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BGH Beschluss v. - II ZB 1/25

Leitsatz

Der Grundsatz der Gesamtabrechnung aufgelöster Gesellschaften (sog. Durchsetzungssperre) steht der selbständigen Geltendmachung von Auskunftsansprüchen im Rahmen einer Stufenklage nicht entgegen.

Gesetze: § 728 BGB, § 735 BGB, § 740b BGB

Instanzenzug: Az: I-8 U 74/24vorgehend Az: 26 O 7/23

Gründe

1Die Parteien streiten im Rahmen einer Stufenklage über Auskunft, eidesstattliche Versicherung und Zahlung eines anteiligen Gewinns aus einem Geschäft der Beklagten mit dem Land B.                               über die Lieferung von Corona-Schnelltests. Die Beklagte hatte die Corona-Schnelltests ihrerseits von der R.                                           oHG bezogen. Die Klägerin hat in erster Instanz im Wesentlichen vorgetragen, sie habe mit der Beklagten eine Kooperationsvereinbarung geschlossen, nach der ihr 2/3 des Gewinns der Beklagten aus deren Geschäft mit dem Land B.                              zustünden. Die Höhe des Gewinns sei unklar, weil die Angaben der Beklagten zu dem Einkaufspreis, den sie an die R.                                              oHG gezahlt habe, nicht glaubhaft seien.

2Das Landgericht hat die Beklagte durch Teilurteil antragsgemäß verurteilt, der Klägerin Rechenschaft zu legen über die Einkaufspreise samt der gesetzlichen Umsatzsteuer für 1.625.000 Stück SARS-CoV-2 Schnelltests, die auf Grundlage des zwischen dem Land B.                             und der Beklagten am geschlossenen Rahmenvertrages über die Lieferung von zertifizierten SARS-CoV-2 Schnelltests zur Selbstanwendung durch Laien an das Land B.                            geliefert und mit Beleg-Nummer 200825 am über einen Bruttogesamtbetrag von 5.004.545 € abgerechnet worden sind, durch Vorlage eines Bestandsverzeichnisses und der vorhandenen Belege, insbesondere sämtlicher Belege zum Einkauf der Schnelltests, aus denen der Lieferant, die vereinbarten Einkaufspreise und die Zahlungen (insbesondere Bankbelege) hervorgehen. Das Berufungsgericht hat die Beschwer der Beklagten auf nicht mehr als 600 € beziffert und die Berufung nach vorherigem Hinweis als unzulässig verworfen.

II.

3Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

4Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, weil die Rechtssache entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde keine Entscheidung des Senats zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 ZPO) und der Beklagten durch den Beschluss des Berufungsgerichts der Zugang zur Rechtsmittelinstanz auch nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert wird. Der Beschluss verletzt sie deshalb nicht in ihrem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).

51. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Die Beklagte habe weder nachvollziehbar dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass sie durch das angefochtene Urteil mit mehr 600 € beschwert sei (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Maßgeblich für die Beschwer der Beklagten sei der Aufwand an Zeit und Kosten, den die sorgfältige Erteilung der geschuldeten Auskunft erfordere. Zur Bewertung des Zeitaufwands könne nach § 3 ZPO auf die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Regelungen des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes zurückgegriffen werden, das in § 20 eine Entschädigung von 4 € je Stunde vorsehe. Der Zeitaufwand sei auf höchstens fünf Stunden zu schätzen, da sich die Auskunft auf ein einziges und auch bereits abgerechnetes Rechtsgeschäft sowie die bereits vorhandenen Belege beziehe. Hinzu kämen Druck- und Versandkosten von geschätzt 10 €. Zur Auskunftserteilung müsse die Beklagte auch nicht etwa ihrerseits die R.                                            oHG auf Auskunft in Anspruch nehmen. Denn die Beklagte schulde nur Auskunft über die von R.                                            oHG tatsächlich abgerechneten und von der Beklagten gezahlten Einkaufspreise. Dagegen sei unerheblich, welche Preise die R.                                                oHG der Beklagten vertragsgemäß hätte in Rechnung stellen dürfen.

72. Es bedarf keiner Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 ZPO).

8a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bemisst sich der gemäß §§ 2, 3 ZPO nach freiem Ermessen festzusetzende Beschwerdewert für das Rechtsmittel der zur Auskunftserteilung verurteilten Person nach ihrem Interesse, die Auskunft nicht erteilen zu müssen. Dabei ist im Wesentlichen darauf abzustellen, welchen Aufwand an Zeit und Kosten die Erteilung der Auskunft erfordert und ob die verurteilte Person ein schützenswertes Interesse daran hat, bestimmte Tatsachen vor dem Gegner geheim zu halten (, NJW 2011, 2974 Rn. 3; Beschluss vom24. September 2013 - II ZB 6/12, NZG 2013, 1258 Rn. 9; Beschluss vom - II ZB 1/15, juris Rn. 9; Beschluss vom - II ZB 17/18, juris Rn. 8; Beschluss vom - II ZB 5/21, NZG 2022, 1117 Rn. 11; Beschluss vom - II ZB 9/22, NZG 2023, 1233 Rn. 4). Diese zur Auskunftserteilung entwickelten Grundsätze gelten auch für die Verurteilung zur Einsichtsgewährung in Unterlagen (, NJW 2011, 2974 Rn. 3; Beschluss vom - II ZB 29/14, ZOV 2017, 201 Rn. 7; Beschluss vom  - II ZB 17/18, juris Rn. 8; Beschluss vom - II ZB 9/22, NZG 2023, 1233 Rn. 4).

9Das Rechtsbeschwerdegericht kann die Bemessung der Beschwer nur darauf überprüfen, ob das Berufungsgericht von dem ihm nach § 3 ZPO eingeräumten Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat. Dies ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn das Gericht bei der Bewertung des Beschwerdegegenstandes maßgebliche Tatsachen verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt oder erhebliche Tatsachen unter Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht (§ 139 ZPO) nicht festgestellt hat (st. Rspr., siehe nur , NZG 2013, 1258 Rn. 10; Beschluss vom - II ZB 8/14, WM 2016, 96 Rn. 9; Beschluss vom - II ZB 7/22, juris Rn. 6; Beschluss vom - II ZB 9/22, NZG 2023, 1233 Rn. 5). Denn der Sinn des dem Berufungsgericht eingeräumten Ermessens würde verfehlt, wenn das Rechtsbeschwerdegericht berechtigt und verpflichtet wäre, ein vom Berufungsgericht fehlerfrei ausgeübtes Ermessen durch eine eigene Ermessensentscheidung zu ersetzen (, NZG 2013, 1258 Rn. 10; Beschluss vom - II ZB 29/14, ZOV 2017, 201 Rn. 8; Beschluss vom - II ZB 17/18, juris Rn. 8; Beschluss vom - II ZB 5/21, NZG 2022, 1117 Rn. 12; Beschluss vom  - II ZB 9/22, NZG 2023, 1233 Rn. 5).

10b) Gemessen hieran ist die Bewertung der Beschwer durch das Berufungsgericht nicht rechtsfehlerhaft. Das Berufungsgericht hat alle maßgeblichen Tatsachen verfahrensfehlerfrei berücksichtigt.

11aa) Zu Unrecht rügt die Rechtsbeschwerde, das Berufungsgericht hätte in die Beschwer der Beklagten einbeziehen müssen, dass sie zur Erfüllung ihrer Auskunftsverpflichtung gegenüber der Klägerin zunächst die R.                                               oHG auf Auskunft über die von dieser gezahlten Einkaufspreise in Anspruch nehmen müsse. Derartiges lässt sich dem Tenor des angefochtenen Urteils nicht entnehmen. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, steht bereits der Wortlaut des Urteilsausspruchs einem solchen Verständnis entgegen, der sich auf die bei der Beklagten vorhandenen Unterlagen bezieht ("abgerechnet worden ist", "vorhandenen Belege"). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die Beklagte auch nicht deshalb zur Auskunft über die von der R.                                             oHG gezahlten Einkaufspreise verurteilt worden, weil nach § 4 Abs. 1 des zwischen ihr und der oHG geschlossenen Vertrags ihre Vergütung teilweise von jenen Preisen abhing. Für das Verständnis des Urteilstenors sind zwar neben dessen Wortlaut ergänzend der Inhalt der Entscheidungsgründe, die Klageanträge (§ 308 Abs. 1 ZPO) und der beurkundete Klägervortrag (§ 314 Satz 1 ZPO) maßgeblich (, NJW-RR 2017, 763 Rn. 2 mwN). Für das von der Rechtsbeschwerde reklamierte Verständnis des Tenors findet sich aber auch darin kein Anhalt. Vielmehr beziehen sich die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Urteil (unter D.) auf von der Beklagten tatsächlich an die R.                                                oHG gezahlten Einkaufspreise.

12bb) Hiernach hat das Berufungsgericht den Aufwand an Zeit und Kosten der Beklagten rechtsfehlerfrei nach dem bei ihr vorhandenen Datenbestand bemessen. Dass das Berufungsgericht den Zeit- und Kostenaufwand insoweit zu niedrig angesetzt hätte, macht die Rechtsbeschwerde nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich.

13c) Eine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu der an sich gegebenen Berufung liegt auch nicht darin, dass das Berufungsgericht die gebotene Entscheidung über die Zulassung der Berufung nicht nachgeholt hat und ein Grund für die Zulassung der Berufung auch tatsächlich vorliegt.

14Das Berufungsgericht ist zwar gesetzlich verpflichtet, die Entscheidung über die Zulassung der Berufung nachzuholen, wenn feststeht, dass das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen hat, die Berufung nach § 511 Abs. 4 ZPO zuzulassen, weil es von einer über 600 € hinausgehenden Beschwer ausgegangen ist, und das Berufungsgericht diesen Wert für nicht erreicht hält(st. Rspr., siehe nur , NZG 2013, 1258 Rn. 20; Beschluss vom - II ZB 17/18, juris Rn. 17). Hier steht jedoch nicht fest, dass das Landgericht von der Rechtsmittelfähigkeit seiner Entscheidung ausgegangen ist. Der Umstand allein, dass das Landgericht die vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung angeordnet hat, lässt diesen Schluss nicht zu (vgl. , NJW-RR 2012, 633; Beschluss vom - II ZB 6/12, NZG 2013, 1258 Rn. 21; Beschluss vom - II ZB 17/18, juris Rn. 17; Beschluss vom - II ZB 12/22, juris Rn. 8). Ein solcher Schluss ist im Streitfall umso weniger gerechtfertigt, als das Landgericht die Sicherheitsleistung rechtsfehlerhaft nach § 709 Satz 2 ZPO bemessen hat, obwohl keine Geldforderung zu vollstrecken ist (vgl. , juris Rn. 30).

15Davon abgesehen wäre eine Zulassung der Berufung aber auch nicht in Betracht gekommen. Die Rechtsbeschwerde legt nicht dar, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert (vgl. , juris Rn. 31; Beschluss vom - III ZB 57/22, ZEV 2023, 701 Rn. 19). Soweit die Rechtsbeschwerde eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten durch das Landgericht im Hinblick auf die von ihr eingewendete sog. Durchsetzungssperre beklagt, steht der auch in der Innengesellschaft bürgerlichen Rechts geltende Grundsatz der Gesamtabrechnung aufgelöster Gesellschaften (, NZG 2019, 466 Rn. 32 mwN) der selbständigen Geltendmachung von Auskunftsansprüchen im Rahmen einer Stufenklage nicht entgegen (vgl. , ZIP 2013, 361 Rn. 44). Dies ergibt sich schon daraus, dass selbst ein Zahlungsantrag in der Leistungsstufe ohne Weiteres auch das Feststellungsbegehren enthält, dass die entsprechenden Forderungen in die Auseinandersetzungsrechnung (als unselbstständige Rechnungsposten) eingestellt werden(st. Rspr.; vgl. , ZIP 2000, 1208, 1210; Urteil vom - II ZR 2/11, ZIP 2012, 1500 Rn. 42; Urteil vom - II ZR 335/13, ZIP 2015, 1116 Rn. 25). Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die Beklagte ihrerseits noch etwas von der Klägerin aus dem Gesellschaftsverhältnis beanspruchen kann.

Born                         B. Grüneberg                         Sander

             von Selle                                   Adams

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:080725BIIZB1.25.0

Fundstelle(n):
RAAAJ-95879