Kundenanlage
Leitsatz
Kundenanlage
Nur eine Energieanlage, die kein Verteilernetz ist, kann bei richtlinienkonformer Auslegung eine Kundenanlage sein.
Gesetze: § 3 Nr 24a EnWG, § 20 Abs 1d EnWG, Art 2 Nr 28 EURL 2019/944, Art 2 Nr 29 EURL 2019/944
Instanzenzug: Az: EnVR 83/20 Beschlussvorgehend Az: EnVR 83/20 EuGH-Vorlagevorgehend Az: EnVR 83/20 Beschlussvorgehend OLG Dresden Az: Kart 9/19 Beschluss
Gründe
1A. Die Antragstellerin ist ein Energieversorgungsunternehmen. Sie betreibt an mehreren Standorten unter anderem Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, Nahwärmenetze und Energieanlagen zur Abgabe von Energie, mit denen sie Letztverbraucher mit Wärme und Strom versorgt. Im Jahr 2019 erzielte sie einen Umsatz von mehr als 1 Mrd. €. Die Antragsgegnerin betreibt das Elektrizitätsverteilernetz in Z. Die Parteien streiten darüber, ob die Antragsgegnerin verpflichtet ist, zwei Energieanlagen der Antragstellerin als Kundenanlagen gemäß § 3 Nr. 24a EnWG an ihr Netz anzuschließen.
2Die Antragstellerin versorgte aufgrund eines Wärmelieferungsvertrags mit der Grundstückseigentümerin, der Z Wohnungsbaugenossenschaft eG (nachfolgend: Wohnungsbaugenossenschaft) vier Wohnblöcke mit 96 Wohneinheiten auf einer Fläche von 9.000 m² (nachfolgend: Gebiet 1), sowie sechs Wohnblöcke mit 160 Wohneinheiten auf einer Fläche von 25.500 m² (nachfolgend: Gebiet 2), durch jeweils eine Energiezentrale und ein daran angeschlossenes Nahwärmenetz mit Wärme und Warmwasser. Die Gebiete 1 und 2 grenzen aneinander an; die Nahwärmenetze sind untereinander aber nicht verbunden. Die in den beiden Gebieten gelegenen Wohnblöcke waren sämtlich an das Verteilernetz der Antragsgegnerin angeschlossen.
3Im Jahr 2018 plante die Antragstellerin die Errichtung und den Betrieb zweier Blockheizkraftwerke mit zwei getrennten elektrischen Leitungssystemen (nachfolgend: Leitungssystem 1 und Leitungssystem 2), an die die in den Wohnblöcken wohnhaften Mieter angeschlossen werden sollten. Den in den Blockheizkraftwerken neben Wärme und Warmwasser erzeugten Strom wollte die Antragstellerin an diese verkaufen. Mit Schreiben vom meldete sie daher bei der Antragsgegnerin Netzanschlüsse für zwei getrennte Kundenanlagen mit Elektrohauptanschlüssen an und beantragte den Anschluss an deren Netz sowie die Bereitstellung der erforderlichen Zählpunkte gemäß § 20 Abs. 1d EnWG. Die Antragsgegnerin lehnte die Anträge mit der Begründung ab, dass es sich nicht um Kundenanlagen im Sinn von § 3 Nr. 24a EnWG handele.
4Die bei der Rechtsbeschwerdegegnerin als Landesregulierungsbehörde (nachfolgend: Landesregulierungsbehörde) gestellten Anträge der Antragstellerin auf Überprüfung dieses Verhaltens und Verpflichtung der Antragsgegnerin, die Anlagen als Kundenanlagen an ihr Netz anzuschließen sowie eine Abrechnung gemäß § 20 Abs. 1d EnWG zu ermöglichen, hat die Landesregulierungsbehörde abgelehnt. Dagegen hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt. Während des Beschwerdeverfahrens schlossen die Antragstellerin und die Wohnungsbaugenossenschaft im April 2020 unter anderem einen Wärmelieferungsvertrag sowie einen Mietvertrag über bestimmte Räumlichkeiten und Grundstücksteile zur Errichtung und zum Betrieb der Versorgungsanlagen, einschließlich der beiden Leitungssysteme. Das Beschwerdegericht hat die gegen die Entscheidung der Landesregulierungsbehörde gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter.
5Der Senat hat dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung von Artikel 2 Nr. 28 und 29, Artikel 30 ff. der Richtlinie (EU) 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates vom mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU (ABl. EU L 158 vom , S. 125 bis 199; nachfolgend auch Elektrizitätsrichtlinie 2019 oder EltRL 2019) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt (,):
Stehen die Art. 2 Nr. 28 und 29, Art. 30 ff. der Richtlinie 2019/944 einer Bestimmung wie § 3 Nr. 24a i.V.m. Nr. 16 EnWG entgegen, wonach den Betreiber einer Energieanlage zur Abgabe von Energie keine Pflichten eines Verteilernetzbetreibers treffen, wenn er die Energieanlage anstelle des bisherigen Verteilernetzes errichtet und betreibt, um mittels in einem Blockheizkraftwerk erzeugten Stroms mehrere Wohnblöcke mit bis zu 200 vermieteten Wohneinheiten und mit einer jährlichen Menge an durchgeleiteter Energie von bis zu 1.000 MWh zu versorgen, wobei die Kosten der Errichtung und des Betriebs der Energieanlage als Bestandteil eines einheitlich für die gelieferte Wärme zu zahlenden monatlichen Grundentgelts von den Letztverbrauchern (Mietern) getragen werden und der Betreiber den erzeugten Strom an die Mieter verkauft?
6Der Gerichtshof (, RdE 2025, 9 - ENGIE Deutschland) hat dazu festgestellt:
Art. 2 Nrn. 28 und 29 sowie die Art. 30 bis 39 der Richtlinie (EU) 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates vom mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der ein Unternehmen, das anstelle des bisherigen Verteilernetzes eine Energieanlage einrichtet und betreibt, um mit in einem Blockheizkraftwerk erzeugtem Strom mit einer jährlichen Menge an durchgeleiteter Energie von bis zu 1.000 MWh mehrere Wohnblöcke mit bis zu 200 Wohneinheiten zu versorgen, wobei die Kosten der Errichtung und des Betriebs der Energieanlage von den Letztverbrauchern getragen werden, die Mieter dieser Wohneinheiten sind, und dieses Unternehmen den erzeugten Strom an diese Verbraucher verkauft, sofern diese Anlage dazu dient, Elektrizität mit Hoch-, Mittel- oder Niederspannung weiterzuleiten, um sie an Kunden zu verkaufen und keine der in dieser Richtlinie ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen oder Freistellungen von diesen Verpflichtungen anwendbar ist, nicht den Verpflichtungen eines Verteilernetzbetreibers unterliegt.
7B. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
8I. Das Beschwerdegericht (Beschluss vom - Kart 9/19, juris) hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit im Rechtsbeschwerdeverfahren von Bedeutung - ausgeführt, die Landesregulierungsbehörde habe den Antrag zu Recht abgelehnt. Bei den beiden Leitungssystemen handele es sich nicht um Kundenanlagen. Sie seien bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung für die Sicherstellung eines wirksamen unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas nicht im Sinn des § 3 Nr. 24a Buchst. c EnWG unbedeutend. Der Wärmelieferungsvertrag verknüpfe als gemeinsamer Rahmen beide Gebiete zu einem gemeinsamen Gebilde mit 10 Wohnblöcken, fast 30.000 m² Fläche und mehr als 300 angeschlossenen Wohneinheiten. Die Antragstellerin habe auch nicht den Nachweis erbracht, dass die Energieanlagen gemäß § 3 Nr. 24a Buchst. d EnWG jedermann zum Zweck der Belieferung der angeschlossenen Letztverbraucher im Wege der Durchleitung unabhängig von der Wahl des Energielieferanten diskriminierungsfrei und vor allem unentgeltlich zur Verfügung gestellt würden.
9II. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde im Ergebnis stand.
101. Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist das besondere Missbrauchsverfahren nach § 31 EnWG, also die Prüfung, ob das Verhalten des Netzbetreibers - hier der Antragsgegnerin - mit den Vorgaben in den Bestimmungen der Abschnitte 2 und 3 betreffend Netzanschluss und Netzzugang (§§ 17 bis 28c EnWG) und den auf dieser Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen sowie den nach § 29 Abs. 1 EnWG festgelegten oder genehmigten Bedingungen und Methoden übereinstimmt (§ 31 Abs. 1 Satz 2 EnWG). Im Streitfall steht die Ablehnung des Antrags auf Durchführung des besonderen Missbrauchsverfahrens mit dem Ziel zur Überprüfung, die Antragsgegnerin zu verpflichten (vgl. , juris Rn. 11, 12), die Leitungssysteme 1 und 2 der Antragstellerin jeweils als eine Kundenanlage (§ 3 Nr. 24a EnWG) zu behandeln, als solche an ihr Netz anzuschließen und die daran anknüpfenden Pflichten zur Bereitstellung von Summenzählern und bilanzierungsrelevanten Unterzählern nach § 20 Abs. 1d EnWG zu erfüllen.
112. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin fehlt es nicht an der Antragsberechtigung der Antragstellerin (§ 31 Abs. 1 Satz 1 EnWG). Ihre Interessen werden durch das Verhalten der Antragsgegnerin erheblich berührt, weil diese die Anträge auf Anschluss der Leitungssysteme 1 und 2, deren Betreiberin und Eigentümerin die Antragstellerin ist, abgelehnt hat. Soweit die Antragstellerin die Ansicht vertreten hat, sie sei nicht Anschlussnehmerin und Kundenanlagenbetreiberin, trifft dies auf Grundlage der zwischen ihr und der Wohnungsbaugenossenschaft getroffenen vertraglichen Vereinbarungen sowie der von ihr in der Rechtsbeschwerde in Bezug genommenen Anschlussanträge, die sie als Eigentümerin, Anlagenbetreiberin und Anschlussnehmerin ausweisen, nicht zu (vgl. dazu im Einzelnen , RdE 2023, 233 Rn. 14).
123. Das Beschwerdegericht hat den Antrag, die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Beschlusses der Landesregulierungsbehörde zu verpflichten, zwei Leitungssysteme der Antragstellerin als Kundenanlagen gemäß § 20 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 Nr. 24a EnWG an ihr Netz anzuschließen und eine Abrechnung nach § 20 Abs. 1d EnWG zu ermöglichen, im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Der Antrag auf Durchführung eines besonderen Missbrauchsverfahrens nach § 31 Abs. 1 Satz 2 EnWG ist unbegründet, weil die Leitungssysteme 1 und 2 nicht als Kundenanlagen an das Verteilernetz der Antragsgegnerin anzuschließen sind. Die Antragstellerin hat gegen die Antragsgegnerin auch keinen Anspruch auf Bereitstellung von Zählpunkten nach § 20 Abs. 1d EnWG.
13a) Gemäß § 3 Nr. 24a EnWG in der bis zum geltenden Fassung sind Kundenanlagen Energieanlagen zur Abgabe von Energie, die sich auf einem räumlich zusammengehörenden Gebiet befinden (Buchst. a), die mit einem Energieversorgungsnetz oder mit einer Erzeugungsanlage verbunden sind (Buchst. b), die für die Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas unbedeutend sind (Buchst. c), und die jedermann zum Zwecke der Belieferung der angeschlossenen Letztverbraucher im Wege der Durchleitung unabhängig von der Wahl des Energielieferanten diskriminierungsfrei und unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden (Buchst. d). Der Erweiterung der Regelung in § 3 Nr. 24a EnWG mit Wirkung ab dem kommt für die Beurteilung der Rechtsbeschwerde keine Bedeutung zu (beide Fassungen des § 3 Nr. 24a EnWG daher nachfolgend § 3 Nr. 24a EnWG).
14b) Nach der bisherigen Rechtsprechung wurde eine Energieanlage für den Wettbewerb im Sinn von § 3 Nr. 24a Buchst. c EnWG als unbedeutend angesehen, wenn sie weder in technischer noch in wirtschaftlicher noch in versorgungsrechtlicher Hinsicht ein Ausmaß erreichte, das Einfluss auf den Versorgungswettbewerb und die durch die Regulierung bestimmte Lage des Netzbetreibers haben konnte. Dabei kam es maßgeblich auf die Größe und Leistungsfähigkeit der Anlage an (vgl. im Einzelnen BGH, Beschlüsse vom - EnVR 65/18, WM 2020, 897 Rn. 31 f. - Gewoba; vom - EnVR 83/20, RdE 2023, 242 Rn. 15 mwN).
15c) Daran hält der Senat nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom - C-293/23, RdE 2025, 9 - ENGIE Deutschland), an dessen Auslegungsergebnis die nationalen Gerichte gebunden sind (vgl. , BGHZ 179, 27 Rn. 19 mwN), nicht fest. Die Vorschrift des § 3 Nr. 24a EnWG ist richtlinienkonform dahin auszulegen, dass eine Energieanlage nur dann eine Kundenanlage gemäß § 3 Nr. 24a EnWG sein kann, wenn sie kein Verteilernetz im Sinn von Art. 2 Nr. 28 EltRL 2019 beziehungsweise Art. 2 Nr. 5 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (ABl. EG L 211 vom , S. 55 bis 93; nachfolgend: Elektrizitätsrichtlinie 2009 oder EltRL 2009) ist. Ist das Leitungssystem dagegen Teil des regulierten (Verteiler-)Netzes, kann sie nicht von der Regulierung ausgenommen werden. Der Betreiber eines solchen Leitungssystems ist Verteilernetzbetreiber nach Art. 2 Nr. 29 EltRL 2019 (Art. 2 Nr. 6 EltRL 2009).
16aa) Die Frage, ob ein Leitungssystem ein Verteilernetz ist, bestimmt sich nach den in Art. 2 EltRL 2019 beziehungsweise Art. 2 EltRL 2009 enthaltenen Definitionen (vgl. EuGH, RdE 2025, 9 Rn. 50, 80 - ENGIE Deutschland), die sich hinsichtlich der im Streitfall maßgeblichen Fragen entsprechen.
17(1) In Art. 2 Nr. 28 EltRL 2019 wird - ähnlich wie in § 3 Nr. 37 EnWG - der Begriff Verteilung als Transport von Elektrizität mit Hoch-, Mittel- oder Niederspannung über Verteilernetze zur Belieferung von Kunden, jedoch mit Ausnahme der Versorgung umschrieben. Der Begriff Versorgung wiederum bezeichnet nach Art. 2 Nr. 12 EltRL 2019 den Verkauf von Elektrizität an Kunden, die nach Art. 2 Nr. 1 EltRL 2019 Großhändler oder Endkunden von Elektrizität sind. Zwar nimmt die Richtlinie keine abschließende Harmonisierung der Vorschriften vor (vgl. , juris Rn. 50 - Elektrorazpredelenie Yug; EuGH, RdE 2025, 9 Rn. 56, 59 - ENGIE Deutschland). Soweit die Definitionen keinen Spielraum lassen, erfordern allerdings die einheitliche Anwendung des Unionsrechts und der Gleichheitssatz, dass die Begriffe in der gesamten Union einheitlich und autonom ausgelegt werden (vgl. Rn. 43 f. - Elektrorazpredelenie Yug; EuGH, RdE 2025, 9 Rn. 51 - ENGIE Deutschland).
18(2) Auf dieser Grundlage ist ein Verteilernetz ein Netz, das der Weiterleitung von Elektrizität mit Hoch-, Mittel- oder Niederspannung dient, die zum Verkauf an Großhändler und Endkunden bestimmt ist (vgl. , juris Rn. 45 - Elektrorazpredelenie Yug; EuGH, RdE 2025, 9 Rn. 52 - ENGIE Deutschland). Die Voraussetzungen, unter denen ein Verteilernetz vorliegt, sind in Art. 2 Nr. 28 EltRL 2019 mit der Spannungsebene und den Kunden, an die die Elektrizität weitergeleitet wird, verbindlich festgelegt (vgl. , juris Rn. 50 f. - Elektrorazpredelenie Yug; EuGH, RdE 2025, 9 Rn. 56 - ENGIE Deutschland). Zusätzliche Kriterien, aufgrund derer eine bestimmte Art von Netz vom Begriff des Verteilernetzes ausgenommen wird, dürfen die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung der autonomen und einheitlichen Auslegung von Art. 2 Nr. 28 EltRL 2019 nicht heranziehen (vgl. , juris Rn. 55, 58 - Elektrorazpredelenie Yug; EuGH, RdE 2025, 9 Rn. 58, 61 - ENGIE Deutschland).
19(3) Liegt ein Verteilernetz in diesem Sinn vor, können Verteilernetzbetreiber von der Erfüllung der ihnen obliegenden Pflichten nur befreit werden, wenn und soweit die Elektrizitätsrichtlinie und das zu ihrer Umsetzung ergangene nationale Recht - gegebenenfalls auch im Weg der richtlinienkonformen Auslegung - eine Ausnahme zulassen.
20(a) Teilweise von den Pflichten eines Verteilernetzbetreibers befreit werden können danach die Betreiber eines geschlossenen Verteilernetzes nach Art. 38 EltRL 2019 (vgl. EuGH, RdE 2025, 9 Rn. 71 - ENGIE Deutschland). Nach nationalem Recht stuft die Regulierungsbehörde ein Verteilernetz auf Antrag als ein geschlossenes Verteilernetz ein, wenn die Voraussetzungen des § 110 Abs. 2 EnWG vorliegen.
21(b) Ferner können die Mitgliedstaaten nach Art. 16 EltRL 2019 Bürgerenergiegemeinschaften vorsehen und regeln, dass diese, auch wenn sie Eigentümer von Verteilernetzen sind oder ein Verteilernetz selbst eingerichtet haben und es eigenständig betreiben, die in Art. 38 Abs. 2 EltRL 2019 vorgesehenen Ausnahmen zugunsten geschlossener Verteilernetze in Anspruch nehmen dürfen (vgl. EuGH, RdE 2025, 9 Rn. 69 - ENGIE Deutschland). Allerdings erfasst die Bürgerenergiegemeinschaft nach Art. 2 Nr. 11 EltRL 2019 lediglich eine Rechtsperson, die insbesondere von Mitgliedern oder Anteilseignern, bei denen es sich um natürliche Personen, Gebietskörperschaften oder Kleinunternehmen handelt, tatsächlich kontrolliert wird. Ein Kleinunternehmen ist nach Art. 2 Nr. 7 EltRL 2019 ein Unternehmen, das weniger als 50 Personen beschäftigt und dessen Jahresumsatz beziehungsweise Jahresbilanzsumme 10 Mio. € nicht überschreitet. Schließlich können nach Art. 66 Abs. 1 EltRL 2019 für kleine Verbundnetze und isolierte Netze bei der Kommission Ausnahmeregelungen beantragt werden.
22bb) Eine richtlinienkonforme Auslegung, nach der eine Leitungsanlage, die ein Verteilernetz nach Art. 2 Nr. 1, 12 und 28 EltRL 2019 darstellt, keine von den Pflichten eines Verteilernetzbetreibers befreite Kundenanlage nach § 3 Nr. 24a EnWG sein kann, solange keine der genannten Ausnahmen eingreift, ist möglich.
23(1) Die nationalen Gerichte sind aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 288 AEUV und des Grundsatzes der Unionstreue gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV gehalten, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (st. Rspr.; vgl. nur , NJW 2015, 2237 Rn. 33 - Faber; , BGHZ 212, 224 Rn. 37; vom - I ZR 7/16, GRUR 2020, 891 Rn. 53 - Cookie-Einwilligung II, jeweils mwN). Eine richtlinienkonforme Auslegung in diesem Sinn ist möglich, wenn eine Norm unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten innerhalb der gesetzgeberischen Zweck- und Zielsetzung zulässt. Der Grundsatz unionsrechtskonformer Auslegung und Rechtsfortbildung darf jedoch nicht zu einer Auslegung des nationalen Rechts contra legem führen (vgl. - Adeneler, Slg. 2006, I-6057 Rn. 110; vom - C-282/10 - Dominguez, NJW 2012, 509 Rn. 25; , N&R 2020, 103 Rn. 66 - Normativer Regulierungsrahmen; Urteile vom - VIII ZR 103/15, BGHZ 212, 224 Rn. 38; vom - XI ZR 77/22, WM 2023, 1463 Rn. 20 mwN; vgl. auch Grüneberg, NJW 2024, 993, 995 f.) oder einen erkennbaren Willen des Gesetzgebers verändern (vgl. BGHZ 212, 224 Rn. 38 mwN). Die Pflicht zur Verwirklichung des Richtlinienziels im Auslegungsweg findet ihre Grenzen an dem nach der innerstaatlichen Rechtstradition methodisch Erlaubten (, BGHZ 201, 101 Rn. 20; vom - IV ZR 440/14, BGHZ 215, 126 Rn. 22 ff.; vom - XI ZR 77/22, WM 2023, 1463 Rn. 20 mwN; , NVwZ-RR 2018, 169 Rn. 37).
24(2) Nach diesen Grundsätzen ist § 3 Nr. 24a EnWG richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die Vorschrift nur Energieanlagen (§ 3 Nr. 15 EnWG) betrifft, die keine Verteilernetze im Sinn von Art. 2 Nr. 28 EltRL 2019 sind.
25(a) Dieses Verständnis ist nach dem Wortlaut des § 3 Nr. 24a EnWG möglich. Er verhält sich nicht dazu, ob auch Verteilernetze Kundenanlagen sein können oder von diesem Begriff auszunehmen sind. Daran ändert die Zusammenschau mit § 3 Nr. 16 und Nr. 18 EnWG nichts. Auch diese Regelungen lassen ohne weiteres eine Begrenzung des Begriffs der Kundenanlage auf solche Anlagen zu, die nicht gleichzeitig Verteilernetze sind. Ihr Inhalt beschränkt sich hinsichtlich der Kundenanlagen darauf, diese und ihre Betreiber von der Regulierung auszunehmen. Nach § 3 Nr. 16 EnWG sind Kundenanlagen gemäß § 3 Nr. 24a EnWG nicht Teil des Energieversorgungsnetzes; nach § 3 Nr. 18 EnWG macht der Betrieb einer Kundenanlage den Betreiber nicht zum Energieversorgungsunternehmen.
26(b) Der in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wille lässt gleichfalls eine richtlinienkonforme Auslegung zu.
27(aa) Zwar nimmt die Gesetzesbegründung (Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften vom , BT-Drucks. 17/6072, S. 51) Verteilernetze nicht ausdrücklich vom Begriff der Kundenanlage aus. Danach sollte das Vorliegen einer Kundenanlage von der Anzahl der unmittelbar oder mittelbar angeschlossenen Letztverbraucher sowie von der Menge der durchgeleiteten Energie und der geographischen Ausdehnung der Anlage abhängen (vgl. BT-Drucks. 17/6072, S. 51). Demgegenüber sind nach dem unionsweit einheitlichen Verständnis des Verteilernetzes weder die Anzahl der angeschlossenen Kunden noch Größe oder Stromverbrauch zu berücksichtigende Kriterien (vgl. , juris Rn. 47 - Elektrorazpredelenie Yug; EuGH, RdE 2025, 9 Rn. 54 - ENGIE Deutschland).
28(bb) Gleichzeitig wollte der Gesetzgeber aber mit dem Begriff der Kundenanlage den Punkt bestimmen, an dem das regulierte Netz beginnt und die unregulierte Kundenanlage endet (BT-Drucks. 17/6072, S. 51). Ziel der Regelung war die Klarstellung, welche Anlagen sich den Regulierungsanforderungen zu stellen haben (vgl. BT-Drucks. 17/6072, S. 51). Danach sind Verteilernetze auszunehmen, weil sie der Regulierung unterliegen. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber eine Regelung in Übereinstimmung mit unionsrechtlichen Vorgaben beabsichtigte. Der Begriff der Kundenanlage in § 3 Nr. 24a EnWG wurde mit dem Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften vom (BGBl. I 2011 S. 1554) gesetzlich verankert. Mit diesem Gesetz sollte auch die Richtlinie 2009/72/EG umgesetzt werden (vgl. BT-Drucks. 17/6072, S. 1, 45), die den Begriff des Verteilernetzes in Art. 2 Nr. 5 EltRL 2009 in gleicher Weise bestimmt wie Art. 2 Nr. 28 EltRL 2019 (vgl. Rn. 15 f.). Die fehlende Berücksichtigung des unionsrechtlich gebotenen Verständnisses des Verteilernetzes bei der Erläuterung der Voraussetzungen für eine Kundenanlage lässt deshalb keinen Schluss auf einen der richtlinienkonformen Auslegung entgegenstehenden gesetzgeberischen Willen zu. Der Gesetzgeber hatte auch in der Folgezeit keinen Anlass, den Begriff der Kundenanlage richtlinienkonform anzupassen. Zwar war die Kommission der Auffassung, dass bestimmte Vorschriften des deutschen Rechts nicht mit der Elektrizitätsrichtlinie 2009 vereinbar waren und leitete unter anderem deshalb erfolgreich ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland ein (vgl. im Einzelnen - Kommission/Bundesrepublik Deutschland). Die in § 3 Nr. 24a in Verbindung mit § 3 Nr. 16 und Nr. 18 EnWG vorgesehene Ausnahme vom Begriff des Verteilernetzbetreibers hat die Kommission jedoch nicht beanstandet. Soweit § 3 Nr. 24a durch das Gesetz zur Anpassung des Energiewirtschaftsrechts an unionsrechtliche Vorgaben und zur Änderung weiterer energierechtlicher Vorschriften mit Wirkung zum geändert worden ist, lag das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (C293/23, RdE 2025, 9 - ENGIE Deutschland) zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor.
29(cc) Eine Vereinbarkeit der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des § 3 Nr. 24a EnWG mit dem gesetzgeberischen Willen folgt schließlich daraus, dass auch bei Ausschluss der Verteilernetze vom Begriff der Kundenanlage ein ausreichender Anwendungsbereich für die gesetzgeberische Sachentscheidung verbleibt (vgl. , BGHZ 201, 101 Rn. 33). Erfasst sind jedenfalls sämtliche Leitungssysteme, die der Weiterleitung von Elektrizität dienen, die nicht zum Verkauf bestimmt ist. Das sind etwa Energieanlagen, die der Eigenversorgung der Betreiber dienen (vgl. BT-Drucks. 17/6072, S. 51), also beispielsweise mit Erzeugungsanlagen verbundene Leitungssysteme, die von Eigentümern einer Wohnungseigentumsanlage oder Grundstückseigentümern gemeinsam betrieben und genutzt werden.
30d) Danach sind die Leitungssysteme 1 und 2 keine Kundenanlagen gemäß § 3 Nr. 24a EnWG (vgl. auch Burbach, RdE 2025, 3, 5 f.; Schwintowski, EWeRK 2024, 172, 173; Sauer, EWeRK 2024, 175, 182, 188). Sie sind Bestandteil eines von der Antragstellerin betriebenen Verteilernetzes im Sinn von Art. 2 Nr. 28 EltRL 2019. Das Netz dient dazu, die in den Blockkraftheizwerken erzeugte Elektrizität mit Niederspannung an die in den Wohnblöcken der Gebiete 1 und 2 wohnhaften Mieter - die Kunden - zu verkaufen. Die Anlagen zählen damit zum regulierten Verteilernetz. Eine Ausnahme von der Regulierung kommt nicht in Betracht. Ein geschlossenes Verteilernetz gemäß § 110 EnWG in Verbindung mit Art. 38 EltRL 2019 liegt ersichtlich nicht vor, weil über die Leitungssysteme 1 und 2 zahlreiche Letztverbraucher versorgt werden. Ferner sind die oben genannten Voraussetzungen für eine Bürgerenergiegemeinschaft gemäß Art. 2 Nr. 7, 11 EltRL 2019 in Verbindung mit § 3 Nr. 15 EEG offensichtlich nicht erfüllt.
31e) Schließlich bleibt der im besonderen Missbrauchsverfahren gestellte Antrag auch insoweit ohne Erfolg, als die Antragstellerin begehrt, für alle Letztverbraucher, deren Verbrauchsanlagen an ihre beiden Leitungssysteme angeschlossen sind und die Stromlieferungsverträge mit dritten Elektrizitätsversorgungsunternehmen abschließen, eine Abrechnung über Unterzähler nach dem Summenzählermodell gemäß § 20 Abs. 1d EnWG zu ermöglichen und die dafür erforderlichen Zählpunkte bereitzustellen. Die Weigerung der Antragsgegnerin, dem zu entsprechen, stellt keinen Verstoß gegen § 20 Abs. 1d EnWG dar.
32aa) Nach dem klaren Wortlaut des § 20 Abs. 1d EnWG treffen die entsprechenden Pflichten nur den Betreiber eines Energieversorgungsnetzes, an das eine Kundenanlage angeschlossen ist. Die Pflicht zum Bereitstellen von Zählpunkten ist eine Nebenpflicht des Netzbetreibers aus dem Netzanschlussvertrag (vgl. Hartmann/Wagner in Theobald/Kühling, Energierecht, Stand: 128. EL Dezember 2024, § 20 EnWG Rn. 252, 254). § 20 Abs. 1d EnWG ist nur auf Leitungsinfrastrukturen anwendbar, die nicht vom (Verteiler-)Netzbegriff erfasst werden und zusätzlich die in § 3 Nr. 24a oder § 24b EnWG genannten Kriterien erfüllen (vgl. Wolf, IR 2025, 4; aA Sauer, EWeRK 2024, 175, 188 und N&R 2025, 43, 47). Wie ausgeführt (vgl. Rn. 30) sind die Leitungssysteme 1 und 2 der Antragstellerin jedoch nicht als Kundenanlagen anzuschließen. Anders als der Betreiber einer Kundenanlage unterliegt die Antragstellerin als Verteilernetzbetreiber und damit grundzuständiger Messstellenbetreiber im Sinn von § 2 Satz 1 Nr. 4 MsbG selbst den Pflichten aus § 2 Satz 1 Nr. 5, § 3 Abs. 1 MsbG.
33bb) Treffen die Antragsgegnerin deshalb nach der gesetzlichen Konzeption als Betreiber eines (vorgelagerten) Energieversorgungsnetzes in Bezug auf die Antragstellerin nicht die Pflichten nach § 20 Abs. 1d EnWG, lässt auch der Vortrag der Antragstellerin kein abweichendes Verständnis zu. Ihre Auffassung, die Pflichten der Antragsgegnerin müssten unter Berücksichtigung von § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 7 Abs. 2 Nr. 2 KWKG, Art. 31 Abs. 4 EltRL 2019, der Erwägungsgründe 35, 37 und 43 sowie Art. 13 Abs. 2, 15 Abs. 5 Buchst. c und Abs. 6 der Richtlinie 2012/27/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Energieeffizienz, zur Änderung der Richtlinien 2009/125/EG und 2010/30/EU und zur Aufhebung der Richtlinien 2004/8/EG und 2006/32/EG (ABl. EU L 315 vom , S. 1 bis 56; neugefasst durch die Richtlinie (EU) 2023/1791 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Energieeffizienz und zur Änderung der Verordnung (EU) 2023/955, ABl. EU L 231 vom , S. 1 bis 111, siehe dort nunmehr Erwägungsgründe 103 ff.), die das Ziel erkennen ließen, die Wärme- und Stromversorgung aus hocheffizienten KWK-Klein- und Kleinst-Anlagen zu fördern, in dem Sinn erweitert werden, dass sie auch dann zur Erbringung der in § 20 Abs. 1d EnWG genannten Leistungen verpflichtet ist, wenn das Leitungssystem nicht als Kundenanlage angeschlossen werden darf, ist nicht tragfähig. Eine entsprechende - den nachgelagerten Verteilernetzbetreiber belastende - Auslegung ist angesichts des klaren Wortlauts des § 20 Abs. 1d EnWG sowie mit Blick auf die Regelungen des Messstellenbetriebsgesetzes nicht möglich. Anders als die Antragstellerin meint, erweist sich ihre Verpflichtung auch nicht als unverhältnismäßig. Sie kann ihre Grundzuständigkeit für den Messstellenbetrieb nach Maßgabe der §§ 41, 43 MsbG auf ein anderes Unternehmen übertragen.
34C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 1 und 2 Alt.1 EnWG. Es entspricht der Billigkeit, der Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin aufzuerlegen, weil diese ein besonderes Interesse am Verfahrensausgang (vgl. , WuW/E BGH 2627, 2643 - Sportübertragungen, insoweit nicht in BGHZ 110, 371 abgedruckt), das Verfahren wesentlich gefördert (, juris Rn. 2) und die obsiegende Landesregulierungsbehörde unterstützt hat.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:130525BENVR83.20.0
Fundstelle(n):
RAAAJ-94547