Instanzenzug: LG Darmstadt Az: 10 KLs 3/24
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Abgabe von Cannabis „als Person über 21 Jahren an einen Jugendlichen“ und mit Überlassen von Cannabis zum unmittelbaren Verbrauch „als Person über 21 Jahren an einen Jugendlichen“, wegen Drittbesitzverschaffung jugendpornographischer Inhalte, Verbreitung pornographischer Inhalte in zwei Fällen sowie wegen Besitzes jugendpornographischer Inhalte in Tateinheit mit Besitz kinderpornographischer Inhalte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
21. Der Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in Tateinheit mit Abgabe von Cannabis und mit Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch von Cannabis im Fall II.7. der Urteilsgründe hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
3a) Zwar verwirklichte der Angeklagte nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts sowohl die Tatbestandsalternative des Überlassens zum unmittelbaren Verbrauch als auch diejenige der Abgabe, da er mit dem zur Tatzeit 14 Jahre alten Geschädigten nicht nur gemeinsam einen Joint rauchte, sondern ihm im Anschluss an den sexuellen Verkehr zudem ein Tütchen mit fünf Knospen Marihuana überließ.
4b) Das Landgericht hat auf die vor Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes begangene Tat jedoch rechtsfehlerhaft dessen Bestimmungen zur Anwendung gebracht, ohne zu prüfen, ob sich das neue Recht nach dem durch § 2 Abs. 3 StGB gebotenen konkreten Vergleich als gegenüber dem zur Tatzeit geltenden Recht milder erweist. Der Senat kann in der gegebenen Konstellation nicht entscheiden, ob die bei der Tat oder die nunmehr geltende Rechtslage milder und daher anzuwenden ist (§ 354a StPO); es handelt sich um einen Strafzumessungsakt, der dem Tatgericht obliegt (BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 154/24, NStZ 2024, 547 f. Rn. 5, und vom – 3 StR 140/24 Rn. 8, jew. mwN).
5Das Landgericht hat nicht von der Regelwirkung des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Buchst. a KCanG in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Nr. 7 und 8 KCanG abgesehen, sondern den Strafrahmen der Zumessungsregel für den besonders schweren Fall in § 34 Abs. 3 Satz 1 KCanG entnommen. Der sich so ergebende Strafrahmen reicht von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Er ist damit nicht milder als der gleichlautende Strafrahmen des minder schweren Falles der Abgabe oder Überlassung zum unmittelbaren Verbrauch von Betäubungsmitteln an einen Jugendlichen nach § 29a Abs. 2 BtMG. Das Ergebnis des anzustellenden Fassungsvergleichs hängt deshalb davon ab, ob die Tat zu II.7. der Urteilsgründe nach altem Recht als minder schwerer Fall zu werten oder aus dem Regelstrafrahmen des § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG zu ahnden ist. Der Senat kann angesichts des gemeinsamen Konsums eines einzelnen Joints und der anschließenden Abgabe von fünf Knospen Marihuana nicht ausschließen, dass das Landgericht, hätte es die Möglichkeit der Anwendung des Tatzeitrechts in den Blick genommen, zu einem minder schweren Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG und damit zu einer Verurteilung nach dem Betäubungsmittelgesetz gelangt wäre. Der Fall bedarf mithin insgesamt neuer tatrichterlicher Bewertung.
6Der Rechtsfehler zieht die Aufhebung des für sich gesehen nicht zu beanstandenden Schuldspruchs wegen des tateinheitlichen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen nach § 182 Abs. 2 StGB nach sich.
72. Auch die Einzelstrafaussprüche in den Fällen II.1., II.2., II.4. und II.9. der Urteilsgründe (Fälle 1, 2, 4 und 8 der Anklage) weisen einen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
8Das Landgericht hat bei der Strafzumessung für die Fälle des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen strafschärfend gewürdigt, dass der Angeklagte als Lehrer von Berufs wegen eher als andere Personen zum Schutz und zur Fürsorge für Jugendliche verpflichtet gewesen sei, auch wenn die Geschädigten dieser Fälle nicht seine Schüler waren. Unter dem Gesichtspunkt des Maßes der Pflichtwidrigkeit (§ 46 Abs. 2 StGB) kann jedoch die berufliche Stellung eines Angeklagten nur dann strafschärfend herangezogen werden, wenn sich aus ihr besondere Pflichten ergeben, deren Verletzung gerade im Hinblick auf die abzuurteilende Tat Bedeutung hat (st. Rspr.; vgl. nur , NStZ 2017, 577 f. mwN). Bei Sexualdelikten eines Lehrers ist deshalb zu unterscheiden, ob diese ihre Wurzel im beruflichen Verhältnis des Täters zum Opfer haben oder ob die Taten – wie hier – unabhängig davon „privat“ begangen wurden (Sander, in: Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Rn. 628). Den Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte die im Rahmen seiner Berufstätigkeit erlangten besonderen Kenntnisse im Umgang mit Minderjährigen zum Zwecke einer besonders sorgfältigen Tatvorbereitung und -begehung eingesetzt hätte, zumal der Geschädigte der Taten zu II.1. und II.2. der Urteilsgründe im Tatzeitraum auch mit anderen Männern gegen materielle Gegenleistungen sexuell verkehrte und der Angeklagte gegenüber dem Geschädigten der Taten zu II.4. und II.9. der Urteilsgründe wenig Interesse an dessen Person bekundete, sondern ausschließlich sexuelle Interessen verfolgte. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne die rechtsfehlerhafte Erwägung in diesen Fällen zu niedrigeren Einzelstrafen gelangt wäre.
93. Die Aufhebung der Einsatzstrafe von einem Jahr und sechs Monaten im Fall II.7. der Urteilsgründe und vier weiterer Einzelstrafen entzieht auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
104. Die Feststellungen sind von den Rechtsfehlern nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie können, wie stets, um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
115. Im Übrigen hat die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:210525B2STR38.25.0
Fundstelle(n):
NAAAJ-95717