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BVerfG Urteil v. - 2 BvQ 39/25

Erfolgloser Eilantrag auf Unterbrechung des Vollzugs einer Freiheitsstrafe - Unzulässigkeit des Antrags mangels Darlegungen zur Inanspruchnahme fachgerichtlichen Eilrechtsschutzes sowie mangels Vorlage entscheidungserheblicher Unterlagen - allerdings verfassungsrechtliche Bedenken gegen unzureichende Verfahrensförderung durch Strafvollstreckungsbehörden

Gesetze: Art 2 Abs 2 S 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 27 GVGEG, § 455 Abs 4 StPO

Instanzenzug: Az: 2 BvQ 29/25 Ablehnung einstweilige Anordnung

Gründe

I.

1Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft die bislang unterbliebene Entscheidung der Staatsanwaltschaft Berlin über einen Antrag auf Haftunterbrechung.

21. Der Antragsteller verbüßt eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten wegen Betrugs. Er wurde am von Spanien an Deutschland ausgeliefert und befindet sich seit dem in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel. Der Antragsteller leidet - soweit ersichtlich - an einem aggressiven Tumor des Lymphgewebes und HIV.

32. Mit Schreiben vom und wandte sich der damalige Bevollmächtigte des Antragstellers mit dem Antrag an die Staatsanwaltschaft Berlin, die Strafhaft wegen des Gesundheitszustands des Antragstellers zu unterbrechen. Seitdem erging - soweit ersichtlich - keine Entscheidung der Staatsanwaltschaft Berlin.

43. Mit Beschluss vom lehnte die 2. Kammer des Zweiten Senats einen ersten Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Verfahren 2 BvQ 29/25 ab.

II.

5Mit seinem am eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rügt der nunmehr nicht mehr anwaltlich vertretene Antragsteller insbesondere die Verletzung des Schutzes seines Lebens (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die Staatsanwaltschaft Berlin zur Entscheidung über den Antrag auf Haftunterbrechung verpflichtet werden solle.

III.

6Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen.

71. a) Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

8b) Als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes hat die einstweilige Anordnung auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren die Aufgabe, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern; sie soll auf diese Weise dazu beitragen, Wirkung und Bedeutung einer erst noch zu erwartenden Entscheidung in der Hauptsache zu sichern und zu erhalten (vgl. BVerfGE 42, 103 <119>). Deshalb bleiben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 89, 38 <44>; 103, 41 <42>; 118, 111 <122>; stRspr). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 132, 195 <232 f. Rn. 87>; stRspr).

9c) Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (vgl. BVerfGE 102, 197 <207>; 104, 65 <70>; stRspr) gilt auch für den vorgelagerten verfassungsrechtlichen Eilrechtsschutz (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvQ 84/09 -, Rn. 2 m.w.N.). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens oder in dessen Vorfeld kommt daher nur in Betracht, wenn der Antragsteller bestehende Möglichkeiten, fachgerichtlichen Eilrechtsschutz zu erlangen, ausgeschöpft hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvQ 84/09 -, Rn. 2). Denn das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Bundesverfassungsgericht ist - anders als der vorläufige Rechtsschutz im fachgerichtlichen Verfahren - nicht darauf angelegt, möglichst lückenlos vorläufigen Rechtsschutz zu bieten (vgl. BVerfGE 94, 166 <216>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvQ 9/14 -, Rn. 3). Erst recht nicht ist das Verfahren nach § 32 Abs. 1 BVerfGG darauf angelegt, das fachgerichtliche Verfahren vorwegzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvQ 52/16 -, Rn. 4).

10d) Zwar ist nicht erforderlich, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits ein Verfassungsbeschwerdeverfahren in der Hauptsache anhängig ist; ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann auch isoliert und im Vorgriff auf eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde gestellt werden (vgl. BVerfGE 105, 235 <238>; 113, 113 <119 f.>; stRspr). Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 32 BVerfGG gehört aber eine den Anforderungen des § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG entsprechende Begründung (vgl. BVerfGE 160, 191 <203 Rn. 32> m.w.N. - 2G+-Regel bei Gedenkstunde des Deutschen Bundestages - eA).

112. Gemessen hieran ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen, weil der Antragsteller nicht substantiiert zum Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung vorgetragen hat.

12a) Es fehlt schon an einer substantiierten Darlegung dazu, ob der Antragsteller bestehende Möglichkeiten, fachgerichtlichen (Eil-)Rechtsschutz zu erlangen, ausgeschöpft hat und ob dem Eilantrag der auch im einstweiligen Rechtsschutz zu beachtende allgemeine Grundsatz der Subsidiarität entgegensteht.

13aa) Namentlich hat sich der Antragsteller weiterhin nicht hinreichend mit den ihm offenstehenden fachgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten auseinandergesetzt und insbesondere nicht vorgetragen, hinsichtlich der fehlenden Verbescheidung seines Antrags auf Haftaussetzung fachgerichtlichen Rechtsschutz nach § 27 EGGVG ersucht zu haben.

14bb) Auch hat der Antragsteller nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, dass ihm die Einlegung eines fachgerichtlichen Rechtsbehelfs unzumutbar wäre. Das Begehren des Antragstellers bedarf weiterer Aufklärung und Prüfung, die vorrangig im fachgerichtlichen Verfahren vorgenommen werden muss. Dass hiervon ausnahmsweise abgewichen werden müsste, etwa weil eine Klärung im vorliegenden Verfahren rechtsschutzintensiver und besser möglich wäre, trägt der Antragsteller schon nicht hinreichend vor. Er behauptet lediglich pauschal, dass fachgerichtlicher Rechtsschutz nicht rechtzeitig erreichbar wäre, ohne sich mit dem Grundsatz der Subsidiarität auseinanderzusetzen.

15b) Weiter kann mangels Vorlage beziehungsweise hinreichender Wiedergabe von für die Prüfung erforderlicher Unterlagen nicht nachvollzogen werden, ob die zu erwartende Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache offensichtlich unbegründet wäre.

16aa) Der Antragsteller legt bereits nicht sämtliche Dokumente vor, die für eine verantwortbare verfassungsrechtliche Prüfung der verletzt gerügten Grundrechte erforderlich wären. Dies betrifft insbesondere Befunde oder aussagekräftige medizinische Unterlagen, obwohl sich aus seinem Vortrag Anhaltspunkte dafür ergeben, dass ihm diese vorliegen. Zum einen nahm der Antragsteller nach seinem eigenen Vortrag erst kürzlich Einsicht in seine Gefangenenpersonalakte. Zum anderen verweist der Antragsteller in seiner Strafanzeige vom auf Laborbefunde unter anderem vom und .

17bb) Daneben vermochte der Antragsteller Widersprüchlichkeiten im Vortrag zu seinem Gesundheitszustand, auch mangels Vorlage entsprechender (medizinischer) Unterlagen, nicht aufzulösen. Dies betrifft insbesondere eine zwischenzeitliche Verbesserung seiner Blutwerte, auf die er selbst in seiner Strafanzeige vom Bezug nimmt und dem Arzt die Fälschung der Ergebnisse vorwirft.

18cc) Auch zu dem Umstand, inwieweit die von ihm begehrte Krebsbehandlung außerhalb des Strafvollzugs medizinisch angezeigt und durchführbar ist, trägt er nicht hinreichend substantiiert vor. Soweit der Antragsteller medizinische Verlaufsbögen vorlegt und darauf verweist, dass den dort dokumentierten Überweisungsanfragen seitens der Justizvollzugsanstalt nicht nachgekommen worden sei und der Antragsteller damit nicht hinreichend behandelt werde, erlauben diese Unterlagen keine belastbare Prüfung. Sie sind weitgehend unlesbar und lassen jedenfalls keine Prüfung zu, ob und welche (fachärztlichen) Untersuchungen vorgenommen worden sind.

193. Aufgrund dieser Substantiierungsmängel müssen verfassungsrechtliche Bedenken an der bislang fehlenden Verbescheidung des Antrags auf Haftaussetzung durch die Staatsanwaltschaft Berlin dahinstehen. Es verbleiben auf Grundlage des Vortrags des Antragstellers Zweifel, ob die Staatsanwaltschaft die zeitliche Brisanz und die in Rede stehende Bedeutung des Lebensschutzes des Antragstellers im Blick behält. Soweit die Staatsanwaltschaft - zuletzt soweit ersichtlich mit Schreiben vom - die Justizvollzugsanstalt Tegel um Stellungnahme gebeten hat, ging etwa diese Bitte nicht mit einer Fristsetzung einher. Auch anderweitige Anhaltspunkte einer nachdrücklichen Verfahrensförderung sind dem Schreiben nicht zu entnehmen.

20Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:qk20250606.2bvq003925

Fundstelle(n):
BAAAJ-93952