Instanzenzug: LG Berlin I Az: 543 KLs 13/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit gewerbsmäßigem Handeltreiben mit neuen psychoaktiven Stoffen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt. Die auf eine Verfahrensbeanstandung und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
I.
2Nach den Feststellungen des Landgerichts vertrieb der Angeklagte aus einem B. er Kiosk zum Konsum mittels E-Zigaretten bestimmte „Liquids“, die mit synthetischen Cannabinoiden versetzt waren, um sich hierdurch eine dauerhafte Einnahmequelle zu erschließen. Am hielt er zu diesem Zweck verschiedene Mischungen mit insgesamt 15 Gramm JWH-210, 90 Gramm ADB-BUTINACA, 34 Gramm ADB-4en-PINACA, 30 Gramm ADB-HEXINACA und 35 Gramm Cumyl-CH-Megaclon vor und führte zur Absicherung der Handelsvorräte ein Messer mit sich.
3Das Landgericht hat dies hinsichtlich des Umgangs mit JWH-210 als bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG und hinsichtlich der übrigen Stoffe als gewerbsmäßiges Handeltreiben mit neuen psychoaktiven Stoffen nach § 4 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a NpSG bewertet. Es hat dabei berücksichtigt, dass ADB-BUTINACA zum Zeitpunkt seiner Entscheidung gemäß § 1 Abs. 1 BtMG iVm Anlage II dem Anwendungsbereich des BtMG unterfiel, jedoch das Tatzeitrecht als im konkreten Fall milder bewertet und daher nach § 2 Abs. 3 StGB zur Anwendung gebracht. Das Landgericht hat einen minder schweren Fall des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 30a Abs. 3 BtMG angenommen und seiner Strafzumessung gemäß § 52 Abs. 2 StGB den Regelstrafrahmen des § 4 Abs. 3 NpSG zugrunde gelegt. Sowohl bei der Prüfung eines minder schweren Falles nach § 4 Abs. 4 NpSG als auch bei der konkreten Strafzumessung hat es auch darauf abgestellt, dass die unter das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz fallenden Wirkstoffe mit sachverständiger Hilfe bestimmte Grenzwerte zur nicht geringen Menge um ein Vielfaches überstiegen.
II.
4Die Revision ist aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Der ergänzenden Erörterung bedarf auf die Sachrüge hin lediglich die Strafzumessung des Landgerichts.
51. Das Landgericht war aus Rechtsgründen nicht verpflichtet, für seine Strafzumessung Grenzwerte zu nicht geringen Mengen der dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz unterfallenden Substanzen zu beziffern und das Maß ihrer Überschreitung zu berücksichtigen (vgl. Rn. 6; anders, indes insoweit nicht tragend Rn. 7, BGHSt 67, 1 mit kritischer Anmerkung Patzak NStZ 2022, 369, 370).
6a) Der Wortlaut der Strafvorschriften des § 4 NpSG differenziert weder für die tatbestandliche Einordnung noch für die Bemessung der Strafe nach dem Vorliegen von nicht geringen Mengen. Dies entspricht der Entscheidung des Gesetzgebers, die Strafvorschriften des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes gerade nicht dem Betäubungsmittelgesetz nachzubilden, sondern eine eigenständige Regelung zu schaffen, die der Vielzahl von erfassten Einzelsubstanzen mit sehr unterschiedlichem Gefahrenpotential gerecht wird (vgl. BT-Drucks. 18/8964, S. 4).
7b) Selbst im Anwendungsbereich des Betäubungsmittelgesetzes besteht die Notwendigkeit zur Festlegung genauer Grenzwerte deshalb, weil der Begriff der nicht geringen Menge seit dem Gesetz zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts vom (BGBl. I S. 681) als Tatbestandsmerkmal einzelner Strafvorschriften Verwendung findet, sodass das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB) eine präzise Grenzziehung gebietet (vgl. grundlegend , BGHSt 33, 8, 9). Unter Geltung der vorherigen Strafvorschrift des § 11 BtMG in der Fassung des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln vom (BGBl. I S. 1), die den Begriff lediglich in § 11 Abs. 4 Satz 3 Nr. 5 und 6 Buchst. a BtMG aF als Regelbeispiel für besonders schwere Fälle verwendete, war hingegen anerkannt, dass es für die Strafzumessung einer zahlenmäßigen Festlegung der nicht geringen Menge nicht bedurfte, sondern das Vorliegen einer solchen Menge der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall überlassen war (vgl. BGHSt 26, 355, 357 f.).
8c) Auch sonst sind keine Gründe dafür ersichtlich, warum dem Maß der Überschreitung eines im Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz nicht vorausgesetzten Grenzwerts für die Strafzumessung überragende Bedeutung zukommen sollte (so indes Rn. 7, BGHSt 67, 1). Die Höhe des Grenzwertes eines Stoffes bildet dessen Toxizität und Gefährlichkeit ab (st. Rspr.; vgl. etwa Rn. 35, BGHSt 60, 134), das Maß seiner Überschreitung drückt die Stoffmenge im konkreten Fall aus. Einen notwendigen Orientierungspunkt für die Strafzumessung kann das Maß der Grenzwertüberschreitung aber nur dann bilden, wenn das Gesetz für den Umgang mit nicht geringen Mengen einen anderen Strafrahmen vorsieht. Nur dann kann das Tatgericht aus dem Vergleich beider Strafrahmen und dem Maß der Überschreitung des Grenzwertes zwischen ihnen im konkreten Fall Schlüsse für seine Zumessungsentscheidung ziehen (vgl. auch zu möglichen Wechselwirkungen zwischen Gefährlichkeit und Maß der Grenzwertüberschreitung Rn. 5, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 45). Dies ist im Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz aber gerade nicht der Fall. Hier können beide Aspekte – Stoffmenge und Gefährlichkeit – daher auch ohne Umrechnung in das Maß einer Grenzwertüberschreitung unmittelbar nach § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB in die Strafzumessung einfließen.
92. Die Strafzumessung des Landgerichts ist rechtsfehlerfrei. Die Berücksichtigung der Gefährlichkeit und der Mengen der vom Angeklagten vorgehaltenen Stoffe – hier überobligatorisch ausgedrückt als Maß der Überschreitung eines Grenzwertes zur nicht geringen Menge – liegt im Rahmen einer zulässigen tatgerichtlichen Bestimmung der schuldangemessenen Strafe (vgl. Rn. 6).
103. Auch in der Sache erweisen sich die Ausführungen des Landgerichts hierzu als zutreffend. Es hat anhand eines Vergleichs mit verwandten Wirkstoffen (vgl. zu diesem Maßstab Rn. 9, BGHSt 67, 2 mwN) den Grenzwert der nicht geringen Menge für das durch die 23. Verordnung zur Änderung von Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes vom (BGBl. I Nr. 143) in die Anlage II des Betäubungsmittelgesetzes aufgenommene ADB-BUTINACA (andere Trivialnamen ADB-BINACA oder ADMB-BINACA) auf eine Wirkstoffmenge von einem Gramm festgesetzt. Auf der Grundlage des in den Urteilsgründen umfassend wiedergegebenen und überzeugenden Gutachtens des Sachverständigen A. – Laborleiter Forensische Toxikologie am Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums F. und Mitglied des Sachverständigenausschusses nach § 1 Abs. 2 BtMG – teilt der Senat die Einschätzung, dass ADB-BUTINACA mindestens doppelt so potent einzuschätzen ist wie JWH-018, bei dem der Grenzwert bei zwei Gramm liegt (vgl. Rn. 34, BGHSt 60, 134). Für einen Grenzwert von einem Gramm spricht aufgrund der vergleichbaren basispharmakologischen Daten zudem, dass dieser auch für das strukturverwandte JWH-210 festgelegt worden ist (vgl. Rn. 48).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:200525B5STR178.25.0
Fundstelle(n):
ZAAAJ-94284