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BFH Beschluss v. - V B 61/23

Rechnungsanforderungen für den Vorsteuerabzug

Leitsatz

NV: Die Berichtigung eines Dokuments, das dem nach der Rechtslage im Jahr 1999 für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Schriftformerfordernis nicht entsprach, führte nicht zu einer Rechnungsberichtigung, sondern zu einer erstmaligen Rechnungserteilung.

Gesetze: Richtlinie 77/388/EWG Art. 22 Abs. 3 Buchst. a Satz 1 und Buchst. c; UStG 1999 § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist unbegründet. Soweit Zulassungsgründe im Sinne des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) überhaupt in einer § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechenden Form dargelegt wurden, liegen sie jedenfalls nicht vor.

2 1. Die Klägerin legt mit ihrem in weiten Teilen im Stil einer Revisionsbegründung gehaltenen Beschwerdevorbringen keinen Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 115 Abs. 2 FGO dar.

3 a) Soweit die Klägerin geltend macht, dass dem „Finanzgericht (.) nicht in der Annahme zu folgen [ist], der Vorsteuerabzug wirke nicht auf den Zeitpunkt der Erfüllung seiner materiellen Voraussetzungen zurück, sondern habe erst für den Vorauszahlungszeitraum zu erfolgen, in dem auch die formellen Voraussetzungen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 UStG bzw. Art. 179 MwStSystRL vorliegen“, wendet sie sich lediglich gegen die materielle Rechtsanwendung durch das Finanzgericht (FG), womit die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht erreicht werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom  - X B 155/15, BFH/NV 2016, 1139, Rz 13; vom  - XI B 24/17, BFH/NV 2018, 60, Rz 29; vom  - VIII B 130/20, BFH/NV 2022, 97, Rz 18). Vergleichbares gilt, soweit die Klägerin vorbringt, die Ausführungen des FG zum Schutz des guten Glaubens des Steuerpflichtigen an in Rechnungen enthaltene unrichtige Angaben, lägen „neben der Sache“.

4 b) Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Klägerin bei ihren materiell-rechtlichen Rügen zudem von in rechtlicher Hinsicht unzutreffenden Annahmen ausgeht.

5 aa) So kommt es nicht darauf an, dass im Schrifttum „die grundsätzliche Rückwirkung der Rechnungsberichtigung“ bestätigt werde, wenn es im Streitfall mangels im Jahr 1999 (Streitjahr) erteilter Rechnungen allein um die von der Klägerin begehrte Rückwirkung einer erstmaligen Rechnungserteilung gehen kann (vgl. Senatsurteil vom  - V R 14/18, BFHE 267, 120, BStBl II 2020, 596, Rz 41), so dass damit auch die Grundlage für „eine offensichtliche Divergenz sowohl zur Rechtsprechung des EuGH als auch zu derjenigen des BFH“ in Bezug auf die Frage der Rückwirkung einer Rechnungsberichtigung entfällt.

6 bb) Weiter hat der Senat im Urteil vom  - V R 14/18 (BFHE 267, 120, BStBl II 2020, 596) entgegen dem Vortrag der Klägerin nicht die Auffassung vertreten, „für eine berichtigungsfähige Rechnung fehle es an Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer“, während es ausweislich des Tatbestandes des Urteils des FG „nur an dem Erfordernis der Übermittlung einer zusätzlichen Gutschrift auf Papier“ gefehlt habe. Vielmehr hat der Senat in seinem Urteil vom  - V R 14/18 (BFHE 267, 120, BStBl II 2020, 596, Rz 18 bis 27) für die Berichtigungsfähigkeit einer Rechnung nicht auf das Vorliegen bestimmter Rechnungsangaben, sondern auf das Vorliegen einer Ursprungsrechnung, an der es im Streitfall fehlt, abgestellt.

7 Im Hinblick hierauf fehlt es entgegen der Auffassung der Klägerin auch an einem Widerspruch zum Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Wilo Salmson France vom  - C-80/20, EU:C:2021:870, für den die Klägerin wiederum geltend macht, dass im Vorliegen der von ihr benannten Rechnungsangaben keine materielle Voraussetzung für den Vorsteuerabzug zu sehen sei, zumal sich auch aus diesem EuGH-Urteil nicht ergibt, dass einer erstmaligen Rechnungserteilung Rückwirkung auf einen Jahre zuvor erfolgten Leistungsbezug zukommt. Denn nach Maßgabe seiner ersten Antwort hat der EuGH hier entschieden, „dass ein Steuerpflichtiger, der nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, den Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer, mit der eine Lieferung von Gegenständen belastet wurde, nicht geltend machen kann, wenn er keine Rechnung (.) über den Erwerb der betreffenden Gegenstände besitzt“ und dass nur, „wenn ein Dokument so fehlerhaft ist, dass der nationalen Steuerverwaltung die zur Begründung eines Erstattungsantrags erforderlichen Angaben fehlen, (.) davon ausgegangen werden [kann], dass ein solches Dokument keine 'Rechnung' im Sinne der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2010/45 geänderten Fassung ist“. Ebendies ist dann zu bejahen, wenn es an der im Streitjahr noch erforderlichen Rechnungsurkunde fehlt, da dann das erforderliche Dokument (Rechnung) nicht nur fehlerhaft, sondern als nicht vorhanden anzusehen ist. Dem weiter von der Klägerin angeführten EuGH-Urteil Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136 vom  - C-9/20, EU:C:2022:88 lässt sich ebenso keine Rückwirkung einer erstmaligen Rechnungserteilung entnehmen.

8 cc) Soweit die Klägerin zur „Rückwirkung der Erfüllung von nationalen Formerfordernissen, welche über das vom Unionsrecht Geforderte hinausgehen“, geltend macht, dass im Streitjahr „alle vom Unionsrecht geforderten formellen Anforderungen an den Vorsteuerabzug“ erfüllt gewesen seien, lässt sie den im Streitjahr bestehenden Harmonisierungsstand des Unionsrechts außer Betracht. Der insoweit maßgebliche Art. 22 Abs. 3 Buchst. a Satz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (Richtlinie 77/388/EWG) hatte folgenden Wortlaut: Jeder Steuerpflichtige hat für die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen, die er an einen anderen Steuerpflichtigen bewirkt, eine Rechnung oder ein an deren Stelle tretendes Dokument auszustellen. Art. 22 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG bestimmte zudem, dass die Mitgliedstaaten die Kriterien festlegen, nach denen ein Dokument als Rechnung betrachtet werden kann.

9 Danach war es Sache der Mitgliedstaaten, die formellen Anforderungen zu definieren, so dass es keine „vom Unionsrecht geforderten formellen Anforderungen“ gab, die für sich genommen einen Vorsteuerabzug ermöglichten (Senatsurteil vom  - V R 14/18, BFHE 267, 120, BStBl II 2020, 596, Rz 27). Im Hinblick auf die den Mitgliedstaaten so eingeräumte Ermächtigung bestand entgegen der Auffassung der Klägerin keine nationale Regelung, die über das vom Unionsrecht geforderte Mindestmaß hinausging. Vielmehr fehlte es an einer unionsrechtlichen Regelung, da das Unionsrecht diese dem nationalen Gesetzgeber überantwortete.

10 c) Soweit die Klägerin im Übrigen auf die an dem Senatsurteil vom  - V R 14/18 (BFHE 267, 120, BStBl II 2020, 596) im Schrifttum geübte Kritik verweist, verzichtet sie dabei auf eigene inhaltliche Ausführungen und lässt zudem unberücksichtigt, dass sich diese Kritik bei einer Durchsicht des von der Klägerin angeführten Schrifttums insbesondere auf die Auslegung des Senats in Bezug auf das EuGH-Urteil Vadan vom  - C-664/16, EU:C:2018:933, das im Übrigen nicht zu der im Streitjahr bestehenden Rechtslage nach der Richtlinie 77/388/EWG, sondern zur Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) ergangen ist, bezieht, wobei sich der Senat bereits in seinem Urteil vom  - V R 14/18 (BFHE 267, 120, BStBl II 2020, 596) nicht nur zu diesem Urteil geäußert, sondern sich auch mit dem vom Senatsurteil abweichenden Verständnis dieses EuGH-Urteils im Schrifttum beschäftigt hatte (Senatsurteil vom  - V R 14/18, BFHE 267, 120, BStBl II 2020, 596, Rz 39 f.). Zudem lässt die an der Entscheidung des Senats im ersten Rechtsgang geäußerte Kritik die im Streitjahr bestehende Besonderheit außer Betracht, dass der nationale Gesetzgeber aufgrund einer für die Mitgliedstaaten bestehenden Regelungsbefugnis (s. oben 1.b cc zu der für die Mitgliedstaaten nach Art. 22 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG bestehenden Regelungsbefugnis) für Rechnungen ein Schriftformerfordernis schaffen durfte, aus dem sich ergab, dass Rechnung und Rechnungsberichtigung diesem Erfordernis unterlagen und weitergehende Prüfungspflichten ausgeschlossen werden sollten. In der Folge führte die Berichtigung eines Dokuments, das dem Schriftformerfordernis nicht entsprach, nicht zu einer Rechnungsberichtigung oder „Ergänzung der Rechnung“ (so jedoch von Streit/Streit, Umsatzsteuer-Rundschau 2020, 209, 211 ff.), sondern zu einer erstmaligen Rechnungserteilung, da sich Berichtigung wie auch Ergänzung auf ein bereits vorhandenes Objekt (hier: Rechnung in Schriftform) beziehen müssen, an dem es im Streitfall fehlt.

11 2. Im Übrigen ist die Revision nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.

12 a) Macht ein Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend, so hat er zunächst eine bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche, abstrakte Rechtsfrage herauszustellen. Dafür ist erforderlich, dass er die entscheidungserhebliche Rechtsfrage hinreichend konkretisiert; nicht ausreichend ist eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Des Weiteren muss die Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen darlegen, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. Dazu muss ausgeführt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchem Grunde die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom  - X B 79/16, BFH/NV 2017, 774, Rz 11; vom  - VIII B 30/19, BFH/NV 2020, 778, Rz 3).

13 Betrifft die Rechtsfrage ausgelaufenes Recht, müssen in der Beschwerdebegründung besondere Gründe geltend gemacht werden, die ausnahmsweise eine Abweichung von der Regel rechtfertigen, wonach Rechtsfragen, die solches Recht betreffen, regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung mehr zukommt. So ist unter anderem darzulegen, dass sich die Frage noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft weiterhin stellen kann, wie dies bei Fragen aus fortgeltendem Recht regelmäßig der Fall ist (BFH-Beschlüsse vom  - I B 79/17, BFH/NV 2022, 23, Rz 8; vom  - IV B 27/20, BFH/NV 2021, 538, Rz 3).

14 b) Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

15 aa) Soweit die Klägerin geltend macht, die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung sei schon dann geboten, wenn dargetan werde, dass zu einer Vorlage an den EuGH führende Zweifel an der Gültigkeit einer entscheidungserheblichen Norm des Unionsrechts bestehen könnten, fehlt es bereits an der Angabe einer solchen Norm und damit an der Formulierung einer konkreten —im Streitfall entscheidungserheblichen— Rechtsfrage. Hinzu tritt, dass die Klägerin geltend macht, Art. 167 MwStSystRL stelle die allgemeine Regel auf, dass das Recht des Erwerbers oder Dienstleistungsempfängers auf Vorsteuerabzug entstehe, wenn der Anspruch gegen den Lieferer oder Dienstleistungserbringer auf die entsprechende abziehbare Steuer entstehe, während nach Art. 63 MwStSystRL Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt einträten, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht werde, und der Anspruch der Klägerin auf Vorsteuerabzug infolgedessen im Streitjahr entstanden sei. Dabei lässt die Klägerin aber außer Betracht, dass es nach dem im Streitjahr geltenden Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG zudem darauf ankam, dass der Steuerpflichtige, um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, über die nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG abziehbare Steuer eine nach der Richtlinie ausgestellte Rechnung besitzen musste. Vor diesem Hintergrund bleibt unklar, weshalb die Entscheidung im Streitfall von der Gültigkeit anderer Bestimmungen als denen des Art. 18 Abs. 1 Buchst. a und des Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG und dabei von den von der Klägerin vorstehend zitierten Bestimmungen abhängen sollte (vgl. auch Senatsurteil vom  - V R 14/18, BFHE 267, 120, BStBl II 2020, 596, Rz 17 und 41 f.).

16 bb) Auch für die von der Klägerin —wenn auch allenfalls sinngemäß— aufgeworfene Frage nach dem (Nicht-)Bestehen einer Bindungswirkung im Sinne des § 126 Abs. 5 FGO im Fall einer ohne Vorlage an den EuGH erfolgten unrichtigen Auslegung des Unionsrechts durch den BFH fehlt es an der hinreichend substantiierten Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung. Die Reichweite der Bindungswirkung des FG an die rechtliche Beurteilung des BFH nach § 126 Abs. 5 FGO ist grundsätzlich nicht abstrakt, sondern am konkreten Einzelfall orientiert zu bestimmen, so dass es damit grundsätzlich an der Klärungsbedürftigkeit fehlt (, BFH/NV 2014, 1073, Rz 16). Etwas anderes ist auch im konkreten Streitfall nicht zu erkennen.

17 (1) Ungeachtet des Umstandes, dass bei Bestehen der von der Klägerin behaupteten „ständigen Rechtsprechung des EuGH, wonach nationale Vorschriften, welche die Bindung des Gerichts, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, an die Rechtsauffassung seines nationalen Obergerichts vorschreiben, nicht anwendbar sind, wenn das Obergericht das Unionsrecht ohne vorherige Befragung des EuGH ausgelegt hat“, die von der Klägerin aufgeworfene Frage als höchstrichterlich geklärt anzusehen wäre, ergibt sich eine solche „ständige Rechtsprechung“ aus den von der Klägerin in Bezug genommenen Entscheidungen des EuGH nicht.

18 Vielmehr kann diesen allein die Aussage entnommen werden, dass es einem Gericht, das nicht in letzter Instanz entscheidet, auch bei Bestehen einer innerstaatlichen Rechtsnorm, die diese Gerichte an die rechtliche Beurteilung eines übergeordneten Gerichts bindet, freistehen muss, dem EuGH die Fragen vorzulegen, bei denen es Zweifel hat, insbesondere dann, wenn es der Ansicht ist, dass es aufgrund der rechtlichen Beurteilung des übergeordneten Gerichts zu einem unionsrechtswidrigen Urteil gelangen könnte (EuGH-Urteil Rheinmühlen-Düsseldorf vom  - C-166/73, EU:C:1974:3, Rz 4; dem folgend EuGH-Urteile Cartesio vom  - C-210/06, EU:C:2008:723, Rz 94; ERG u.a. vom  - C-378/08, EU:C:2010:126, Rz 32; Melki und Abdeli vom  - C-188/10 und C-189/10, EU:C:2010:363, Rz 42; ebenso EuGH-Urteil Krizan vom  - C-416/10, EU:C:2013:8, Rz 68). Macht ein Gericht, das nicht in letzter Instanz entscheidet, von der ihm nach Art. 267 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) eingeräumten Möglichkeit zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens Gebrauch, ist es an die Auslegung der fraglichen Vorschriften durch den EuGH für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens gebunden und muss gegebenenfalls von der Beurteilung des höheren (nationalen) Gerichts abweichen, wenn es angesichts dieser Auslegung der Auffassung ist, dass sie nicht dem Unionsrecht entspricht (EuGH-Urteil Elchinov vom  - C-173/09, EU:C:2010:581, Rz 30; dem folgend EuGH-Urteil Krizan vom  - C-416/10, EU:C:2013:8, Rz 69).

19 (2) Dass aber zweifelhaft und streitig ist, ob die Bindungswirkung des § 126 Abs. 5 FGO auch dann Geltung beansprucht, wenn das FG —wie im Streitfall— dem EuGH keine Frage zur Vorabentscheidung im Sinne des Art. 267 Abs. 2 AEUV stellt, legt die Klägerin nicht dar. Schon angesichts des Umstandes, dass nach dem Schrifttum über die Rechtsaussage des (BFHE 140, 11, BStBl II 1984, 317), wonach das FG, das im dortigen Streitfall kein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet hatte, an eine dem Urteil des BFH im ersten Rechtsgang zugrunde liegende rechtliche Beurteilung auch dann gebunden ist, wenn die Auslegung von Unionsrecht in Frage steht, „Einigkeit“ bestehen soll (so ausdrücklich Krumm in Tipke/Kruse, § 126 FGO Rz 85; vgl. auch Dürr in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 126 FGO Rz 35; Rüsken in Gosch, FGO § 126 Rz 100), durfte sich die Klägerin nicht auf die schlichte Behauptung beschränken, diese Entscheidung sei durch die inzwischen ergangene EuGH-Rechtsprechung überholt.

20 (3) Nichts anderes gilt, soweit die Klägerin —weitgehend im Stile einer Revisionsbegründung— geltend macht, dass das Senatsurteil vom  - V R 14/18 (BFHE 267, 120, BStBl II 2020, 596, Rz 41), wonach die von der Klägerin an ihre Lieferanten übermittelten, als „EDI-Rechnungen“ bezeichneten Dokumente als Nichtrechnungen nicht berichtigungsfähig waren, nicht im Einklang mit dem Unionsrecht stehe. Denn insoweit fehlen Ausführungen dazu, ob und aus welchen Gründen die Frage, ob die Bindungswirkung des § 126 Abs. 5 FGO —vergleichbar dem Fall einer Entscheidung des Großen Senats des , BFH/NV 2007, 909, Rz 10)— entfällt, wenn —wie von der Klägerin für den Streitfall behauptet— zwischenzeitlich eine abweichende Entscheidung des EuGH ergangen ist (bejahend , Entscheidungen der Finanzgerichte 1990, 120; ebenso Krumm in Tipke/Kruse, § 126 FGO Rz 90; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 126 Rz 29), zweifelhaft sowie umstritten —und damit klärungsbedürftig— ist. Zudem besteht keine EuGH-Rechtsprechung, die für den hier vorliegenden Fall, dass bei der ursprünglichen Leistungserbringung zwar ein Dokument vorliegt, das aber aufgrund der im Streitjahr noch erforderlichen Schriftform nicht als Rechnung anzusehen ist —so dass es sich bei einer später erteilten Rechnung nicht um eine Rechnungsberichtigung, sondern um eine erstmalige Rechnungserteilung handelt—, von einem auf den Zeitpunkt der Lieferung zurückwirkenden Vorsteuerabzug ausgeht. Vielmehr bezieht sich die von der Klägerin hierfür zitierte EuGH-Rechtsprechung auf die anders gelagerte Fallkonstellation, dass bereits bei der ursprünglichen Leistungserbringung eine Rechnung vorlag, die lediglich Mängel aufweist, die dann mit Rückwirkung berichtigt werden können (s. oben 1.b und c).

21 cc) Ungeachtet der Frage, ob man den übrigen —weitgehend im Stil einer Revisionsbegründung gehaltenen— Ausführungen der Klägerin überhaupt eine konkrete Rechtsfrage entnehmen kann, betrifft eine solche allenfalls die —von der Klägerin dem FG-Urteil entnommene— Aussage, ein Vorsteuerabzug wirke nicht auf den Zeitpunkt der Erfüllung seiner materiellen Voraussetzungen zurück, sondern habe erst für den Vorauszahlungszeitraum zu erfolgen, in dem auch die formellen Voraussetzungen vorlägen.

22 (1) Soweit die Klägerin damit auf die „formellen Voraussetzungen“ des Vorsteuerabzugs abstellt, ist zu berücksichtigen, dass der Senat —an dessen rechtliche Beurteilung sich das FG nach § 126 Abs. 5 FGO gebunden sah— den Vorsteuerabzug für das Streitjahr verneinte, da die von der Klägerin an ihre Lieferanten übermittelten, als „EDI-Rechnungen“ bezeichneten Dokumente als Nichtrechnungen nicht berichtigungsfähig waren (Senatsurteil vom  - V R 14/18, BFHE 267, 120, BStBl II 2020, 596, Rz 41). Demgegenüber verhält sich das Vorbringen der Klägerin nicht dazu, aus welchen Gründen im Streitfall die Frage, ob in Fällen, in denen zunächst überhaupt keine Abrechnungen —das heißt auch keine Abrechnungen, welche die gesetzlichen Anforderungen an nicht auf Papier übermittelte Rechnungen nicht erfüllen— ausgestellt wurden, ein Vorsteuerabzug im Zeitpunkt der Ausführung der Leistung zu gewähren ist, klärungsfähig sein soll.

23 (2) Für die Klärung der damit allein in Betracht kommenden Frage nach der Rückwirkung der Ausstellung einer Rechnung auf Papier im Fall eines zunächst auf Grundlage einer im sogenannten „EDI-Verfahren“ übermittelten Abrechnung geltend gemachten Vorsteuerabzugs in einem zu erwartenden Revisionsverfahren besteht angesichts des im Streitfall ergangenen Senatsurteils vom  - V R 14/18 (BFHE 267, 120, BStBl II 2020, 596) kein Bedürfnis. Doch selbst wenn man davon ausgeht, dass die Klägerin —wie in einem solchen Fall zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung erforderlich (z.B. , BFH/NV 2015, 1369)— hinreichend substantiiert neue Gesichtspunkte vorgetragen hätte, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen könnten, ist jedenfalls zu beachten, dass im Vergleich zu der im Streitjahr geltenden Rechtslage bereits zum Zeitpunkt der Einlegung der hier vorliegenden Beschwerde abweichende Anforderungen an die Form, in welcher für die Ausübung des Vorsteuerabzugs erforderliche Rechnungen zu übermitteln sind, galten, die —darüber hinaus— in der Folge weiteren Änderungen unterworfen waren.

24 (a) Nach § 14 Abs. 1 Satz 7 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der bis zum geltenden Fassung (a.F.) sind Rechnungen auf Papier oder vorbehaltlich der Zustimmung des Empfängers elektronisch zu übermitteln. Eine elektronische Rechnung ist eine Rechnung, die in einem elektronischen Format ausgestellt und empfangen wird (§ 14 Abs. 1 Satz 8 UStG a.F.). Nach der ab dem geltenden Rechtslage kann gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 UStG eine Rechnung als elektronische Rechnung oder —vorbehaltlich von § 14 Abs. 2 UStG— als sonstige Rechnung übermittelt werden. Eine elektronische Rechnung ist eine Rechnung, die in einem strukturierten elektronischen Format im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 6 UStG ausgestellt, übermittelt und empfangen wird und eine elektronische Verarbeitung ermöglicht (§ 14 Abs. 1 Satz 3 UStG), während eine sonstige Rechnung in einem anderen elektronischen Format oder auf Papier übermittelt wird (§ 14 Abs. 1 Satz 4 UStG). Nach § 14 Abs. 1 Satz 5 UStG bedarf die Übermittlung einer elektronischen Rechnung oder einer sonstigen Rechnung in einem elektronischen Format der Zustimmung des Empfängers, soweit —was ausschließlich für die elektronische Rechnung in Betracht kommt— keine Verpflichtung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 UStG besteht.

25 Abweichend von § 14 Abs. 1 und 2 UStG kann nach § 27 Abs. 38 Satz 1 UStG —unter anderem— bis zum eine Rechnung für einen nach dem und vor dem ausgeführten Umsatz auf Papier oder vorbehaltlich der Zustimmung des Empfängers in einem elektronischen Format, das nicht § 14 Abs. 1 Satz 6 UStG entspricht, übermittelt werden (Nr. 1) und bis zum für einen nach dem und vor dem ausgeführten Umsatz vorbehaltlich der Zustimmung des Empfängers in einem elektronischen Format, das nicht § 14 Abs. 1 Satz 6 UStG entspricht, ausgestellt werden, wenn diese mittels elektronischem Datenaustausch (EDI) nach Art. 2 der Empfehlung 94/820/EG der Kommission vom über die rechtlichen Aspekte des elektronischen Datenaustausches (Amtsblatt —ABl— Nr. L 338 vom , 98) übermittelt wird (Nr. 3).

26 Die nach § 14 Abs. 1 Satz 2 UStG a.F. und § 14 Abs. 3 Satz 1 UStG erforderliche Echtheit der Herkunft und die Unversehrtheit des Inhalts gelten gemäß § 14 Abs. 3 Nr. 2 UStG a.F. und § 14 Abs. 3 Satz 6 Nr. 2 UStG bei einer elektronischen Rechnung als gewährleistet durch den elektronischen Datenaustausch (EDI) nach Art. 2 der Empfehlung 94/820/EG der Kommission vom über die rechtlichen Aspekte des elektronischen Datenaustausches (ABl Nr. L 338 vom , 98), wenn in der Vereinbarung über diesen Datenaustausch der Einsatz von Verfahren vorgesehen ist, die die Echtheit der Herkunft und die Unversehrtheit der Daten gewährleisten.

27 (b) Besondere Gründe, die trotz dieser geänderten Rechtslage ausnahmsweise eine (erneute) Klärung der von der Klägerin —allenfalls sinngemäß— aufgeworfenen Frage durch den BFH rechtfertigen würden, sind von der Klägerin nicht dargelegt worden und auch sonst nicht ersichtlich. So erschließt sich insbesondere angesichts des Umstandes, dass nach der bis zum geltenden Rechtslage das im Streitfall angewandte „EDI-Verfahren“ in § 14 Abs. 3 Nr. 2 UStG a.F. —unter bestimmten Bedingungen— ausdrücklich anerkannt war, Rechnungen ungeachtet der nunmehr in § 14 Abs. 1 Satz 6 UStG aufgestellten Anforderungen an elektronische Rechnungen bis zum grundsätzlich weiterhin in diesem Verfahren übermittelt werden dürfen sowie ab dem nach § 14 Abs. 1 Satz 4 UStG darüber hinaus Rechnungen in einem „anderen elektronischen Format“ grundsätzlich zulässig sind, nicht, aus welchen Gründen die Frage, zu welchem Zeitpunkt bei einer zunächst nicht auf Papier übermittelten Rechnung ein Vorsteuerabzug zu gewähren ist, heute noch für eine Vielzahl von Fällen von Bedeutung ist und deshalb eine Entscheidung des BFH erfordern könnte. Vielmehr wird in einem solchen Fall —wenn nicht bereits nach § 14 Abs. 3 Nr. 2 UStG a.F. von einer generellen Zulässigkeit der Übermittlung im sogenannten „EDI-Verfahren“ auszugehen ist— in aller Regel eine Zustimmung des Empfängers gemäß § 27 Abs. 38 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 3 UStG zu einer Übermittlung in einem Format, das nicht § 14 Abs. 1 Satz 6 UStG entspricht, oder zu einer Übermittlung einer sonstigen Rechnung in einem elektronischen Format im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 5 UStG vorliegen.

28 3. Weiter kommt auch keine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO wegen Divergenz zu Entscheidungen des BFH und des EuGH in Betracht.

29 a) Eine Divergenz, die eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO rechtfertigt, liegt vor, wenn das FG seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt (z.B. Senatsbeschluss vom  - V B 43/14, BFH/NV 2015, 68; , BFH/NV 2013, 1816). Eine Divergenz liegt allerdings nur dann vor, wenn das FG bei einem gleich oder ähnlich gelagerten Sachverhalt in einer bestimmten entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der —dieselbe Rechtsfrage betreffenden— Rechtsauffassung eines anderen Gerichts abweicht (z.B. Senatsbeschluss vom  - V B 20/08, BFH/NV 2010, 1616; , BFH/NV 2010, 443).

30 b) Soweit die Klägerin geltend macht, das FG sei von der Rechtsprechung des EuGH abgewichen, indem es sich als nach § 126 Abs. 5 FGO an das Senatsurteil vom  - V R 14/18 (BFHE 267, 120, BStBl II 2020, 596) gebunden angesehen habe, steht dem schon entgegen, dass den von der Klägerin angeführten Entscheidungen des EuGH der von ihr formulierte Rechtssatz, wonach nationale Vorschriften, welche die Bindung des Gerichts, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, an die Rechtsauffassung seines nationalen Obergerichts vorschreiben, nicht anwendbar sind, wenn das Obergericht das Unionsrecht ohne vorherige Befragung des EuGH ausgelegt hat, nicht entnommen werden kann (s. oben unter 1.b bb (1)).

31 Auch soweit die Klägerin darüber hinaus dem EuGH-Urteil Krizan vom  - C-416/10, EU:C:2013:8, Rz 69 die Aussage entnimmt, dass das nationale Instanzgericht von der Beurteilung des Unionsrechts durch das höhere Gericht abweichen müsse, wenn es angesichts der Auslegung der fraglichen Vorschriften durch den EuGH der Auffassung sei, dass die Beurteilung des höheren Gerichts nicht dem Unionsrecht entspreche, rechtfertigt dies eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO nicht. Denn der von der Klägerin angeführten EuGH-Entscheidung kann lediglich entnommen werden, dass eine Verpflichtung zur Abweichung für ein nationales Gericht besteht, das —woran es im Streitfall mangels eines durch das FG gestellten Vorabentscheidungsersuchens fehlt— „von der ihm nach Art. 267 AEUV eingeräumten Möglichkeit Gebrauch macht“.

32 c) Soweit die Klägerin geltend macht, die Annahme des FG, die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts wirke nicht auf den Besteuerungszeitraum der Entstehung zurück, stimme nicht mit der Rechtsprechung des EuGH und des BFH überein, steht dem ebenfalls bereits entgegen, dass im Streitfall allein die —von der Klägerin entgegen dem Senatsurteil vom  - V R 14/18 (BFHE 267, 120, BStBl II 2020, 596, Rz 41) bejahte— Rückwirkung der Ausstellung einer Rechnung auf Papier im Fall eines zunächst auf Grundlage einer im sogenannten „EDI-Verfahren“ übermittelten Abrechnung in Streit steht. Demgegenüber lässt sich der Beschwerdebegründung —was auch bei der Geltendmachung der Revisionszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (, BFH/NV 2002, 1570, Rz 3)— insoweit ebenso wenig entnehmen, aus welchen Gründen im Streitfall die Frage, ob in Fällen, in denen zunächst überhaupt keine Abrechnungen —das heißt auch keine Abrechnungen, welche die gesetzlichen Anforderungen an nicht auf Papier übermittelte Rechnungen nicht erfüllen— ausgestellt wurden, ein Vorsteuerabzug im Zeitpunkt der Ausführung der Leistung zu gewähren ist, klärungsfähig sein soll. Soweit damit eine —mögliche— Abweichung des FG-Urteils allein die Frage nach der Rückwirkung der Ausstellung einer Rechnung auf Papier im Fall eines zunächst auf Grundlage einer im sogenannten „EDI-Verfahren“ übermittelten Abrechnung geltend gemachten Vorsteuerabzugs betreffen kann, fehlt es an der —bei ausgelaufenem Recht auch im Rahmen des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO erforderlichen (, BFH/NV 2017, 1172)— Darlegung, dass sich diese Frage noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft weiterhin stellen könnte.

33 4. Weiter kann mangels einer hierauf bezogenen Beschwerdebegründung offenbleiben, ob ein —ebenfalls zur Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) führender— qualifizierter Rechtsfehler auch dann vorliegt, wenn dargelegt wird (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO), dass eine nicht auf einen Verfahrensmangel bezogene Rechtsverletzung (Sachrüge) zu einer begründeten Revision (§ 118 Abs. 2 i.V.m. § 126 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 FGO) führt, wobei ohne weiteres erkennbar —und damit ohne Befassung mit einer nach ihrer sachlichen Tiefe dem Revisionsverfahren vorbehaltenen Argumentation— mit einem Erfolg der Revision zu rechnen ist (Senatsbeschluss vom  - V B 7/24, juris, Rz 35). Denn im Streitfall macht der Kläger keine in diesem Sinne eindeutige Rechtsverletzung geltend, sondern erhebt nicht durchgreifende Einwendungen gegen das Senatsurteil vom  - V R 14/18, BFHE 267, 120, BStBl II 2020, 596 (s. oben 1.b und c), womit die Zulassung der Revision nicht erreicht werden kann (s. oben 1.a).

34 5. Im Übrigen ergibt sich eine Revisionszulassung auch nicht aufgrund eines Verfahrensmangels im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.

35 a) Das FG hat nicht gegen den Grundsatz der Bindung an das Klagebegehren (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) verstoßen; es hat das Begehren der Klägerin nicht fehlerhaft ausgelegt und beschieden.

36 aa) Nach § 96 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ist das Gericht an die Fassung des Klageantrags nicht gebunden, sondern hat im Wege der Auslegung den Willen der Partei anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass im Zweifel das gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht. Nur eine solche Auslegung trägt dem Grundsatz der Rechtsschutz gewährenden Auslegung nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) Rechnung. Dabei darf das FG nicht über ein offenkundig nicht verfolgtes Rechtsschutzziel entscheiden, nicht über die Anträge hinausgehen, nicht hinter dem Klagebegehren zurückbleiben, nicht nur über einen Teil des Klagebegehrens entscheiden und auch nicht unklar tenorieren oder so entscheiden, dass das Urteil nicht in einem bestimmten Sinne zweifelsfrei ausgelegt werden kann. Liegt ein solcher Fehler vor, stellt dies einen im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde auch ohne Rüge von Amts wegen zu berücksichtigenden Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens dar (z.B. , BFH/NV 2022, 598, Rz 9 f.).

37 bb) Das FG hat jedoch das Klagebegehren nicht verkannt.

38 Soweit die Klägerin geltend macht, das FG habe den Hauptantrag so ausgelegt, als ob der Vorsteuerabzug für 1999 und 2006 —mithin doppelt— beantragt worden sei, steht dem schon entgegen, dass sie ausweislich der Niederschrift der mündlichen Verhandlung mit ihrem Hauptantrag die Änderung des Umsatzsteuerbescheids für 1999 beantragt hat sowie dass das FG diesen Antrag —insoweit dem im Rubrum aufgeführten Verfahrensgegenstand („Ablehnung der Änderung der Umsatzsteuer 1999“) entsprechend— in seinem Tatbestand wörtlich wiedergegeben hat und in seinen Entscheidungsgründen den „streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheid für 1999“ als rechtmäßig angesehen hat. Vor diesem Hintergrund sind Anhaltspunkte dafür, dass das FG —wie es die Klägerin meint— den Hauptantrag dahingehend ausgelegt hat, dass die Klägerin den Vorsteuerabzug sowohl für 1999 als auch für 2006 beantragt hat, und damit auch die Umsatzsteuerfestsetzung für 2006 als verfahrensgegenständlich angesehen hat, nicht ersichtlich.

39 Vielmehr betreffen die von der Klägerin in Bezug genommenen Ausführungen des FG, nach denen eine doppelte Berücksichtigung der Vorsteuer weder im nationalen Recht noch im Unionsrecht vorgesehen sei, —zum einen— ausschließlich die von der Klägerin hilfsweise geltend gemachte Verpflichtung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt), die Umsatzsteuer für 1999 im Billigkeitsweg niedriger festzusetzen. Zum anderen wendet sich die Klägerin mit ihrem Vorbringen, es sei immer nur um die Frage gegangen, ob der Vorsteuerabzug im Zeitpunkt der Übersendung der Papierrechnungen oder rückwirkend schon zum Zeitpunkt, in dem die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs vorgelegen hätten, zu gewähren gewesen sei, insoweit nicht gegen eine unzutreffende Erfassung des Klagebegehrens, sondern gegen die Verneinung einer Unbilligkeit durch das FG und damit gegen die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung. Die Rüge der falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalls durch das FG ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren indessen —von im Streitfall nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen— grundsätzlich unbeachtlich (z.B. , BFH/NV 2018, 733, Rz 10).

40 b) Im Übrigen liegt auch kein Verfahrensfehler (Vorenthaltung des gesetzlichen Richters; Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) darin, dass das FG kein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 Abs. 2 AEUV an den EuGH gerichtet hat.

41 Zwar ist der EuGH gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Auch liegt ein Entzug des gesetzlichen Richters vor, wenn ein nationales Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht nachkommt (z.B. , BVerfGK 17, 381). Unabhängig davon, ob hier überhaupt eine unionsrechtliche Zweifelsfrage vorliegt, ist das FG als erstinstanzliches Gericht jedoch gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV grundsätzlich nur berechtigt, nicht aber verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen (z.B. , BFH/NV 2021, 1511, Rz 29). Dass dessen ungeachtet das Unionsrecht im Streitfall die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens durch das FG gebot, ergibt sich aus dem Vorbringen der Klägerin nicht. Vielmehr ergibt sich aus der von der Klägerin angeführten Rechtsprechung lediglich, dass es dem FG ungeachtet der in § 126 Abs. 5 FGO angeordneten Bindungswirkung „freistehen muss“, dem EuGH Fragen der Auslegung des Unionsrechts vorzulegen, bei denen es Zweifel hat (s. oben unter 1.b bb (1)). Darüber hinaus mussten sich dem FG im Streitfall, in dem der Senat bereits —unter Berücksichtigung des im Streitjahr bestehenden Harmonisierungsstands des Unionsrechts— entschieden hat, dass die von der Klägerin an ihre Lieferanten übermittelten, als „EDI-Rechnungen“ bezeichneten Dokumente als Nichtrechnungen nicht berichtigungsfähig waren (Senatsurteil vom  - V R 14/18, BFHE 267, 120, BStBl II 2020, 596, Rz 41), solche Zweifel von vornherein nicht aufdrängen. Eine Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen durch das FG, die bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind —und damit zu einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG führen (z.B. , BVerfGE 82, 159)—, scheidet damit von vornherein aus.

42 6. Ein Zulassungsgrund ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Klägerin mit ihrem Schriftsatz vom eine Abweichung des Senatsurteils vom  - V R 14/18 (BFHE 267, 120, BStBl II 2020, 596) von dem EuGH-Beschluss Shortcut vom  - C-690/22, EU:C:2023:440 behauptet. Denn aus § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO folgt, dass die Frage, ob die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde den gesetzlichen Anforderungen genügt, nur nach den innerhalb der Begründungsfrist vorgebrachten Ausführungen zu beurteilen ist (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom  - V B 15/23, BFH/NV 2024, 1424, Rz 21). Spätere Darlegungen sind daher —abgesehen von bloßen Erläuterungen und Ergänzungen— nicht zu berücksichtigen (, BFH/NV 2012, 1621).

43 Es handelt sich auch nicht um einen Fall einer nachträglichen Divergenz (vgl. zu den Voraussetzungen allgemein z.B. Senatsbeschluss vom  - V B 14/13, BFH/NV 2014, 918). Ungeachtet des Umstandes, dass der EuGH-Beschluss Shortcut vom  - C-690/22, EU:C:2023:440, dem angefochtenen FG-Urteil zeitlich vorgeht und die Klägerin —was die Annahme einer nachträglichen Divergenz ausschließt (vgl. , BFH/NV 2013, 1111, Rz 9)— diese Entscheidung bis zum Ablauf der Frist zur Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde (hier: am ) kennen konnte, ist in einem Fall der nachträglichen Divergenz die Revision jedenfalls nur dann gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zuzulassen, wenn —woran es im Streitfall fehlt— innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist hinsichtlich der hiervon betroffenen Rechtsfrage die grundsätzliche Bedeutung beziehungsweise die Notwendigkeit der Rechtsfortbildung ordnungsgemäß dargelegt worden ist (BFH-Beschlüsse vom  - VIII B 8/95, BFH/NV 1996, 619; vom  - XI B 52/06, BFH/NV 2008, 63; vom  - IV B 82/09, BFH/NV 2010, 1265).

44 7. Von der Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung wird nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.

45 8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2025:B.300525.VB61.23.0

Fundstelle(n):
DAAAJ-93814