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BGH Urteil v. - VIa ZR 351/22

Instanzenzug: Az: 6 U 141/21vorgehend Az: 17 O 238/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Mai 2016 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten VW Touareg TDI, der mit einem Sechszylinder-Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet ist.

2Der Kläger hat die Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer bezifferten Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen sowie die Feststellung des Annahmeverzugs verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Gründe

3Die Revision hat Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Das Landgericht habe zutreffend angenommen, dass die Beklagte hinsichtlich eines etwaigen Schadensersatzanspruchs aus §§ 826, 31 BGB nicht passivlegitimiert sei. Der Kläger habe nicht ausreichend dargelegt und unter Beweis gestellt, dass der in dem Fahrzeug eingebaute Dieselmotor von der Beklagten hergestellt worden sei. Aus dem von der Beklagten als Herstellerin des Fahrzeugs durchgeführten Typgenehmigungsverfahren könne nicht auf eine positive Kenntnis von den angegriffenen Abschalteinrichtungen geschlossen werden. Soweit sie in diesem Verfahren erklärt habe, das Fahrzeug entspreche den europarechtlichen Vorschriften, könne dies eine Haftung nach § 826 BGB nicht begründen; eine unzulässige Organisation des Typgenehmigungsverfahrens oder eine etwaige Verpflichtung zur Prüfung des Motors durch die Beklagte könnten den für die Haftung aus § 826 BGB erforderlichen Vorsatz nicht begründen. Ein solcher Verstoß könne allenfalls einen Fahrlässigkeitsvorwurf rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund komme es auf die Frage nicht an, ob eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege; dies gelte auch für den Vortrag des Klägers zum Thermofenster, weil auch insoweit nicht ersichtlich beziehungsweise nicht hinreichend vorgetragen sei, dass die Beklagte vorsätzlich gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt falsche Angaben gemacht habe.

6Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bestünden in den im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal stehenden Fällen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung des sogenannten "großen" Schadenersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11Die Berufungsentscheidung ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer                        Messing                        F. Schmidt

                    Ostwaldt                        Tausch

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:180625UVIAZR351.22.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-95562