Instanzenzug: LG Chemnitz Az: 2 KLs 213 Js 11332/23 jug
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten J. wegen versuchten Mordes in sechs tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit sechs tateinheitlichen Fällen der Sachbeschädigung und vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr sowie wegen versuchten Mordes in drei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit vier tateinheitlichen Fällen der Sachbeschädigung, gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es den Pkw Skoda Octavia eingezogen, dem Angeklagten J. die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung angeordnet. Den nicht (mehr) revidierenden Mitangeklagten R. hat es bei gleichem Schuldspruch zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten und die nichtrevidierende Mitangeklagte N. wegen Beihilfe zu diesen Taten zu einer zur Bewährung ausgesetzten Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren verurteilt. Mit seiner auf die Rüge formellen und materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich der Angeklagte gegen seine Verurteilung. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet. Die Schuldspruchänderung ist gemäß § 357 Abs. 1 StPO auf die nicht revidierenden Mitangeklagten R. und N. zu erstrecken.
I.
2Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
31. Zu einem Zeitpunkt vor dem kamen der Angeklagte J. und der nicht revidierende Mitangeklagte R. auf den Gedanken, Steine von Autobahnbrücken auf die darunter gelegene Autobahn zu werfen, um hierdurch Unglücksfälle herbeizuführen. Sie wollten erreichen, dass die mit hoher Geschwindigkeit herannahenden Fahrzeuge entweder mit den Feldsteinen oder anderen Gegenständen kollidieren oder sie bei Erkennen der Hindernisse durch abruptes Ausweichen ausbrechen und hierdurch erhebliche Schäden eintreten, wobei die Angeklagten den Tod der Fahrzeuginsassen zumindest billigend in Kauf nahmen. Die nicht revierende Mitangeklagte N. wollte beide durch ihre Anwesenheit am Tatort in ihrem Tatentschluss bestärken. So kam es zu folgenden zwei Taten:
4a) In Umsetzung ihres gemeinsamen Tatplans beluden der Angeklagte J. und der Mitangeklagte R. am Abend des (Fall III. 2. a) der Urteilsgründe) sowie des (Fall III. 2. b) der Urteilsgründe) den Kofferraum des Pkw Skoda Octavia des Angeklagten J. u.a. mit Feldsteinen von ganz erheblichem Gewicht. Sie fuhren jeweils gemeinsam mit der Mitangeklagten N. mit dem Pkw zu einer Brücke über einer Bundesautobahn. Von dieser Brücke warfen der Mitangeklagte R. und der Angeklagte J. die im Kofferraum befindlichen Gegenstände herab, so dass diese sowohl auf der rechten als auch auf der linken Fahrbahn der Autobahn einschlugen. Nachfolgend kam es zu sechs Unglücksfällen, bei denen die jeweiligen Fahrzeugführer sich mit ihren Fahrzeugen der Brücke mit Geschwindigkeiten zwischen 100 und 140 km/h näherten und mangels Möglichkeit zum rechtzeitigen Ausweichen mit den auf die Autobahn geworfenen Gegenständen kollidierten. An allen Fahrzeugen entstand ein erheblicher Sachschaden. Zudem erlitt die Geschädigte Ri. Verletzungen an der Schulter; die Geschädigten W. , P. und T. nebst Beifahrerin waren in der Folge psychisch belastet.
5Am Abend des fuhren der Angeklagte J. und die früheren Mitangeklagten erneut (Fall III. 2. b) der Urteilsgründe) in Umsetzung ihres Tatplans mit dem Pkw des Angeklagten J. auf eine andere Autobahnbrücke über der Bundesautobahn 72. Im Kofferraum hatten sie drei eigens hierfür herbeigeschaffte Feldsteine, einen Toilettendeckel mit WC-Garnitur sowie einen Gullydeckel. Diese Gegenstände warfen der Angeklagte J. und der Mitangeklagte R. so von dem Brückengeländer, dass diese auf beiden Fahrspuren liegen blieben. Nachfolgend kam es dazu, dass sich die Geschädigten G. , D. und M. mit ihren Fahrzeugen der Brücke mit Geschwindigkeiten zwischen 110 und 170 km/h näherten. Da ihnen ein Ausweichen nicht rechtzeitig möglich war, kollidierten sie mit den von der Brücke geworfenen Gegenständen. An allen Fahrzeugen entstand hierdurch ein erheblicher Sachschaden. Zudem erlitt die Geschädigte G. ein leichtes Schädelhirntrauma sowie eine Stauchung der Wirbelsäule; der Geschädigte D. ist körperlich beeinträchtigt.
6b) Der Angeklagte J. hat sich bei sämtlichen Geschädigten vor Beginn der Hauptverhandlung schriftlich und in der Hauptverhandlung persönlich entschuldigt. Er erklärte sich in seinen Entschuldigungsschreiben gegenüber sämtlichen Geschädigten bereit, für den jeweils entstandenen Schaden aufzukommen. Zur Schadensbegleichung leistete er an die Geschädigte G. ein Schmerzensgeld in Höhe von 500,00 € sowie an sie und an einzelne der weiteren Geschädigten anteilige Zahlungen auf die entstandenen materiellen Schäden.
72. Von diesen Feststellungen ausgehend hat das Landgericht das Tatgeschehen im Fall III. 2. a) der Urteilsgründe als versuchten Mord in sechs tateinheitlichen Fällen (§ 211 Abs. 1, Abs. 2, zweite Gruppe Variante 1, §§ 22, 23 StGB) in Tateinheit mit sechs tateinheitlichen Fällen der Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) und mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 StGB) sowie im Fall III. 2. b) der Urteilsgründe als versuchten Mord in drei tateinheitlichen Fällen (§ 211 Abs. 1, Abs. 2, zweite Gruppe Variante 1, §§ 22, 23 StGB) in Tateinheit mit vier tateinheitlichen Fällen der Sachbeschädigung (§ 303 StGB), mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) und mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 StGB) gewertet. Bei der konkreten Strafzumessung hat das Landgericht zu Gunsten des Angeklagten die an die Geschädigten zur Schadenswiedergutmachung geleisteten 8.938,90 € und die an diese vor bzw. in der Hauptverhandlung erklärten Entschuldigungen berücksichtigt. Zu seinen Lasten hat es den jeweiligen erheblichen Sachschaden von mehr als 16.900,00 € im Fall III. 2. a) der Urteilsgründe und mehr als 53.000,00 € im Fall III. 2. b) der Urteilsgründe berücksichtigt. Eine Strafrahmenverschiebung nach § 46a StGB hat es in den Urteilsgründen nicht erwogen.
II.
8Der Revision des Angeklagten J. bleibt bis auf die aus dem Tenor ersichtliche Korrektur des Schuldspruchs – insoweit auch zugunsten der Mitangeklagten R. und N. – der Erfolg versagt.
91. Die Verfahrensrüge hat aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom dargelegten Gründen keinen Erfolg.
102. Die Überprüfung der Schuldsprüche führt in den Fällen III. 2. a) und 2. b) der Urteilsgründe lediglich zu einer Korrektur der Konkurrenzen. Es liegt jeweils nur eine tateinheitlich verwirklichte Sachbeschädigung vor. Im Übrigen weisen die Schuldsprüche keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf.
11a) § 52 Abs. 1 StGB erfasst zwar den Fall, dass dasselbe Strafgesetz durch eine Handlung mehrmals verletzt wird (sog. gleichartige Idealkonkurrenz). Ob eine mehrere taugliche Tatobjekte beeinträchtigende Handlung dann aber zu einer mehrmaligen oder lediglich zu einer in ihrem Gewicht gesteigerten einmaligen Gesetzesverletzung führt, hängt von dem in Rede stehenden Tatbestand ab. Stellt dieser auf die Verletzung von Gesamtheiten ab und werden keine höchstpersönlichen Rechtsgüter geschützt, so führt eine handlungseinheitliche Beeinträchtigung mehrerer Tatobjekte selbst dann nicht zu einer mehrfachen Verwirklichung des Tatbestandes, wenn verschiedene Rechtsgutträger geschädigt worden sind (vgl. Rn. 23; Beschluss vom – 1 StR 474/02).
12b) Danach ist vorliegend für beide Taten trotz der Beschädigung von Fahrzeugen verschiedener Eigentümer jeweils nur von einer Sachbeschädigung auszugehen, da § 303 StGB als Rechtsgut das Eigentum und nicht höchstpersönliche Rechtsgüter schützt (vgl. LK-StGB/Goeckenjan, 13. Aufl., § 303 Rn. 12).
13c) Der Senat ändert die Schuldsprüche, auch soweit sie die nicht revidierenden Mitangeklagten (§ 357 StPO) betreffen, entsprechend ab. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
143. Der Strafausspruch hat bei dem Angeklagten J. wie auch bei den von der Schuldspruchänderung nach § 357 StPO mitbetroffenen Mitangeklagten R. und N. Bestand.
15a) Es bestehen keine revisionsrechtlichen Bedenken, dass die Strafkammer in beiden Fällen die Einzelstrafen jeweils dem gemäß §§ 23, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 211 Abs. 1 StGB entnommen und eine weitere Strafrahmenverschiebung gemäß § 46a StGB nicht erörtert hat.
16Die Urteilsgründe tragen in beiden Fällen weder die Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB noch einer Schadenswiedergutmachung gemäß § 46a Nr. 2 StGB. Voraussetzung für eine Strafrahmenverschiebung nach § 46a StGB ist in Fällen, in denen durch eine Straftat Rechtsgüter mehrerer Personen verletzt sind, dass hinsichtlich jedes Geschädigten zumindest eine Variante des § 46a StGB erfüllt ist (st. Rspr.; vgl. Rn. 16; Urteil vom – 5 StR 535/17; Urteil vom – 4 StR 151/17). Es reicht nicht aus, dass ein Ausgleich nur in Bezug auf einzelne von mehreren Geschädigten gegeben ist. Danach steht vorliegend der Anwendbarkeit von § 46a StGB bereits entgegen, dass der Angeklagte J. im Fall III. 2. a) der Urteilsgründe nur an zwei von sechs Geschädigten und im Fall III. 2. b) der Urteilsgründe nur an einen von drei Geschädigten überhaupt Zahlungen geleistet hat.
17Es bestand auch insoweit kein Feststellungsbedarf, ob und inwieweit die weiteren Geschädigten die schriftliche und mündliche Entschuldigung des Angeklagten einschließlich der Ankündigung einer Kompensationsbereitschaft als Ausgleich akzeptiert haben. Denn für die Annahme eines friedensstiftenden Ausgleichs i.S.v. § 46a StGB kommt es nicht allein auf die – selbst einvernehmliche – subjektive Bewertung von Tatopfer und Täter an. Erforderlich ist vielmehr vorrangig eine Prüfung, ob die konkret erfolgten oder angebotenen Leistungen des Täters nach einem objektivierenden Maßstab als so erheblich anzusehen sind, dass damit das Unrecht der Tat als ausgeglichen erachtet werden kann (vgl. Rn. 20; Urteil vom – 4 StR 173/24 Rn. 28; Urteil vom – 2 StR 203/18 Rn. 23). Dies war hier mit Blick auf die Schwere des Tatvorwurfs ‒ unabhängig von der Bewertung der Entschuldigung durch die weiteren Tatopfer – ersichtlich nicht der Fall.
18b) Die Änderung des Schuldspruchs lässt die Strafaussprüche sowohl bei dem Angeklagten J. als auch bei den Mitangeklagten R. und N. unberührt. Der Senat schließt aus, dass die Strafkammer allein aufgrund einer anderen Bewertung der Konkurrenzen, die den Unrechtsgehalt der Tat nicht verändert, hinsichtlich der tateinheitlich verwirklichten Sachbeschädigung bei dem Angeklagten J. zu geringeren Einzelstrafen und in der Folge zu einer niedrigeren Gesamtfreiheitsstrafe sowie bei den nicht revidierenden Mitangeklagten zu geringeren Einheitsjugendstrafen gekommen wäre (vgl. ‒ 4 StR 486/22 Rn. 4; Beschluss vom – 2 StR 79/15 Rn. 8; Beschluss vom – 4 StR 190/89).
194. Die auf § 74 Abs. 1 Variante 2 StGB gestützte Einziehung des Pkw als Tatmittel weist ebenfalls keinen Rechtsfehler auf.
20Zwar verhält sich das Urteil nicht ausdrücklich zum Wert des eingezogenen Fahrzeugs. Angesichts des Umstandes, dass die Strafkammer die Einziehung des Pkw ausdrücklich bei der Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt hat, geht der Senat jedoch davon aus, dass sie das Fahrzeug insoweit als Gegenstand von nicht unerheblichem Wert in den Blick genommen hat (vgl. Rn. 18) und ihr diese Bewertung auch bei der Einziehungsentscheidung als solcher vor Augen stand.
21Dass sich die Urteilsgründe nicht ausdrücklich zur Ermessensausübung verhalten (vgl. zu den Begründungsanforderungen Rn. 4 mwN), ist hier ausnahmsweise unschädlich. Denn nähere Ausführungen waren entbehrlich, da vorliegend eine Ermessensreduzierung auf Null angenommen werden kann. Der Angeklagte J. setzte seinen Pkw bewusst in beiden Fällen unter anderem zur Begehung eines versuchten Mordes in sechs bzw. drei tateinheitlichen Fällen und damit zur Begehung erheblicher Straftaten ein. Bei solchen erheblichen Straftaten kann auf die Einziehung des Tatfahrzeuges als Tatmittel (regelmäßig) nicht verzichtet werden (vgl. für erhebliche Einfuhrdelikte; Beschluss vom – 3 StR 403/20 Rn. 43).
225. Angesichts des geringfügigen Erfolgs ist es nicht unbillig, dem Angeklagten die gesamten Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen (§ 473 Abs. 4 StPO).
Quentin Maatsch Scheuß
Tschakert Gödicke
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:220525U4STR261.24.0
Fundstelle(n):
FAAAJ-96401