Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 22 U 18/21vorgehend LG Darmstadt Az: 3 O 311/19
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Dezember 2017 einen gebrauchten Audi A 6 Avant 3.0 TDI V6, der mit einem Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet ist.
2Der Kläger hat unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung die Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie die Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und die Feststellung des Annahmeverzugs verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Gründe
3Die Revision hat Erfolg.
I.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Dem Kläger stehe gemäß §§ 826, 31 BGB kein Schadensersatzanspruch wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung zu. Er habe keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer „Abschaltlogik“ in seinem Fahrzeug aufgezeigt. Bei der behaupteten Funktion der Restreichweitenerkennung und der Aufwärmstrategie könne zu seinen Gunsten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass derartige Steuerungen als unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren seien. Da diese Abschalteinrichtungen indes keine Software zur Prüfstandserkennung enthielten, sei der Gesetzesverstoß nicht geeignet, das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich und damit sittenwidrig erscheinen zu lassen. Zu Gunsten des Klägers könne auch unterstellt werden, dass es sich bei dem vom Kläger beanstandeten Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Auch insofern fehle es an der Darlegung weiterer Umstände, die das Verhalten der Beklagten als besonders verwerflich erscheinen ließen.
6Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 4, 6 Abs. 1, §§ 25, 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, Art. 12, 18 der Richtlinie 2007/46/EG bestünden wegen des Fehlens einer Schutzgesetz-eigenschaft der genannten Vorschriften nicht.
II.
7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. Via ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
10Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung des sogenannten "großen" Schadenersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
11Die Berufungsentscheidung ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Messing F. Schmidt
Ostwaldt Tausch
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:180624UVIAZR486.22.0
Fundstelle(n):
CAAAJ-95563