1) Die angegriffenen Betriebsschließungen des Einzelhandels vom bis einschließlich zum stellen sich angesichts der damaligen Corona-Lage als notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a.F. dar.
2) Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit von Maßnahmen zum Schutz vor COVID-19 hatte der Verordnungsgeber einen tatsächlichen Einschätzungsspielraum, der sich darauf bezog, die Wirkung der von ihm gewählten Maßnahmen im Vergleich zu anderen, weniger belastenden Maßnahmen zu prognostizieren. Maßgeblich ist die Erkenntnislage bei Erlass der Verordnung (ex-ante-Sicht).
3) Bei der Regelung eines dynamischen Infektionsgeschehens sind die sich aus dem Gleichheitssatz ergebenden Grenzen für die Infektionsschutzbehörde grundsätzlich weniger streng. Ein gewichtiger, wiederholter und länger andauernder Eingriff in ein Freiheitsrecht erhöht jedoch die Anforderungen an die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung.
4) Für die gleichheitsbezogene Abwägungsrelation hat der Gesetzgeber durch die Schaffung des § 28a Abs. 6 Satz 3 IfSG a.F. verdeutlicht, dass die Exekutive abstrakte Priorisierungsentscheidungen treffen darf.
5) Verkaufsstellen mit einem Mischsortiment, das im Schwerpunkt privilegierte Waren umfasste, durften von den Betriebsschließungen ausgenommen werden, da ihre Einbeziehung zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit nicht zwingend erforderlich i.S.d. § 28a Abs. 6 Satz 3 IfSG a.F. gewesen ist und durch die Regelung auch im Übrigen die widerstreitenden Interessen in einen angemessenen Ausgleich gebracht worden sind.
a) Die Annahme des Verordnungsgebers, dass es durch die Öffnung der Verkaufsstellen mit einem schwerpunktmäßig privilegierten Sortiment nicht zu einem nennenswerten Anstieg der Infektionsgefahr kommen wird, begegnet jedenfalls keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
b) Der Antragsgegner durfte überdies davon ausgehen, dass das gezielte Aufsuchen einer Verkaufsstelle, die ein gemischtes Sortiment anbietet, allein zum Einkaufen nicht privilegierter Ware einen Ausnahmefall bilden und folglich nicht zu einer erheblichen Wettbewerbsverzerrung führen wird, und dass nicht privilegierte Waren innerhalb solcher Verkaufsstellen in der Regel Randsortimente bilden und diejenigen Waren, die der Grundversorgung der Bevölkerung dienen, einen deutlichen Schwerpunkt darstellen werden.
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OVG Niedersachsen, Urteil v. 01.06.2023 - 14 KN 36/22