Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 5 U 248/20vorgehend LG Frankfurt Az: 2-07 O 18/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Juni 2019 von einem Dritten einen gebrauchten Audi Q7 3.0 TDI, der mit einem Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist. Den Kaufpreis finanzierte der Kläger teilweise mit einem Darlehensvertrag.
2Der Kläger hat zuletzt unter Erledigungserklärung im Übrigen Rückzahlung von 12.629,10 € nebst Zinsen und die Freistellung von noch bestehenden Verbindlichkeiten in Höhe von 16.804,62 € aus einem Darlehensvertrag Zug um Zug gegen Abgabe eines Angebots auf Übergabe des Fahrzeugs und Abtretung des gegenüber der finanzierenden Bank bestehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs, die Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen, die Freistellung der Rechtschutzversicherung von vorgerichtlich entstandenen Kosten nebst Zinsen sowie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, den Kläger von weiteren Nachteilen und Schäden freizustellen, verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge insoweit weiter.
Gründe
3Die Revision hat Erfolg.
I.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Der Kläger habe keine Ansprüche gemäß §§ 826, 31 BGB wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung. Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten könne nicht allein deswegen bejaht werden, weil in dem Fahrzeug ein Thermofenster eingebaut sei. Selbst wenn das Thermofenster beziehungsweise die drehzahlabhängige Abgasrückführung nach unionsrechtlichen Maßstäben unzulässige Abschalteinrichtungen wären, wäre dieser Gesetzesverstoß für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für den Fahrzeughersteller handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Aus einer unterbliebenen Offenlegung der Wirkungsweise des Thermofensters gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ergäben sich keine Anhaltspunkte, dass die für die Beklagten handelnden Personen in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Soweit der Kläger vortrage, in dem Fahrzeug seien weitere unzulässige Abschalteinrichtungen eingebaut, die erkennen würden, wenn sich das Fahrzeug auf dem Rollenprüfstand befinde, um in der Folge das Abgasrückführungssystem dahin zu verändern, dass die Rückführungsrate temporär erhöht werde, um den Stickoxidausstoß unterhalb der für die Typgenehmigung vorausgesetzten Grenzwerte zu halten, sei sein Vorbringen nicht hinreichend substantiiert.
6Eine Haftung der Beklagten beziehungsweise ein Freistellungsanspruch des Klägers resultiere auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 beziehungsweise § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EGFGV, da diese Normen keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB seien.
II.
7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB wegen des Fehlens einer Sittenwidrigkeit verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angegriffenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
10Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung des sogenannten "großen" Schadenersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EGFGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
11Die Berufungsentscheidung ist im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
Möhring Katzenstein Ostwaldt
Tausch Pastohr
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:090725UVIAZR78.22.0
Fundstelle(n):
FAAAJ-95711