Aberkennung des Ruhestandsgehalts wegen einer Betrugsstraftat eines Beamten im aktiven Dienst
Gesetze: § 16 Abs 2 S 2 DG HE, § 13 Abs 4 S 2 BDG, Art 33 Abs 5 GG, Art 14 GG
Instanzenzug: Hessischer Verwaltungsgerichtshof Az: 28 A 1850/19.D Urteilvorgehend VG Wiesbaden Az: 28 K 2699/17.WI.D Urteil
Gründe
1Der Rechtsstreit betrifft ein beamtenrechtliches Disziplinarklageverfahren.
21. Der ... geborene Beklagte stand bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand wegen des Erreichens der gesetzlichen Altersgrenze mit Ablauf des Monats Juli ... als Rektor einer Haupt- und Realschule im Dienst des Klägers. Das Amtsgericht ... verurteilte den Beklagten im Juni 2015 wegen Betrugs in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, die es zur Bewährung aussetzte. Auf die Berufung des Beklagten änderte das Landgericht mit Urteil vom September 2016 das amtsgerichtliche Urteil ab und verurteilte den Beklagten wegen Betrugs in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten, deren Vollstreckung es ebenfalls zur Bewährung aussetzte.
3In dem ursprünglich bereits im November 2014 eingeleiteten und zunächst wegen des Strafverfahrens vorübergehend ausgesetzten Disziplinarverfahren hat der Kläger im April 2017 Disziplinarklage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat dem Beklagten mit Urteil vom Juni 2019 auf der Grundlage des strafgerichtlich abgeurteilten Verhaltens (in Gestalt des Einsammelns von Geldern für bereits bezahlte schulische Arbeitshefte und der Weiterveräußerung von dienstlich beschafften Sportgeräten) das Ruhegehalt aberkannt. Dessen hiergegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht mit Urteil vom Juni 2024 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte habe ein schweres innerdienstliches Dienstvergehen begangen und hierdurch das Vertrauen der Allgemeinheit und seines Dienstherrn endgültig verloren. Die Dauer des Disziplinarverfahrens sei nicht mildernd zu berücksichtigen. Dies gelte auch für die Aberkennung des Ruhegehalts. Es könne dahinstehen, ob bei Ruhestandsbeamten der Zweck des Disziplinarrechts, nämlich der Schutz der Integrität des Berufsbeamtentums und der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, greife. Der Ruhestandsbeamte übe keinen Dienst mehr aus und repräsentiere den Dienstherrn nicht in gleicher Weise wie ein aktiver Beamter. Der Gesetzgeber habe aber deutlich gemacht, dass im Gegensatz zu den anderen Disziplinarmaßnahmen die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis und die Aberkennung des Ruhegehalts vom Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs ausgenommen sei.
42. Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 73 HDG i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde ist unbegründet.
5Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4, vom - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9, vom - 1 B 70.17 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 68 Rn. 3 und vom - 2 B 28.24 - juris Rn. 16).
6Die von der Beschwerde als klärungsbedürftig bezeichnete Frage,
"ist es zulässig, gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 HDG auch ohne die Notwendigkeit des Schutzes der Integrität des Berufsbeamtentums und der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung die Ruhestandsbezüge aufgrund Fehlverhaltens während der aktiven Dienstzeit in Form einer Enteignung verdienter Anwartschaften abzuerkennen,"
führt nicht zur Zulassung der Revision, weil die damit in der Sache aufgeworfene Frage auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann.
7Das in Anlehnung an das Bundesdisziplinargesetz ergangene und eine möglichst einheitliche Entwicklung in Bund und Ländern anstrebende Hessische Disziplinargesetz (HDG - vgl. LT-Drs. 16/5106 S. 39) sieht in § 16 Abs. 2 Satz 2 vor, dass dem Ruhestandsbeamten das Ruhegehalt aberkannt wird, wenn er, wäre er noch im Dienst, aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen. Dies erfordert, ebenso wie bei der bundesrechtlichen Parallelvorschrift in § 13 Abs. 4 Satz 2 BDG, eine fiktive Vergleichsbetrachtung. Für die Frage der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung und der Integrität des Berufsbeamtentums ist aufgrund der vom Gesetzgeber angeordneten Gleichbewertung mithin ohne Belang, dass ein Ruhestandsbeamter von der Dienstverpflichtung befreit und eine Beeinträchtigung des Dienstbetriebs folglich ausgeschlossen ist (vgl. 2 C 16.23 - juris Rn. 57).
8Sinn und Zweck des § 16 Abs. 2 Satz 2 HDG ist es - ebenso wie bei § 13 Abs. 4 Satz 2 BDG –, eine gleichmäßige Sanktionierung für im aktiven Dienst begangene schwere Dienstvergehen sicherzustellen (s. auch LT-Drs. 16/5106 S. 45). Denn der disziplinarrechtlich gebotene Verlust der Beamtenrechte wegen eines besonders schweren Dienstvergehens soll nicht davon abhängen, ob sich der Beamte bei rechtskräftigem Abschluss des Straf- oder Disziplinarverfahrens noch im aktiven Dienst befindet (vgl. zu § 13 Abs. 2 Satz 2 BDG a. F. 2 C 16.23 - juris Rn. 58; Beschluss vom - 2 B 23.13 - NVwZ-RR 2013, 888 Rn. 12 f.). Andernfalls wäre ausschlaggebend für die disziplinarische Ahndung eines Dienstvergehens das mehr oder weniger zufällige oder gar gesteuerte Ausscheiden aus dem aktiven Dienst (vgl. 1 D 34.97 - juris Rn. 16 und vom - 2 C 16.23 - juris Rn. 58; Beschluss vom - 2 B 140.11 - juris Rn. 6 m. w. N.).
9Demgegenüber hat der Gesetzgeber der Tatsache, dass Ruhestandsbeamte nicht mehr im Dienst als Repräsentanten des Staates auftreten und keine beamtenrechtlichen Pflichten verletzen können, die die Dienstausübung betreffen, dadurch Rechnung getragen, dass Ruhestandsbeamte nur noch wegen schwerwiegender Verstöße gegen die Rechtsordnung oder gegen im Ruhestand fortwirkende Beamtenpflichten disziplinarisch belangt werden können (vgl. § 77 Abs. 2 BBG, § 47 Abs. 2 BeamtStG, § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG), wenn sie diese im Ruhestand begangen haben (vgl. 2 C 16.23 - juris Rn. 59; Beschluss vom - 2 B 23.13 - NVwZ-RR 2013, 888 Rn. 14).
10Dem steht entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht entgegen, dass es durch die Aberkennung des Ruhegehalts zu einer Entwertung erdienter Anwartschaften kommt. Zwar ist das beamtenrechtlich erdiente Ruhegehalt durch Art. 33 Abs. 5 GG ebenso geschützt wie die Renten der Sozialversicherung durch Art. 14 GG (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 481/60 - BVerfGE 16, 94<115>, vom - 2 BvL 10/74 - BVerfGE 39, 196 <200 f.> und vom - 2 BvL 11/04 - BVerfGE 117, 372 <387 f.>; 2 C 17.12 - Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 27 Rn. 7). Dieser Schutz findet seine Grenzen indes seit jeher in den disziplinarrechtlichen Vorschriften über die Aberkennung des Ruhegehalts, die - wie das Disziplinarrecht insgesamt - dem Interesse der Allgemeinheit an der Integrität und Funktionsfähigkeit des Beamtentums zu dienen bestimmt sind (vgl. - juris Rn. 18).
113. Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 Satz 1 HDG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil sich die Höhe der Gerichtskosten streitwertunabhängig aus dem Gesetz ergibt (§ 82 Abs. 1 Satz 1 HDG i. V. m. Nr. 10 und 62 der Anlage zu § 82 Abs. 1 Satz 1 HDG).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:070525B2B38.24.0
Fundstelle(n):
WAAAJ-96255