Instanzenzug: Truppendienstgericht Süd Az: S 5 VL 45/20 Urteil
Tatbestand
1Das Verfahren betrifft den Vorwurf der Verletzung der Verfassungstreuepflicht.
21. Der ... geborene, seit ... in A wohnhafte frühere Soldat ist gelernter Bäcker, der ... als Soldat auf Zeit erneut in die Bundeswehr eintrat. Zuletzt wurde er ... zum Hauptfeldwebel befördert. Ende März ... wurde er wegen Dienstunfähigkeit nach § 55 Abs. 2 SG entlassen.
3Den Feldwebellehrgang AMT schloss er 2009 mit "2,443", den Feldwebellehrgang MFT Truppendienst mit "2,123" ab. Er absolvierte eine Vielzahl hochwertiger Verwendungslehrgänge.
4Ab Oktober 2016 war er in der Stabs-/Fernmeldekompanie der ...brigade ... als Truppführer SK und IT-Feldwebel für Informationsübertragung eingesetzt. Von Juli bis November 2015 nahm er am Auslandseinsatz in B teil. Er ist berechtigt, die entsprechende Einsatzmedaille in Bronze zu tragen und wurde zuletzt unter dem im Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung mit "6,20" beurteilt. In der schriftlichen Erläuterung heißt es unter anderem, er arbeite sehr gewissenhaft und mit beständiger Leistung. Gründlichkeit, Elan und Improvisationsgeschick seien wesentliche Faktoren in der Arbeitsumsetzung, die er als Ausbilder auch auf sein Umfeld zu übertragen verstehe. Im Kameradenkreis sei er noch nicht in Gänze angekommen. Es bereite ihm Schwierigkeiten, Meinungen seiner Kameraden und Vorgaben seiner Vorgesetzten zu akzeptieren und umzusetzen. Insgesamt zeige er sich in fachlicher Hinsicht als äußerst leistungsstark. Der nächsthöhere Vorgesetzte schloss sich dem an und attestierte eine Entwicklungsprognose bis zur allgemeinen Laufbahnperspektive.
5In einer zusammenfassenden Beschreibung vom heißt es im Wesentlichen, der frühere Soldat trete Vorgesetzten und Untergebenen gegenüber korrekt auf. Er sei persönlich gereift und wisse, was er wolle. Er sei in seinem Fachbereich ein Improvisationstalent und in der Kompanie anerkannt und respektiert. Er verfüge über ein hohes Potenzial. Untergebene führe er mit Verstand und unter Berücksichtigung der Prinzipien moderner Menschenführung. Er führe von Vorne, sei ein Vorbild und sich nicht zu schade, selbst Hand anzulegen.
6Die Auskunft aus dem Bundeszentralregister und der Auszug aus dem Disziplinarbuch enthalten keine Eintragungen. Die Übergangsbeihilfe und die Übergangsgebührnisse sind dem früheren Soldaten ausbezahlt worden.
72. Nachdem gegen den früheren Soldaten unter dem das gerichtliche Disziplinarverfahren eingeleitet worden war, wurde ihm mit Anschuldigungsschrift vom zur Last gelegt:
"1. Der frühere Soldat stellte zu einem nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt beim Landratsamt C einen Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit, der dort am einging, in dem er die folgenden reichsbürgertypischen, mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbarenden, schriftlichen Angaben tätigte:
a) Er habe die deutsche Staatsangehörigkeit durch 'Abstammung vom Vater' und durch 'Abstammung gemäß § 4 Abs. 1 RuStAG Stand, 1913' erworben und
b) er besitze neben der deutschen Staatsangehörigkeit noch die 'Staatsangehörigkeit Preußen', die er ebenfalls durch 'Geburt' und durch 'Abstammung gemäß § 4 Abs. 1 RuStAG Stand 1913' erworben habe.
2. Mit Schreiben vom beantragte der frühere Soldat beim Landratsamt C die Feststellung seiner Staatsangehörigkeit und gab als Begründung an, der Bundespersonalausweis oder der deutsche Reisepass stellen keine Nachweise hinsichtlich der Inhaberschaft der deutschen Staatsangehörigkeit dar, sondern ließen lediglich vermuten, dass der Ausweisinhaber die deutsche Staatsangehörigkeit besitze.
3. In der 42. Kalenderwoche 2016 erläuterte der frühere Soldat auf dem Truppenübungsplatz D während der Brigadeübung ... im Raum 'IT-Stock' gegenüber dem Oberstabsgefreiten E und anderen Kameraden sinngemäß, was Reichsbürger sind und was sie machen, was der Oberstabsgefreite E als Werbung für die Reichsbürgerbewegung verstehen musste.
4. Ebenfalls in der 42. Kalenderwoche 2016 äußerte der frühere Soldat auf dem Truppenübungsplatz D während der Brigadeübung ... im Raum 'IT-Stock' gegenüber dem Oberstabsgefreiten E sinngemäß, wer Reichsbürger werden wolle, der solle die Bundeswehr verlassen; da man ansonsten als aktiver Soldat aus der Bundeswehr entlassen werde und keinen Anspruch auf Beförderungsmaßnahmen oder Dienstbezüge mehr habe, was der Oberstabsgefreite E als Werbung für die Reichsbürgerbewegung verstehen musste.
5. Ebenfalls in der 42. Kalenderwoche 2016 äußerte der frühere Soldat auf dem Truppenübungsplatz D während der Brigadeübung ... im Raum 'IT-Stock' gegenüber dem Oberstabsgefreiten F sinngemäß, dass jener das Recht habe Reichsbürger zu werden, was dieser als Werbung für die Reichsbürgerbewegung verstehen musste.
6. In der 43. Kalenderwoche 2016 äußerte er in der Liegenschaft ... -Kaserne gegenüber den Zeugen F und G sinngemäß, dass er Informationsmaterial in digitaler Form über Reichsbürger habe und man dort nachlesen könne wie man Reichsbürger werde, was die Zeugen als Werbung für die Reichsbürgerbewegung verstehen mussten.
7. Ebenfalls in der 43. Kalenderwoche 2016 äußerte er in der Liegenschaft ...-Kaserne gegenüber dem Oberstabsgefreiten G sinngemäß, dass er früher aus der Bundeswehr ausscheiden wolle, um Reichsbürger zu werden."
83. Das Truppendienstgericht Süd hat dem früheren Soldaten mit Urteil vom den Dienstgrad aberkannt und im Wesentlichen ausgeführt:
9Von den Anschuldigungspunkten 5 und 7 sei er zwar freizustellen, weil die Zeugenaussagen die Vorwürfe nicht hinreichend bestätigt hätten; hinsichtlich der sonstigen Anschuldigungspunkte stehe der Sachverhalt jedoch aufgrund der glaubhaften Aussagen der Zeugen E und G, der Urkunden und Schriftstücke, der E-Mail des früheren Soldaten vom sowie des Aktenvermerks der Wehrdisziplinaranwaltschaft vom fest. Die Zeugen hätten den Inhalt der Gespräche widerspruchsfrei, ohne Belastungstendenzen und glaubhaft wiedergegeben.
10Der frühere Soldat habe damit wissentlich und willentlich, mithin vorsätzlich, sowie schuldhaft die soldatische Pflicht zur Verfassungstreue sowie die Pflicht zur Achtung und Vertrauen, die sein Dienst als Soldat erfordere, verletzt.
11Mit der Verfassungstreuepflicht sei ein Verhalten unvereinbar, das geeignet oder gar darauf angelegt sei, die sogenannte Reichsbürgerbewegung zu unterstützen, deren verbindendes Element die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sowie der bestehenden Rechtsordnung sei. Als Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass die Äußerungen auch Ausdruck einer tatsächlich verfassungsfeindlichen Gesinnung seien. Angesichts der Vielzahl der gegenüber unterschiedlichen Zeugen und Stellen über einen mehrmonatigen Zeitraum getätigten reichsbürgertypischen Äußerungen scheide eine nicht zur disziplinarischen Ahndung führende Auslegung der Aussagen aus. Der frühere Soldat habe auch keinem Irrtum über die Pflichtwidrigkeit seines Tuns unterlegen. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, wäre er jedenfalls vermeidbar gewesen. Zudem liege Rechtsblindheit vor.
12Bei der Maßnahmebemessung bilde Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Höchstmaßnahme, weil das staatsnegierende Verständnis des Soldaten zugleich Ausdruck einer tatsächlich verfassungsfeindlichen Gesinnung sei. Davon abzuweichen bestehe kein Anlass. Gegen den früheren Soldaten spreche neben seinen Beweggründen auch die vorsätzliche Begehungsweise. Hinzu kämen die negativen Auswirkungen, da die Mannschaftssoldaten durch seine Argumentation verunsichert worden seien. Für ihn sprächen seine ordentlichen dienstlichen Leistungen und seine Bewährung im Auslandseinsatz.
134. Mit als "Widerspruch gegen Schreiben vom " bezeichnetem Schreiben trägt der frühere Soldat im Wesentlichen vor, er distanziere sich weiterhin von der Reichsbürgerbewegung und bestreite, für sie geworben zu haben. Bei ihm seien weder Werbeartikel noch Schriften oder Bildmaterial gefunden worden, welche ihn mit der Reichsbürgerbewegung in Verbindung gebracht hätten. Er habe sich auch nicht der Schriften, Ansprechpartner, Anschriften oder Web-Seiten dieser Gruppierungen bedient.
14Die Mannschaftssoldaten hätten das Gespräch zu Unrecht als Werbung aufgefasst. Keiner von ihnen sei von ihm aktiv in ein Gespräch verwickelt worden und habe von ihm Fakten aufgezwungen bekommen. Er sei gefragt worden und habe daraufhin als Vorgesetzter eine Antwort gegeben. Seine Pflicht sei es nicht gewesen, den Soldaten eine heile rosarote Welt vorzugaukeln, damit er seine Treuepflicht weiter erfülle. Sollte das Belügen von Soldaten verlangt werden, hätte man ihm dies vor seinem Dienstantritt mitteilen müssen, dann hätte er den Job umgehend abgelehnt.
15Wenn die Rechtslage in Deutschland keine Diskussionen oder Rückfragen über ihre eigenen Zustände oder Gesetze zulasse, nenne man dies nicht mehr Demokratie, sondern Diktatur. Der Tatbestand der fehlenden Anerkennung der freiheitlich demokratischen Grundordnung könne nicht angewandt werden, wenn es sie nicht gebe. Dann könne auch das Soldatengesetz keine Anwendung finden, weil es auf dem Grundgesetz aufbaue. Der von ihm verlangte Treueeid auf die Bundesrepublik Deutschland sei somit nichtig und durch arglistige Täuschung erwirkt worden. Sein Treueeid gebühre dem Schutz der Heimat und dem Vaterland sowie dem Schutz der Deutschen.
16Das Grundgesetz lasse selbst Zweifel an der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland erkennen. Aus der Betrachtung mehrerer Normen des Grundgesetzes sowie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebe sich, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht Rechtsnachfolgerin des Kaiserreiches, sondern ein "Verwaltungskonstrukt" sei, welches nach wie vor den Aufwand der Besatzungskosten trage. Wenn die Bundesrepublik Deutschland nur teilidentisch sei, dann stelle sich die Frage, in welchen Belangen. Art. 23 GG, der früher den Geltungsbereich des Grundgesetzes geregelt habe, sei gestrichen und anschließend neu zu einem fremden Zweck benutzt worden, wodurch keine eindeutige Gebietskörperschaft mehr erkennbar sei.
17Die Staatsangehörigen der 25+1 Bundesstaaten des deutschen Kaiserreiches hätten ihre eigene Staatsangehörigkeit gehabt, was sich aus dem RuStAG 1913 ergebe. Dies erkläre, warum das Bundesverwaltungsamt in seiner Ausfüllhilfe für den Antrag zur Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit den Nachweis der Vorfahren bis vor 1914 von im Ausland lebenden Deutschen verlange. Durch das Gleichschaltungsgesetz 1933 sei die Staatsangehörigkeit auf die unmittelbare Reichsangehörigkeit "Deutscher" definiert worden. Da die Alliierten sämtliche Gesetze der Nationalsozialisten aufgehoben hätten, die Bundesrepublik als Nachfolger des III. Reiches auftrete und nach wie vor Nazi-Gesetze anwende, könne auch kein rechtmäßiges Volk bestehen. Da an Wahlen nur Deutsche teilnehmen dürften, die Staatsangehörigkeit aber nicht durch einen Personalausweis und Reisepass nachgewiesen werde, begehe jeder Wähler, welcher mit dem Personalausweis an den Wahlen teilnehme, einen Wahlbetrug. Hinzu komme ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Wahlen seit 1956 wegen der Überhangmandate ungültig seien. Seither sei nie etwas geändert worden. Dann stelle sich die Frage, wofür Wahlen stattfänden. Wenn es keine legitimen Wähler gebe, könne es auch keine gültigen freien Wahlen geben.
18Soweit es das Bestehen einer Bundesregierung, der Polizei oder Bundeswehr betreffe, verweise er auf das Zitat von Sigmar Gabriel: "Ich sage euch, wir haben gar keine Bundesregierung, wir haben Frau Merkel als Geschäftsführerin einer neuen Nichtregierungsorganisation in Deutschland!" Zum Thema Souveränität bleibe anzumerken, Bestandteil des Zwei-plus-Vier-Vertrags sei, dass die Vorbehaltsrechte der Alliierten nicht durch die Wiedervereinigung aufgehoben worden seien und weiterhin Bestand hätten. Wenn jemand über ein anderes angebliches Staatsgebilde sogenannte Vorbehaltsrechte ausübe, sei dieser nach wie vor Besatzer.
195. Hinsichtlich der Einzelheiten zur Person des früheren Soldaten, zur Anschuldigung und zur Begründung des erstinstanzlichen Urteils wird auf dieses verwiesen. Zu den in das Berufungsverfahren eingeführten Dokumenten wird auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung Bezug genommen.
Gründe
20Die Berufung des früheren Soldaten, über die mit Ausnahme der §§ 120 bis 124 gemäß Art. 5 des Dritten Gesetzes zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts und zur Änderung weiterer soldatenrechtlicher Vorschriften (3. WehrDiszNOG) vom (BGBl. I Nr. 424) auf der Grundlage der neuen Wehrdisziplinarordnung zu entscheiden ist, ist zulässig, aber unbegründet.
211. Das Schreiben des früheren Soldaten mit dem dort erklärten "Widerspruch" ist im Hinblick auf den nach § 94 Abs. 1 Satz 1 WDO anwendbaren § 300 StPO (vgl. 2 WDB 10.22 - juris Rn. 13) als Rechtsmittel der Berufung zu deuten, da die Ausführungen zu "Punkt IV" belegen, dass er damit die Ausführungen im Truppendienstgerichtsurteil unter IV. (vgl. Seite 11 ff.) angreift.
22Die Berufung ist auch nach dem gemäß § 151 Abs. 7 Satz 2 WDO anzuwendenden § 116 WDO a. F. rechtswirksam eingelegt worden, obwohl die Unterschrift des früheren Soldaten nicht im Original, sondern in Kopie vorliegt. Der frühere Soldat hat das von ihm unterschriebene Original eingescannt, seinem Bruder per E-Mail zugeschickt und dieser hat es ausgedruckt per Post an das Gericht übersandt. Dieser Umstand ist unschädlich, weil das Merkmal der Schriftlichkeit der Berufungsschrift (§ 116 Abs. 2 WDO a. F.) auch bei Einreichung einer Ablichtung erfüllt ist, wenn sich aus anderen Umständen mit hinreichender Deutlichkeit die Urheberschaft und der Wille, das Schreiben als Rechtsmittel einzureichen, ergibt ( -, SozR 3-1500 § 151 Nr. 4 S. 9 f.). An diesem Willen und an der Urheberschaft des früheren Soldaten bestehen keine Zweifel. Er hat im Rahmen der mit dem Senat geführten Korrespondenz seine Urheberschaft nicht ansatzweise in Abrede gestellt (vgl. auch 2 WDB 10.22 - juris Rn. 17).
232. Die Berufung ist jedoch unbegründet.
24a) Dabei kommt es auf die unter Ziffer 2 bis 5 sowie 7 angeschuldigten Verhaltensweisen nicht an, weil sie nicht mehr ins Gewicht fallen. Denn zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der frühere Soldat das unter Anschuldigungspunkte 1 und 6 angeschuldigte Verhalten gezeitigt und damit gegen die Pflicht zur Verfassungstreue in einer Weise verstoßen hat, die zur Aberkennung des Dienstgrades führen muss. Diese Disziplinarmaßnahme ist auch statthaft. Zwar gilt der Soldat nach vollständiger Auszahlung der Übergangsgebührnisse und -beihilfe nicht mehr als Soldat im Ruhestand nach § 1 Abs. 3 Satz 1 WDO; jedoch kann ihm als Reservist gemäß § 60 Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. § 68 WDO der Dienstgrad aberkannt werden.
25b) In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass der frühere Soldat den unter Anschuldigungspunkt 1 beschriebenen Antrag gestellt und dort reichsbürgertypische Angaben getätigt hat. Dies folgt aus dem aktenkundig erfassten Antragsdokument, dessen Urheberschaft der frühere Soldat sowohl bezogen auf dessen Erstellung als auch seines Inhalts nicht bestritten hat, sodass er willentlich und wissentlich, mithin vorsätzlich, gehandelt hat.
26Seine dortigen Angaben waren auch reichsbürgertypisch. Die so genannte Reichsbürgerbewegung lehnt aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen - unter anderem durch die Berufung auf das historische Deutsche Reich, auf verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht - die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ab, spricht dem demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab oder definiert sich in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Ihr verbindendes Element ist die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sowie der bestehenden Rechtsordnung ( 2 WD 10.21 - NVwZ 2023, 91 Rn. 26; vgl. auch Herrmann, Kriminalistik 2022, 195 ff.; Wagner, NZWehrr 2022, 223 ff.; Rathje, APuZ 35 - 36/2021, 34 ff.). Zu den für die Reichsbürgerszene typischen Narrativen gehört die Kernthese vom Fortbestand des Deutschen Reiches, der fortwirkenden alliierten Besetzung und des Fehlens eines rechtswirksamen Friedensvertrags. Aus diesen gleichermaßen realitätsfernen wie juristisch haltlosen Grundannahmen werden in einer Vielzahl von Szeneveröffentlichungen immer wieder neu variierte Schlussfolgerungen zur fehlenden Staatlichkeit, Legitimation und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland gezogen. Dabei wird die Bundesrepublik teils als BRD-GmbH und teils als reines Verwaltungskonstrukt abgewertet (vgl. 2 WD 18.24 - juris Rn. 31; Bundesamt für Verfassungsschutz, "Reichsbürger" und "Selbstverwalter", Juni 2023, S. 9 ff.). Der frühere Soldat hat diese Narrative durch die Behauptung bedient, indem er gestützt auf das RuStAG 1913 seine Ansicht zum Ausdruck brachte, auch die Staatsangehörigkeit des früheren Landes Preußen zu besitzen (vgl. 2 WD 10.21 - NVwZ 2023, 91 Rn. 15, 24). Dass er damit die These vom Fortbestand des Deutschen Reiches stützte, wird zusätzlich daran deutlich, dass er als Örtlichkeit für den Aufenthaltszeitraum 2003 bis 2007 Württemberg und nicht das (Bundes-)Land Baden-Württemberg bezeichnete, in das der Staat Württemberg 1952 aufging.
27c) Ferner steht fest, dass sich der frühere Soldat wissentlich und willentlich, mithin vorsätzlich, wie unter Anschuldigungspunkt 6 beschrieben verhalten hat. Der Senat stützt seine Überzeugungsgewissheit insoweit auf die erstinstanzlichen Aussagen des Zeugen G, an deren Glaubhaftigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht. Für die Glaubwürdigkeit des Zeugen spricht insbesondere, dass er erstinstanzlich nicht alle angeschuldigten Äußerungen bestätigt hat, sondern nur solche, derer er sich sicher war; so hat er die vermeintliche Äußerung des früheren Soldaten, er wolle aus der Bundeswehr austreten und Reichsbürger werden, nicht bestätigt. Sehr sicher war er sich hingegen bei der angeschuldigten Äußerung des früheren Soldaten, über elektronische Informationen zur Reichsbürgerbewegung zu verfügen. Seine Zeugenaussage ist zudem mit seiner außergerichtlichen Vernehmung vom kongruent.
28Dass der Zeuge G dieser Aussage nicht lediglich einen informativen, sondern bei objektiver Betrachtung auch einen (an-)werbenden Charakter beimessen musste, steht ebenfalls zur Überzeugung des Senats fest. Vertritt ein Vorgesetzter - wie hier der frühere Soldat gegenüber Untergebenen - ausführlich und ernsthaft für die Reichsbürgerszene typische Theorien und bietet er zum Beleg digitales Informationsmaterial an, muss dies objektiv als Überzeugungsversuch gewertet werden. Dass der frühere Soldat seine Vorstellung vom Fortbestand des Reiches und von der mangelnden Legitimation der Bundesrepublik - wie vom Zeugen G geschildert - eindeutig vertreten hat, unterliegt keinen ernsthaften Zweifeln. Denn er hat diese Thesen später wiederholt den Wehrdienstgerichten als seine Überzeugung geschildert. Dass der werbende Eindruck nur dem Zeugen G, nicht dem Zeugen F im Gedächtnis geblieben ist, führt zu keiner anderen Bewertung. Denn dieser hat erstinstanzlich ausgesagt, er wisse nicht einmal mehr wie der frühere Soldat ausgesehen habe und dies alles sei für ihn ziemlich unwichtig gewesen. Die Aussagen dieses Zeugen berechtigen daher nicht zur Feststellung, die Äußerung wäre objektiv nicht als Werbung für in der Reichsbürgerszene vertretenes Gedankengut zu werten.
29d) Der frühere Soldat gab seine Erklärungen gegenüber dem Landratsamt und gegenüber dem Zeugen F auch aufgrund einer für die Reichsbürgerszene typischen verfassungsfeindlichen Überzeugung ab. Die Annahme einer solchen Gesinnung folgt aus einer Gesamtschau von Verhaltensweisen und Äußerungen des früheren Soldaten.
30Dazu gehört nicht nur das zu Anschuldigungspunkt 1 festgestellte Verhalten, sondern auch der Aussagegehalt der E-Mail vom . In ihr führt der frühere Soldat zwar aus, er würde niemals jemanden auffordern, Reichsbürger zu werden; Reichsbürger würden das III. Reich verherrlichen und gutheißen, wovon er sich distanziere. Zugleich erklärt er in ihr, das Deutsche Kaiserreich habe noch Bestand und somit auch die Staatsangehörigkeit Preußens. Dies ergebe sich aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Durch die fehlende Aufklärung des Sachbearbeiters habe er vor der Wahl gestanden, entweder Nazi/Reichsbürger zu werden oder auf das RuStAG 1913 zurückzugreifen, welches für ihn nicht zutreffe, da er als Abkömmling preußischer Vorfahren bereits die preußische Staatsangehörigkeit besitze und somit als Deutscher gelte. Der Ausgang des (vorliegenden) Verfahrens sei für ihn insofern irrelevant, als er unter den derzeitigen Umständen ohnehin nicht mehr seiner Berufung nachgehen könne; einen nachteiligen Urteilsausspruch werde er nicht akzeptieren.
31Verstärkt finden sich reichsbürgerliche Narrative in seiner Berufungsschrift, die Jahre später nach den angeschuldigten Taten von ihm verfasst und bei der deshalb eine affektive Positionierung auszuschließen ist. Zwar erklärt er auch in ihr unter anderem, sich von rechtsradikalen und Reichsbürgerbewegungen zu distanzieren; seine nachfolgenden Ausführungen widerlegen dies jedoch bezogen auf die Reichsbürger. Die Anerkennung der freiheitlich demokratischen Grundordnung wird für den Fall in Frage gestellt, dass es keine freiheitliche demokratische Grundordnung gibt. In diesem Fall solle auch das Soldatengesetz keine Anwendung mehr finden und der von ihm abgelegte Treueeid (wegen arglistiger Täuschung) nichtig sein. Das bei Reichsbürgern regelmäßig angesprochene Souveränitätsproblem wird ebenfalls ausführlich thematisiert: Erst wenn die Bundesrepublik Deutschland souverän sei, sei die Verfassung auch für ihn gültig. Das Grundgesetz selber bedeute Zweifel an der Souveränität der Bundesrepublik. Aus verschiedenen Grundgesetzregelungen sowie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebe sich, dass die Bundesrepublik nicht Rechtsnachfolger des Kaiserreiches, sondern vielmehr ein "Verwaltungskonstrukt" sei, welches nach wie vor den Aufwand für Besatzungskosten trage. Da die Alliierten sämtliche Gesetze der Nationalsozialisten aufgehoben hätten, die Bundesrepublik als Nachfolgerin des III. Reiches auftrete und nach wie vor Nazi-Gesetze anwende, könne auch kein rechtmäßiges Volk bestehen. Wenn die Wahlen seit 1956 wegen der Überhangmandate ungültig seien und seither nie etwas geändert worden sei, stelle sich die Frage, wofür dann die Wahlen stattfänden. Wenn es keine legitimen Wähler gebe, könne es auch keine gültigen freien Wahlen geben. Schließlich finden sich reichsbürgertypische Anleihen an das Privatrecht bei staatlichen Amtswaltern, wenn der frühere Soldat Sigmar Gabriel als Beleg dafür zitiert, dass die frühere Bundeskanzlerin Merkel "Geschäftsführerin einer neuen Nichtregierungsorganisation in Deutschland!" sei. Auch dem 1990 geschlossenen Zwei-plus-Vier-Vertrag wird nicht die Bedeutung beigemessen, dass Deutschland (wieder) "volle Souveränität" erlangt hat wie Art. 7 Abs. 2 des Vertrages dies eindeutig festlegt.
323. Der frühere Soldat hat damit ein Dienstvergehen begangen, § 23 Abs. 1 SG.
33a) Die unabhängig vom Dienstgrad nach § 8 SG bestehende Verfassungstreuepflicht verlangt von einem Soldaten, die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes zum einen anzuerkennen (Alt. 1) und zum anderen, für ihre Erhaltung einzutreten (Alt. 2). Beide Pflichten hat der frühere Soldat verletzt.
34Die Verpflichtung zur Anerkennung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wird verletzt, wenn ein Soldat aus innerer Überzeugung die rechtliche Existenz der Bundesrepublik Deutschland verneint und ihren Gesetzen von vornherein den Geltungsanspruch abspricht. Die Staatlichkeit der Bundesrepublik ernsthaft zu leugnen und zugleich deren Grundordnung anzuerkennen, ist unmöglich (vgl. 2 WD 10.21 - NVwZ 2023, 91 Rn. 20 m. w. N.). Dadurch dass der frühere Soldat ausdrücklich die Erteilung eines Staatsangehörigkeitsausweises nach dem RuStAG 1913 beantragt und sich als preußischer Staatsangehöriger bezeichnet hat, hat er in für die Reichsbürgerszene typischer Weise die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland und die Maßgeblichkeit ihres Staatsangehörigkeitsgesetzes von 2001 negiert und damit seine Pflicht aus § 8 Alt. 1 SG verletzt. Dass er kein Bekenntnis zum Nationalsozialismus abgegeben und sich nicht auf das Reichsbürgergesetz vom (RGBl. I S. 1146) bezogen hat, ändert nichts. Denn es ist für die Verfassungstreuepflicht gegenüber der Bundesrepublik Deutschland unerheblich, ob deren Staatlichkeit unter Berufung auf eine angebliche Fortexistenz des Kaiserreichs, der Weimarer Republik, des NS-Regimes, der alliierten Besatzungsherrschaft oder eines sonstigen historischen oder fiktiven Staatsgebildes in Frage gestellt wird, wenn deswegen die Legitimation der Staatsorgane der Bundesrepublik und die Geltungskraft ihrer Gesetze abgestritten wird. Genau dies hat der frühere Soldat getan, als er sich in amtliche Formularen als preußischer Staatsangehöriger eingetragen hat, die Weitergeltung des RuStAG 1913 behauptet hat und als er in seinem Berufungsschreiben gegenüber den Wehrdienstgerichten von der Ungültigkeit des Soldatengesetzes und der Unwirksamkeit seines soldatischen Treueeides gegenüber der Bundesrepublik Deutschland (§ 9 Abs. 1 SG) gesprochen hat.
35Die Verpflichtung zum Eintreten wird bereits verletzt, wenn ein Soldat sich nicht eindeutig von Bestrebungen distanziert, die diesen Staat und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. Ein Soldat darf daher auch nicht entgegen seiner inneren verfassungstreuen Gesinnung aus Solidarität zu Freunden, aus Übermut, aus Provokationsabsicht oder aus anderen Gründen nach außen hin verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützen und sich objektiv betrachtet illoyal verhalten. Mit der Verfassungstreuepflicht ist demnach erst recht das unter Anschuldigungspunkt 6 beschriebene Verhalten unvereinbar, das objektiv geeignet und darauf angelegt ist, aus der Reichsbürgerbewegung stammendes verfassungsfeindliches Gedankengut zu verbreiten ( 2 WDB 5.23 - juris Rn. 47 f.). Dass der frühere Soldat nicht Mitglied einer der verschiedenen Gruppierungen der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene gewesen ist, entlastet ihn nicht. Denn er hat durch die werbende Verbreitung des verfassungsfeindlichen Gedankenguts dieser Szene versucht, deren verfassungsfeindliche Bestrebungen zu unterstützen.
36b) Einher geht damit bezogen auf den Anschuldigungspunkt 1 ein Verstoß gegen die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 3 SG sowie bezogen auf den Anschuldigungspunkt 6 ein Verstoß gegen die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 1 SG sowie gegen die Pflicht zur Mäßigung nach § 10 Abs. 6 SG, da er gegenüber den Zeugen G und F kraft Dienstgrades Vorgesetzter war ( 2 WD 18.24 - juris Rn. 37).
374. Bei der Bemessung von Art und Höhe der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 60 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen. Insoweit legt der Senat ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde, dass zur Aberkennung des Dienstgrades des früheren Soldaten führt.
38a) Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle und im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Dies ist bei objektiv verfassungsfeindlichen Verhaltensweisen und Kundgabeformen, die Ausdruck einer tatsächlich verfassungsfeindlichen Gesinnung sind, die Höchstmaßnahme. Demgegenüber ist bei Verhaltensweisen, die nicht von einer verfassungsfeindlichen Gesinnung getragen wurden, aber den irrigen Eindruck einer hohen Identifikation mit verfassungsfeindlichem Gedankengut vermitteln, die Dienstgradherabsetzung Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Dies gilt auch für Verhaltensweisen, die - wie hier - die sogenannte Reichsbürgerbewegung unterstützen, weil deren verbindendes Element die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sowie der bestehenden Rechtsordnung ist ( 2 WD 10.21 - NVwZ 2023, 91 Rn. 45). Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet demnach die Aberkennung des Dienstgrades als vorliegend statthafte Höchstmaßnahme, weil der frühere Soldat über eine nach außen sichtbar gewordene Reichsbürgergesinnung verfügt.
39b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob von der demnach gebotenen Höchstmaßnahme im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO Umstände vorliegen, die eine Milderung gegenüber der auf der ersten Stufe angesetzten Regelmaßnahme gebieten. Dabei müssen die Milderungsgründe umso gewichtiger sein je schwerer ein Dienstvergehen wiegt ( 2 WD 3.22 - juris Rn. 25). Milderungsgründe von Gewicht liegen jedoch nicht vor. Insbesondere wären hervorragende Leistungen, auch im Auslandseinsatz, und eine überlange Verfahrensdauer nicht geeignet, von der Höchstmaßnahme abzuweichen ( 2 WD 6.21 - juris Rn. 56 sowie vom - 2 WD 13.23 - BVerwGE 182, 333 Rn. 60).
40c) Zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung besteht angesichts der Berufungszurückweisung kein Anlass (Dau/Schütz, Wehrdisziplinarordnung, 8. Aufl. 2022, § 141 Rn. 21).
415. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 Satz 1, § 144 Abs. 5 Satz 2 WDO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:040625U2WD37.24.0
Fundstelle(n):
ZAAAJ-95632