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Online-Nachricht - Donnerstag, 31.07.2025

Einkommensteuer | Entstrickung durch Überführung von Wirtschaftsgütern in ausländische Betriebsstätte – verfassungsrechtliches Vertrauensschutzgebot bei rückwirkenden Gesetzen (BFH)

Dekorative
		  GrafikDie nach Maßgabe der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze der Finanzverwaltung praktizierte Entstrickungsbesteuerung durch Auflösung der zum Überführungszeitpunkt in dem Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven bei gleichzeitiger Neutralisierung durch Bildung eines Merkpostens, der in gleichen Jahresraten über einen Zeitraum von zehn Jahren gewinnerhöhend aufgelöst wird, verstößt nicht gegen die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit (Anschluss an das , EU:C:2015:331) (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bestimmt, dass einer Entnahme für betriebsfremde Zwecke der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts gleichsteht. Ein Ausschluss oder eine Beschränkung des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts liegt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG insbesondere vor, wenn ein bisher einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen zuzuordnendes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist.

Sachverhalt: Die Klägerin ist eine in Deutschland ansässige Personengesellschaft mit niederländischen Gesellschaftern. Im Jahr 2005 übertrug sie Patent-, Marken- und Gebrauchsmusterrechte auf ihre niederländische Betriebsstätte. Die Betriebsprüfung war der Ansicht, dass die Überführung der Rechte in Anwendung der sog. Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze zum Fremdvergleichswert und damit unter Aufdeckung der stillen Reserven von rund 4,7 Mio. € erfolgen müsse; allerdings könne aus Billigkeitsgründen ein korrespondierender Ausgleichsposten gebildet und über zehn Jahre gewinnerhöhend aufgelöst werden.

Das FG Düsseldorf legte im anschließenden Klageverfahren die Frage der Europarechtskonformität der Entstrickungsklausel dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Dieser hat die Regelung im Ergebnis gebilligt (; s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 21.5.2015 und Rasch/Wenzel, IWB 15/2015 Seite 579 sowie Schiefer, NWB 31/2015 Seite 2289). Die Klage wurde sodann als unbegründet abgewiesen (; s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 14.1.2016).

Die Richter des BFH hoben das FG-Urteil auf und verwiesen die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück:

  • Wird ein bisher einer inländischen Betriebsstätte zuzuordnendes Wirtschaftsgut in eine ausländische Betriebsstätte überführt, löst dies gemäß § 4 Abs. 1 Satz 4 des EStG i.d.F. des JStG 2010 die Rechtsfolgen der Entnahmefiktion des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG aus.

  • Das FG hat daher richtig erkannt, dass die Überführung der Rechte am geistigen Eigentum an den gewerblichen Schutzrechten in die in den Niederlanden belegene Betriebsstätte den Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 4 (i.V.m. Satz 3) EStG i.d.F. des JStG 2010 erfüllt und daher einer nach § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG gewinnerhöhenden Entnahme zu betriebsfremden Zwecken gleichzustellen ist.

  • § 52 Abs. 8b Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 ordnet die Geltung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des SEStEG für Wirtschaftsjahre, die vor dem enden, für Fälle an, in denen ein bisher einer inländischen Betriebsstätte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen zuzuordnendes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte dieses Steuerpflichtigen zuzuordnen ist, deren Einkünfte durch ein DBA freigestellt sind (Variante 1) oder wenn das Wirtschaftsgut bei einem beschränkt Steuerpflichtigen nicht mehr einer inländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist (Variante 2). § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 gilt in allen Fällen, in denen § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des SEStEG anzuwenden ist (§ 52 Abs. 8b Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010).

  • Für den Streitfall führt § 52 Abs. 8b Satz 2 Variante 1 i.V.m. Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 zur rückwirkenden Geltung des § 4 Abs. 1 Satz 4 (i.V.m. Satz 3) EStG i.d.F. des JStG 2010, weil die Einkünfte der niederländischen Betriebsstätte im Streitjahr gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 5 Abs. 1 DBA-Niederlande 1959/2004 von der Besteuerung durch Deutschland freigestellt waren.

  • Die durch § 52 Abs. 8b Satz 2 Variante 1 i.V.m. Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 angeordnete ("echte") Rückwirkung des § 4 Abs. 1 Satz 4 (i.V.m. Satz 3) EStG i.d.F. des JStG 2010 für vor dem endende Wirtschaftsjahre verstößt für den Fall der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte, deren Einkünfte nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in der Bundesrepublik Deutschland von der Besteuerung freigestellt sind, nicht gegen das verfassungsrechtliche Vertrauensschutzgebot.

  • Die nach Maßgabe der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze der Finanzverwaltung ( BStBl I 1999, 1076) praktizierte Entstrickungsbesteuerung durch Auflösung der zum Überführungszeitpunkt in dem Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven bei gleichzeitiger Neutralisierung durch Bildung eines Merkpostens, der in gleichen Jahresraten über einen Zeitraum von zehn Jahren gewinnerhöhend aufgelöst wird, verstößt nicht gegen die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit (Anschluss an , EU:C:2015:331).

  • Das FG hat rechtsfehlerhaft angenommen, die Entnahme sei mit dem Fremdvergleichswert anzusetzen. Zwar ist durch das SEStEG § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG dahingehend geändert worden, dass in den Fällen des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG die Entnahmen - abweichend von dem sonst geltenden Ansatz des Teilwerts - mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind. Die geänderte Gesetzesfassung ist jedoch gemäß § 52 Abs. 16 Satz 1 EStG i.d.F. des SEStEG erstmals für nach dem endende Wirtschaftsjahre anzuwenden, so dass für den Streitfall der Ansatz des Teilwerts maßgeblich bleibt.

Hinweis:

Der erkennende Senat hat das Revisionsverfahren mit Beschluss vom - I R 95/15 bis zur Entscheidung des BVerfG über das Normenkontrollersuchen des Senats vom - (BFHE 241, 483, BStBl II 2013, 1004) ausgesetzt. Nachdem das (BVerfGE 168, 1) über das Normenkontrollersuchen entschieden hat, ist das Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen I R 5/24 (I R 99/15) fortgesetzt worden.

Quelle: ; NWB Datenbank (lb)

Fundstelle(n):
GAAAJ-96590