Instanzenzug: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Az: 20 BV 23.1807 20 BV 23.1808 Beschlussvorgehend Az: M 26a K 21.397 Urteil
Gründe
I
1Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit von sogenannten Eigenblutbehandlungen durch Heilpraktiker.
2Die Kläger sind Heilpraktiker. Sie zeigten mit Schreiben aus September 2014 bzw. April 2016 gegenüber dem Beklagten die Durchführung verschiedener Formen der sogenannten Eigenblutbehandlung an. Hierbei entnahmen die Kläger ihren Patienten Blut und reinfundierten bzw. reinjizierten es entweder unverändert oder versetzt mit einem Ozon-Sauerstoff-Gemisch, homöopathischen oder phytotherapeutischen Arzneimitteln oder Vitaminen. Die Klägerin zu 2) entnahm darüber hinaus Blut, zentrifugierte es und injizierte anschließend das blutplättchenreiche Plasma. Die Zulässigkeit dieser Behandlungen war in der Folgezeit zwischen den Beteiligten streitig.
3Im Januar 2021 haben die Kläger Klage erhoben und die Feststellung der Zulässigkeit der von ihnen jeweils durchgeführten Eigenblutbehandlungen beantragt. Mit Urteil vom hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die Kläger berechtigt seien, die Eigenbluttherapie in Form der Entnahme und Reinjektion von unverändertem Vollblut und in Form der Entnahme und Reinjektion von mit nicht verschreibungspflichtigen homöopathischen Arzneimitteln versetztem Vollblut durchzuführen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
4Auf die Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss nach § 130a VwGO vom das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage vollumfänglich abgewiesen; die Anschlussberufung der Kläger hat er zurückgewiesen. Die Kläger seien nach § 7 Abs. 2 Satz 1 des Transfusionsgesetzes (TFG) nicht berechtigt, die streitgegenständlichen Eigenbluttherapien durchzuführen. Sie seien keine ärztlichen Personen und führten Blutentnahmen auch nicht unter der Verantwortung einer ärztlichen Person durch. Sie entnähmen ihren Patienten aber im Rahmen der in Rede stehenden Eigenblutbehandlungen eine Spende im Sinne des Transfusionsgesetzes. Die für den Arztvorbehalt geltende Ausnahmeregelung für homöopathische Eigenblutprodukte nach § 28 TFG greife nicht, weil das Eigenblut, soweit es sich hierbei um Eigenblutprodukte handele, nicht nach einem im Europäischen Arzneibuch oder, in Ermangelung dessen, nach einem in den offiziell gebräuchlichen Pharmakopöen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beschriebenen homöopathischen Zubereitungsverfahren hergestellt würden. Mit der Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts zur Vereinbarkeit dieser Auslegung des § 28 TFG mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG, insbesondere zur Verhältnismäßigkeit, hätten die Kläger sich nicht substantiiert auseinandergesetzt.
5Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen seinen Beschluss nicht zugelassen. Hiergegen richten sich die Kläger mit ihren Beschwerden.
II
6Die Beschwerden der Kläger sind unbegründet.
71. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
8a) Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht gegen seine Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen, indem er kein Sachverständigengutachten zur Gefährlichkeit der in Rede stehenden Eigenblutbehandlungen eingeholt hat. Die Aufklärungspflicht ist regelmäßig dann nicht verletzt, wenn das Gericht von einer Beweiserhebung absieht, die eine anwaltlich vertretene Partei nicht förmlich beantragt hat (vgl. 3 C 7.14 - BVerwGE 153, 335 Rn. 30 und Beschluss vom - 3 BN 7.24 - juris Rn. 6). Im Fall einer Entscheidung nach § 130a VwGO setzt eine auf eine aus der Sicht der Partei erforderliche, aber unterbliebene Sachverhaltsermittlung gestützte Aufklärungspflichtverletzung voraus, dass die anwaltlich vertretene Partei auf das gerichtliche Anhörungsschreiben zur Entscheidung im Beschlusswege nach § 130a VwGO einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit dem Hinweis widersprochen hat, in der mündlichen Verhandlung solle ein Beweisantrag zu der für erforderlich gehaltenen Sachverhaltsermittlung gestellt werden ( 5 B 157.07 - juris Rn. 12). Dies haben die Kläger nicht getan; mit Schriftsatz vom haben sie sich vielmehr mit einem Beschluss nach § 130a VwGO einverstanden erklärt. Die Beschwerden legen auch nicht dar, dass sich die Einholung eines Sachverständigengutachtens dem Verwaltungsgerichtshof aufdrängen musste. Mit dem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Urteil vom hat der beschließende Senat entschieden, dass der Gesetzgeber sich mit der Annahme, die Herstellung und Verwendung von Blutprodukten bringe spezifische Gefahren mit sich, denen mit den Bestimmungen des Transfusionsgesetzes zu begegnen sei, innerhalb des ihm zukommenden Einschätzungsspielraums gehalten hat ( 3 C 5.22 - BVerwGE 179, 147 Rn. 32 f.). Der Vortrag, dass ihre Eigenbluttherapien kein größeres Risiko beinhalteten als andere invasive Verfahren, die Heilpraktikern gestattet seien, zog die gesetzgeberische Grundannahme nicht in Zweifel und musste den Verwaltungsgerichtshof nicht zu einer weiteren Aufklärung veranlassen. Gleiches gilt, soweit die Kläger rügen, dass der Verwaltungsgerichtshof Herrn Z. nicht als Zeugen vernommen hat.
9b) Die Beschwerden zeigen auch keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) auf. Der in Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör verbürgt als "prozessuales Urrecht" den Beteiligten eines Gerichtsverfahrens, vor Erlass einer Entscheidung, die ihre Rechte betrifft, zu Wort kommen und mit ihren Ausführungen und Anträgen Einfluss auf das Verfahren nehmen zu können (vgl. BVerfG, Plenumsbeschluss vom - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 <408 f.>). Diese Ausführungen hat das Gericht zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (vgl. 3 C 22.20 - juris Rn. 2). Die Kläger machen geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe zentrale Argumente und Anträge zur Ungefährlichkeit der Eigenblutbehandlungen auch aufgrund moderner Technik mit geschlossenen Kreisläufen nicht beachtet. Damit zeigen sie einen Gehörsverstoß nicht auf. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Ausführungen der Kläger zur Ungefährlichkeit der Eigenblutbehandlungen durch Heilpraktiker und die Anregungen zur Einholung eines Sachverständigengutachtens beachtet (vgl. Rn. 50, 54 f., 72 und 80 des Beschlusses); dass er ihnen nicht gefolgt ist, begründet keinen Gehörsverstoß.
10c) Soweit die Kläger rügen, der Verwaltungsgerichtshof habe ihnen fehlerhaft die Beweislast für die Ungefährlichkeit der in Rede stehenden Eigenblutbehandlungen auferlegt, zeigen sie bereits deshalb keinen Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf, weil die Frage der Beweis- und Darlegungslast nicht zum Recht des Verfahrens, sondern zum materiellen Recht gehört ( 3 B 1.22 - juris Rn. 19 und vom - 3 B 13.24, 3 VR 1.24 - juris Rn. 29).
11d) Auch mit dem Vortrag, der Verwaltungsgerichtshof habe die Berufsfreiheit der Kläger nur oberflächlich berücksichtigt und die notwendigen Prüfungen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit unterlassen, rügen die Kläger materiell-rechtliche Fehler des Verwaltungsgerichtshofs; ein Verfahrensfehler wird damit nicht aufgezeigt. Der weitere Vorwurf, der Verwaltungsgerichtshof habe bei der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG unzutreffende Sachgründe herangezogen, denn tatsächlich bestehe kein Grund für eine Ungleichbehandlung von Ärzten und Heilpraktikern, betrifft ebenfalls die Anwendung materiellen Rechts.
12e) Gleiches gilt, soweit die Kläger als Verfahrensfehler geltend machen, der Verwaltungsgerichtshof hätte bei Konsultation der maßgeblichen Arzneibücher feststellen müssen, dass Blut selbst eine Urtinktur und damit eine homöopathische Zubereitung sein könne, und er habe den (3 B 130.96) fehlerhaft angewandt, indem er angenommen habe, dass Blut auch in der vorliegenden Angelegenheit ein Stoff im Sinne der §§ 2 und 3 des Arzneimittelgesetzes (AMG) sei. Auch hiermit rügen die Kläger die materielle Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs. Soweit letzteres Vorbringen auch als Rüge der Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zu verstehen sein sollte, wäre eine solche nicht hinreichend dargelegt. Die Kläger benennen keinen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz, mit dem der Verwaltungsgerichtshof einem in dem genannten aufgestellten, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. zu den Anforderungen 3 BN 11.22 - juris Rn. 6).
13f) Dass der Verwaltungsgerichtshof kein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof gerichtet hat, begründet keinen Verfahrensfehler in Gestalt des insoweit allein in Betracht kommenden Verstoßes gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Der Verwaltungsgerichtshof ist im vorliegenden Verfahren kein letztinstanzliches Gericht und damit nicht zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 AEUV verpflichtet. Im Übrigen ist mit dem Vorbringen, eine Vorlage sei erforderlich gewesen "wegen des Bezugs zu europäischen Verordnungen betreffend Bluttransport und Umgang mit Blutzubereitungen sowie Gewebequellen humanen Ursprungs" eine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung des Unionsrechts nicht hinreichend bezeichnet.
14g) Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe, indem es als Prozessvertretung des Beklagten die Regierung von Oberbayern benannt habe, obwohl die Landesanwaltschaft als Vertreter des öffentlichen Interesses beteiligt gewesen sei, einen erheblichen Verfahrensfehler begangen, den der Verwaltungsgerichtshof hätte berücksichtigen müssen, macht einen Fehler des erstinstanzlichen Verfahrens und keinen Mangel des berufungsgerichtlichen Verfahrens im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO geltend.
152. Die Revision ist auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
16Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Bestimmung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine fallübergreifende, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Frage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird. Das ist in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise darzulegen (stRspr, vgl. nur 3 B 44.22 - juris Rn. 40 m. w. N.).
17Eine derartige Rechtsfrage zeigt das klägerische Vorbringen nicht auf. Die Kläger machen im Wesentlichen geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe unzutreffend angenommen, dass das im Rahmen der Eigenblutbehandlung zu entnehmende Blut ein Wirkstoff bzw. ein Arzneimittel im Sinne des § 2 Nr. 1 TFG sei, zudem habe er fehlerhaft die Eigenschaft als homöopathisches Blutprodukt verneint, obwohl es sich bei Blut um eine Urtinktur gemäß den maßgeblichen Arzneibüchern handele. Darüber hinaus habe er die Qualifikation von Heilpraktikern und die Gefahrgeneigtheit von Eigenblutbehandlungen sowie die Verhältnismäßigkeit des Arztvorbehalts und dessen Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz unzutreffend bewertet. Damit machen sie Einwände gegen die inhaltliche Richtigkeit des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs geltend, ohne eine klärungsbedürftige und -fähige konkrete Rechtsfrage aufzuzeigen.
18Soweit die Kläger als grundsätzlich bedeutsam die Frage benennen, ob und inwieweit eine unterschiedliche Behandlung zwischen Ärzten und Heilpraktikern zulässig ist, sofern kein relevantes unterschiedliches Gefahrpotenzial besteht, handelt es sich nicht um eine klärungsbedürftige Rechtsfrage. Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe an eine mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbare Ungleichbehandlung sind geklärt (vgl. etwa u. a. - BVerfGE 145, 20 Rn. 171; 3 CN 6.22 - BVerwGE 178, 322 Rn. 75); ihre Anwendung im konkreten Fall ist eine Frage des Einzelfalls und einer grundsätzlichen Klärung daher nicht zugänglich.
193. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 GKG i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:270625B3B27.24.0
Fundstelle(n):
BAAAJ-96262