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BGH Urteil v. - VIa ZR 509/21

Instanzenzug: Az: 16a U 1130/20vorgehend LG Rottweil Az: 2 O 101/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Juli 2016 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten BMW 325d, der mit einem Dieselmotor der Baureihe N 47 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug verfügt über ein Abgasrückführungssystem, das unter anderem temperaturabhängig gesteuert wird ("Thermofenster").

2Mit der Klage begehrt der Kläger im Wesentlichen, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen hätte. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er die Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen und Deliktszinsen, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt hat, hatte keinen Erfolg. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge mit Ausnahme der Zahlung von Deliktszinsen weiter.

Gründe

3Die Revision hat Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz aus §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Denn sein Vortrag, der in seinem Fahrzeug verbaute Motor weise unzulässige Abschalteinrichtungen auf, sei - soweit er nicht das unstreitig vorhandene "Thermofenster" betreffe - als Behauptung ins Blaue hinein unzulässig. Ob es sich bei diesem "Thermofenster" um eine unzulässige Abschalteinrichtung handle, könne offen bleiben. Denn es fehlten tatsächliche Anhaltpunkte für ein entsprechendes sittenwidriges Verhalten der Beklagten. Ein Anspruch ergebe sich schließlich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 beziehungsweise § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1EG-FGV, da es sich bei den genannten Normen nicht um Gesetze zum Schutz von Vermögensinteressen von Fahrzeugerwerbern handle.

II.

6Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

71. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB dem Grunde nach verneint hat. Die insoweit erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, Rn. 29 bis 32).

9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

10Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Sie ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

11Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

                              

                                

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:250625UVIAZR509.21.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-96635