Stattgebender Kammerbeschluss: Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im finanzgerichtlichen Verfahren bei fehlender Möglichkeit zur Nutzung des "besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs" (beSt) im Übergangszeitraum 2022/2023 - Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes durch Versagung der Wiedereinsetzung
Gesetze: Art 19 Abs 4 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 52d S 2 FGO, § 56 FGO, § 86d Abs 1 StBerG, § 157e StBerG
Instanzenzug: Az: I S 1/24 Beschlussvorgehend Az: I B 28/23 Beschlussvorgehend Az: 7 K 69/23 Beschluss
Gründe
I.
1 Im Ausgangsverfahren hat das Finanzgericht die am von einer Steuerberaterin im Namen des Beschwerdeführers erhobene Klage als unzulässig abgewiesen, weil diese nicht fristgerecht in der elektronischen Form eingereicht worden sei.
2 1. Durch das Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom (BGBl I 2021 S. 2363) wurden in §§ 86c bis 86g des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) die Regelungen über die Steuerberaterplattform und das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) als Instrumente der elektronischen Kommunikation mit den Gerichten aufgenommen. Gemäß § 86d Abs. 1 StBerG ist die Bundessteuerberaterkammer verpflichtet, für jeden Steuerberater und Steuerbevollmächtigten ein beSt empfangsbereit einzurichten. Gemäß der bis zum geltenden Übergangsvorschrift des § 157e StBerG waren die Regelungen über das beSt erstmals nach Ablauf des anzuwenden.
3 Im Herbst 2022 gab die Bundessteuerberaterkammer bekannt, dass es ihr nicht möglich sei, die Steuerberater bereits zum mit einem beSt-Zugang auszustatten; der Versand der Briefe mit dem Registrierungscode beginne erst im Januar 2023. Gleichzeitig stellte die Kammer eine Möglichkeit zur vorzeitigen Beantragung eines Registrierungsbriefs bereit (sog. "Fast Lane").
4 2. Am und damit innerhalb der bis zum laufenden Klagefrist hat der Beschwerdeführer vertreten durch seine Steuerberaterin auf dem Postweg Klage gegen den Einkommensteuerbescheid für das Veranlagungsjahr 2018 erhoben. In einem der Klageschrift beigefügten Anschreiben hat die bevollmächtigte Steuerberaterin ausgeführt, ihr sei eine elektronische Einreichung der Klage über das beSt aufgrund des noch fehlenden Registrierungsbriefs nicht möglich. Mit einer Versendung des Registrierungsbriefs sei laut der Liste auf der Seite der Bundessteuerberaterkammer erst in der 9. oder 10. Kalenderwoche zu rechnen. In einem in der Folge geführten Schriftverkehr hat das Finanzgericht auf bestehende Formerfordernisse nicht hingewiesen.
5 Mit Urteil vom - 7 K 69/23 - hat das Finanzgericht die Klage abgewiesen. Unter Verweis auf den zwischenzeitlich ergangenen - hat es ausgeführt, die höchstrichterliche Rechtsprechung vertrete die Auffassung, dass Steuerberater ab dem zur aktiven Nutzung des beSt verpflichtet seien. Die beantragte Wiedereinsetzung in die Klagefrist sei nicht zu gewähren. Zwar sei die bevollmächtigte Steuerberaterin zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht Inhaberin eines beSt-Zugangs gewesen. Sie hätte jedoch die Möglichkeit gehabt, über die "Fast Lane" eine vorgezogene Versendung des Registrierungsbriefs innerhalb weniger Tage zu erwirken. Der bevollmächtigten Steuerberaterin habe bereits aufgrund des Inhalts des - klar sein müssen, dass sie ab dem nur noch in elektronischer Form werde Klage erheben können. Sie sei in dem der Klageschrift beigefügten Anschreiben auch selbst davon ausgegangen, dass die Klage in elektronischer Form zu erheben gewesen wäre.
6 3. Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zum Bundesfinanzhof hat der Beschwerdeführer unter anderem geltend gemacht, seine Bevollmächtigte habe bei der Einreichung der Klageschrift entsprechend den öffentlichen Verlautbarungen der Bundessteuerberaterkammer angenommen, dass die Pflicht zur Nutzung des beSt erst ab Zustellung des Registrierungsbriefs zur Entstehung gelange. Allein deshalb habe sie in der Klageschrift auf das bisherige Fehlen eines Registrierungsbriefs hingewiesen.
7 Der Bundesfinanzhof hat die Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluss vom - I B 28/23 - zurückgewiesen und insbesondere ausgeführt, die Prozessbevollmächtigte sei bei Klageerhebung selbst davon ausgegangen, dass eine Klageeinreichung elektronisch hätte erfolgen müssen. Anderenfalls wäre ihr Hinweis in der Klageschrift, dass der Registrierungsbrief in Kalenderwoche 9 oder 10 zu erwarten sei, nicht verständlich.
8 4. Die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers hat der - zurückgewiesen.
II.
9 Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer vor allem eine Verletzung Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG.
III.
10 Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium der Finanzen, die Bundessteuerberaterkammer und die Bundesrechtsanwaltskammer Stellung genommen. Gelegenheit zur Äußerung hatten ebenfalls der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, die Landesregierungen, das Bayerische Staatsministerium der Finanzen und für Heimat sowie der Beschwerdeführer und das im Ausgangsverfahren beklagte Finanzamt. Die Bundesnotarkammer hat von der ihr eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme keinen Gebraucht gemacht. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
IV.
11 Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Urteil des Finanzgerichts verletzt jedenfalls die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den Bundesfinanzhof verletzt das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) des Beschwerdeführers. Auch die weiteren Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden.
12 1. Die gegen das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts und die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde erhobene Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Sie entspricht insbesondere den Anforderungen des Subsidiaritätsgrundsatzes, wonach vor Einlegung einer Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen sind, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. BVerfGE 169, 130 <155 f. Rn. 40>; 169, 332 <359 f. Rn. 62>). Entgegen den Ausführungen der Bundesregierung in deren Stellungnahme war der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität nicht gehalten, im Wege des "Fast Lane"-Verfahrens eine Kennung zu beantragen. Die Informationslage zum Zeitpunkt der Klageerhebung legte die Stellung eines "Fast Lane" Antrags unter Subsidiaritätsgesichtspunkten nicht nahe. Die Bundessteuerberaterkammer hatte ihre Mitglieder in einem Hinweisschreiben dahingehend informiert, dass die aktive Nutzungspflicht erst mit dem Erhalt des Registrierungsbriefs beginne; über die Möglichkeit des "Fast Lane"-Verfahrens hatte das Schreiben nicht belehrt. Auf ihrer Homepage bezeichnete die Kammer einen "Fast Lane"-Antrag zu Beginn des Jahres 2023 explizit als freiwillig (vgl. dazu noch unter 2. a) bb)). Zwar empfahl die Kammer in ihren geänderten FAQ vom - und damit noch innerhalb der Klagefrist - sodann einen solchen Antrag, doch war die Bevollmächtigte des Beschwerdeführers unter Subsidiaritätsgründen nicht gehalten, nach Erhebung der Klage fortlaufend die Website der Bundessteuerberaterkammer auf Aktualisierungen der Empfehlungen zu prüfen.
13 2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch offensichtlich begründet.
14 a) Das klageabweisende Urteil verletzt das Gebot effektiven Rechtschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) jedenfalls deshalb, weil das Finanzgericht mit der gegebenen Begründung den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Klagefrist nicht hätte ablehnen dürfen.
15 aa) Das Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert jedem den Rechtsweg, der geltend macht, durch die öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein. Damit wird sowohl der Zugang zu den Gerichten als auch die Wirksamkeit des Rechtsschutzes gewährleistet (vgl. BVerfGE 129, 1 <20> m.w.N.; stRspr). Der Rechtsweg, den Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG den Rechtsuchenden gewährleistet, bedarf der gesetzlichen Ausgestaltung. Rechtsschutz ist eine staatliche Leistung, deren Voraussetzungen erst geschaffen, deren Art näher bestimmt und deren Umfang im Einzelnen festgelegt werden müssen. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gibt dem Gesetzgeber dabei nur die Zielrichtung und die Grundzüge der Regelung vor, lässt ihm im Übrigen aber einen beträchtlichen Gestaltungsspielraum (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom - 1 BvL 6/14 u.a. -, Rn. 21).
16 Damit überlässt das Grundgesetz die nähere Ausgestaltung des durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Rechtsweges zwar der jeweiligen Prozessordnung. Bei der Auslegung und Anwendung der vom Gesetzgeber im Rahmen seines Spielraums geschaffenen Rechtsschutzregeln, einschließlich der gesetzlichen Voraussetzungen dafür, dass über den mit einer Klage unterbreiteten Sachverhalt überhaupt zur Sache entschieden werden darf, dürfen die Gerichte aber den Zugang zu den dem Rechtsuchenden eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer Weise erschweren. Im Hinblick auf die Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG dürfen die Anforderungen an die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand daher bei der Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Vorschriften nicht überspannt werden (vgl. BVerfGE 40, 88 <91>; 67, 208 <212 f.>; 69, 381 <385>; 110, 339 <342>; stRspr).
17 bb) Das Finanzgericht hat die Gewährung einer Wiedereinsetzung unzumutbar erschwert und die hieran zu stellenden Anforderungen überspannt.
18 Soweit das Finanzgericht aus dem der Klageschrift beigefügten Anschreiben folgert, der Prozessbevollmächtigten sei ihre Pflicht zur Nutzung des beSt positiv bekannt gewesen, misst es den dortigen Ausführungen einen Sinn bei, der sich weder aus der konkreten Formulierung noch aus den Gesamtumständen belegen lässt. Der Inhalt des Anschreibens ist auch mit einem Rechtsstandpunkt vereinbar, wonach die beSt-Nutzungspflicht erst ab Erhalt des individuellen Registrierungsbriefs beginne; die Ausführungen der Bevollmächtigten in dem Anschreiben dienten in diesem Falle der vorsorglichen Klarstellung, dass der Beginn der Nutzungspflicht noch nicht eingetreten sei, weil es bislang an einem Registrierungsbrief fehle.
19 Soweit das Finanzgericht der bevollmächtigten Steuerberaterin zumindest Fahrlässigkeit mit der Begründung vorwirft, ihr hätte der Beschluss des XI. Senats des - bekannt sein müssen, hätte es sich jedenfalls mit auf der Hand liegenden Einwänden gegen diese Erwägungen auseinandersetzen müssen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1766/12 -, Rn. 16; vgl. auch BVerfGK 3, 264 <268>). Zwar hat der XI. Senat des Bundesfinanzhofs in diesem Beschluss in einem obiter dictum die Rechtsauffassung geäußert, dass ab dem alle Steuerberater zur Nutzung des beSt verpflichtet seien. Zu der - in der fachrechtlichen Rechtsprechung und Literatur in der Folgezeit diskutierten - Frage, ob die sich im Herbst 2022 abzeichnende verzögerte Freischaltung der beSt-Zugänge zu einer Auslegung von § 52d Satz 2 FGO zwinge, dass die beSt-Nutzungspflicht erst zu einem späteren Zeitpunkt beginne, verhält sich dieser Beschluss jedoch nicht. Das Finanzgericht hätte deshalb den Verschuldensvorwurf näher begründen und sich hierbei vor allem damit auseinandersetzen müssen, dass zum Jahreswechsel 2022 / 2023 eine komplexe Übergangssituation aufgetreten war, nachdem entgegen der Vorgabe aus § 86d StBerG (in Verbindung mit der zwischenzeitlich aufgehobenen Übergangsvorschrift des § 157e StBerG) zum Jahresbeginn 2023 eine flächendeckende Freischaltung der beSt-Zugänge nicht möglich und daher auch nicht erfolgt war. Es hätte erörtern müssen, dass - was der Beschwerdeführer in seinem Wiedereinsetzungsantrag auch geltend macht - die Bundessteuerberaterkammer während des Jahres 2022 in ihrem Hinweisschreiben und auf ihrer Homepage und auch zu Beginn des Jahres 2023 durchgehend verlautbart hatte, dass die Pflicht zur Nutzung des beSt erst mit Erhalt des individuellen Registrierungsbriefs beginne. Es war naheliegend, dass Steuerberater den Ausführungen der Bundessteuerberaterkammer als der für die Einrichtung des beSt zuständigen Behörde gesteigertes Vertrauen entgegenbrachten. Zwar hatte die Bundessteuerberaterkammer bereits seit Herbst 2022 die Möglichkeit einer vorgezogenen Zuteilung eines Registrierungsbriefs im Wege des "Fast Lane"-Verfahrens auf einen entsprechenden Antrag hin für alle aktiv mit den Gerichten kommunizierenden Steuerberater angeboten, als absehbar wurde, dass ein flächendeckender Versand der Registrierungsbriefe zum Jahresbeginn 2023 nicht möglich sein würde. Allerdings hatte die Kammer das "Fast Lane"-Angebot stets als "freiwillig" deklariert. Erst Ende Januar 2023 hat sie die FAQ auf ihrer Homepage geändert und die Empfehlung ausgesprochen, vorsichtshalber im "Fast Lane"-Verfahren die vorgezogene Zuteilung einer Registrierung zu erwirken, sofern Schriftverkehr mit Gerichten geführt werde. Das Finanzgericht hat sich jedoch nicht damit auseinandergesetzt, ob dies das Vertrauen erschütterte, die bis dahin noch auf dem Schriftwege eingereichte Klage als fristgerecht anzusehen. Angesichts dessen, dass das Finanzgericht im gesamten beginnenden Klageschriftverkehr auf fehlende Formerfordernisse zu keiner Zeit hingewiesen hat, wäre eine Auseinandersetzung auch damit aber erforderlich gewesen.
20 cc) Das Urteil des Finanzgerichts beruht auch auf dem Verstoß. Es kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass das Finanzgericht ohne diesen Verfassungsverstoß zu einem für den Beschwerdeführer günstigen Ergebnis gelangt wäre. Ob das Gericht mit anderer Argumentation die beantragte Wiedereinsetzung in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hätte versagen können, ist nicht Gegenstand der bundesverfassungsgerichtlichen Prüfung (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 762/94 -, Rn. 19).
21 dd) Offen bleiben kann damit, ob der Beschwerdeführer eine Verfassungswidrigkeit der von dem Finanzgericht vertretenen Auslegung von § 52d Satz 2 FGO, dass eine Nutzungspflicht (trotz fehlender flächendeckender rechtzeitiger Einrichtung der beSt für die Steuerberaterinnen und -berater) infolge der bestehenden Möglichkeit einer im Einzelfall möglichen "Fast Lane"-Einrichtung mit Art. 19 Abs. 4 GG zu vereinbaren ist (vgl. bereits BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1409/24 -, Rn. 3), hinreichend substantiiert gerügt hat. Ebenso kann offen bleiben, ob der Beschwerdeführer ausreichend dargelegt hat, dass die StBPPV unwirksam erlassen worden sei und aus diesem Grund eine Pflicht zur Nutzung des beSt nicht bestanden habe. Schließlich kann offenbleiben, ob das Urteil des Finanzgerichts zudem das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) des Beschwerdeführers verletzt.
22 3. Die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den Bundesfinanzhof verletzt das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) des Beschwerdeführers.
23 a) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 47, 182 <187>). Ein vom Bundesverfassungsgericht festzustellender Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten in einem ordnungsgemäß bei Gericht eingegangenen Schriftsatz (vgl. BVerfGE 11, 218 <220>; 60, 120 <122 f.>; 62, 347 <352>; 72, 119 <121>) entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen wurde (vgl. BVerfGE 22, 267 <274>; 65, 293 <295>; 70, 288 <293>; 86, 133 <144 ff.>; stRspr). Die Gerichte müssen nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich bescheiden. Es müssen nur die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden (vgl. BVerfGE 47, 182 <189>). Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Vortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen jedoch nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 47, 182 <187 ff.>; 86, 133 <145 f.>).
24 b) Soweit der Beschwerdeführer in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde dargelegt hat, warum das Finanzgericht den Sinn der Ausführungen in dem Anschreiben zur Klageschrift missdeutet habe, als es daraus auf eine positive Kenntnis von der beSt-Nutzungspflicht geschlossen habe, handelte es sich um Kernvortrag zu einer für das Verfahren zentralen Frage. Gleichwohl hat der Bundesfinanzhof diesen Kernvortrag nicht verbeschieden. Soweit der Bundesfinanzhof in dem angegriffenen Beschluss vom die Lesart des Finanzgerichts bestätigt, setzt er sich mit dem Vortrag des Beschwerdeführers hierzu nicht argumentativ auseinander.
25 c) Der Gehörsverstoß ist im Anhörungsrügeverfahren nicht geheilt worden. Der Bundesfinanzhof führt zwar erneut aus, warum er aus der Einleitung der Klageschrift auf eine positive Kenntnis der bevollmächtigten Steuerberaterin geschlossen habe, geht jedoch abermals nicht auf den Vortrag des Beschwerdeführers in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ein.
26 d) Die Entscheidung beruht auf dem Gehörsverstoß. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Bundesfinanzhof eine für den Beschwerdeführer positive Entscheidung getroffen hätte, wenn er dessen Vorbringen verbeschieden hätte. Soweit in dem Beschluss über die Anhörungsrüge ausgeführt ist, die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde sei selbständig tragend auf weitere Erwägungen gestützt, trifft dies nicht zu. Die in Bezug genommenen Passagen bauen ebenfalls sämtlich auf der Prämisse auf, dass der bevollmächtigten Steuerberaterin von Anfang an bewusst gewesen sei, ab dem zur Nutzung des beSt verpflichtet zu sein. Dort ist jeweils aufgeführt, die bevollmächtigte Steuerberaterin sei "selbst davon ausgegangen", zur Nutzung des beSt verpflichtet zu sein, bzw. aus "ihrer […] eigenen Sicht" habe eine Pflicht zur Nutzung des beSt bestanden.
V.
27 Das Urteil des Finanzgerichts und der Beschluss des Bundesfinanzhofs über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde werden gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht zur Fortsetzung des Verfahrens zurückverwiesen.
28 Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs über die Anhörungsrüge wird damit gegenstandslos.
29 Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2, Abs. 3 BVerfGG.
30 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250623.1bvr171824
Fundstelle(n):
YAAAJ-95628