Instanzenzug: LG Hildesheim Az: 14 KLs 27/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer Schusswaffe, unter Einbeziehung von zwei Urteilen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, die es zur Bewährung ausgesetzt hat. Vom Vorwurf neun weiterer Taten hat es den Angeklagten freigesprochen. Die Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich gegen den Strafausspruch und den Teilfreispruch. Diesen greift auch die Nebenklägerin an, soweit die dem Angeklagten vorgeworfenen Taten sie zum Anschluss berechtigen. Die jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen haben Erfolg.
I.
21. Der Verurteilung liegen folgende Feststellungen und Wertungen zugrunde:
3a) Im Mai 2023 kam es nach einem Einkaufsbummel auf einem Parkplatz zu einem Streit zwischen dem Angeklagten und seiner damaligen Lebensgefährtin, der Nebenklägerin, weil diese eine zuvor anprobierte Hose nicht gekauft hatte und er sich durch ihr Verhalten „blamiert“ fühlte. Der Angeklagte schlug mit seiner Sonnenbrille derart in ihr Gesicht, dass sie erhebliche Schmerzen und Hämatome erlitt. Zudem bespuckte er sie. Eine Zeugin wurde auf das Geschehen aufmerksam und kündigte an, die Polizei zu rufen, woraufhin die Nebenklägerin auf Drängen des Angeklagten vom Parkplatz fuhr (Fall II.1 der Urteilsgründe). Am führte der Angeklagte eine Schreckschusspistole und drei Kartuschen mit sich, wobei ihm sowohl bewusst war, dass er nicht über eine entsprechende Erlaubnis verfügte, als auch, dass die Gase nach vorne austraten. Der Angeklagte war alkoholisiert und beleidigte den vorbeikommenden Nebenkläger K. , mit dem er in der Vergangenheit bereits handgreifliche Auseinandersetzungen hatte. Dessen Reaktion, „der Angeklagte sei wieder voll und man (könne) ihn provozieren“, sowie die bereits vorausgegangenen Streitigkeiten machten den Angeklagten wütend. Er folgte dem Nebenkläger auf einem E-Scooter und schoss aus einer Entfernung von einem halben Meter auf dessen Kopf. Während eines Gerangels gab der Angeklagte einen weiteren Schuss ab, der den Nebenkläger entweder aus wenigen Zentimeter Entfernung oder mit leicht aufgesetzter Mündung an der rechten Schulter traf. Anschließend gelang es dem Nebenkläger, den Angeklagten zu Boden zu bringen, wobei dieser ihm in den Ringfinger der rechten Hand biss. Der Nebenkläger erlitt mehrere Prellungen, eine Bisswunde und ein Knalltrauma (Fall II.2 der Urteilsgründe).
4b) Das Landgericht hat beide Taten als gefährliche Körperverletzung gewertet, im Fall II.2 tateinheitlich mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz. Sachverständig beraten hat die Strafkammer angenommen, dass der Angeklagte an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung und Suchterkrankung leidet und seine Steuerungsfähigkeit im Fall II.1 im Zusammenwirken mit einer möglichen Cannabisintoxikation nicht ausschließbar erheblich beeinträchtigt und im Fall II.2 in Kombination mit einer nicht unerheblichen Alkohol- und Cannabisintoxikation erheblich eingeschränkt war.
52. Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vom legt die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten darüber hinaus zur Last, die Nebenklägerin in zwei Fällen gegen ihren Willen zum Oral- und Vaginalverkehr gezwungen zu haben, sie in drei Fällen körperlich misshandelt, davon in einem Fall rechtswidrig mit Gewalt zu einer Handlung genötigt zu haben, und in vier Fällen ein Fahrzeug geführt zu haben, ohne im Besitz der dafür erforderlichen Erlaubnis zu sein. Dabei handelt es sich um folgende Tatvorwürfe:
6a) Am habe der Angeklagte die Nebenklägerin zum Anhalten des von ihr geführten Fahrzeugs gezwungen, sie im Fahrzeug mehrmals geschlagen und sie dann nach ihrer Flucht aus dem Auto verfolgt, zu Boden geworfen und erneut geschlagen (Fall 2 der Anklage). Anschließend sei er gefahren, obwohl ihm bewusst gewesen sei, dass er die dafür erforderliche Erlaubnis nicht besitze (Fall 3 der Anklage). Kurze Zeit später habe der Angeklagte der Nebenklägerin auf einem menschenleeren Feldweg eine Schreckschusspistole an die Stirn gehalten und sie mit dem Tod bedroht. Der anschließenden Aufforderung zum Oral- und zum Vaginalverkehr, der auf der Motorhaube des Fahrzeugs stattgefunden habe, sei die Nebenklägerin nur aus Angst nachgekommen. Den Oralverkehr habe der Angeklagte gefilmt (Fall 4 der Anklage). Danach habe der Angeklagte erneut das Fahrzeug geführt (Fall 5 der Anklage).
7Am habe der Angeklagte die Nebenklägerin in der gemeinsamen Wohnung geschlagen (Fall 6 der Anklage). Danach habe er sie im Auto vom Fahrer- auf den Beifahrersitz geschoben und dabei am Schienbein verletzt (Fall 7 der Anklage). Anschließend sei er mit dem Fahrzeug gefahren (Fall 8 der Anklage). Er habe auf einem menschenleeren Feldweg angehalten, die Nebenklägerin zum Aussteigen und zu seiner oralen Befriedigung aufgefordert, wobei sie dem Ansinnen des Angeklagten nur aus Angst vor weiteren Aggressionen nachgekommen sei. Danach habe der Angeklagte den vaginalen Geschlechtsverkehr durchgeführt, den die Nebenklägerin aus Angst vor Gewalttätigkeiten über sich habe ergehen lassen (Fall 9 der Anklageschrift). Schließlich sei der Angeklagte nach dem Geschehen erneut mit dem Fahrzeug gefahren (Fall 10 der Anklage).
8b) Die Strafkammer hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil ihm die Taten nicht nachzuweisen seien. Feststellungen zu den Anklagevorwürfen hat sie nicht zu treffen vermocht.
II.
9Die wirksam auf den Freispruch und den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.
101. Die Staatsanwaltschaft hat zwar einen umfassenden Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt sowie die Sachrüge ausdrücklich ohne Einschränkungen erhoben. Hinsichtlich des Angriffsziels ist aber der Sinn der Revisionsbegründung maßgeblich (vgl. ; Beschluss vom – 6 StR 355/24), ausweislich der sie ausschließlich den Teilfreispruch und den Strafausspruch beanstandet. Daran vermag auch die Rüge hinsichtlich der festgestellten Tatzeit im Fall II.1 nichts zu ändern, weil diese den Schuldspruch nicht berührt. Da eine Aufhebung der Schuldfähigkeit des Angeklagten sicher auszuschließen ist, steht der Beschränkung zudem keine untrennbare Verknüpfung der Erörterungen zum Schuld- und Strafausspruch entgegen, die eine getrennte Prüfung nicht erlauben würde (vgl. , BGHR StPO § 302 Abs. 2 Beschränkung 3).
112. Der Freispruch hat keinen Bestand.
12a) Die Urteilsgründe entsprechen bereits nicht den Anforderungen, die nach § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind.
13aa) Wird ein Angeklagter aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, so sind nach Mitteilung des Anklagevorwurfs zunächst in einer geschlossenen Darstellung die als erwiesen angesehenen Tatsachen festzustellen, bevor in der Beweiswürdigung darzulegen ist, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden können. Denn es ist Aufgabe der Urteilsgründe, dem Revisionsgericht auf diese Weise eine umfassende Nachprüfung der freisprechenden Entscheidung zu ermöglichen (st. Rspr.; vgl. ; vom – 6 StR 299/22). Auf die Darstellung der Feststellungen kann nur ausnahmsweise verzichtet werden, wenn solche zum objektiven Tatgeschehen überhaupt nicht möglich waren oder bei einem Freispruch aus subjektiven Gründen die Urteilsgründe ohne Feststellungen zum objektiven Sachverhalt ihrer Aufgabe gerecht werden, dem Revisionsgericht die Überprüfung der Beweiswürdigung auf Rechtsfehler zu ermöglichen (vgl. , Rn. 18).
14bb) Diesen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Soweit es sich aufgrund der fehlenden Einlassung des Angeklagten zu den Tatvorwürfen und „aufgrund der mangelnden Qualität der Aussage der Nebenklägerin sowie der Widersprüche in ihren Angaben“ nicht in der Lage gesehen hat, Feststellungen zu den angeklagten Tatvorwürfen zu treffen, liegt unabhängig von der Frage, ob die Bewertung der Aussage rechtsfehlerfrei ist, kein Ausnahmefall vor. Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen waren aufgrund der weiteren Beweismittel zumindest in Teilbereichen möglich. Insbesondere hat das Landgericht zwei Videoaufzeichnungen vom in Augenschein genommen, die die Nebenklägerin sowohl bei der Ausübung von Oralverkehr als auch beim Vaginalverkehr auf der Kühlerhaube eines Autos und damit bei einem von der Anklage umfassten Tatgeschehen (Fall 4) zeigen.
15b) Zudem hält die Beweiswürdigung sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
16aa) Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht Zweifel an dem Vorliegen eines den Angeklagten belastenden Sachverhalts nicht zu überwinden vermag. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich deshalb darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt, oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. ; vom – 5 StR 406/23 mwN). Das Urteil muss erkennen lassen, dass das Tatgericht solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat.
17bb) Gemessen daran begegnet die Beweiswürdigung durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie weist Erörterungsmängel bei der Würdigung der Aussage der Nebenklägerin auf und erweist sich deshalb als lückenhaft.
18Das Landgericht hat nicht hinreichend in den Blick genommen, dass das Antwortverhalten der Nebenklägerin auf ihre dem Sachverständigen geschilderten Schwierigkeiten mit einer Aussage in der Hauptverhandlung zurückzuführen sein könnten. Die Nebenklägerin hat gegenüber dem Sachverständigen mehrere Gründe angegeben, warum ihr die Aussage in der Hauptverhandlung schwerfalle. Insbesondere hat sie beschrieben, dass sie sich vorkomme „wie in der Schule“, in der sie immer großen Druck verspürt und bei Fragen der Lehrer unter „Blackouts“ gelitten habe. Vor diesem Hintergrund besorgt der Senat, dass das Landgericht die Besonderheiten der Persönlichkeit der Nebenklägerin bei der Bewertung der Aussagen nicht ausreichend in den Blick genommen hat, zumal es deren mangelnde Belastbarkeit auch darauf gestützt hat, dass die Nebenklägerin bei Vorhalt unterschiedlicher Versionen „gar nicht mehr“ und auf Fragen nur „zögerlich und meistens wortkarg bzw. lediglich in Halbsätzen geantwortet“ habe.
19Soweit die Strafkammer in Betracht gezogen hat, dass die Nebenklägerin die sexuellen Handlungen am durch Fremdsuggestion der Geschwister erst im Nachhinein als „Vergewaltigung“ eingeordnet habe, ist diese Erwägung nicht nachvollziehbar. Für eine Fremdsuggestion durch die Geschwister gibt es keine Anhaltspunkte, weil beide in ihren von der Strafkammer als glaubhaft bewerteten Aussagen angegeben haben, dass die Nebenklägerin ihnen keine Details insbesondere zu den Sexualstraftaten genannt habe.
20Bedenken begegnet auch, dass die Strafkammer „aufgrund der mangelnden Qualität der Aussage der Nebenklägerin sowie der Widersprüche in ihren Angaben“ nicht einmal hinsichtlich der angeklagten Vorwürfe des Fahrens ohne Fahrerlaubnis in den Fällen 3 und 8 Feststellungen zu treffen vermocht hat. Im Hinblick auf die bei allen drei Vernehmungen konstante Aussage der Nebenklägerin, dass der Angeklagte im Laufe der Rückfahrt am die Handbremse gezogen, sie am vom Fahrer- auf den Beifahrersitz geschoben habe und anschließend jeweils selber mit dem Fahrzeug gefahren sei, erschließt sich weder, worin die von der Strafkammer auch insoweit gerügten Widersprüche und Inkonstanzen bestanden haben sollen, noch warum sie aufgrund der zeitlichen und räumlichen Nähe der angeklagten Taten „nicht zu unterscheiden vermochte, zu welchem Zeitpunkt die getätigten Angaben der Nebenklägerin (vollständig) erlebnisbasiert waren und ab welchem Zeitpunkt das nicht mehr der Fall war.“
21c) Aufgrund dieser Mängel kann der Freispruch keinen Bestand haben. Soweit das Urteil etwaige Feststellungen zu den freigesprochenen Vorwürfen enthält, sind diese bereits deshalb aufzuheben, weil der Angeklagte sie nicht mit einem Rechtsmittel angreifen konnte.
223. Die Staatsanwaltschaft wendet sich zu Recht auch gegen den Strafausspruch. Die Strafkammer hat nicht rechtsfehlerfrei belegt, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Fall II.1 aufgrund seiner narzisstischen Persönlichkeitsstörung im Zusammenwirken mit einer möglichen Cannabisintoxikation nicht ausschließbar erheblich beeinträchtigt gewesen ist.
23a) Für die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit eines Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, ist – notfalls unter Anwendung des Zweifelssatzes (vgl. , NJW 2022, 1966 f. mwN) – zunächst die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Diese Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. nur , Rn 39; Beschluss vom – 4 StR 366/22, NStZ-RR 2023, 72 mwN).
24b) Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht.
25Aus den Urteilsgründen ergibt sich zwar, dass der Angeklagte unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung und einer Suchterkrankung litt. Jede Störung für sich betrachtet erfüllt aber nur ausnahmsweise ein Eingangsmerkmal von § 20 StGB (für eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vgl. mwN; Beschlüsse vom – 5 StR 322/23; vom – 4 StR 543/20; NStZ-RR 2021, 138, 140; für eine Drogensucht vgl. ; Beschlüsse vom – 1 StR 41/23, Rn. 11; vom – 2 StR 362/20, NStZ-RR 2021, 77, 78 mwN). Ausreichende Anhaltspunkte für solche Ausnahmefälle sind hier nicht ersichtlich. Diese werden allein durch einen regelmäßigen Konsum von Alkohol und Drogen, fehlende Schul- und Berufsabschlüsse, schwierige Lebensverhältnisse und eine zudem nicht näher beschriebene Verwahrlosungstendenz nicht begründet.
26Soweit sich der Schweregrad aus der Kombination der Störungen ergeben soll, fehlt die gebotene Darlegung, wie sich die verschiedenen Störungsbilder zueinander verhalten und sich auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten bei der Tat ausgewirkt haben (vgl. , Rn. 47). Abgesehen davon, dass die Strafkammer den Konsum von THC zur Tatzeit nur nicht auszuschließen vermocht hat, ist nicht ausgeführt, welchen Einfluss die Drogensucht auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten im Zeitpunkt des Schlags mit der Sonnenbrille gehabt haben könnte. Da der Konsum von Drogen nach Angaben des Angeklagten eine eher beruhigende Wirkung auf ihn ausübte, liegt eine erhebliche Minderung seiner Steuerungsfähigkeit durch diesen eher fern. Den Urteilsgründen lässt sich auch nicht entnehmen, inwieweit die narzisstische Persönlichkeitsstörung seine Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt haben soll. Soweit der Sachverständige darauf abgestellt hat, dass die Nebenklägerin aus Sicht des Angeklagten durch die Zurückweisung seiner Kaufempfehlung die Beziehung in Frage gestellt habe, vermag dies auch unter Berücksichtigung der für ihn wichtigen ständigen Aufwertung nicht zu erklären, dass er aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt haben soll.
27c) Die Strafzumessung beruht auf diesem Rechtsfehler. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei rechtsfehlerfreier Prüfung einen minder schweren Fall nach § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB abgelehnt hätte, die Schwere der Schuld bezüglich Fall II.1 bejaht und insgesamt zu einer höheren Jugendstrafe gelangt wäre. Auf die weiteren Beanstandungen zur Strafzumessung kommt es daher nicht an. Um dem neuen Tatgericht eine insgesamt widerspruchsfreie Strafzumessung zu ermöglichen, hebt der Senat die zugehörigen Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO).
III.
281. Die zulässige Revision der Nebenklägerin ist wirksam auf den Teilfreispruch beschränkt, soweit dieser Nebenklagedelikte betrifft.
29Gemäß § 400 Abs. 1 StPO kann ein Nebenkläger ein Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluss des Nebenklägers berechtigt. Aufgrund der beschränkten Anfechtungsbefugnis muss der Nebenkläger innerhalb der Revisionsbegründungsfrist das Ziel seines Rechtsmittels ausdrücklich und eindeutig angeben (vgl. Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl., § 400 Rn. 6a mwN). Die Revision des Nebenklägers ist unzulässig, wenn aus ihr nicht ersichtlich wird, dass sie ein gemäß § 400 Abs. 1 i.V.m. § 395 StPO zulässiges Ziel verfolgt.
30Die nach allgemeinen Grundsätzen vorzunehmende Auslegung der Revisionsbegründungsschrift (vgl. KK-StPO/Allgayer, 9. Aufl., § 400 Rn. 3) ergibt hier, dass die Nebenklage das Urteil lediglich insoweit angreift, als der Angeklagte vom Vorwurf der Begehung von Nebenklagedelikten freigesprochen worden ist. Zwar ist kein ausdrücklicher Antrag gestellt worden. Zudem führt die Nebenklagerevision aus, dass sich die allgemeine Sachrüge auf das „angefochtene Urteil im Ganzen“ bezieht. Aus den die allgemein erhobene Sachrüge konkretisierenden Darlegungen folgt indes hinreichend eindeutig, dass die Nebenklägerin die Überprüfung des Urteils lediglich insoweit erstrebt, als eine Verurteilung wegen Nebenklagedelikten unterblieben ist. Insbesondere rügt die Revision weder die Strafzumessung noch die unterbliebene Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (Fälle 3, 5, 8 und 10). Damit beschränkt sie sich auf die Anklagevorwürfe 2, 4, 6, 7 und 9 der Anklageschrift vom , die nach § 395 Abs. 1 Nr. 1 und 3 StPO sämtlich zum Anschluss berechtigen.
312. Die Revision der Nebenklägerin ist im Umfang ihrer Anfechtung begründet und führt dementsprechend zur Aufhebung der Freisprüche nebst zugehöriger Feststellungen in den Fällen 2, 4, 6, 7 und 9 der Anklageschrift vom . Insoweit wird auf die Ausführungen zur Revision der Staatsanwaltschaft Bezug genommen.
IV.
32Im Hinblick auf die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
331. Es begegnet zwar keinen Bedenken, dass die Strafkammer eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation angenommen hat, die eine besonders sorgfältige Würdigung der Aussage eines Belastungszeugen erfordert. Diese liegt auch vor, wenn der Angeklagte zum Kerngeschehen keine Angaben gemacht hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 205/24; vom – 4 StR 197/23; vom – 5 StR 383/23). Nicht unbedenklich ist aber die Ausrichtung der Beweiswürdigung der Strafkammer an der sogenannten Nullhypothese. Diese erlangt Bedeutung nur im Rahmen der aussagepsychologischen Begutachtung und gehört dort zu den zu beachtenden methodischen Grundprinzipien (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 142/24; vom – 5 StR 334/23).
342. Wegen der Besonderheiten in der Biographie der Nebenklägerin und der festgestellten „Auffälligkeiten in der Vernehmung“ erscheint es ratsam, ein aussagepsychologisches Gutachten zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin einzuholen und sachverständige Hilfe nicht nur, wie bisher geschehen, zur Prüfung ihrer Aussagefähigkeit in Anspruch zu nehmen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:190325U6STR543.24.0
Fundstelle(n):
ZAAAJ-96468