Notwendigkeit einer grundlegenden Neuordnung
Vereinfachte Einkommensbesteuerung – Möglichkeiten und Grenzen einer Reform steuerlicher Abzüge in der Arbeitnehmerbesteuerung
Am hat das BMF auf seinen Internetseiten die Vorabfassung eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirats zum Thema „Vereinfachte Einkommensbesteuerung – Möglichkeiten und Grenzen illustriert am Beispiel steuerlicher Abzüge in der Arbeitnehmerbesteuerung“ (abzurufen unter: https://go.nwb.de/f5sgm) zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, der ungünstiger kaum sein konnte. Denn im Mai konnten die gewiss sehr aufschlussreichen weiterführenden Erkenntnisse und als „Reformoptionen“ verpackten Änderungsvorschläge keinen Einfluss mehr auf die Koalitionsverhandlungen und den Koalitionsvertrag nehmen. Wahrscheinlich aber hätte auch eine frühere Veröffentlichung ebensowenig Beachtung gefunden wie der bereits im vergangenen Jahr vorgelegte Bericht der Expertenkommission „Bürgernahe Einkommensteuer“, der sich ebenfalls ausführlichst des Themas der Arbeitnehmerbesteuerung angenommen hatte. Stattdessen verzichtete man im Koalitionsvertrag darauf, die Besteuerung von Arbeitnehmern grundlegend neu zu gestalten und einigte sich nur auf eine Erhöhung der Pendlerpauschale sowie die Begünstigung von Mehrarbeit.
Die wohl eher zufällige Aufeinanderfolge und der Inhalt der beiden Gutachten zeigt aber das große Interesse an diesem Thema und unterstreicht die Notwendigkeit einer grundlegenden Neuordnung der Arbeitnehmerbesteuerung. Das Gutachten befasst sich vor allem mit den steuerlichen Abzügen und erörtert die Verwicklungen (Implikationen) des komplexen Steuersystems für Steuerbefolgung und -administration. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine von EY und PwC erstellte rechtsvergleichende Darstellung der Abzugsregeln in Deutschland und einigen anderen Mitgliedstaaten der EU.
Ausgehend von der theoretischen Begründung steuerlicher Abzüge (Effizienz- versus Leistungsfähigkeitsprinzip) geht der Beirat grundsätzlich auf Vereinfachungen durch gesetzliche Pauschalierung und Typisierung ein, um dann konkret die arbeitnehmerbezogenen Abzüge der deutschen Einkommensteuer zu untersuchen. Besonders aufschlussreich ist hier eine vom Beirat selbst durchgeführte Erhebung zur Nutzung von Werbungskostenabzügen, nach der die Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte am häufigsten und die Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer am wenigsten geltend gemacht werden. Schwerpunkt des Gutachtens ist die Vorstellung der Reformoptionen zwischen Streichung von Abzugsmöglichkeiten für Arbeitsmittel und Verpflegungsmehraufwand, Typisierung und Pauschalierung anderer Aufwendungen oder Erhöhung des Werbungskostenpauschbetrags. Dabei gelangt der Beirat zu der Erkenntnis, dass die „Reduktion von Abzugsregeln und die stärkere Nutzung pauschalierter Lösungen“ die Möglichkeiten lobbyistischer und politischer Einflussnahme begrenzt, weil Einzelinteressen nicht mehr isoliert über die Anpassung enger steuerlicher Regelungen „bedient“ werden können. Die Erhöhung der Pendlerpauschale im jüngsten Koalitionsvertrag belegt diese Erkenntnis in eindrucksvoller Weise.
Hans-Joachim Kanzler
Fundstelle(n):
NWB 2025 Seite 1761
LAAAJ-93713