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BGH Urteil v. - VIa ZR 630/22

Instanzenzug: OLG Celle Az: 7 U 660/20vorgehend LG Verden Az: 1 O 134/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Juli 2015 von einem Autohaus einen gebrauchten VW Touareg V6 Blue Motion 3.0 TDI, der mit einem von der AUDI AG hergestellten V6-3-Liter-Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist.

2Der Kläger hat die Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer bezifferten Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen sowie die Feststellung des Annahmeverzugs verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Gründe

3Die Revision hat Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisions-verfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Ein Anspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB bestehe nicht, weil sich dem Vortrag des Klägers die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nicht schlüssig entnehmen ließen. Es fehle bereits an der Passivlegitimation der Beklagten, weil keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass wenigstens ein an der Entscheidung über den Einsatz des Motortyps in Fahrzeugen der Beklagten beteiligter Repräsentant der Beklagten Kenntnis von der Verwendung einer unzulässigen Motorsteuerungssoftware gehabt habe. Zudem fehle es an hin-reichenden Anhaltspunkten dafür, dass das Inverkehrbringen des Fahrzeugs mit - unterstellt - unzulässigen Abschalteinrichtungen in dem Bewusstsein der Unrechtmäßigkeit geschehen und damit objektiv sittenwidrig sei. Dass im Fahrzeug des Klägers ein Prüfstandserkennungssystem bzw. eine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung zum Einsatz kämen, reiche für ein Bewusstsein der Unrechtmäßigkeit sowie für eine Täuschungsabsicht gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) nicht aus. Selbst wenn die temperatur-beeinflusste Steuerung der Abgasrückführung (Thermofenster) als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 anzusehen wäre, reichte der darin liegende - unterstellte - Gesetzesverstoß für den Vorwurf der Sittenwidrigkeit allein nicht aus. Eine in Betracht kommende fahrlässige Verkennung der Rechtslage genüge dafür nicht.

6Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 scheide aus, weil die Vorschriften nicht den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des einzelnen Fahrzeugerwerbers bezweckten und somit nicht dessen Interesse dienten.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB wegen des Fehlens einer Sittenwidrigkeit verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung des sogenannten "großen" Schadenersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11Die Berufungsentscheidung ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer                      Messing                      F. Schmidt

                   Ostwaldt                      Tausch

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:180625UVIAZR630.22.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-95564