Instanzenzug: Az: 21 U 3284/21vorgehend LG Ingolstadt Az: 82 O 554/19
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im März 2018 von einem Autohaus einen gebrauchten Audi A6 Avant 3.0 TDI, der mit einem Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet ist.
2Der Kläger hat die Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs verlangt. Hilfsweise hat der Kläger die Rückzahlung eines Teils des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung und die Freistellung des Klägers von künftigen Darlehensraten Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs und Abtretung des Anspruchs auf Übereignung sowie die Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen und die Feststellung des Annahmeverzugs verlangt. Das Landgericht hat der Klage mit dem Hilfsantrag überwiegend stattgegeben, nachdem es zunächst die Klage durch Versäumnisurteil abgewiesen hatte. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils das klageabweisende Versäumnisurteil aufrechterhalten. Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Gründe
3Die Revision hat Erfolg.
I.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Das Landgericht habe eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB wegen der Implementierung der Restreichweitenfunktion in die Motorsteuerungssoftware zu Unrecht bejaht. Es könne zwar unterstellt werden, dass es sich bei dieser Funktion um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele; der Vorwurf der Sittenwidrigkeit sei indes gegenüber der Beklagten nicht gerechtfertigt, weil es am Hinzutreten weiterer Umstände fehle, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Eine Haftung der Beklagten sei auch im Hinblick auf die weiteren beanstandeten Abschalteinrichtungen zu verneinen.
II.
6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
71. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht erwogen hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. Via ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
9Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung des sogenannten "großen" Schadenersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
10Die Berufungsentscheidung ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
11Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Messing F. Schmidt
Ostwaldt Tausch
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:180625UVIAZR156.22.0
Fundstelle(n):
IAAAJ-95561