Instanzenzug: Az: 8 U 6927/21vorgehend LG Ingolstadt Az: 31 O 3930/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Juni 2015 von einem Dritten einen gebrauchten Audi A6 Avant 3.0 TDI, der mit einem Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist.
2Der Kläger hat unter Anrechnung einer bezifferten Nutzungsentschädigung Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen zuzüglich Finanzierungkosten Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahr-zeugs und die Feststellung des Annahmeverzugs sowie Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Gründe
3Die Revision hat Erfolg.
I.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisions-verfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Der Kläger habe keine Schadensersatzansprüche gemäß §§ 826, 31 BGB wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung. Für die Annahme von Sittenwidrigkeit bedürfe es neben dem Vorliegen von nach den europarechtlichen Vorschriften unzulässigen Abschalteinrichtungen zusätzlicher Umstände. Deshalb könne insbesondere die Unzulässigkeit des unstreitig in dem Fahrzeug verbauten Thermofensters unterstellt werden. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit setze voraus, dass die seitens der Beklagten handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems im Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten. Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden, ergäben sich aus dem Vortrag des Klägers nicht. Dies gelte umso mehr, als es sich bei dem Thermofenster um einen gängigen Industriestandard handele, der dem KBA zum Zeitpunkt der Typgenehmigung für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp durchaus bekannt gewesen sei.
6Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV beziehungsweise Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 stehe dem Kläger nicht zu, weil der geltend gemachte Schaden nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht vom Schutzzweck der vorgenannten Vorschriften erfasst sei.
II.
7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB wegen des Fehlens einer Sittenwidrigkeit verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
10Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung des sogenannten "großen" Schadenersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
11Die Berufungsentscheidung ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Messing F. Schmidt
Ostwaldt Tausch
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:180625UVIAZR1410.22.0
Fundstelle(n):
RAAAJ-95558