Instanzenzug: Az: 3 Ks 41 Js 6119/24
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Es hat ferner eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Der Angeklagte wendet sich mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Das Rechtsmittel ist begründet.
I.
2Das Landgericht hat – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
31. Der Angeklagte entschloss sich spätestens am Vormittag des dem Geschädigten – einem Lehrer an der S. schule in U. – mit einem Schlaggegenstand ähnlich einem Baseballschläger eine körperliche Abreibung zu erteilen.
4Hierzu fuhr er am gegen 11.20 Uhr mit einem Pkw zu einer ca. 350 Meter Luftlinie von der Schule entfernten Wendeplatte. Er stellte das Fahrzeug dort ab und begab sich zu Fuß in die Nähe des Schulgeländes, um den Geschädigten abzupassen. Nachdem der Lehrer – anders als vom Angeklagten erwartet – das Schulgebäude nicht um 12.00 Uhr verlassen hatte, ging der Angeklagte zunächst zu der Wendeplatte zurück, um sich ca. 40 Minuten später erneut in Richtung S. schule aufzumachen. Sodann wartete er bis kurz nach 14.00 Uhr – das Schulgelände stets im Blick behaltend – vor einer ca. 50 Meter von dem Schulhof entfernten Garage auf den Geschädigten. Als er sich von zwei Passantinnen beobachtet und ertappt fühlte, kehrte er zu der Wendeplatte zurück und fuhr mit dem Pkw zu einem Ort in ca. 400 Meter Entfernung zu der Wendeplatte, in dessen Nähe Freunde und Bekannte von ihm wohnten, um zu überlegen, wie er weiter vorgehen wolle.
5Nachdem sich der Angeklagte entschlossen hatte, sein Vorhaben, dem Geschädigten eine körperliche Abreibung zu erteilen, weiterzuverfolgen, fuhr er gegen 15.30 Uhr nicht ausschließbar gemeinsam mit einer weiteren unbekannten Person zur Wendeplatte zurück. Von dort begab sich die unbekannte Person zum Schulgelände und wirkte zwischen 16.00 Uhr und 16.07 Uhr mittels eines Schlaggegenstandes derart massiv auf den Kopf des Lehrers ein, dass dieser zu Boden sank und bewusstlos liegenblieb. Das Opfer trug u.a. mehrere Schädelfrakturen sowie Blutungen zwischen den Hirnhäuten davon und wäre ohne sofortige medizinische Hilfe verstorben. Die erlittenen Verletzungen führten zu deutlichen kognitiven und starken körperlichen Leistungsdefiziten sowie einer dauerhaft hundertprozentigen Erwerbsminderung.
6Als der Geschädigte am Boden lag, ergriff der Täter die Flucht und lief zur Wendeplatte, wo der Angeklagte auf ihn wartete. Beide fuhren sodann in Richtung der Wohnanschrift des Angeklagten.
7Der Angeklagte musste die unbekannte Person von der Tatausführung nicht überzeugen; diese war hierzu bereits entschlossen. Er rechnete zwar nicht mit der Möglichkeit, der Täter werde den Geschädigten derart massiv verletzen, dass dieser schwere dauerhafte Schäden davontrage, ging aber davon aus, der Lehrer werde jedenfalls "einfache Knochenbrüche" erleiden.
82. Das Landgericht hat seine Überzeugungsbildung vorwiegend auf die Bewegungsdaten des Mobiltelefons des Angeklagten gestützt, aus denen und den Bluetooth-Verbindungen des Handys mit einem Pkw es schloss, dass sich der Angeklagte mit einem Auto zu den festgestellten Zeiten zu der Wendeplatte begab. Als weitere Beweismittel hat es u.a. die Aussagen mehrerer Passanten bzw. Anwohner herangezogen, die im Bereich der Garage und auf dem Weg von der S. schule zur Wendeplatte am Mittag des eine auffällige männliche Person mit Sporttasche wahrgenommen hatten. Darüber hinaus konnte an im Bereich der Garage aufgefundenen Zigarettenkippen DNA des Angeklagten festgestellt werden, wenngleich die Strafkammer insoweit nicht hat ausschließen können, dass die Zigarettenstummel nicht vom Tattag stammten.
9Weil sich das Landgericht anhand der erhobenen Beweise keine sichere Überzeugung davon hat bilden können, dass der Angeklagte die Tat eigenhändig ausführte, ist es zu seinen Gunsten davon ausgegangen, eine andere Person, die zur Tat bereits entschlossen war, habe den Anschlag auf den Geschädigten verübt; der Angeklagte habe lediglich als Fahrer des Fluchtfahrzeuges und damit als Gehilfe zu der Tat beigetragen.
10Die Strafkammer hat den Angeklagten deshalb wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung sie zur Bewährung ausgesetzt hat.
II.
11Die Revision des Angeklagten ist begründet. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hält – auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs – sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
121. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen ein Denkgesetz oder einen gesicherten Erfahrungssatz verstößt (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 10 mwN). Lückenhaft ist die Beweiswürdigung, wenn sich das Tatgericht nicht mit allen wesentlichen, den Angeklagten belastenden und entlastenden Indizien auseinandergesetzt hat. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass das Tatgericht die für den Schuldspruch bedeutsamen Beweise erschöpfend gewürdigt, dass es die entscheidungserheblichen Umstände erkannt, in seine Überlegungen einbezogen und in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat; eine Beweiswürdigung, die Feststellungen nicht in Betracht zieht, welche geeignet sind, die Entscheidung zu beeinflussen, oder naheliegende Schlussfolgerungen nicht erörtert, ist rechtsfehlerhaft (vgl. Rn. 10 mwN).
132. Gemessen an diesen Maßstäben leidet die Beweiswürdigung an einem durchgreifenden Erörterungsmangel und erweist sich deshalb als rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat sich nicht mit allen wesentlichen, sich aufdrängenden Gesichtspunkten auseinandergesetzt, die geeignet waren, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. Rn. 9 mwN), denn es hat sich nicht mit der Möglichkeit eines Alternativtäters auseinandergesetzt.
14Zwar ist das Tatgericht von Rechts wegen nur gehalten, sich mit konkret in Frage kommenden Sachverhaltsvarianten und möglichen Alternativtätern auseinander zu setzen, wenn hierfür Anhaltspunkte bestehen ( Rn. 19). Angesichts der insgesamt schwierigen Beweislage und des Umstandes, dass sich die Überzeugungsbildung des Landgerichts vorwiegend auf die Bewegungsdaten des Mobiltelefons des Angeklagten stützt, hätte es aber nahegelegen, zu erörtern, ob sich ausschließlich das Handy des Angeklagten jeweils zu den festgestellten Zeiträumen in der Nähe der Schule befand oder auch die Mobiltelefone anderer Personen, die als Täter in Betracht kommen könnten. Dies war nicht zuletzt vor dem Hintergrund geboten, als nicht nur der Angeklagte, sondern auch mehrere andere ein Motiv hatten, sich an dem Geschädigten zu rächen. Die Strafkammer hat die Triebfeder des Angeklagten für die Tat nicht sicher aufklären können, als möglichen oder naheliegenden Grund jedoch eine Rachehandlung für sexuelle Übergriffe des Geschädigten auf minderjährige Schüler gesehen. Diese Mutmaßung hat sie auf die Äußerungen des Angeklagten in einem Gruppenchat vom gestützt, in dem das Thema Missbrauch durch den Geschädigten erörtert worden war. Schon daraus ist jedoch zu schließen, dass mehrere andere Personen von dem Missbrauchsverdacht Kenntnis hatten, von dem der Angeklagte, anders als drei Schüler aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis, selbst noch nicht einmal betroffen war.
15Aus den Ausführungen des Landgerichts ergibt sich ferner nicht, ob und gegebenenfalls mit welchem Ergebnis geklärt werden konnte, mit welchem Kraftfahrzeug sich das Mobiltelefon des Angeklagten auf dem Weg zum Tatort verband. Auch dies ist ein wesentlicher Gesichtspunkt, der für oder gegen eine Täterschaft des Angeklagten sprechen kann und deswegen der Erörterung bedurft hätte.
16Schließlich ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht, warum die Strafkammer davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe sich am Mittag des alleine in der Nähe des Tatorts aufgehalten, um eine günstige Gelegenheit zur Tat abzuwarten, während er zur späteren Tatzeit nur als Fahrer des tatsächlichen Täters fungierte. Die vom Landgericht betreffend die Tatzeit in Betracht gezogenen Zweifel bestehen für das Geschehen am Mittag gleichermaßen.
Jäger Wimmer Leplow
Allgayer Welnhofer-Zeitler
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:130525B1STR169.25.0
Fundstelle(n):
RAAAJ-94881