Zuständiges Gericht für Streitigkeiten aufgrund des Einigungsvertrags um außerhalb des Beitrittsgebiets belegene Grundstücke; Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen
Gesetze: § 52 Nr 1 VwGO, § 53 Nr 3 VwGO, § 1 Abs 1 Nr 1 VZOG, § 7 Abs 6 VZOG, § 6 Abs 2 VZOG, Art 22 Abs 1 EinigVtr
Instanzenzug: Az: 29 K 158/24
Gründe
1Das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen stellte mit Bescheid vom fest, die Bundesrepublik Deutschland sei nach Art. 22 Abs. 1 Einigungsvertrag (EV) am Eigentümerin eines in Schleswig-Holstein und eines in Niedersachsen belegenen Grundstücks sowie Inhaberin der Salzabbaugerechtigkeit an drei weiteren, ebenfalls in Niedersachsen belegenen Grundstücken geworden. Im Grundbuch sei an diesem Stichtag jeweils die im Beitrittsgebiet belegene Gemeinde V. als Eigentümerin oder - hinsichtlich der niedersächsischen Grundstücke - als Rechtsträgerin eingetragen gewesen. Nach dem Finanzvermögen-Staatsvertrag und dem Gesetz über die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben sei die Beigeladene Eigentümerin des noch nicht rechtsgeschäftlich veräußerten Vermögens sowie Inhaberin aller Surrogatsansprüche für rechtsgeschäftlich veräußertes Vermögen geworden. Die Klägerin hat als Rechtsnachfolgerin der Gemeinde V. Klage gegen den Bescheid vor dem Verwaltungsgericht Berlin erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Beteiligten zur Verfahrenstrennung und Verweisung des Rechtsstreits an das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht angehört, soweit der Rechtsstreit das in Schleswig-Holstein belegene Grundstück betreffe, und im Übrigen zur Verweisung an das Verwaltungsgericht Lüneburg. Das Verwaltungsgericht Berlin sei für das Verfahren weder nach § 52 VwGO noch nach § 6 Abs. 2 VZOG zuständig. Dem ist die Beigeladene entgegengetreten. Sie meint, die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Berlin sei in entsprechender Anwendung von § 6 Abs. 2 VZOG gegeben. Sie hat beantragt, das zuständige Gericht innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch das nächsthöhere Gericht zu bestimmen.
2Die Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts ist unzulässig. Es liegt kein Fall vor, in dem § 53 Abs. 1 VwGO eine Zuständigkeitsbestimmung durch das nächsthöhere Gericht - vorliegend das Bundesverwaltungsgericht - eröffnet.
3Nach § 53 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, auf den die Beigeladene ihren Antrag stützt, kann eine Zuständigkeitsbestimmung durch das nächsthöhere Gericht erfolgen, wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung der Gerichtsbarkeit rechtlich oder tatsächlich verhindert ist. Eine solche Situation ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.
4Es liegt auch kein Fall des § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO vor. Die Vorschrift ermächtigt das nächsthöhere Gericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Verwaltungsgerichts, wenn sich der Gerichtsstand nach § 52 VwGO richtet und verschiedene Gerichte in Betracht kommen. Sie setzt voraus, dass sich aus § 52 VwGO eine mehrfache örtliche Zuständigkeit für einen Streitgegenstand ergibt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 9 AV 1.98 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 25 S. 2 und vom - 2 AV 1.24 - NVwZ-RR 2024, 846 Rn. 5 f.). Das macht die Beigeladene nicht geltend, und es trifft auch nicht zu. § 52 Nr. 1 VwGO sieht bei Streitigkeiten um unbewegliches Vermögen wie die verfahrensgegenständlichen Grundstücke eine ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts vor, in dem dieses Vermögen belegen ist. Gleiches gilt für Streitigkeiten um ortsgebundene Rechte wie die grundstücksgebundene Salzabbaugerechtigkeit.
5Der Vortrag der Beigeladenen, hier sei die spezielle Zuständigkeitsregelung des § 6 Abs. 2 VZOG analog anzuwenden, vermag keine Mehrfachzuständigkeit im Sinne des § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO zu begründen. Dabei kann offenbleiben, ob diese Vorschrift - über ihren Wortlaut hinaus - auch mehrfache Zuständigkeitszuweisungen durch § 52 VwGO und prozessrechtliche Regelungen in anderen Gesetzen erfasst. Eine solche Mehrfachzuweisung liegt jedenfalls nicht vor.
6Die einzig alternativ in Betracht kommende Zuweisung nach § 6 Abs. 2 VZOG ist nicht einschlägig. Sie gilt nach ihrem klaren Wortlaut nur für Entscheidungen von Bundesbehörden, auf die die Zuständigkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 VZOG gemäß § 7 Abs. 6 VZOG übertragen worden ist. Ein solcher Fall liegt unstreitig nicht vor. Der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 2 VZOG kann mangels planwidriger Regelungslücke auch nicht durch Analogie erweitert werden. Nach dem systematischen Zusammenhang der Zuständigkeitsvorschriften ist schon keine Lücke erkennbar. Greift die spezielle, gegenüber § 52 VwGO vorrangige Ausnahmeregelung des § 6 Abs. 2 VZOG nicht ein, bleibt es bei der Zuständigkeitszuweisung nach den allgemeinen Regeln des § 52 VwGO, dessen Nr. 1 hier einschlägig ist und der in Nr. 5 eine Auffangvorschrift für nicht in Nr. 1 bis 4 zugewiesene Fälle enthält ( 8 ER 400.70 - BVerwGE 39, 94 <98 f.>).
7Unabhängig davon wäre eine Lücke, selbst wenn sie bestünde, nicht planwidrig. Der Gesetzgeber hat durch Einfügen des § 1 Abs. 3 Satz 2 VZOG gemäß Art. 16 Nr. 2 Buchst. b des Registerverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom (BGBl. I S. 2182) eine spezielle Regelung - nur - der behördlichen Zuständigkeit für die Zuordnung nicht im Beitrittsgebiet belegener Vermögenswerte getroffen. Obwohl ihm das Problem bewusst war, hat er durch Art. 16 Nr. 9 desselben Gesetzes die Rechtswegregelungen des § 6 VZOG nur um Regelungen zu den Gerichtskosten und zum Gegenstandswert in Absatz 3 ergänzt. Er hat also davon abgesehen, zugleich die auf Entscheidungen des Präsidenten der Treuhandanstalt beschränkte gerichtliche Zuständigkeitsregelung in Absatz 2 um eine Anknüpfung an § 1 Abs. 3 Satz 2 VZOG zu erweitern. Auch die spätere Neufassung des § 6 Abs. 2 VZOG durch das Gesetz zur Abwicklung der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvSAbwicklungsgesetz - BvSAbwG) vom (BGBl. I S. 2081) hat er nicht zum Anlass für eine solche Tatbestandserweiterung genommen. Angesichts dieser Entstehungsgeschichte der Norm kann nicht unterstellt werden, das Festhalten an der gerichtlichen Zuständigkeitszuweisung auch für außerhalb des Beitrittsgebiets belegene Grundstücke stelle ein Redaktionsversehen dar und widerspreche dem Regelungskonzept des Gesetzgebers.
8Dass die Zweckmäßigkeitserwägungen, die ihn zur Regelung der behördlichen Zuständigkeit in § 1 Abs. 3 Satz 2 VZOG bewogen haben, nach Auffassung der Beigeladenen auf die gerichtliche Zuständigkeit übertragbar wären, ändert daran nichts. Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte können keine gerichtliche Zuständigkeit begründen. Schon mit Rücksicht auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bedarf es dazu einer klaren, auch für die Rechtsschutzsuchenden erkennbaren gesetzlichen Regelung.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:260525B8AV2.25.0
Fundstelle(n):
NAAAJ-93854