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BGH Urteil v. - XI ZR 16/24

Leitsatz

Zur sogenannten Svensson-Methode bei der Bestimmung der Referenzzinsen bei Prämiensparverträgen durch ergänzende Vertragsauslegung.

Gesetze: § 133 BGB, § 157 BGB

Instanzenzug: OLG Dresden Az: 5 MK 2/19

Tatbestand

1Der Musterkläger, ein seit über vier Jahren als qualifizierte Einrichtung in die Liste nach § 4 UKlaG eingetragener Verbraucherschutzverband, begehrt im Wege der Musterfeststellungsklage Feststellungen zu den Voraussetzungen für das Bestehen von Ansprüchen von Verbrauchern auf weitere Zinsbeträge aus Prämiensparverträgen (sog. "S-Prämiensparen flexibel", nachfolgend: Sparverträge) gegen die Musterbeklagte.

3Der Musterkläger hält die Regelungen zur Änderung des variablen Zinssatzes für unwirksam und die während der Laufzeit der Sparverträge von der Musterbeklagten vorgenommene Verzinsung für zu niedrig.

4Mit der Musterfeststellungsklage hat er - soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung - die Feststellung begehrt, dass die Musterbeklagte verpflichtet ist, die Zinsanpassungen für die Sparverträge vorzunehmen auf der Grundlage des gleitenden Durchschnittswerts der letzten 10 Jahre des Referenzzinssatzes für Umlaufsrenditen inländischer Inhaberschuldverschreibungen/Hypothekenpfandbriefe mit einer garantierten Restlaufzeit von 10 Jahren (ehemalige Zeitreihe WX4260 der Zinsstatistik der Deutschen Bundesbank), hilfsweise entsprechend der Laufzeit eines von der Deutschen Bundesbank für inländische Banken erhobenen langfristigen (9 bis 10 Jahre) Referenzzinssatzes, welcher dem konkreten Geschäft möglichst nahekommt, wobei die Auswahl des Referenzzinssatzes in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, hilfsweise entsprechend der Laufzeit eines langfristigen (9 bis 10 Jahre), angemessenen und in öffentlich zugänglichen Medien abgebildeten Referenzzinssatzes, der dem konkreten Geschäft möglichst nahekommt, wobei die Auswahl des Referenzzinssatzes in das Ermessen des Gerichts gestellt wird (Feststellungsziel 2).

5Das Oberlandesgericht hat die Musterfeststellungsklage mit Urteil vom (BeckRS 2020, 53346) hinsichtlich des Hauptantrags und des ersten Hilfsantrags zum Feststellungsziel 2 zunächst abgewiesen und ihr hinsichtlich des zweiten Hilfsantrags zum Feststellungsziel 2 stattgegeben. Auf die Revisionen des Musterklägers und der Musterbeklagten hat der Senat (Urteil vom - XI ZR 461/20, juris) die Entscheidung des Oberlandesgerichts in diesen Punkten aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Im wiedereröffneten Verfahren hat das Oberlandesgericht nach Hinzuziehung eines Sachverständigen - unter Abweisung des Hauptantrags - nunmehr festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Zinsanpassung für die Sparverträge auf der Grundlage der Zeitreihe der Deutschen Bundesbank "Umlaufsrenditen inländischer Inhaberschuldverschreibungen/Börsennotierte Bundeswertpapiere/RLZ von über 8 bis 15 Jahren/Monatswerte" (ehemalige Kennung WU9554) vorzunehmen.

6Die Musterbeklagte erstrebt mit der Revision die Bestimmung eines ihr günstigeren Referenzzinssatzes. Der Musterkläger hat seine Revision zurückgenommen.

Gründe

7Die Revision der Musterbeklagten ist unbegründet.

8Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

9Unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sachverständigen habe es dem "verobjektivierten" Willen der Parteien am ehesten entsprochen, als Referenzzinssatz die von der Deutschen Bundesbank veröffentlichte Zeitreihe der Ist-Zinssätze des Kapitalmarkts für börsennotierte Bundeswertpapiere mit 8- bis 15-jähriger Restlaufzeit zugrunde zu legen. Die Renditen für börsennotierte Bundeswertpapiere entstammten den Kapitalmarktprodukten mit längeren Laufzeiten und entsprächen damit dem langfristigen Charakter der Prämiensparverträge. Die Zeitreihe mit Restlaufzeiten von 8 bis 15 Jahren komme nicht nur der in den Sparverträgen angelegten Laufzeit von 15 Jahren bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe am nächsten. Sie stütze sich auch auf die breiteste Grundlage mehrerer Jahre, was sie der Zeitreihe von Bundeswertpapieren mit 10-jähriger Laufzeit überlegen mache, weil sich eine (kalkulatorische) Laufzeit von genau 10 Jahren aus dem streitgegenständlichen Vertrag nicht aufdränge und diese Zinsen aufgrund der allgemeinen Beliebtheit von Produkten mit genau 10-jähriger Laufzeit Ausreißereffekte - außergewöhnliche Zinsphänomene an bestimmten Tagen - hätten, die im Rahmen der Zeitreihe für Bundeswertpapiere mit Restlaufzeiten von 8 bis 15 Jahren nivelliert würden. Die Zeitreihe für Bundeswertpapiere mit Restlaufzeiten von 8 bis 15 Jahren komme der typisierten Sparzeit von 15 Jahren bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe am nächsten und lasse mit ihrer Durchschnittslaufzeit von unter 15 Jahren Spielraum für zusätzliche Liquiditätsaspekte.

10Nicht entscheidend gegen die Heranziehung der Zeitreihe für Bundeswertpapiere mit Restlaufzeiten von 8 bis 15 Jahren spreche, dass in dieser möglicherweise nicht alle Laufzeitsequenzen gleichermaßen berücksichtigt seien, weil die Bundesbank insoweit ihre Erkenntnisse nicht veröffentliche. Jedenfalls seien in dieser Zeitreihe alle Produkte im Laufzeitbereich von 8 bis 15 Jahren und damit auch die 10-jährigen Produkte enthalten, weswegen sie den besten Durchschnittswert für diesen Bereich angebe. Eine weitere Verkürzung der mittleren Laufzeit wäre angesichts der hohen Liquidität der börsennotierten Bundeswertpapiere sowie des Umstands, dass die Sparverträge auch jenseits des 15. Sparjahres noch attraktive Prämien geboten hätten, nicht angemessen, was ebenfalls gegen die Zeitreihe für Bundeswertpapiere mit vergleichsweise kürzeren Restlaufzeiten spreche.

121. Die vom Oberlandesgericht als Referenzzins herangezogenen Umlaufsrenditen inländischer Bundeswertpapiere mit Restlaufzeiten von über 8 bis 15 Jahren genügen den Anforderungen, die im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung an einen Referenzzins für die variable Verzinsung der Sparverträge zu stellen sind.

13u

14u

15u Maßgeblich ist damit - entgegen der Ansicht der Revision - nicht tatsächliche Haltedauer

16u

17Der vom Oberlandesgericht bestimmten Zeitreihe kann - anders als die Revision meint - aus revisionsrechtlicher Sicht auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass sie inhaltlich "schwanke", weil sie vom jeweiligen Emissionsverhalten der Bundesrepublik Deutschland abhänge, so dass keine Nähe zur typisierten Fristigkeit der Sparverträge hergestellt werden könne. Die durchschnittliche Restlaufzeit der Zeitreihe unterliegt zwar gewissen Schwankungen (vgl. Kaserer, BKR 2024, 802, 803; Irresberger/Weiß, ZBB 2025, 200, 201), sie bildet aber gleichwohl die Zinsen am Kapitalmarkt ohne Risikoaufschlag hinreichend ab.

182. Soweit das Oberlandesgericht rechtsfehlerhaft nur solche Zeitreihen als Referenz in Betracht gezogen hat, die zum Zeitpunkt der Abschlüsse der Sparverträge bereits veröffentlicht waren, beruht die Entscheidung nicht auf diesem Rechtsfehler.

19u

203. Entgegen der Ansicht der Revision beruht die Entscheidung schließlich nicht auf einer unzureichenden Auseinandersetzung mit von der Musterbeklagten vorgebrachten Argumenten und vorgelegten Gutachten. Auch dieser - unterstellte - Rechtsfehler ist für die Entscheidung unerheblich, nachdem das Oberlandesgericht einen Referenzzins ausgewählt hat, der den an ihn zu stellenden Anforderungen genügt.

Ellenberger              Matthias              Schild von Spannenberg

                 Sturm                    Ettl

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:010725UXIZR16.24.0

Fundstelle(n):
PAAAJ-95871