendungsmöglichkeit. Auf die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den Ausgangsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben. Auf die Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:

3Der Kläger sei im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids dienstunfähig. Bei der Beschäftigungsbehörde habe kein Dienstposten zur Verfügung gestanden, der dem statusrechtlichen Amt des Klägers zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet sei. Der Beklagte gehe auch zutreffend davon aus, dass der Kläger nicht anderweitig verwendbar sei, und zwar weder bei der Deutschen Bahn AG und ihren Tochtergesellschaften noch sonst bei der Bundesrepublik Deutschland als Dienstherrin des Klägers. Die Anforderungen an die Suchpflicht seien uneingeschränkt auch für Beamte der früheren Bundesbahn maßgeblich, die der Deutschen Bahn AG zur Dienstleistung zugewiesen seien.

42. Die auf einen Verfahrensmangel gestützte Beschwerde des Klägers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist unbegründet. Das Berufungsurteil leidet nicht an dem vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmangel.

5In Bezug auf den entscheidungserheblichen Aspekt, welche Anforderungen auf dem Dienstposten "Kundenberater", der in dem in A erscheinenden Wochenblatt "..." am 3. Juli ... annonciert war, zu dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide maßgeblichen Zeitpunkt zu erfüllen waren, hat der Verwaltungsgerichtshof weder § 96 Abs. 1 noch § 86 Abs. 1 VwGO verletzt.

6§ 96 Abs. 1 VwGO soll sicherstellen, dass das Gericht seiner Entscheidung das in der jeweiligen prozessualen Situation geeignete und erforderliche Beweismittel zu Grunde legt, um dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs, dem Gebot des fairen Verfahrens und insbesondere dem Recht der Verfahrensbeteiligten auf Beweisteilhabe gerecht zu werden. Die Sachaufklärung soll in einer Art und Weise durchgeführt werden, die zu einer vollständigen und zutreffenden tatsächlichen Entscheidungsgrundlage führt und es zugleich jedem Verfahrensbeteiligten ermöglicht, auf die Ermittlung des Sachverhalts Einfluss zu nehmen. Das Recht eines Verfahrensbeteiligten, im Rahmen eines geordneten Verfahrens an der Sachaufklärung durch das Gericht teilzuhaben, ist unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) geboten, insbesondere wenn aus den vom Gericht ermittelten Tatsachen nachteilige Folgen für diesen Verfahrensbeteiligten gezogen werden können. Ihm muss deshalb die Möglichkeit eingeräumt sein, an der Erhebung von Beweisen mitzuwirken, um sich ein eigenes Bild von den Beweismitteln machen zu können, sein Fragerecht auszuüben und durch eigene Anträge der Beweiserhebung ggf. eine andere Richtung zu geben. Aus dem Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO) folgt darüber hinaus, dass der Verfahrensbeteiligte hinreichend Gelegenheit haben muss, sich mit den Ergebnissen der Beweisaufnahme auf der Grundlage eines eigenen unmittelbaren Eindrucks auseinanderzusetzen und ggf. dazu Stellung zu nehmen (vgl. 2 A 4.04 - Buchholz 235.1 § 24 BDG Nr. 1, vom - 2 C 80.08 - BVerwGE 135, 24 Rn. 24 und vom - 2 C 28.10 - BVerwGE 140, 199 Rn. 16 ff.).

7§ 86 Abs. 1 VwGO verpflichtet das Gericht, diejenigen Tatsachen aufzuklären, auf die es nach seiner Rechtsauffassung für die Entscheidung über den vom Kläger gestellten Klageantrag ankommt. Das Gericht muss alle Aufklärungsbemühungen unternehmen, auf die die Beteiligten - insbesondere durch begründete Beweisanträge - hinwirken oder die sich hiervon unabhängig aufdrängen ( 2 C 12.94 - Buchholz 237.6 § 86 NdsLBG Nr. 4; Beschluss vom - 2 B 119.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 5). Eine weitere Sachverhaltsaufklärung drängt sich auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag dann auf, wenn das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Aufklärung sehen muss ( 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 Rn. 13). Hiervon ist auszugehen, wenn ein Verfahrensbeteiligter gegen das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme begründete Einwände erhebt. Denn in einem solchen Fall ist das Gericht gehindert, seine Entscheidung unter Übergehung der Einwände auf das angegriffene Beweisergebnis zu stützen ( 2 C 28.10 - BVerwGE 140, 199 Rn. 25). Zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO kann das Gericht insbesondere auf Erklärungen von Behörden zurückgreifen. § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO bestimmt ausdrücklich, dass die Beteiligten zur Erforschung des Sachverhalts heranzuziehen sind. Die Mitwirkungspflicht gilt insbesondere bei der Beurteilung von Vorgängen, die in der Sphäre eines der Beteiligten liegen.

8Die Entscheidung darüber, welchen "Zuschnitt" ein Dienstposten erhalten soll, welche Zuständigkeiten ihm im Einzelfall zugewiesen und welche Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erfüllung der daraus resultierenden Aufgaben erforderlich sind, fällt in das Organisationsermessen des Dienstherrn, das gerichtlich nur auf sachfremde Erwägungen überprüfbar ist ( 2 A 9.07 - BVerwGE 132, 110 Rn. 54 und vom - 2 A 7.09 - BVerwGE 141, 361 Rn. 18). Ausgehend von der Befugnis des Bundeseisenbahnvermögens zur Bestimmung der konkreten Aufgaben des Dienstpostens als "Kundenberater" war auch das Berufungsgericht an die entsprechenden Angaben des Beklagten im gerichtlichen Verfahren grundsätzlich gebunden. Der Beklagte hat auf den Verweis des Klägers auf die Ausschreibung im Wochenblatt "..." bereits in der Klageerwiderung vom 13. November ... reagiert. Ergänzend zum knappen Text der Ausschreibung hat der Beklagte ausgeführt, dass auf dem Dienstposten permanenter Kundenkontakt herrscht und dementsprechend kunden- und serviceorientiertes Handeln gerade auch in schwierigen Situationen notwendig ist. Auf dem Dienstposten sei eine hohe Stressbelastung üblich und für die Tätigkeit sei eine hohe psychosoziale Belastbarkeit und Konfliktfähigkeit erforderlich.

9Im Berufungsverfahren hat der Kläger erneut (Schriftsatz vom , S. 15 f.) geltend gemacht, die ausgeschriebene Stelle als "Kundenberater" sei für ihn in gesundheitlicher Hinsicht geeignet gewesen, weil es sich ausweislich der Anzeige lediglich um eine einfache Tätigkeit handele, für die keine hohe psychosoziale Belastbarkeit und Konfliktfähigkeit erforderlich sei. Auch auf dieses Vorbringen hat der Beklagte umgehend reagiert und in Übereinstimmung mit seinen früheren Ausführungen im Verfahren darauf hingewiesen, dass zu den Aufgaben des Kundenberaters auch die Beratung von Kunden aus Anlass von Betriebsstörungen, Verspätungen und Zugausfällen zählt.

10Angesichts der Befugnis des Beklagten zur Bestimmung der Aufgaben des Dienstpostens eines "Kundenberaters" und des konsistenten Vorbringens des Beklagten zu den konkreten Aufgaben dieses Dienstpostens bestand für das Berufungsgericht kein Anlass, von sich aus den Aspekt des Aufgabenkreises des Kundenberaters im Service-Center in A weiter aufzuklären. Das Vorbringen des Beklagten war in sich widerspruchsfrei und die Schilderung, es gehe auch um die Beratung der Kunden in besonders stressigen Situationen, wie Störungen im Betrieb der Deutschen Bahn AG, Verspätungen und Zugausfälle, sodass der dort tätige Bedienstete im hohen Maße belastbar und konfliktfähig sein müsse, war plausibel. Insbesondere bestand für das Berufungsgericht auch ohne einen dahingehenden ausdrücklichen Beweisantrag des Klägers kein Anlass, den Leiter oder andere Mitarbeiter des Service-Centers in A als Zeugen zu den konkreten Arbeitsbedingungen auf dem am 3. Juli ... ausgeschriebenen Dienstposten zu vernehmen. Ausweislich der Beschwerdebegründung des Klägers hat der Vertreter des Beklagten in der Berufungsverhandlung das bisherige Vorbringen zu den besonderen Anforderungen des Dienstpostens in A ausdrücklich bestätigt. Für den Verwaltungsgerichtshof hätte nur dann Anlass zur weiteren Sachaufklärung bestanden, wenn gegen diese Darstellung seitens des Klägers begründete Einwände erhoben worden wären. Der vor dem Verwaltungsgerichtshof anwaltlich vertretene Kläger hat aber weder diese Darstellung substantiiert bestritten noch hat er einen entsprechenden Beweisantrag mit dem Ziel einer weiteren Sachaufklärung gestellt.

11Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 40, § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 und § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:120625B2B51.24.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-97145