Nachzahlung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung an einen Nachlassinsolvenzverwalter - Erbenstellung des Fiskus - nicht festgestelltes Fiskalerbrecht
Gesetze: § 56 SGB 1, § 58 S 2 SGB 1
Instanzenzug: SG Frankfurt Az: S 31 R 224/17 Gerichtsbescheidvorgehend Hessisches Landessozialgericht Az: L 2 R 111/20 Urteil
Tatbestand
1Der Kläger begehrt in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über den Nachlass des 2014 verstorbenen P (im Folgenden: Versicherter) die Auskehrung einer Rentennachzahlung.
2Der Versicherte verstarb während des auf die Erlangung einer Rente wegen Erwerbsminderung gerichteten Verwaltungsverfahrens. Bei seinem Tod war er geschieden, lebte alleine und unterhielt keine andere Person. Seine Kinder und Enkel schlugen das Erbe aus. Das Nachlassgericht bestellte mit Beschluss vom einen Nachlasspfleger. Gesetzliche Erben höherer Ordnung ließen sich nicht ermitteln. Die Feststellung, dass ein anderer Erbe als der Fiskus nicht vorhanden sei, traf das Nachlassgericht nicht. Die Beklagte bewilligte aus der Versicherung des verstorbenen Versicherten rückwirkend eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für Mai bis Juli 2014. Den Nachzahlungsbetrag behielt sie vorläufig ein (Bescheid vom ).
3Der Kläger wurde mit zum Insolvenzverwalter über den überschuldeten Nachlass des Versicherten bestellt. Er forderte von der Beklagten vergeblich die Auskehrung eines Nachzahlungsbetrags iHv 857,93 Euro aus der rückständigen Rentenleistung. Seine auf eine entsprechende Zahlung zuzüglich Zinsen gerichtete Klage ist auch in der Berufungsinstanz erfolglos geblieben (; ). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt: Bereits bei einem möglichen Fiskalerbrecht sei es einem Nachlassinsolvenzverwalter verwehrt, die Auszahlung rückständiger Rentenleistungen zu verlangen. Insoweit gelte nichts anderes als für einen Nachlasspfleger, für den dies bereits höchstrichterlich entschieden sei (Hinweis auf 5b RJ 46/81 - und vom - 5 RJ 44/93).
4Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 58 Satz 2 SGB I und § 80 Abs 1 InsO. Fälle, in denen kein Fiskalerbrecht festgestellt worden sei, würden vom Wortlaut des § 58 Satz 2 SGB I schon nicht erfasst. Selbst wenn man die Vorschrift in diesen Fällen anwenden wollte, wäre dadurch seine umfassende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht eingeschränkt. Als Insolvenzverwalter mache er eigene Rechte geltend. Es sei zudem auszuschließen, dass die Rentennachzahlung dem Fiskus zugutekomme, wenn die Insolvenzmasse, wie hier, voraussichtlich nur zur Deckung der Verfahrenskosten ausreiche. Als Verfahrensmangel rügt der Kläger, dass die Vorinstanzen die Klage ohne die Einschränkung "derzeit unbegründet" als unbegründet angesehen hätten.
5Der Kläger beantragt,das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24.32020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 857,93 Euro nebst Zinsen in Höhe von vier Prozent hieraus vom bis zum und in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem zu zahlen.
6Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
7Sie hält die angegriffenen Entscheidungen für zutreffend.
Gründe
8A. Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zu Recht hat das LSG dessen Berufung gegen den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid zurückgewiesen. Es ist verfahrensfehlerfrei zum zutreffenden Ergebnis gelangt, dass der Kläger derzeit keinen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte geltend machen kann. Aus diesem Grund scheidet auch ein Zinsanspruch aus.
9I. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Nachzahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der Versicherung des verstorbenen Versicherten iHv 857,93 Euro nebst Zinsen. Der Kläger verfolgt sein Zahlungsbegehren zulässigerweise mit einer echten Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG). Diese Klageart ist statthaft, wenn geltend gemacht wird, es liege ein bindender Verwaltungsakt (§ 77 SGG) vor, der beklagte Leistungsträger die bewilligte Leistung aber nicht oder nicht mehr erbringe (vgl zB - SozR 4-1200 § 52 Nr 6 RdNr 13 mwN). So ist es hier. Der Kläger beruft sich bei verständiger Würdigung seines Vorbringens (§ 123 SGG) auf eine Zahlungsverpflichtung der Beklagten unmittelbar aus dem Bescheid vom .
10II. Der Kläger ist zur Führung des Prozesses im eigenen Namen berechtigt. Das Verwaltungs- und Verfügungsrecht eines Insolvenzverwalters (§ 80 Abs 1 InsO) umfasst die Prozessführungsbefugnis für massezugehöriges Vermögen (vgl zB - BSGE 121, 194 = SozR 4-7912 § 96 Nr 1, RdNr 9; - juris RdNr 11; - juris RdNr 8). Ein aus dem Bescheid vom resultierender Zahlungsanspruch würde zur Insolvenzmasse gehören (dazu unter 1.). Seine vergleichsweise geringe Höhe stünde dem nicht entgegen (dazu unter 2.).
111. Die Insolvenzmasse im Sonderinsolvenzverfahren über einen Nachlass (§ 11 Abs 2 Nr 2 InsO) bestimmt sich nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 35 ff InsO, die mangels einer entsprechenden Sondervorschrift in den §§ 315 ff InsO ergänzend heranzuziehen sind ( - juris RdNr 12 unter Hinweis auf die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom zur InsO, BT-Drucks 12/2443 S 229). Die Nachlassinsolvenz folgt allerdings dem Prinzip der Vermögenstrennung, um dem Erben eine Beschränkung seiner Haftung auf den Nachlass zu ermöglichen (§ 1975 Alt 2 BGB; vgl zB - BGHZ 224, 177 - juris RdNr 22; - juris RdNr 42). Zur Insolvenzmasse (§ 35 Abs 1 InsO) gehören daher alle ererbten Gegenstände, Rechte und Rechtspositionen, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass noch unterscheidbar vom Eigenvermögen des Erben vorhanden sind ( - juris RdNr 14; - juris RdNr 16; Döbereiner in Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl 2020, Kapitel X, § 112 RdNr 1). Das träfe auf den vom Kläger geltend gemachten Zahlungsanspruch zu.
12a) Ein aus dem Bescheid vom resultierender Zahlungsanspruch stünde dem (unbekannten) Erben des Versicherten zu. Das gilt hier ungeachtet der Regelung in § 58 Satz 1 SGB I iVm § 1922 BGB schon deswegen, weil der Bescheid gegenüber dem Nachlasspfleger als gesetzlichem Vertreter des wirklichen Erben erging (vgl zur Rechtsnatur der Nachlasspflegschaft zB - BGHZ 161, 281 - juris RdNr 17; Mešina in Staudinger <2017>, BGB, § 1960 RdNr 23, jeweils mwN).
13Dass das LSG den Nachlasspfleger als Adressaten des nach dem Tod des Versicherten ergangenen Bescheids vom nicht explizit benannt hat, hindert den Senat nicht, diese Angabe dem Bescheid selbst zu entnehmen. Es kann offenbleiben, inwiefern das BSG als Revisionsgericht an die Auslegung eines Verwaltungsakts durch die Vorinstanzen gebunden ist. Das LSG hat hier schon keine Aussage zum Bescheidadressaten getroffen.
14b) Ein aus dem Bescheid vom resultierender Zahlungsanspruch des (unbekannten) Erben des Versicherten hätte bei Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens auch unterscheidbar von dessen Eigenvermögen bestanden. Das folgt bereits daraus, dass der Anspruch zu diesem Zeitpunkt nicht erfüllt war und im Übrigen bis heute nicht erfüllt ist.
152. Der geltend gemachte Zahlungsanspruch würde dem Insolvenzbeschlag unterliegen, obwohl er unterhalb der Pfändungsfreigrenze für Arbeitseinkommen bleibt, die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens mindestens 1073,88 Euro monatlich betrug (§ 54 Abs 4 SGB I, § 850 Abs 1 iVm § 850c ZPO und der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung 2015 vom , BGBl I 618). Zwar kommt die Regelung des § 36 Abs 1 InsO im Nachlassinsolvenzverfahren grundsätzlich zur Anwendung (vgl zB K. Schmidt in K. Schmidt, InsO, 20. Aufl 2023, Vor § 315 RdNr 15; Lüer/Weidmüller in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl 2019, § 315 RdNr 7, jeweils mwN). Ihre Beschränkungen laufen wegen der mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkten Vermögenstrennung jedoch weitgehend leer. Der Pfändungsschutz bezieht sich auf die Person des Erben, dessen Einkünfte infolge der Vermögensabsonderung aber gerade im Eigenvermögen verbleiben (vgl zB Döbereiner in Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl 2020, Kapitel X, § 112 RdNr 2; Siegmann/Scheuing in MüKo-InsO, 4. Aufl 2020, Anhang zu § 315 RdNr 10; weitergehend Roth/Pfeuffer, Praxishandbuch Nachlassinsolvenzverfahren, 2. Aufl 2018, S 48). Bei einer Fiskalerbschaft entfällt der Pfändungsschutz im Nachlassinsolvenzverfahren ganz (vgl Windel in Jaeger, InsO, 2020, § 315 RdNr 106).
16III. Der Senat vermag nicht zu beurteilen, ob eine Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Zahlungsanspruch besteht. Zwar wurde der Bescheid vom mit Bekanntgabe an den Nachlasspfleger wirksam (§ 39 Abs 1 Satz 1 SGB X). Mangels Anfechtung ist er auch grundsätzlich bindend (§ 77 SGG). Die Bindungswirkung erstreckt sich allerdings nicht auf den darin angegebenen Nachzahlungsbetrag. Weist ein Rentenversicherungsträger auf den vorläufigen Einbehalt einer Nachzahlung bis zur Klärung etwaiger Erstattungsansprüche hin, besteht eine Verpflichtung zur Auskehrung der Nachzahlung erst aufgrund einer entsprechenden Abrechnungsmitteilung (stRspr; vgl zB - SozR 4-1300 § 31 Nr 15 RdNr 13 mwN). Die Angabe des einbehaltenen Nachzahlungsbetrags im Rentenbescheid ist dann eine bloße Information über die maximal zu erwartende Nachzahlung, verbunden mit dem Hinweis auf das noch nicht abgeschlossene Verfahren der Erfüllung ( aaO). Ob und ggf mit welchem Inhalt die Beklagte eine Abrechnungsmitteilung zum Bescheid vom erließ, ist vom LSG jedoch nicht festgestellt worden.
17IV. Trotz dieser fehlenden Feststellungen kann der Senat von einer Aufhebung des angegriffenen Urteils und Zurückverweisung der Rechtssache an das LSG absehen. Selbst wenn der vom Kläger geltend gemachte Zahlungsanspruch seine Rechtsgrundlage in einer Abrechnungsmitteilung der Beklagten zum Bescheid vom fände, könnte er ihn derzeit nicht erfolgreich durchsetzen. Der Beklagten steht zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Leistungsverweigerungsrecht zu. Sie ist im Nachlassinsolvenzverfahren grundsätzlich berechtigt, sich auf ihre Gegenrechte zu berufen (dazu unter 1.). Die Beklagte kann sich hier auf § 58 Satz 2 SGB I stützen (dazu unter 2.). Das gilt unabhängig davon, ob nach Beendigung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass des Versicherten voraussichtlich ein an den Erben auszukehrender Überschuss verbleibt (dazu unter 3.).
181. Die Beklagte kann sich grundsätzlich auf alle Einwendungen und sonstigen Rechte berufen, die sie dem streitbefangenen Anspruch entgegenhalten kann. Dies gilt auch, wenn ein (Nachlass-)Insolvenzverwalter sie geltend macht. Obgleich der Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes im Rahmen der ihm bei der Bestellung übertragenen Befugnisse (§ 80 Abs 1 InsO) tätig wird und materiell wie prozessual im eigenen Namen handelt (sog Amtstheorie; vgl hierzu zB NotZ <Brfg> 2/21 - juris RdNr 28 mwN; vgl auch - juris RdNr 8), bleibt er grundsätzlich an die bei Verfahrenseröffnung vorgefundene Rechtslage gebunden (vgl schon für den Konkursverwalter IVb ZR 93/87 - BGHZ 106, 169 - juris RdNr 24 mwN; vgl auch zB Mock in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl 2019, § 80 RdNr 71; Vuia in MüKo-InsO, 4. Aufl 2019, § 80 RdNr 43). Mangels Sondervorschriften in den §§ 315 ff InsO gilt dieser Grundsatz gleichermaßen im Nachlassinsolvenzverfahren. Soweit dem Insolvenzverwalter weitergehende Rechte als dem Gläubiger eines dem Insolvenzbeschlag unterliegenden Anspruchs eingeräumt sind (vgl hierzu die Übersicht bei Sternal in K. Schmidt, InsO, 20. Aufl 2023, § 80 RdNr 16), ist hier keine dieser Ausnahmen einschlägig.
192. Die Beklagte ist derzeit nicht zur Erfüllung des vom Kläger geltend gemachten Zahlungsanspruchs verpflichtet. Sie kann ihr Gegenrecht auf § 58 Satz 2 SGB I stützen.
20Nach dieser Vorschrift kann der Fiskus als gesetzlicher Erbe fällige Ansprüche auf Geldleistungen, die keiner Sonderrechtsnachfolge unterliegen, nicht geltend machen. Solche Ansprüche verbleiben als bloße Naturalobligationen im Nachlass, deren Erfüllung vom Fiskus nicht erzwungen werden kann (vgl 5b RJ 46/81 - BSGE 54, 186 = SozR 1200 § 58 Nr 2 - juris RdNr 9; vgl auch zB Groth in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 4. Aufl 2024, Stand: , § 58 RdNr 18). Die Regelung in § 58 Satz 2 SGB I erfasst auch die hier zugrundeliegende Konstellation.
21Zwar hat das Nachlassgericht bezogen auf den Nachlass des Versicherten bislang keine Feststellung zum Fiskalerbrecht (§ 1936 Satz 1 BGB) nach § 1964 Abs 1 BGB getroffen. Erst eine solche Feststellung begründet die (widerlegbare) Vermutung, dass der Fiskus gesetzlicher Erbe ist (§ 1964 Abs 2 BGB). Über den Wortlaut des § 58 Satz 2 SGB I hinaus können fällige Ansprüche auf rückständige Rentenzahlungen eines verstorbenen Versicherten jedoch bereits dann nicht vom Nachlassinsolvenzverwalter geltend gemacht werden, wenn der Fiskus, wie hier, als gesetzlicher Erbe der betroffenen Forderung ernsthaft in Betracht kommt.
22Der Senat hat dies bereits für die Nachlasspflegschaft nach § 1960 BGB entschieden (vgl - juris RdNr 12; 5b RJ 46/81 - BSGE 54, 186 = SozR 1200 § 58 Nr 2 - juris RdNr 9 ff; zur abweichenden früheren Rechtslage unter Geltung der RVO - SozR Nr 11 zu § 1288 RVO - juris RdNr 14). Seine diesbezüglichen Erwägungen gelten auch im Fall eines überschuldeten Nachlasses, zu dessen Verwaltung ein Nachlassverwalter nach § 1975 Alt 1 BGB bestellt ist (vgl - juris RdNr 12). Die Rechtsprechung des Senats ist sowohl im sozial- als auch im zivilrechtlichen Schrifttum auf überwiegende Zustimmung gestoßen (vgl Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Werkstand: 124. EL Januar 2025, § 58 SGB I RdNr 8; Bienert in Kroiß/Horn/Solomon, Nachfolgerecht, 3. Aufl 2023, § 58 SGB I Vererbung RdNr 14; Bigge/Dahm in von Koppenfels-Spies/Wenner, Kommentar zum SGB I, 3. Aufl 2023, § 58 RdNr 13; Gleumes in Damrau/Tanck, Praxiskommentar Erbrecht, 4. Aufl 2020, § 1966 RdNr 9 und § 1960 RdNr 75; Groth in jurisPK-SGB I, 4. Aufl 2024, Stand: , § 58 RdNr 18 und § 59 RdNr 28; Lilge in Lilge/Gutzler, SGB I, 5. Aufl 2019, § 58 RdNr 7; Schulz in Groll/Steiner, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, 6. Aufl 2024, § 23 Nachlasspflegschaft RdNr 23.54; Siefert in BeckOGK, SGB I, Stand: , § 58 RdNr 14; Wiechmann in Keck/Michaelis, Die Rentenversicherung im SGB, 122. Lieferung, 11/2024, § 58 SGB I RdNr 4; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, Teil I: Allgemeine Grundlagen - SGB I, IV, X -, 25. <107.> Lieferung 1/11, § 58 SGB I RdNr 21; ablehnend Tannen, DRV 1983, 391, 392; Zimmermann in Zimmermann, Die Nachlasspflegschaft, 6. Aufl 2023, G. Ermittlung, Sicherung und Verwaltung des Nachlasses, RdNr 319). Der Senat bekräftigt seine bisherige Rechtsprechung zu § 58 Satz 2 SGB I (dazu unter a) und überträgt sie auf die zum eingeführte Nachlassinsolvenz nach § 1975 Alt 2 BGB (dazu unter b).
23a) Nach der Rechtsprechung des Senats kann ein Nachlasspfleger die Auszahlung einer rückständigen Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bereits dann nicht beanspruchen, wenn weder im Nachlasspflegschaftsverfahren ein Erbe ermittelt worden ist noch das Nachlassgericht ein Fiskalerbrecht festgestellt hat (vgl, auch zum Folgenden, - juris RdNr 12; 5b RJ 46/81 - BSGE 54, 186 = SozR 1200 § 58 Nr 2 - juris RdNr 11). Dies folgt aus dem Sinn und Zweck des § 58 Satz 2 SGB I, der darin liegt, Zahlungen zwischen verschiedenen öffentlichen Haushalten zu vermeiden (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom zum SGB - Allgemeiner Teil, BT-Drucks 7/868 S 33 zu §§ 56 bis 59). Der Gesetzeszweck würde vereitelt, wenn der Nachlasspfleger fällige Rentenansprüche geltend machen könnte, obwohl der Fiskus als gesetzlicher Erbe in Betracht kommt, und sich später das Fehlen anderer Erben herausstellt. Solange der Fiskus als gesetzlicher Erbe nicht auszuschließen ist, besteht die Möglichkeit, dass dieser nach § 58 Satz 2 SGB I die Erfüllung der Ansprüche nicht verlangen kann. Zwar ist ebenso möglich, dass ein anderer Erbe vorhanden ist, dem gegenüber der Rentenversicherungsträger zur Anspruchserfüllung verpflichtet wäre. Dies genügt aber nicht, um dem Nachlasspfleger das Recht zuzubilligen, die fälligen Ansprüche geltend zu machen. Gleiches gilt in Bezug auf den Nachlassverwalter nach § 1975 Alt 1 BGB.
24Indem die Regelung in § 58 Satz 2 SGB I bereits vor Feststellung des Fiskalerbrechts Anwendung findet, werden weder der wirkliche Erbe noch die Nachlassgläubiger benachteiligt (vgl, auch zum Folgenden, 5b RJ 46/81 - BSGE 54, 186 = SozR 1200 § 58 Nr 2 - juris RdNr 12). Stellt das Nachlassgericht später förmlich fest, dass andere Erben als der Fiskus nicht vorhanden sind, sind sowohl der Fiskus als auch die Nachlassgläubiger so gestellt, als wenn das Fiskalerbrecht von Anfang an festgestellt worden wäre. Findet sich hingegen doch noch ein anderer Erbe, hat der Rentenversicherungsträger die ausstehenden Leistungen an den Nachlass auszuzahlen und ggf zu verzinsen.
25b) Diese Erwägungen gelten gleichermaßen in der Nachlassinsolvenz (ebenso Gutzler in BeckOK SozR, SGB I, 76. Ed, Stand: , § 58 RdNr 6; wohl auch Reinhardt in LPK-SGB I, 4. Aufl 2020, § 58 RdNr 8).
26Es trifft zwar zu, dass das Verfahren der Nachlasspflegschaft nach § 1960 BGB und das Nachlassinsolvenzverfahren nach § 1975 Alt 2 BGB unterschiedliche Zwecke verfolgen. Während ersteres den Nachlass im Interesse des - typischerweise unbekannten - Erben zu sichern und zu erhalten sucht (vgl zB Leipold in MüKo-BGB, 9. Aufl 2022, § 1960 RdNr 1, 25 mwN), dient das Nachlassinsolvenzverfahren der gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung unter Beschränkung der Erbenhaftung auf den Nachlass (vgl zB Lüer/Weidmüller in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl 2019, § 315 RdNr 3 mwN). Gesetzliche Wertungen aus dem einen Verfahren lassen sich daher nicht ohne Weiteres auf das andere Verfahren übertragen (vgl - juris RdNr 19 f). Auch die Rechtsstellung des Nachlassinsolvenzverwalters unterscheidet sich von derjenigen des Nachlasspflegers, der nur als gesetzlicher Vertreter des (unbekannten) Erben agiert (vgl - juris RdNr 13 mwN). Zum Verfahren der Nachlassverwaltung nach § 1975 Alt 1 BGB bestehen ebenfalls Unterschiede. Die Rechtsstellung des Nachlassverwalters ähnelt allerdings insoweit derjenigen des Insolvenzverwalters, als die Nachlassverwaltung auf die Gläubigerbefriedigung durch Vermögensverwertung gerichtet ist (vgl aaO mwN).
27Trotz der bestehenden Unterschiede lässt sich die Rechtsprechung des Senats zu § 58 Satz 2 SGB I auf Fälle übertragen, in denen, wie hier, ein Nachlassinsolvenzverwalter rückständige Rentenzahlungsansprüche durchsetzen will. Zwischen dem Verfahren der Nachlasspflegschaft und der Nachlassverwaltung sowie dem Nachlassinsolvenzverfahren bestehen insoweit keine solchen Unterschiede, die einer Rechtsprechungsübertragung entgegenstehen könnten.
28Die bisherige Rechtsprechung des Senats knüpft nicht an die Besonderheiten der Nachlasspflegschaft oder der Nachlassverwaltung an. Vielmehr dient sie der Verwirklichung von Sinn und Zweck des § 58 Satz 2 SGB I, der, wie ausgeführt, darin liegt, Zahlungen zwischen verschiedenen öffentlichen Haushalten zu vermeiden. Nach dieser gesetzgeberischen Wertung ist, wenn der Fiskus gesetzlicher Erbe wird, der Betrag einer noch nicht ausgezahlten Rente dem Versicherungsträger zu belassen (vgl 5b RJ 46/81 - BSGE 54, 186 = SozR 1200 § 58 Nr 2 - juris RdNr 11). Das gilt hier nicht zuletzt auch deshalb, weil die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung im Wesentlichen beitragsfinanziert sind (vgl § 153 Abs 1 iVm Abs 2 SGB VI). Aus den ererbten Rentenzahlungsansprüchen sollen im Fall eines Fiskalerbrechts nur etwaige Rechte Dritter befriedigt werden können, insbesondere Ersatzansprüche anderer Sozialleistungsträger (vgl den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom , BT-Drucks 7/3786 S 5 zu § 58 Satz 2; vgl dazu - SozR 2200 § 183 Nr 21 - juris RdNr 15). Ein solcher Fall liegt nicht vor, wenn ein Nachlasspfleger, Nachlassverwalter oder - wie hier - ein Nachlassinsolvenzverwalter eine Nachlassforderung geltend macht, die möglicherweise der Fiskus ererbt hat.
29Wäre der Rentenversicherungsträger zur Zahlung an den Nachlassinsolvenzverwalter verpflichtet, wenn mangels erfolgreicher Erbenermittlung ein Fiskalerbrecht ernsthaft in Betracht kommt, dessen gerichtliche Feststellung nach § 1964 Abs 1 BGB aber aussteht, könnte die Zahlung bei späterer Feststellung des Fiskalerbrechts nicht zurückgefordert werden. Denn als Naturalobligation wäre der ererbte Anspruch auf eine rückständige Rentenzahlung weiterhin erfüllbar (vgl dazu zB - juris RdNr 9 mwN). Es bliebe im Ergebnis bei einem Mittelabfluss aus der gesetzlichen Rentenversicherung, der mit der Regelung in § 58 Satz 2 SGB I gerade vermieden werden soll (vgl aaO - juris RdNr 11).
30Der Rentenversicherungsträger müsste zudem für Umstände einstehen, die nicht seiner Sphäre zuzuordnen sind. Das Feststellungsverfahren nach §§ 1964, 1965 BGB ist als Amtsverfahren ausgestaltet (vgl aber § 24 Abs 1 FamFG, wonach die Einleitung eines Verfahrens "angeregt" werden kann; s hierzu - juris RdNr 21). Zwar werden die Nachlassgerichte teilweise als verpflichtet angesehen, auch bei einem geringwertigen oder überschuldeten Nachlass ein Verfahren zur Feststellung des Fiskalerbrechts einzuleiten und durchzuführen (vgl - juris RdNr 16 f mwN; zum früheren Verfahrensrecht - juris RdNr 6; vgl auch die Übersicht über den Meinungsstand bei J. Schmidt in Erman, BGB, 17. Aufl 2023, § 1964 RdNr 2). Nach verschiedenen Praxisberichten sehen die Nachlassgerichte bei einem dürftigen Nachlass jedoch oftmals von der Einleitung eines solchen Verfahrens ab (vgl Kranenberg, ErbStB 2013, 321, 322; Roth, Rpfleger 2019, 495). In den Fällen, in denen ein Fiskalerbrecht ernsthaft in Betracht kommt, tritt damit in Bezug auf die Regelung in § 58 Satz 2 SGB I ein Schwebezustand ein. Dieser kann durchaus zum Dauerzustand werden. Das zeigt beispielhaft der hier zu entscheidende Fall. Ausgehend von den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) haben sich in den mehr als zehn Jahren nach dem Versterben des Versicherten keine Erben höherer Ordnung ermitteln lassen.
31Hingegen werden auch im Nachlassinsolvenzverfahren weder der wirkliche Erbe noch die Nachlassgläubiger schlechter gestellt, indem die Regelung in § 58 Satz 2 SGB I bereits auf die hier zugrunde liegende Konstellation angewendet wird. Auch insoweit gelten die gleichen Erwägungen wie im Verfahren der Nachlasspflegschaft oder der Nachlassverwaltung. Kommt es doch noch zur Feststellung des Fiskalerbrechts, greift die Regelung ohnehin. Findet sich hingegen ein anderer Erbe als der Fiskus, hat der Rentenversicherungsträger die noch ausstehende Leistung ggf mit Zinsen auszuzahlen.
323. Entgegen der Ansicht des Klägers hängt das Gegenrecht der Beklagten aus § 58 Satz 2 SGB I nicht davon ab, ob nach Beendigung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass des Versicherten aller Voraussicht nach ein Überschuss verbleibt, der dann im Fall eines Fiskalerbrechts an die Staatskasse auszukehren wäre. Auch in dieser Hinsicht bedarf es daher keiner ergänzenden Ermittlungen durch das LSG. Dass sich ein Rentenversicherungsträger bereits auf § 58 Satz 2 SGB I berufen kann, wenn ein Fiskalerbrecht ernsthaft in Betracht kommt, gilt unabhängig vom Nachlasswert.
33Wie der Senat bereits entschieden hat, ist der Fiskus generell von der Geltendmachung ererbter Ansprüche auf rückständige Rentenzahlungen ausgeschlossen und nicht nur für den Fall, dass der Nachlass auch ohne diese Ansprüche zur Befriedigung der Nachlassgläubiger ausreicht. Derartige Ansprüche sind für den Nachlass ohne Wert und stehen insbesondere nicht für die Befriedigung der Nachlassgläubiger zur Verfügung (vgl - juris RdNr 12). Diese Erwägungen gelten gleichermaßen für das Nachlassinsolvenzverfahren. Die Regelung in § 58 Satz 2 SGB I knüpft weder unmittelbar noch mittelbar an den Wert des Nachlasses an. Die Sozialleistungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind zudem nicht dazu berufen, den Wert eines Nachlasses festzustellen.
34Im Übrigen bewirken auch andere sozialrechtliche Bestimmungen, dass rückständige Renten nicht dem Nachlass zugutekommen, unabhängig von dessen Wert. So stehen bei einer Sonderrechtsnachfolge die Ansprüche auf rückständige Rentenzahlungen dem Sonderrechtsnachfolger zu (§ 58 Satz 1 iVm §§ 56, 57 SGB I) und fallen daher zur Befriedigung der Nachlassgläubiger mit ihren allein gegen die Erben gerichteten Forderungen aus. Dies gilt selbst im Fall eines überschuldeten Nachlasses (vgl - juris RdNr 12).
35V. Das LSG hat nicht verfahrensfehlerhaft gehandelt, indem es die Berufung des Klägers ohne Korrektur des erstinstanzlichen Tenors zurückgewiesen hat. Zwar ist die Klage, bezogen auf den Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG, lediglich "derzeit unbegründet" gewesen. Das Gegenrecht des Rentenversicherungsträgers aus § 58 Satz 2 SGB I endet, sobald ein anderer Erbe als der Fiskus ermittelt wird (vgl zu Folgeprozessen bei neuen Tatsachen zB G. Vollkommer in Zöller, ZPO, 35. Aufl 2024, Vor § 322 RdNr 56 ff). Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob das SG von einer einschränkungslosen Unbegründetheit der Klage ausgegangen ist. Selbst wenn man dies im Sinne des Klägers unterstellen würde, hätte ein darauf gründender etwaiger Verfahrensmangel nicht in das Berufungsverfahren fortgewirkt (vgl hierzu - juris RdNr 5; - juris RdNr 9). Die Einschränkung "derzeit unbegründet" ist nicht in die Entscheidungsformel eines klagabweisenden Urteils aufzunehmen (vgl - juris RdNr 4 mwN). Sie kann sich auch aus den ggf auszulegenden Entscheidungsgründen ergeben (vgl Feskorn in Zöller, ZPO, 35. Aufl 2024, § 313 RdNr 8 mwN; s hierzu auch - SozR 4-7837 § 2 Nr 31 RdNr 11 mwN). Eine Auslegung der Entscheidungsgründe des Berufungsurteils ergibt mit hinreichender Deutlichkeit, dass das LSG die Klage als lediglich "derzeit unbegründet" erachtet hat. So heißt es dort auf S 11 im zweiten Absatz, der Kläger könne keine Zahlung verlangen, "solange" der Fiskus als Erbe in Betracht komme.
36B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:270325UB5R224R0
Fundstelle(n):
OAAAJ-95627