Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 7 D 82/23.NE Urteil
Gründe
1Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet.
21. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die ihr die Beschwerde beimisst.
3Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 4 B 27.19 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 4 und vom - 4 BN 6.22 - BRS 90 Nr. 195 S. 1505).
4a) Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
ob ein Bebauungsplan, der einen vorhandenen nach § 34 BauGB über Jahrzehnte gewachsenen städtebaulichen Konflikt nicht in Gänze aufzulösen vermag, sondern ihn in erheblichem Maße vermindert, allein aus diesem Grund abwägungsfehlerhaft ist,
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Sie geht am Inhalt des angegriffenen Urteils vorbei. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht angenommen, dass der Bebauungsplan den vorhandenen Konflikt "deutlich abmildert" (vgl. Beschwerdebegründung S. 1, 5 und 6). Nach seiner Würdigung der Festsetzungen verstetigt er im östlichen Plangebiet die Unverträglichkeit von unmittelbar benachbarter Wohn- und Prostitutionsnutzung, ohne eine Lösung der daraus folgenden Konflikte aufzuzeigen (UA S. 12, 14). Die Antragsgegnerin perpetuiere mit der Planung einen (bereits bestehenden) städtebaulichen Missstand (UA S. 18). Das Beschwerdevorbringen erschöpft sich darin, diese Würdigung als fehlerhaft anzugreifen. Das reicht zur Begründung der grundsätzlichen Bedeutung nicht aus.
5Ungeachtet dessen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt, dass sich die Bebauungsplanung bei der Überplanung eines gewachsenen Nebeneinanders unverträglicher Nutzungen um eine Bewältigung der Situation bemühen und den Konflikt möglichst vermeiden oder jedenfalls vermindern muss und nicht verschärfen darf. Das gilt erst recht, wenn die Gemeinde durch ihre eigene Planung derartige Störungen in rechtlich zulässiger Weise ermöglichen will (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 4 NB 41.92 - juris Rn. 10 und vom - 4 BN 16.04 - BRS 67 Nr. 33 S. 151; Urteil vom - 4 CN 2.20 - Buchholz 406.11 § 7 BauGB Nr. 7 Rn. 14). Von diesen Grundsätzen ist auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen (vgl. UA S. 17 f.). Ob eine Planung diesen Anforderungen gerecht wird, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich fallübergreifender Klärung.
6b) Die weitere von der Beschwerde gestellte Frage,
ob das unmittelbare Aneinandergrenzen eines Baugebiets, in dem allgemein zulässiges Wohnen ab dem 1. Obergeschoss zulässig ist, und eines Baugebietes, in dem nach außen in Erscheinung tretende Prostitution zulässig ist, abwägungsfehlerfrei begründbar ist,
ist, soweit sie auf ihren verallgemeinerungsfähigen Kern zurückgeführt wird, nicht klärungsbedürftig.
7Nach der Rechtsprechung des Senats liegt ein Fehler im Abwägungsergebnis vor, wenn sich die planerische Lösung der Gemeinde unter keinem denkbaren Gesichtspunkt begründen lässt. Dies ist dann anzunehmen, wenn eine fehlerfreie Nachholung der erforderlichen Abwägungsentscheidung (§ 1 Abs. 7 BauGB) schlechterdings nicht zum selben Ergebnis führen könnte, weil andernfalls der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen würde, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht, mithin die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit überschritten würden. Anders als Mängel im Abwägungsvorgang (vgl. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2, § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 BauGB) ist ein Mangel im Abwägungsergebnis stets beachtlich; er führt unabhängig vom Vorliegen weiterer Mängel der Abwägung zur (Teil-)Unwirksamkeit des Bebauungsplans ( 4 CN 4.14 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 136 Rn. 15 m. w. N.). Ob eine gemeindliche Planung an einem solchen schwerwiegenden Mangel leidet, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls und ist deshalb einer verallgemeinerungsfähigen, rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich (vgl. 4 BN 26.23 - ZfBR 2024, 432 Rn. 5).
8Von diesem Maßstab ist auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen (vgl. UA S. 17). Weitergehenden grundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Die Beschwerdebegründung beschränkt sich auch insoweit darauf, die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts als fehlerhaft anzugreifen.
92. Die Revision ist nicht wegen Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.
10Nach der genannten Vorschrift ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u. a.) des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Diese Abweichung setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes ( 6 B 43.17 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 198 Rn. 4). In der Beschwerdebegründung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Entscheidung bezeichnet werden, von der das Urteil abweicht. Der Beschwerde obliegt es, aus einer Entscheidung des Divergenzgerichts einen tragenden, abstrakten Rechtssatz zu einer revisiblen Rechtsvorschrift zu benennen und darzulegen, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abweichenden abstrakten Rechtssatz zu derselben Rechtsvorschrift beruht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom - 4 B 9.24 - BauR 2025, 208 <209>).
11Eine solche Abweichung zeigt die Beschwerde nicht auf. Das Oberverwaltungsgericht hat dem Begriff der "milieubedingten Unruhe" zwar auch solche Umstände (Belästigungen durch alkoholisierte oder unzufriedene Kunden, organisierte Kriminalität, Menschen- und Drogenhandel, ausbeutende Zuhälterei, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Verstöße gegen das Waffenrecht und Gewaltkriminalität) zugerechnet (vgl. UA S. 13), bei denen es sich nach dem von der Beschwerde angeführten Urteil des Senats vom - 4 C 5.20 - (BVerwGE 174, 118 Rn. 16) nicht um städtebauliche Belange handelt. Abgesehen davon, dass das Urteil des Senats vom zu § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO 1962 und nicht - wie die angegriffene Entscheidung - zu § 1 Abs. 7 BauGB ergangen ist, beruht die Entscheidung aber nicht auf diesem unzutreffenden, weil zu weit gehenden Begriffsverständnis. Die Vorinstanz hat die "milieubedingte Unruhe" maßgeblich mit möglichen Blickkontakten von den zur A.-Straße ausgerichteten Wohnungsfenstern der Eckgebäude M.-Straße zu den Prostitutionseinrichtungen, der Zugangsmöglichkeit zum Gebäude M.-Straße ... auch von der A.-Straße aus, der unmittelbaren Nähe der nach außen erkennbaren Prostitutionsnutzung zum näheren Wohnumfeld (u. a. von Kindern und Jugendlichen) und dem Zu- und Abgangsverkehr durch Freier, Prostituierte, Besucher von der M.-Straße aus begründet (vgl. UA S. 16). Damit sind städtebauliche Belange im Sinne des Senatsurteils vom - 4 C 5.20 - (a. a. O. Rn. 14) betroffen.
123. Ohne Erfolg bleibt auch die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
13Sie genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Danach ist ein Verfahrensverstoß nur dann bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 3 B 52.92 - Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5 S. 2 und vom - 7 B 2.21 - juris Rn. 12). Das leistet die Beschwerde nicht. Sie beanstandet lediglich, dass das Oberverwaltungsgericht aus der Festsetzung in Ziffer 1.1.1 des Bebauungsplans (vgl. UA S. 5) nicht die für zutreffend erachteten rechtlichen Schlüsse gezogen hat. Dies führt weder auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO noch auf einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (stRspr, vgl. etwa - NVwZ 2005, 204 <205>; BVerwG, Beschlüsse vom - 2 B 26.19 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 145 Rn. 41 und vom - 4 B 32.21 - juris Rn. 28).
14Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:250225B4BN20.24.0
Fundstelle(n):
IAAAJ-93701