Verordnung (EU) 904/2010 des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (VO EU 904/2010)
v. 7.10.2010
(ABl EU Nr. L 268 S. 1) mit späteren Änderungen
Nichtamtliche
Fassung
DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION –
gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 113,
auf Vorschlag der Europäischen Kommission,
nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments [1],
nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses [2],
gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren,
in Erwägung nachstehender Gründe:
Die Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 des Rates vom über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer [3] ist mehrfach und in wesentlichen Punkten geändert worden. Aus Gründen der Klarheit empfiehlt es sich, im Rahmen der jetzt anstehenden Änderungen eine Neufassung dieser Verordnung vorzunehmen.
Die Instrumente der Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 zur Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer sollten in Anknüpfung an die Schlussfolgerungen des Rates vom 7. Oktober 2008, die Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über eine koordinierte Strategie zur wirksameren Bekämpfung des MwSt.-Betrugs in der Europäischen Union und den Bericht der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (im Folgenden: „Bericht der Kommission“) verbessert und ergänzt werden. Ferner bedürfen die Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 redaktioneller oder praktischer Klarstellungen.
Steuerhinterziehung und Steuerumgehung über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg führen zu Einnahmenverlusten und verletzen das Prinzip der Steuergerechtigkeit. Sie können auch Verzerrungen des Kapitalverkehrs und des Wettbewerbs verursachen. Sie beeinträchtigen folglich das Funktionieren des Binnenmarkts.
Die Bekämpfung der Mehrwertsteuerhinterziehung erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden, die in den einzelnen Mitgliedstaaten für die Anwendung der einschlägigen Vorschriften verantwortlich sind.
Zu den Steuerharmonisierungsmaßnahmen, die im Hinblick auf die Vollendung des Binnenmarktes ergriffen werden, sollte die Einrichtung eines gemeinsamen Systems für die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten – vor allem hinsichtlich des Informationsaustausches – gehören, bei der die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten einander Amtshilfe gewähren und mit der Kommission zusammenarbeiten, um eine ordnungsgemäße Anwendung der Mehrwertsteuer (MwSt.) auf Warenlieferungen und Dienstleistungen, den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen und auf die Einfuhr von Waren zu gewährleisten.
Die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden sollte nicht zu einer ungebührlichen Verlagerung des Verwaltungsaufwands zwischen den Mitgliedstaaten führen.
Für die Erhebung der geschuldeten Steuer sollten die Mitgliedstaaten kooperieren, um die richtige Festsetzung der Mehrwertsteuer sicherzustellen. Daher müssen sie nicht nur die richtige Erhebung der geschuldeten Steuer in ihrem eigenen Hoheitsgebiet kontrollieren, sondern sollten auch anderen Mitgliedstaaten Amtshilfe gewähren, um die richtige Erhebung der Steuer sicherzustellen, die im Zusammenhang mit einer in ihrem Hoheitsgebiet erfolgten Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat geschuldet wird.
Die Kontrolle der richtigen Anwendung der Mehrwertsteuer auf grenzüberschreitende Umsätze, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem der Lieferer oder Dienstleistungserbringer ansässig ist, steuerbar sind, hängt in vielen Fällen von Informationen ab, die dem Mitgliedstaat der Ansässigkeit vorliegen oder die von diesem Mitgliedstaat viel einfacher beschafft werden können. Für eine effektive Kontrolle dieser Umsätze ist es daher erforderlich, dass der Mitgliedstaat der Ansässigkeit diese Informationen erhebt oder erheben kann.
Für die Einführung des Systems einer einzigen Anlaufstelle durch die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem [4] und für die Anwendung des Erstattungsverfahrens für Steuerpflichtige, die nicht in dem Mitgliedstaat der Erstattung ansässig sind durch die Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12. Februar 2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige [5] sind Regeln für den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten und für die Aufbewahrung dieser Informationen erforderlich.
In grenzüberschreitenden Fällen ist es wichtig, die Verpflichtungen jedes Mitgliedstaats genau festzulegen, so dass die Mehrwertsteuer in dem Mitgliedstaat, in dem sie geschuldet wird, effektiv kontrolliert werden kann.
Für ein reibungsloses Funktionieren des Mehrwertsteuersystems sind die elektronische Speicherung und Übertragung bestimmter Daten zum Zweck der Kontrolle der Mehrwertsteuer erforderlich. Sie ermöglichen einen schnellen Informationsaustausch und einen automatisierten Informationszugang, wodurch die Betrugsbekämpfung gestärkt wird. Dies kann dadurch erreicht werden, dass der Datenbestand in Bezug auf Mehrwertsteuerpflichtige und ihre innergemeinschaftlichen Umsätze verbessert wird, indem darin eine Reihe von Informationen über die Steuerpflichtigen und ihre Umsätze aufgenommen wird.
Die Mitgliedstaaten sollten geeignete Überprüfungsverfahren anwenden, mit denen die Aktualität, die Vergleichbarkeit und die Qualität der Informationen sichergestellt und dadurch auch ihre Verlässlichkeit erhöht werden können. Die Bedingungen für den Austausch von elektronisch gespeicherten Daten und den automatisierten Zugang der Mitgliedstaaten zu elektronisch gespeicherten Daten sollten eindeutig festgelegt werden.
Für eine wirksame Betrugsbekämpfung ist es notwendig, einen Informationsaustausch ohne vorheriges Ersuchen vorzusehen. Zur Erleichterung des Informationsaustauschs sollte festgelegt werden, für welche Kategorien ein automatischer Austausch notwendig ist.
Wie im Bericht der Kommission dargelegt, ist die Rückmeldung (Feedback) ein geeignetes Mittel zur Gewährleistung einer laufenden Verbesserung der Qualität der ausgetauschten Informationen. Es sollte daher ein Rahmen für die Übermittlung von Rückmeldung festgelegt werden.
Für die effektive Kontrolle der Mehrwertsteuer auf grenzüberschreitende Umsätze ist es notwendig, die Möglichkeit zu schaffen, dass Mitgliedstaaten gleichzeitige Kontrollen durchführen und sich Beamte eines Mitgliedstaats im Rahmen der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhalten.
Die Bestätigung der Gültigkeit der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummern per Internet ist ein Instrument, das die Wirtschaftsbeteiligten zunehmend nutzen. Das System zur Bestätigung der Gültigkeit von Mehrwertsteuer-Identifikationsnummern sollte den Wirtschaftsbeteiligten die relevanten Informationen automatisiert bestätigen.
Einige Steuerpflichtige unterliegen spezifischen Verpflichtungen, die namentlich in Bezug auf die Rechnungsstellung dann von denen im Mitgliedstaat, in dem sie ansässig sind, abweichen, wenn sie an Empfänger, die in dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ansässig sind, Gegenstände liefern oder Dienstleistungen erbringen. Es sollte ein Mechanismus eingerichtet werden, über den diese Steuerpflichtigen sich ohne weiteres über solche Verpflichtungen informieren können.
In jüngster Zeit gewonnene praktische Erfahrung mit der Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 im Rahmen der Bekämpfung des Karussellbetrugs hat gezeigt, dass es für eine wirksame Betrugsbekämpfung in bestimmten Fällen unabdingbar ist, einen Mechanismus für einen wesentlich schnelleren Informationsaustausch einzurichten, der viel weitergehende und gezieltere Informationen umfasst. Gemäß den Schlussfolgerungen des Rates vom sollte im Rahmen dieser Verordnung für alle Mitgliedstaaten ein dezentralisiertes Netzwerk ohne Rechtspersönlichkeit mit der Bezeichnung „Eurofisc“ geschaffen werden, das die multilaterale und dezentrale Zusammenarbeit zur gezielten und schnellen Bekämpfung besonderer Betrugsfälle fördert und erleichtert.
Es obliegt in erster Linie dem Verbrauchsmitgliedstaat zu gewährleisten, dass nichtansässige Dienstleistungserbringer ihre Verpflichtungen erfüllen. Zu diesem Zweck macht es die Anwendung der vorübergehenden Sonderregelung für elektronisch erbrachte Dienstleistungen gemäß Titel XII Kapitel 6 der Richtlinie 2006/112/EG erforderlich, Regeln über die Bereitstellung von Informationen und über die Überweisung von Geldern zwischen dem Mitgliedstaat der Identifizierung und dem Mitgliedstaat des Verbrauchs festzulegen.
Informationen, die ein Mitgliedstaat von Drittländern erhalten hat, können anderen Mitgliedstaaten sehr nützlich sein. Ebenso können von einem Mitgliedstaat erhaltene Informationen anderer Mitgliedstaaten für Drittländer sehr nützlich sein. Deshalb sollten die Bedingungen für den Austausch dieser Informationen festgelegt werden.
Die nationalen Bestimmungen über das Bankgeheimnis sollten der Anwendung dieser Verordnung nicht entgegenstehen.
Die vorliegende Verordnung darf andere auf Ebene der Union verabschiedete Maßnahmen zur Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs nicht beeinträchtigen.
Aus Effizienz-, Zeit- und Kostengründen ist es unerlässlich, dass die im Rahmen dieser Verordnung mitgeteilten Informationen möglichst auf elektronischem Weg übermittelt werden.
Angesichts des repetitiven Charakters bestimmter Ersuchen und der Sprachenvielfalt in der Union sowie um eine schnellere Bearbeitung der Informationsersuchen zu ermöglichen, ist es wichtig, die Verwendung von Standardformularen für den Informationsaustausch zur Regel zu machen.
Fristen gemäß dieser Verordnung für die Übermittlung von Informationen sind als nicht zu überschreitende Höchstfristen zu verstehen, wobei grundsätzlich gelten sollte, dass im ersuchten Mitgliedstaat bereits vorliegende Informationen im Interesse einer effizienten Zusammenarbeit unverzüglich übermittelt werden.
Für die Zwecke der vorliegenden Verordnung sollten Beschränkungen bestimmter Rechte und Pflichten nach der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr [6] erwogen werden, um die in Artikel 13 Absatz 1 Buchstabe e jener Richtlinie genannten Interessen zu schützen. Diese Beschränkungen sind angesichts der potenziellen Einnahmenausfälle für die Mitgliedstaaten und der wesentlichen Bedeutung der von dieser Verordnung erfassten Informationen für eine wirksame Betrugsbekämpfung erforderlich und verhältnismäßig.
Da die für die Durchführung der vorliegenden Verordnung erforderlichen Maßnahmen von allgemeiner Tragweite im Sinne des Artikels 2 des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse [7] sind, sind sie nach dem Regelungsverfahren gemäß Artikel 5 dieses Beschlusses zu erlassen —
HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:
Änderungsdokumentation: Die Verordnung (EU) 904/2010 des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer v. 7.10.2010 (ABl EU Nr. L 268 S. 1) wurde geändert durch Art. 1 Abs. 1 Buchst. h i. V. mit Anhang Teil 9 Nr. Nr. 1 Verordnung (EU) 517/2013 des Rates v. zur Anpassung einiger Verordnungen und Beschlüsse in den Bereichen freier Warenverkehr, Freizügigkeit, Gesellschaftsrecht, Wettbewerbspolitik, Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit, Tier- und Pflanzengesundheit, Verkehrspolitik, Energie, Steuern, Statistik, transeuropäische Netze, Justiz und Grundrechte, Recht, Freiheit und Sicherheit, Umwelt, Zollunion, Außenbeziehungen, Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik und Organe aufgrund des Beitritts der Republik Kroatien (ABl EU Nr. L 158 S. 1) ; Art. 1 Verordnung (EU) 2017/2454 des Rates v. zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (ABl EU Nr. L 348 S. 1, ber. 2018 Nr. L 125 S. 15 und 2019 Nr. L 196 S. 17) , i. d. F. des Art. 2 Verordnung (EU) 2018/1541 des Rates v. 2.10.2018 zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 904/2010 und (EU) 2017/2454 zur Stärkung der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (ABl EU Nr. L 259 S. 1) und des Art. 1 Verordnung (EU) 2020/1108 des Rates v. 20.7.2020 zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2454 in Bezug auf den Geltungsbeginn als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie (ABl EU Nr. L 244 S. 1); Art. 1 Verordnung (EU) 2018/1541 des Rates v. zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 904/2010 und (EU) 2017/2454 zur Stärkung der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (ABl EU Nr. L 259 S. 1) ; Art. 1 Verordnung (EU) 2018/1909 des Rates v. zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 hinsichtlich des Informationsaustauschs zur Überwachung der ordnungsgemäßen Anwendung von Konsignationslagerregelungen (ABl EU Nr. L 311 S. 1) ; Art. 1 Verordnung (EU) 2020/283 des Rates v. zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 im Hinblick auf die Stärkung der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden bei der Betrugsbekämpfung (ABl EU Nr. L 62 S. 1) ; Art. 2 Richtlinie (EU) 2020/285 des Rates v. zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in Bezug auf die Sonderregelung für Kleinunternehmen und der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 in Bezug auf die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und den Informationsaustausch zur Überwachung der ordnungsgemäßen Anwendung der Sonderregelung für Kleinunternehmen (ABl EU Nr. L 62 S. 13) ; Art. 1 bis 5 Verordnung (EU) 2025/517 des Rates v. zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 in Bezug auf die für das digitale Zeitalter erforderlichen Regelungen für die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (ABl EU Nr. L, 2025/517, 25.3.2025), Änderungen durch vorgenannte Verordnung treten teilweise erst am 1.7.2028, 1.7.2029, 1.7.2030 und 1.7.2032 in Kraft und sind teils in Fußnoten, teils durch besondere Hervorhebungen entsprechend gekennzeichnet.
Fundstelle(n):
IAAAJ-96614
1Amtl. Anm.: Standpunkt vom (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).
2Amtl. Anm.: Standpunkt vom (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).
3Amtl. Anm.: ABl L 264 vom , S. 1.
4Amtl. Anm.: ABl L 347 vom , S. 1.
5Amtl. Anm.: ABl L 44 vom , S. 23.
6Amtl. Anm.: ABl L 281 vom , S. 31.
7Amtl. Anm.: ABl. L 184 vom , S. 23.