Instanzenzug: Az: 2 StR 598/24 Beschlussvorgehend LG Aachen Az: 98 KLs 3/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten K. unter Freisprechung im Übrigen wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit „gemeinschaftlicher“ gefährlicher Körperverletzung und wegen „gemeinschaftlichen schweren“ Raubes in vier Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren verurteilt und gegen ihn eine Einziehungsentscheidung getroffen. Es hat den Angeklagten B. des „gemeinschaftlichen“ versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit „gemeinschaftlicher“ gefährlicher Körperverletzung, der Beihilfe zum „gemeinschaftlichen schweren“ Raub und der „vorsätzlichen“ Körperverletzung schuldig gesprochen, seine Schuld festgestellt und die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Die wirksam zulasten der Angeklagten auf den Schuldspruch im Fall 7 der Urteilsgründe und auf die Rechtsfolgenaussprüche mit Ausnahme der die Fälle 4 bis 6 und 8 der Urteilsgründe betreffenden Einziehungsentscheidung beschränkten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg.
I.
2Das Landgericht ist in Bezug auf Fall 7 der Urteilsgründe, soweit für die Revisionen von Bedeutung, zu folgenden Feststellungen und Wertungen gelangt:
31. Die Angeklagten waren übereingekommen, am Abend des gemeinsam eine Tankstelle zu überfallen. Sie betraten maskiert, der Angeklagte K. mit einem Brotmesser bewaffnet, den Kassenraum. K. geriet in einen Kampf mit dem anwesenden Ku., der der Kassiererin beistand. Im Kampfgeschehen, in dem der Angeklagte K. Ku.mit bedingtem Tötungsvorsatz fünf potentiell lebensgefährliche Stichverletzungen beibrachte, verlor K.das Messer. K. erkannte die Möglichkeit, ohne das Messer von Ku. überwunden zu werden. Um unerkannt zu fliehen und ohne sich über die weitere Ausführung des Raubes Gedanken zu machen, rannte er aus dem Raum.
4Der Angeklagte K. handelte bei den Stichen aus einem Bündel von Motiven. Er hatte die Absicht, Ku. durch Gewalt dazu zu bringen, die Wegnahme von Geld aus der Kasse zu dulden. Hinzu trat eine starke affektive Erregung darüber, dass der ursprüngliche Plan eines Raubes sich ohne nennenswerten Widerstand nicht verwirklichen ließ. Andererseits fühlte er sich durch einen fehlgegangenen ersten Schlag Ku.s mit einer Metallstange provoziert und wollte darauf seinerseits mit Gewalt reagieren.
5Bevor Ku. zu Boden ging, hatte der Angeklagte B. Glasfläschchen aus der Kassenauslage mit großer Wucht nach den Kämpfenden geworfen, um den Angeklagten K. bei dessen Angriff zu unterstützen. B. hatte den Einsatz des Messers und die generelle Eignung der Stiche erkannt, lebensgefährliche Verletzungen zu verursachen, die er billigend in Kauf nahm. Dass auch er einen Tötungsvorsatz gefasst hatte, konnte die Jugendkammer nicht feststellen. Kurz bevor der Angeklagte K. im Kampf das Messer verlor, warf B. eine letzte Flasche ungezielt hinter den Tresen, drehte sich um und lief hinaus. Er hatte erkannt, dass Ku. sich weder durch die Messerattacken noch durch die Flaschenwürfe von seiner heftigen Gegenwehr abhalten ließ. Andererseits war er bei seiner Flucht nicht sicher, dass auch K., der das Messer noch nicht fallengelassen hatte, die weitere Ausführung des Überfalls aufgeben würde. Die Jugendkammer konnte nicht feststellen, dass der Angeklagte K. in der Dynamik des Geschehens die Flaschenwürfe bemerkte.
62. Die Jugendkammer hat den Angeklagten K. in diesem Fall des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB schuldig gesprochen. Der Angeklagte K. sei vom Raubversuch durch die Aufgabe der weiteren Ausführung strafbefreiend zurückgetreten. Der Versuch sei nicht fehlgeschlagen, sondern unbeendet gewesen. K. sei es objektiv möglich gewesen, sich nach dem Messer hinunterzubeugen und zu versuchen, sich damit doch noch gegen Ku. durchzusetzen. K. sei auch nicht subjektiv davon ausgegangen, den Raub nicht mehr vollenden zu können. Vielmehr habe er sich über die Erfolgsaussichten einer Vollendung keine Gedanken gemacht, da für ihn im Vordergrund gestanden habe, unerkannt zu fliehen. Da der Angeklagte B. den Raum zuvor verlassen habe, habe K. durch sein eigenes Abstandnehmen von der weiteren Tatausführung die Vollendung im Sinne des § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB verhindert. K. sei indes nicht vom Versuch des Totschlags zurückgetreten. Der Versuch sei beendet gewesen, da der Angeklagte den Eintritt des Todes als Folge der bereits geführten Stiche für möglich gehalten habe, als er von Ku. abließ und floh. Deshalb habe zu einem strafbefreienden Rücktritt vom Tötungsversuch nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB nicht ausgereicht, dass er lediglich vom Tatort geflohen sei, anstatt sich um den Verletzten zu kümmern oder Hilfe herbeizurufen. Der Tat des K. habe kein Mordmerkmal zu Grunde gelegen. Es könne kein Hauptmotiv zweifelsfrei festgestellt werden, welches der Tat stärker als alle anderen ihr Gepräge gegeben habe und nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehe.
73. Den Angeklagten B. hat die Jugendkammer in diesem Fall des versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB schuldig gesprochen. Der Raubversuch des B. sei nach den Tatbestandsalternativen des § 250 Abs. 1 Nr. 1 und 3 Buchst. b StGB qualifiziert, da B. der Einsatz des Messers zuzurechnen sei. Von diesem Versuch sei B. nicht zurückgetreten. Auch aus seinem Rücktrittshorizont sei der Versuch nicht fehlgeschlagen, sondern unbeendet gewesen. Für B. sei indes bloße Untätigkeit oder bloßes Nichtweiterhandeln nicht ausreichend gewesen, die Vollendung im Sinne des § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB zu verhindern. Aus seiner Sicht habe nicht festgestanden, dass allein das eigene Abstandnehmen von der Unterstützung K. s die Vollendung der Raubtat verhindern werde. Für B. sei ein Tötungsvorsatz nicht feststellbar. Durchgreifend gegen die Annahme des voluntativen Vorsatzelements spreche, dass er in den Wochen zuvor nicht als Täter anderer Überfälle vor Ort gewesen sei und sich auch nach dem Überfall vom nicht mehr an weiteren Taten beteiligt, vielmehr aus Sorge um einen möglichen Tod Ku. s gegenüber anderen Angehörigen seiner Clique Suizidabsichten geäußert habe.
II.
8Die zulasten des Angeklagten K. geführte Revision ist begründet.
91. Allerdings bestand auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen für die Jugendkammer kein Anlass, den Angeklagten wegen eines versuchten Verdeckungsmordes zu verurteilen. Handelte der Angeklagte K. von Beginn der mit Tötungsvorsatz geführten Stiche an zumindest auch in der Absicht, die Wegnahme des Kasseninhalts zu ermöglichen, fehlte es an einer zu verdeckenden Vortat, selbst wenn er im Zuge der Tatausführung den Tötungserfolg auch deshalb herbeiführen wollte, um seine vorherigen Tathandlungen zu verdecken. Allein das Hinzutreten der Verdeckungsabsicht als weiteres Tötungsmotiv macht die davor begangenen Einzelakte bei durchgängigem Tötungsvorsatz nicht zu einer anderen Tat (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 370/16, NStZ 2017, 583; vom – 1 StR 160/18, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Verdeckung 21, und vom – 4 StR 134/19, NJW 2020, 2421, 2423 f. Rn. 18; MüKo-StGB/Schneider, 4. Aufl., § 211 Rn. 235, jew. mwN).
102. Die Begründung, mit der das Landgericht einen Rücktritt des Angeklagten K. vom unbeendeten, nach Auffassung der Jugendkammer nicht fehlgeschlagenen Versuch eines Raubes angenommen und deshalb von einer Verurteilung wegen dieses Delikts Abstand genommen hat, hält indes rechtlicher Überprüfung nicht stand.
11a) Die Jugendkammer ist zwar im rechtlichen Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass ein Versuch fehlgeschlagen ist, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte, liegt ein Fehlschlag vor und scheidet ein Rücktritt vom Versuch nach allen Varianten des § 24 Abs. 1 oder 2 StGB aus (st. Rspr.; vgl. nur , NStZ 2019, 198, und vom – 5 StR 406/23, Rn. 22; jew. mwN).
12b) Hatte nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils der Angeklagte K. nach dem Verlust des Messers die Möglichkeit erkannt, ohne dieses von Ku. überwunden zu werden, und stand für ihn nun im Vordergrund, unerkannt zu fliehen, war aber entgegen der Auffassung der Jugendkammer nach diesem Maßstab aus seiner Sicht die Vollendung gescheitert. Sie hätte erfordert, des Messers wieder habhaft zu werden und Ku. unter dessen Einsatz erneut zu bekämpfen und zu überwinden, was dem Angeklagten schon im Kampf bis zum Verlust des Messers nicht gelungen war. Zudem hätten das anschließende Öffnen der Kasse und die Entnahme des Bargelds einen weiteren nicht unerheblichen Zeitaufwand erfordert und damit die Gefahr der Aufdeckung der Täterschaft des Angeklagten, die zu verhindern ihn nach den Feststellungen inzwischen gedanklich beherrschte, erheblich erhöht. Ein strafbefreiender Rücktritt kam dann entgegen der Annahme des Landgerichts nicht mehr in Betracht.
13c) Der Rechtsfehler zieht die Aufhebung des Schuldspruchs wegen der tateinheitlich verwirklichten Delikte nach sich, auch wenn die Schlüsse, die die Jugendkammer auf das Bündel an Motiven des Angeklagten für die mit bedingtem Tötungsvorsatz geführten Stiche gezogen hat, für sich gesehen nicht zu beanstanden sind.
143. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall 7 der Urteilsgründe entzieht dem Rechtsfolgenausspruch mit Ausnahme der vom Revisionsangriff ausgenommenen und andere Fälle betreffenden Einziehungsentscheidung die Grundlage. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Im Übrigen hebt der Senat die Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
III.
15Das zulasten des Angeklagten B. geführte Rechtsmittel ist ebenfalls begründet.
161. Die Erwägung, mit der das Landgericht das voluntative Element eines bedingten Tötungsvorsatzes betreffend den Angeklagten B. verneint hat, hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die zugrundeliegende tatsächliche Feststellung ist durch die Beweiswürdigung der Jugendkammer nicht belegt. Das führt auch für diesen Angeklagten zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall 7 der Urteilsgründe.
17a) An die Bewertung der Einlassung eines Angeklagten sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel. Das Tatgericht ist aufgrund des Zweifelssatzes nicht gehalten, Bekundungen des Angeklagten, für deren Richtigkeit es keine zureichenden Anhaltspunkte gibt, ohne Weiteres als unwiderlegt hinzunehmen, nur weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt. Vielmehr hat es sich aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme eine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit solcher Angaben zu bilden (st. Rspr.; vgl. , Rn. 31, und vom – 3 StR 20/24, Rn. 13, jew. mwN). Dies gilt umso mehr, wenn objektive Beweisanzeichen festgestellt sind, die mit Gewicht gegen den Wahrheitsgehalt der Einlassung des Angeklagten sprechen (, NStZ-RR 2014, 344, 345). Wertet das Tatgericht Teile der Angaben als unzutreffende Schutzbehauptungen, sind die weiteren Teile als möglicherweise ebenfalls wahrheitswidriges Verteidigungsvorbringen besonders kritisch zu betrachten (, NStZ-RR 2007, 321, und vom – 3 StR 20/24, Rn. 13, jew. mwN).
18b) Die dem Angeklagten B. zugeschriebene Äußerung eigener Suizidabsichten in der Zeit der Ungewissheit über das Schicksal des Geschädigten, auf die die Jugendkammer die aus ihrer Sicht durchgreifenden Erwägungen zu seinem Nachtatverhalten gestützt hat, lässt sich seiner im Urteil wiedergegebenen eigenen Einlassung nicht entnehmen. Ihre Schilderung entstammt vielmehr der Einlassung des Angeklagten K. und teilt, wie der Generalbundesanwalt zutreffend hervorhebt, den fehlenden Glaubhaftigkeitsgehalt von dessen Schilderung seiner eigenen Empfindungen im Anschluss an die Tat, in die er sie eingebettet hat. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Jugendkammer das voluntative Element des bedingten Tötungsvorsatzes nicht verneint hätte, hätte sie dies bedacht.
192. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall 7 der Urteilsgründe entzieht auch für den Angeklagten B. dem Rechtsfolgenausspruch die Grundlage. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind wiederum von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Im Übrigen hebt der Senat auch hier die Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
20Die neu verhandelnde Jugendkammer wird, sofern sie zur Feststellung eines bedingten Tötungsvorsatzes des Angeklagten B. gelangt, im Übrigen zu bedenken haben, dass Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB) ein erfolgsqualifiziertes Delikt ist, das – wie von der Jugendkammer betreffend den Angeklagten K. im Grundsatz zutreffend erkannt – auch versucht werden kann, indem der Einsatz der im Sinne des § 249 StGB tatbestandsmäßigen Gewalt eine zugleich (bedingt) vorsätzlich vorgenommene Tötungshandlung ist, die aber den qualifizierten Erfolg nicht herbeiführt (sog. versuchte Erfolgsqualifizierung, vgl. , BGHSt 64, 80, 85 Rn. 12).
IV.
21Die umfassende Nachprüfung des Urteils im Umfang seiner Anfechtung (vgl. , BGHR StPO § 400 Abs. 1 Prüfungsumfang 5) hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 301 StPO).
Menges Zeng Meyberg
Zimmermann Herold
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:260325U2STR598.24.0
Fundstelle(n):
TAAAJ-94889