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BGH Beschluss v. - III ZR 56/24

Instanzenzug: Az: I-20 UKl 2/23 Urteil

Gründe

I.

1    Der in die Liste qualifizierter Verbraucherverbände nach § 4 UKlaG eingetragene Kläger nimmt das beklagte Telekommunikationsunternehmen auf Unterlassung und Beseitigung in Anspruch.

2    Die Beklagte bot ihren Mobilfunkkunden die Möglichkeit an, zum Basistarif kostenlose Tarifoptionen ("Video Pass", "Music Pass", "Chat Pass" und "Social Pass"; allgemein "Vodafone Pass") hinzuzubuchen, mit denen Dienste von Partnerunternehmen der Beklagten genutzt werden konnten, ohne dass das durch die Inanspruchnahme dieser Dienste verbrauchte Datenvolumen auf das Datenvolumen des Basistarifs angerechnet wurde (sog. Zero-Rating).

3    Im September 2021 entschied der Gerichtshof der Europäischen Union, dass der von der Beklagten angebotene "Vodafone Pass" einen Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot bei der Erbringung von Internetzugangsdiensten nach Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 der Verordnung (EU) 2015/2120 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet und zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten sowie der Verordnung (EU) Nr. 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union (ABl. L 310 vom , S. 1) darstellt (Urteile vom - C-854/19, NJW 2021, 3031 Rn. 28 und C-5/20, MMR 2021, 866 Rn. 27). In der Folge änderte das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK) seine Bewertung der rechtlichen Zulässigkeit von Zero-Rating-Angeboten in den auf der Grundlage von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2015/2120 erlassenen Leitlinien zur Umsetzung der Verordnung zum offenen Internet.

4    Im April 2022 untersagte die Bundesnetzagentur der Beklagten, den "Vodafone Pass" weiterhin anzubieten und räumte ihr eine Umsetzungsfrist für Neukundenverträge bis zum sowie für Bestandskundenverträge bis zum ein. Daraufhin kündigte die Beklagte ihren Kunden im Februar 2023 an, dass die Nutzung der Tarifoption "Vodafone Pass" nach dem nicht mehr möglich sein werde.

5    Der Kläger hält diese Ankündigung fürverbraucherschutzrechtswidrigweil die Beklagte ihre Kunden nicht auf ein mit der Änderung der Vertragsbedingungen einhergehendes Kündigungsrecht hingewiesen habe. Er hat die Beklagte diesbezüglich auf Unterlassung in Anspruch genommen (Klageantrag zu 1) und daneben begehrt, der Beklagten aufzugeben, die Verbraucher, bei deren Mobilfunkverträgen die Tarifoption "Vodafone Pass" weggefallen ist, auf eigene Kosten über ihre Kündigungsmöglichkeit zu informieren (Klageantrag zu 2).

6    Das Oberlandesgericht hat der Klage hinsichtlich des Klageantrags zu 1 stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen.     Mit der vom Oberlandesgericht für beide Parteien zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag zu 2 weiter, während die Beklagte weiterhin die vollständige Abweisung der Klage begehrt.

II.

7    Das vorliegende Verfahren ist in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in den dort anhängigen Rechtssachen C-514/24 und C-669/24 auszusetzen, weil die dort zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen auch im vorliegenden Streitfall vorgreiflich sind.

81.    a) Die Kúria hat dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Kann ein Urteil des Gerichtshofs als eine unmittelbar verbindliche Vorschrift des Unionsrechts im Sinne von Art. 105 Abs. 4 der Richtlinie 2018/1972/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (im Folgenden: Kodex) angesehen werden, oder ist das Urteil als eine Rechtsauslegung anzusehen, die im Sinne von Art. 105 Abs. 4 des Kodex keine Änderung der bisherigen Vorschriften darstellt?

2. Können die Leitlinien des Gremiums Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (im Folgenden: GEREK), BoR (16) 127, vom (im Folgenden: GEREK-Leitlinien von 2016), die, soweit sie den vorliegenden Rechtsstreit betreffen, durch die GEREK-Leitlinien, BoR (22) 81, vom (im Folgenden: GEREK-Leitlinien von 2022) ersetzt wurden, - insbesondere im Hinblick auf Art. 10 Abs. 2 des Kodex und Art. 4 Abs. 4 der Verordnung (EU) 2018/1971 des Europäischen Parlaments und des Rates vom (im Folgenden: GEREK-Verordnung) - als Unionsrecht bzw. unmittelbar verbindliche Vorschrift des Unionsrechts angesehen werden, und stellen sie als solche eine Änderung der Vorschriften dar, die eine Anwendung der in Art. 105 Abs. 4 des Kodex vorgesehenen Ausnahme rechtfertigt, oder sind die Leitlinien - insbesondere, wenn sie ein Urteil des Gerichtshofs umsetzen - lediglich als eine Auslegung des Unionsrechts anzusehen, die im Sinne von Art. 105 Abs. 4 des Kodex keine Änderung der bisherigen Vorschriften darstellt?

3. Wenn die Anwendung der in Art. 105 Abs. 4 des Kodex vorgesehenen Ausnahme weder durch ein Urteil des Gerichtshofs noch durch die GEREK-Leitlinien von 2022 gerechtfertigt ist, kann eine Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde, die gegenüber einem Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste ein geändertes Rechtsprechungskriterium anwendet, das sich auf Art. 3 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2015/2120 des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet und zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten sowie der Verordnung (EU) Nr. 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union (im Folgenden: Verordnung 2015/2120) bezieht und auf den infolge eines Urteils des Gerichtshofs geänderten GEREK-Leitlinien von 2022 beruht, als unmittelbar verbindliche Vorschrift des nationalen Rechts im Sinne von Art. 105 Abs. 4 des Kodex angesehen werden, wobei zu beachten ist, dass die Bestimmung der Verordnung 2015/2120 während des Zeitraums, auf den sich der Rechtsstreit bezieht, nicht geändert wurde?"

9    b) Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"Ist Art. 105 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie (EU) 2018/1972 dahingehend auszulegen, dass den Anbietern anderer öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste als nummernunabhängiger interpersoneller Kommunikationsdienste das Recht eingeräumt wird, die Vertragsbedingungen kraft Gesetzes einseitig zu ändern, und die Endkunden im Gegenzug hierzu ein Sonderkündigungsrecht erhalten, oder setzt die Vorschrift ein bereits aus anderen Gründen bestehendes Recht der Anbieter, die Vertragsbedingungen einseitig zu ändern, voraus und regelt lediglich das sich daraus ergebende Sonderkündigungsrecht des Endkunden?"

102.    Die unter Ziffer 1 genannten Fragen sind auch im vorliegenden Verfahren vorgreiflich. Deshalb kann der Senat in dieser Sache unter Beachtung seiner in Art. 267 Abs. 3 AEUV enthaltenen Vorlageverpflichtung keine abschließende Sachentscheidung treffen. Eine Vorlage auch dieses Verfahrens an den Gerichtshof würde dort nicht zu einer schnelleren Beantwortung der maßgeblichen Rechtsfragen führen. Der Senat hält es daher für angemessen, das vorliegende Verfahren in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO wegen Vorgreiflichkeit der beim Gerichtshof anhängigen Rechtsstreite auszusetzen (vgl. , ZIP 2023, 866 Rn. 13 f mwN).

Herrmann                         Ostwaldt

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:080525BIIIZR56.24.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-93780