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BAG Urteil v. - 2 AZR 228/23

Außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist - Umdeutung

Leitsatz

Erweist sich eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist als unwirksam, endet das Arbeitsverhältnis aber aufgrund einer durch Umdeutung gewonnenen ordentlichen Kündigung zum selben Termin, ist die Kündigungsschutzklage insgesamt abzuweisen.

Instanzenzug: Az: 37 Ca 12164/21 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 3 Sa 1186/22 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten vorrangig über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Änderungskündigung mit Auslauffrist.

2Der in Potsdam wohnhafte Kläger war seit 1997 bei der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängerinnen angestellt. Von 2011 bis März 2017 war er in einer Betriebsstätte der Beklagten in Berlin beschäftigt. Durch einen Tarifvertrag nach § 3 BetrVG wurden die Betriebsstätten der beteiligten Konzernunternehmen - darunter die Beklagte - in Berlin, Hamburg und Leipzig mit Wirkung ab Mai 2016 zu einer betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit zusammengefasst, die als Region Nord-Ost bezeichnet wurde. Im März 2017 wurde der Kläger zum Mitglied des für diese Region errichteten Betriebsrats gewählt. Seit April 2017 übte er mit seinem Einverständnis die Tätigkeit eines Technical Project Manager aus, wobei er zu 100 % im Homeoffice tätig war. Der Kläger arbeitete in dieser Position in einem virtuellen internationalen Team. Der bei einer englischen Gesellschaft angestellte Projektleiter verrichtete seine Tätigkeit von B (UK) aus.

3Mit Wirkung vom wurde der Kläger für die Dauer von fünf Jahren zum ehrenamtlichen Richter beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg berufen.

4Mit Schreiben vom stellte die Beklagte den Kläger „bis auf Weiteres … unwiderruflich“ frei.

5Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom , dem Kläger zugegangen am , außerordentlich unter Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist zum , hilfsweise zum nächstzulässigen Zeitpunkt und bot dem Kläger gleichzeitig seine Weiterbeschäftigung in U an. Dieser lehnte das Änderungsangebot ab.

6Mit der vorliegenden Klage hat sich der Kläger rechtzeitig gegen die Kündigung gewandt. Er sei vom Wegfall des Beschäftigungsbedarfs am Standort Berlin nicht betroffen. Diesem sei er seit April 2017 nicht mehr zugeordnet. Die Kündigung sei ferner nach Art. 110 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung des Landes Brandenburg (BbgVerf) unwirksam.

7Der Kläger hat zuletzt beantragt

8Das Arbeitsgericht hat die Klage - gemäß dem Antrag der Beklagten - abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt dieser seine Begehren weiter.

Gründe

9Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die Kündigung vom ist zwar als außerordentliche mit Auslauffrist unwirksam. Das Arbeitsverhältnis endete jedoch aufgrund einer durch Umdeutung gewonnenen ordentlichen Kündigung zum selben Termin. Deshalb ist die Kündigungsschutzklage insgesamt abzuweisen.

10I. Das Berufungsurteil ist rechtsfehlerhaft, soweit es die außerordentliche Kündigung für wirksam erachtet hat. Diese ist unverhältnismäßig. Die Beklagte hätte das Arbeitsverhältnis - wie das Landesarbeitsgericht letztlich selbst erkannt hat - ordentlich kündigen können.

111. Eine ordentliche Kündigung war nicht durch Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf ausgeschlossen. Der Anwendungsbereich dieser Bestimmung ist vorliegend nicht eröffnet.

12a) Nach Maßgabe des Staatsvertrags über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg vom kann der Kläger sich nicht auf Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf berufen. Gemäß dieser Vorschrift ist eine Kündigung ehrenamtlicher Richter während ihrer Amtszeit nur zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung berechtigen. Der Kläger war zwar zum ehrenamtlichen Richter beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg berufen. Nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 4 des Staatsvertrags hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg seinen Sitz aber in Berlin. Gemäß Art. 4 Abs. 1 des Staatsvertrags werden auf die am Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingesetzten Richter deshalb einheitlich die Vorschriften angewendet, die im Land Berlin gelten. Das gilt ebenso für ehrenamtliche Richter - und zwar gerade auch dann, wenn sie die Berufungsvoraussetzungen des § 21 Abs. 1 ArbGG im Land Brandenburg erfüllen. Mit dem umfassenden Begriff des „Richters“ in Art. 4 Abs. 1 des Staatsvertrags sind - in Abgrenzung zu den nichtrichterlichen Bediensteten (vgl. Art. 7 des Staatsvertrags) - sowohl Berufs- als auch ehrenamtliche Richter angesprochen. Für ehrenamtliche Richter finden die richterrechtlichen Vorschriften ebenfalls Anwendung, soweit dies gesondert bestimmt ist (vgl. §§ 1, 2 DRiG sowie § 1 Abs. 1 Satz 2 RiGBln und BbgRiG). Würden sie nicht von Art. 4 Abs. 1 des Staatsvertrags erfasst, griffen für sie verschiedene Vorschriften ein, obgleich sie am selben Gericht tätig sind. Zudem wäre es unmöglich festzustellen, ob es sich um einen ehrenamtlichen Richter des Landes Berlin oder des Landes Brandenburg handelt, wenn er zB in Berlin berufstätig ist (§ 21 Abs. 1 Alt. 1 ArbGG), aber in Brandenburg wohnt (§ 21 Abs. 1 Alt. 2 ArbGG). Demgegenüber kann aus Art. 6 des Staatsvertrags nicht gefolgert werden, der Begriff des „Richters“ in Art. 4 des Staatsvertrags umfasse allein die Berufsrichter und nicht auch die ehrenamtlichen Richter. Art. 6 des Staatsvertrags grenzt beide Gruppen allein deshalb voneinander ab, weil sie verschiedenen Regelungen zum Eid bzw. Gelöbnis unterliegen (vgl. §§ 38, 45 DRiG und § 2 RiGBln und BbgRiG). Es kann dahinstehen, in welchem Rang der Staatsvertrag steht, und ob er die Landesverfassung modifizieren könnte. Letztere gibt nicht vor, dass es ein Landesarbeitsgericht mit Sitz im Land Brandenburg geben muss. Im Land Berlin existiert keine Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf entsprechende Bestimmung.

13b) Dessen ungeachtet greift Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf im Streitfall auch deshalb nicht ein, weil die Beklagte nicht zum „Staatsvolk“ des Landes Brandenburg rechnete, und sie deshalb das Verbot des Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf nicht adressierte.

14aa) Die Verfassung des Landes Brandenburg richtet sich nach ihrem Art. 3 lediglich an das „Staatsvolk“. Natürliche Personen gehören diesem nach Abs. 1 der Bestimmung an, wenn sie ihren ständigen Wohnsitz im Land Brandenburg haben. Das betrifft nach Art. 3 Abs. 2 BbgVerf nicht nur ihre Rechte, sondern auch ihre Verpflichtungen. Dementsprechend wird der Arbeitgeber eines ehrenamtlichen Richters an einem - unterstellt - brandenburgischen Gericht lediglich von Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf adressiert, wenn er seinerseits zum „Staatsvolk“ zählt. Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob dies nur der Fall ist, wenn er im Land Brandenburg einen Betrieb unterhält (so Lieber in Lieber/Iwers/Ernst Verfassung des Landes Brandenburg Art. 110 S. 675; Eylert FS Bepler 2012 S. 145, 152), oder schon dann, wenn er nur über eine Betriebsstätte im Land Brandenburg verfügt. Jedenfalls genügt es nicht, wenn der Arbeitnehmer zwar an seinem Wohnsitz in Brandenburg tätig ist, er damit jedoch keinen arbeitstechnischen Zweck eines Betriebs seines Arbeitgebers im Bundesgebiet fördert. Zumindest dann kann sein Wohnsitz nicht als „betriebliche Struktur“ des Arbeitgebers im Land Brandenburg verstanden werden. Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts übte der Kläger - mit seinem Einverständnis - von April 2017 bis zu seiner Freistellung Ende Dezember 2020 die Tätigkeit eines Technical Project Manager im Homeoffice aus. Er arbeitete in dieser Position in einem virtuellen internationalen Team und leitete Kundenmeldungen „in die N-Organisation“ weiter. Der Projektleiter verrichtete seine Tätigkeit von B (UK) aus und war bei einer englischen Gesellschaft angestellt. Der Kläger hat selbst ausdrücklich vorgetragen, dass er mit seiner letzten Tätigkeit nicht der Region Nord-Ost zugeordnet gewesen sei. Vielmehr sei auch für ihn ungewiss, welchem Betrieb er überhaupt angehört habe. Er hat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts in den Tatsacheninstanzen keinen substantiierten Vortrag gehalten, wonach er ab April 2017 noch einen arbeitstechnischen Zweck eines anderen Betriebs der Beklagten - und nicht nur eines Betriebs eines anderen Konzernunternehmens - gefördert hätte. Eine diesbezügliche Verfahrensrüge hat er nicht erhoben.

15bb) Ein Wohnsitz des Arbeitnehmers im Land Brandenburg ist nicht für sich genommen ausreichend, weil Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf dem Schutz der dortigen ehrenamtlichen Richter und der Funktionsfähigkeit der brandenburgischen Gerichte dienen könnte. Diese möglichen Zwecke zwingen nicht zu der Annahme, der Verfassungsgeber des Landes Brandenburg habe sie um den Preis verfolgen wollen, dass Arbeitgeber mit dem „starken“ Sonderkündigungsschutz belastet werden, obwohl sie auch bei weitestem Verständnis keinen betrieblichen Bezug zum Land Brandenburg aufweisen. Das gilt zum einen vor dem Hintergrund, dass die Sonderbelastung des Arbeitgebers im Lichte von dessen Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG kaum zu rechtfertigen wäre. Zum anderen ist der Schutz ehrenamtlicher Richter vor Benachteiligungen aufgrund ihrer Richtertätigkeit und insoweit auch die Funktionsfähigkeit der brandenburgischen Gerichte durch § 26 Abs. 1 ArbGG bzw. § 45 Abs. 1a Satz 3 DRiG ausreichend gewährleistet. Dafür kommt es auf einen betrieblichen Bezug des Arbeitgebers zum Land Brandenburg nicht an.

162. Eine ordentliche Kündigung war auch nicht gemäß § 15 Abs. 1 KSchG ausgeschlossen. Der Kläger war im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nach seinem eigenen Vortrag weder Mitglied eines Betriebsrats nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG noch befand er sich im Nachwirkungszeitraum gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG.

17a) Die Amtszeit eines Betriebsratsmitglieds endet nach § 24 Nr. 4 BetrVG mit dem Verlust der Wählbarkeit gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Das ist ua. der Fall, wenn das Betriebsratsmitglied aus dem betreffenden Betrieb ausscheidet, zB durch Versetzung in einen anderen Betrieb (sh.  - zu B II 3 e der Gründe; APS/Linck 7. Aufl. KSchG § 15 Rn. 78 f.).

18b) Danach endete die Amtszeit des Klägers als Betriebsratsmitglied im April 2017. Seitdem war eine Eingliederung des Klägers in eine Betriebsstätte der Region Nord-Ost nicht erkennbar (Rn. 14). Vielmehr hat er auf den Hinweis des Senats seine diesbezügliche Zuordnung - wie schon in den Vorinstanzen - ausdrücklich in Abrede gestellt. Einer Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung bedurfte es gemäß § 103 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BetrVG nicht. Der Kläger war mit dieser einverstanden.

19II. Das Landesarbeitsgericht hat hilfsweise die Unwirksamkeit der außerordentlichen Änderungskündigung mit Auslauffrist unterstellt. Hiervon ausgehend hat es im Ergebnis zutreffend erkannt, dass das Arbeitsverhältnis infolge einer durch Umdeutung gewonnenen ordentlichen Kündigung mit Ablauf des aufgelöst worden ist (dazu, dass der Klageantrag sich in diesem Fall auch gegen die ordentliche Kündigung richtet, vgl.  - Rn. 21). Die Voraussetzungen von § 140 BGB liegen vor.

201. Die Umdeutung entspricht dem mutmaßlichen Willen der Beklagten. Dieser war für den Kläger bereits im Kündigungszeitpunkt erkennbar (vgl.  - Rn. 39). Die Beklagte wollte das Arbeitsverhältnis - im Fall der Ablehnung des Änderungsangebots - mit Ablauf des beenden. Der streitbefangenen Kündigung waren bereits mehrere (unwirksame) Kündigungen vorausgegangen. Der Kläger war seit Ende 2020 „bis auf Weiteres … unwiderruflich“ freigestellt. Damit war offenkundig, dass die Beklagte ihn in keinem Fall zu den bisherigen Vertragsbedingungen weiterbeschäftigen wollte, sondern in jedem Fall eine Änderung oder gegebenenfalls Beendigung des Arbeitsvertrags anstrebte.

212. Die Kündigung vom ist als ordentliche Kündigung wirksam.

22a) Eine ordentliche Kündigung war weder nach Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf (Rn. 11 ff.) noch gemäß § 15 Abs. 1 KSchG (Rn. 16 ff.) ausgeschlossen.

23b) Sie ist weder mangels sozialer Rechtfertigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG (hierzu rechnet auch eine mögliche Unbestimmtheit des mit der Kündigung verbundenen Änderungsangebots vgl.  - Rn. 28, 34, BAGE 167, 22) noch mangels einer auf sie bezogenen Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Der Kläger war im Kündigungszeitpunkt nicht in einem Betrieb beschäftigt, für den der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes oder das Betriebsverfassungsgesetz galt. Der insofern jeweils primär darlegungs- und beweisbelastete Kläger (sh.  - Rn. 13; - 2 AZR 1005/12 - Rn. 42) hat keine Tatsachen substantiiert vorgetragen, aufgrund derer er seinerzeit - noch - einem im Inland belegenen Betrieb im kündigungs- oder betriebsverfassungsrechtlichen Sinn zugeordnet gewesen wäre (für das Kündigungsrecht sh.  - Rn. 29). Einem Betrieb der Region Nord-Ost will er seit April 2017 ausdrücklich nicht mehr angehört haben. Das ist auch objektiv nicht ersichtlich. Ebenso wenig ist nach seinem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Vorbringen in den Tatsacheninstanzen erkennbar, dass der Kläger seither - wie er vermutet - einem Betrieb der Beklagten in München zugeordnet gewesen wäre. Eine entsprechende Verfahrensrüge hat er auch auf einen Hinweis des Senats hin nicht erhoben (Rn. 14).

24c) Sonstige Gründe für eine Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung hat der Kläger weder geltend gemacht noch sind solche ersichtlich. Die Kündigung ist insbesondere nicht gemäß § 26 Abs. 1 ArbGG bzw. § 45 Abs. 1a Satz 3 DRiG jeweils iVm. § 134 BGB nichtig. Zwar war der Kläger bei Zugang der Kündigung ehrenamtlicher Richter in der Arbeitsgerichtsbarkeit. Die Kündigung fällt aber nicht in den sachlichen Anwendungsbereich dieser Vorschriften. Einen (auch nur versteckten) Zusammenhang zwischen Richtertätigkeit und Kündigung hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Einen solchen macht auch die Revision nicht geltend.

25III. Die weiteren Anträge fallen dem Senat nicht zur Entscheidung an. Es handelt sich um unechte Hilfsanträge. Das gilt auch für den allgemeinen Feststellungsantrag.

26IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2025:180625.U.2AZR228.23.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-94208