Instanzenzug: Az: 22 KLs 2/20
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Bedrohung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und eine Kompensationsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete und auf die Rügen der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet.
2Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
31. Die Revision rügt zu Recht einen Verstoß gegen § 261 StPO im Fall II.2 der Urteilsgründe, weil das Landgericht seine Überzeugung von den Verletzungen des Geschädigten auf eine Urkunde gestützt hat, die weder verlesen noch auf sonstige Weise zum Inbegriff der Hauptverhandlung geworden ist. Der Senat schließt mit Blick auf die vom Landgericht zur Überzeugungsbildung herangezogenen weiteren Beweismittel ‒ insbesondere die für glaubhaft erachteten Angaben des Geschädigten zu Art, Intensität und Folgen der Misshandlungen, die hiermit korrespondierenden Angaben einer Polizeibeamtin sowie die in Augenschein genommenen Lichtbilder von den Verletzungen des Geschädigten – aus, dass das Urteil im Schuld- oder im Strafausspruch auf diesem Rechtsfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).
42. Die Verfahrensrüge einer Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO hat keinen Erfolg. Entgegen der Auffassung der Revision ist das am angebrachte Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden nicht mit Unrecht verworfen worden.
5a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
6aa) Der Vorsitzende kündigte am 12. Hauptverhandlungstag, dem , an, die Beweisaufnahme schließen zu wollen. Anträge von Verteidigerseite wurden weder gestellt noch angekündigt. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft wies darauf hin, dass hinsichtlich des Anklagevorwurfs 4 eine Beschränkung der Strafverfolgung noch nicht beschlossen und die tateinheitliche Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz noch nicht von der Verfolgung ausgenommen worden sei; sie regte an, insoweit nach § 154a Abs. 2 StPO zu verfahren. Der Verteidiger kündigte an, im Hinblick auf den Tatvorwurf eines Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz einen Beweisantrag stellen zu wollen. Im Anschluss hieran verkündete der Vorsitzende den Beschluss, dass ein möglicher Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz von der Strafverfolgung ausgenommen werde. Der Angeklagte lehnte den Vorsitzenden daraufhin wegen „Verletzung des Abstimmungsverhaltens und des Kammerprivilegs“ sowie des hierdurch begründeten „Verdachts der Befangenheit“ ab und führte zur Begründung aus, der Vorsitzende habe den Beschluss über die Beschränkung der Strafverfolgung ohne Beratung verkündet und durch sein eigenmächtiges Verhalten das „Spruchprivileg der gesamten Richter nach § 76 GVG unheilbar verletzt“ sowie dem Angeklagten das rechtliche Gehör versagt.
7bb) Die Strafkammer hat das Ablehnungsgesuch vom unter Mitwirkung des abgelehnten Vorsitzenden am selben Tag gemäß § 26a Abs. 2 Sätze 1 und 2 StPO als unzulässig verworfen, weil die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppen solle (§ 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO). Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft habe in der Hauptverhandlung am eine entsprechende Vorgehensweise angeregt, die mit den Verfahrensbeteiligten erörtert worden sei; im Anschluss daran habe die Strafkammer die Frage der Beschränkung beraten und entschieden, einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft folgen zu wollen. Lediglich irrtümlich sei der Vorsitzende davon ausgegangen, dass die Entscheidung der Kammer auch bereits protokolliert worden sei. Die Protokollierung sei nach dem Hinweis der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft am nachgeholt worden. Auch eine Gehörsverletzung liege nicht vor. Der Versuch, aus einer für den Angeklagten ausschließlich positiven Beschränkung der Strafverfolgung eine Befangenheit herzuleiten, sei zur Rechtfertigung des Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet. Aus der Gesamtschau des Gesuchs sowie des Zeitpunkts seiner Anbringung am Ende der Beweisaufnahme und zeitnah nach Ablehnung eines Aussetzungsantrags werde deutlich, dass das Ablehnungsgesuch offensichtlich ausschließlich eine Verzögerung der Hauptverhandlung bezwecke.
8cc) Mit ihrer Rüge einer Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG macht die Revision eine Verletzung des gesetzlichen Richters im Ablehnungsverfahren sowie eine rechtsfehlerhafte Behandlung des Befangenheitsgesuchs geltend und trägt im Wesentlichen vor, die Frage einer Verfahrensbeschränkung sei entgegen den Darlegungen in dem angegriffenen Beschluss zuvor nicht von den Mitgliedern der Strafkammer erörtert worden; der Vorsitzende habe diese ohne vorhergehende Beratung mit dem Spruchkörper beschlossen und sich damit „einseitige Entscheidungsmacht angemaßt“; zugleich habe er sein rechtliches Gehör verletzt.
9b) Die Verfahrensrüge hat keinen Erfolg. Die unter Mitwirkung des Vorsitzenden erfolgte Verwerfung des Befangenheitsgesuchs gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO beruht nicht auf einer willkürlichen oder die Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennenden Rechtsanwendung (vgl. ‒ 5 StR 180/05, BGHSt 50, 216).
10aa) Zwar ist die Vorschrift des § 26a StPO, die ein vereinfachtes Ablehnungsverfahren im Interesse der Verfahrensbeschleunigung vorsieht und es dem abgelehnten Richter gestattet, an der Entscheidung über ein gegen ihn gerichtetes Befangenheitsgesuch mitzuwirken, als Ausnahmevorschrift eng auszulegen und auf klare Fälle eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs zu beschränken (vgl. BVerfG, NJW 2005, 3410, 3411 f.). Eine Entscheidung nach § 26a StPO kommt daher nur in Fällen einer echten Formalentscheidung oder zur Verhinderung eines Missbrauchs des Ablehnungsrechts in Betracht. In allen anderen Fällen, in denen die Entscheidung des Ablehnungsgesuchs eine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters erfordert und er dadurch zum „Richter in eigener Sache“ würde, scheidet eine Verfahrensweise nach § 26a StPO aus (vgl. ‒ 5 StR 53/14, NStZ 2015, 175; BVerfG, NJW 2005, 3410, 3412). Dies gilt auch für die Anwendung des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 129/07, wistra 2008, 267; vom – 4 StR 443/07, NStZ 2008, 523, 524; vom – 1 StR 544/09, NStZ 2011, 294). Ein Verstoß gegen die Zuständigkeitsregelungen der §§ 26a, 27 StPO führt indes nicht stets, sondern nur dann zu einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn die Vorschriften willkürlich angewendet werden oder die richterliche Entscheidung die Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie verkennt (vgl. BVerfG, NJW 2005, 3410, 3411; , BGHSt 50, 216, 219 f.). Dagegen liegt bei einer „nur“ schlicht fehlerhaften Anwendung der Zuständigkeitsvorschriften ein Verfassungsverstoß nicht vor (vgl. BVerfG, aaO).
11bb) Gemessen hieran ist die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig weder willkürlich noch lässt sie eine Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erkennen. Die Strafkammer hat es gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO mit der formalen Begründung verworfen, dass die Frage einer Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO vor der Antragstellung durch die Sitzungsvertreterin beraten und – bestätigt durch die dienstlichen Erklärungen der Berufsrichter und der Sitzungsvertreterin – an einem vorangegangenen Sitzungstag mit den Verfahrensbeteiligten erörtert worden war. Eine offensichtlich unhaltbare Auslegung und Anwendung des Verwerfungsgrunds gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO lag in alledem nicht.
Bartel Feilcke Wenske
Fritsche von Schmettau
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:161224B6STR226.24.0
Fundstelle(n):
NAAAJ-95059