Lohnsteuerhaftung: Keine Verpflichtung des
Betriebsstätten-Finanzamts zur sog. Schattenveranlagung bei fehlerhafter
Einbehaltung der Lohnsteuer für beschränkt Steuerpflichtige
Leitsatz
Trotz der substantiellen Einwendungen eines Teils des steuerrechtlichen Schrifttums spricht für das Gericht Überwiegendes
dafür, dass der Haftungstatbestand mit dem Entstehen der Einkommensteuer mit Ablauf des Kalenderjahres (§ 36 Abs. 1 EStG)
weiterhin an den Lohnsteueranspruch und nicht an den bereits entstandenen Einkommensteueranspruch anknüpft. Damit bleibt die
vorläufig entstandene Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers Grundlage der Haftung, und nicht dessen Einkommensteuerschuld. Der
Wortlaut des § 38a Abs. 1 Satz 1 EStG (Jahreslohnsteuer) und § 42d Abs. 1 Nr. 1 und 3 EStG sprechen dafür, dass sich die Haftung
nach Ablauf des Kalenderjahres auf diese Jahreslohnsteuer bezieht und nicht auf eine zu diesem Zeitpunkt entstehende Einkommensteuer
des Arbeitnehmers.
Auch steuersystematisch ist diese Auslegung geboten. § 42d EStG ist Teil der Steuererhebungsvorschriften. Das EStG trennt
streng nach Lohnsteuerabzugsverfahren und Veranlagungsverfahren (§ 46 EStG). Das Lohnsteuerabzugsverfahren beschränkt sich
auf die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und hat keine Bindungswirkung für die für ein späteres Veranlagungsverfahren.
Aus den gleichen Gründen ist auch nicht von Belang, ob eine abgegebene Einkommensteuererklärung wie im Streitfall infolge
Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht in einen Einkommensteuerbescheid mündet oder sich aufgrund von vorgelegten Berechnungen
ggf. eine geringere Einkommensteuerschuld ergibt. Alles andere würde dazu führen, dass das Betriebsstättenfinanzamt des Arbeitgebers
in solchen Fällen sog. Schattenveranlagungen durchführen und die Aufgaben des Veranlagungsfinanzamts übernehmen müsste. Eine
derartige Vermischung von Lohnsteuerabzugs- und Veranlagungsverfahren wäre steuersystematisch verfehlt und verfassungsrechtlich
nicht geboten. Denn danach ist die Haftung für die Jahreslohnsteuer ohne Betrachtung der tatsächlichen Einkommensteuerschuld
keine Strafsteuer. Diese Haftung entspricht vielmehr den gesetzlichen Vorschriften.
Ersetzt das Finanzamt während eines Klageverfahrens den mit der Klage angefochtenen Haftungsbescheid durch einen anderen
Haftungsbescheid, in dem es erstmals seine Ermessenserwägungen erläutert, so wird dieser Bescheid zum Gegenstand des gerichtlichen
Verfahrens (Anschluss an , BFHE 224, 195, BStBl. II 2009, 539; zur Kritik an dieser
Rechtsprechung s. Anmerk. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 24/2009 Anm. 3). Im weiteren Verlauf jenes Verfahrens sind danach die
nunmehr angestellten Ermessenserwägungen in vollem Umfang zu berücksichtigen.
Fundstelle(n): WAAAJ-94716
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Niedersächsisches Finanzgericht
, Urteil v. 16.04.2025 - 9 K 155/22