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BGH Beschluss v. - StB 69/24

Gründe

1Der Generalbundesanwalt wirft der Angeklagten mit der zum Oberlandesgericht Dresden erhobenen Anklage vor, sie habe in drei Fällen die terroristische Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) unterstützt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB) sowie gemeingefährliche Straftaten in den Fällen des § 308 Abs. 1 bis 4 StGB zu begehen, die bestimmt gewesen seien, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, und durch ihre Auswirkungen einen Staat erheblich hätten schädigen können, dabei in einem Fall Tätern vorsätzlich Hilfe geleistet, Menschen durch Gewalt oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zu einer Handlung genötigt und dadurch dem Vermögen eines anderen einen Nachteil zugefügt zu haben, um sich zu Unrecht zu bereichern, wobei die Täter bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet hätten.

2Das die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich der Tatvorwürfe III. 1 und III. 2 der Anklage abgelehnt. In diesem Umfang hat es die Kosten des Verfahrens und die der Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt. Hinsichtlich des Tatvorwurfs III. 3 der Anklage hat es diese mit der Maßgabe zugelassen, dass der Angeklagten lediglich Beihilfe zur besonders schweren räuberischen Erpressung zur Last liege, und das Hauptverfahren insoweit vor einer großen Strafkammer des Landgerichts Zwickau eröffnet.

3Dagegen wendet sich der Generalbundesanwalt mit seiner sofortigen Beschwerde. Er beantragt, den Beschluss des Oberlandesgerichts aufzuheben und die Anklage unter unbeschränkter Eröffnung des Hauptverfahrens zur Hauptverhandlung vor einem anderen Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden zuzulassen.

4Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

51. Mit der Anklageschrift vom wird der Angeklagten im Wesentlichen folgender Sachverhalt zur Last gelegt:

6a) Die Angeklagte lernte über ihren späteren Ehemann, den mittlerweile wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung rechtskräftig verurteilten          E.          ,            Z.          ,          B.              und         M.           kennen.

7Diese drei Personen hatten im Jahr 1998 nach ihrem Abtauchen in die Illegalität die Gruppierung NSU gegründet. Deren Ziel bestand darin, aus einer rechtsextremistischen, fremdenfeindlichen und menschenverachtenden Gesinnung heraus eine Vielzahl von Mordanschlägen zu begehen. In Umsetzung des gemeinsam gefassten Vorhabens verübten Z.          , B.            und M.           in der Folgezeit von September 2000 bis April 2007 zwölf derartige ideologisch motivierte Mordanschläge unter Einsatz von Pistolen oder mittels Sprengstoff in mehreren Bundesländern. Zehn Menschen starben bei den Anschlägen; zahlreiche wurden – teilweise schwer – verletzt. Zur Finanzierung ihres Lebensbedarfs im Untergrund begingen die Mitglieder des NSU im Zeitraum von Dezember 1998 bis zum insgesamt 15 Raubüberfälle unter Verwendung von Schusswaffen auf Geldinstitute und einen Einkaufsmarkt.

8Zwischen der Angeklagten und den Mitgliedern des NSU, insbesondere der wegen der vorbenannten Taten mittlerweile rechtskräftig zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilten Z.           , entwickelte sich eine intensive Freundschaft. Die zwei Frauen wurden enge Vertraute. Sie zeigten ein konspiratives Kontaktverhalten, etwa indem sie über öffentliche Telefonzellen (nicht über Mobiltelefone) miteinander sprachen. Die Angeklagte nannte die NSU-Mitglieder mit ihren Tarnnamen. Z.           verwendete im Geschäftsverkehr die Personalien der Angeklagten, um ihre Identität zu verschleiern.

9Spätestens seit Anfang des Jahres 2007 wusste die Angeklagte, dass Z.           , B.             und M.             im Untergrund lebten und das gemeinsame Ziel verfolgten, aus der Illegalität heraus durch Mordanschläge ihre nationalsozialistisch geprägten völkisch-rassistischen Vorstellungen vom „Erhalt der deutschen Nation“ zu verwirklichen sowie die Veränderung von Staat und Gesellschaft in diesem Sinne zu befördern. Sie erfuhr konkret, dass die drei gemeinsam seit dem Jahr 2000 mehrere rassistisch motivierte Morde und bewaffnete Raubüberfälle begangen hatten. Entweder wurde sie hierüber von ihrem Ehemann oder von Z.            selbst informiert.

10b) In diesem Wissen entschied sich die Angeklagte, Z.            und die anderen Mitglieder des NSU in deren Leben in der Illegalität weiterhin zu unterstützen. Hierbei kam es zu folgenden Taten:

11aa) Die Angeklagte überließ Z.           für mindestens fünf Gelegenheiten zwischen dem und dem anlässlich zahnärztlicher Behandlungen ihre Versichertenkarte, so dass Z.           die medizinischen Behandlungen unter der Identität der Angeklagten in Anspruch nehmen konnte (Tatvorwurf III. 1 der Anklage).

12bb) Zudem erklärte sich die Angeklagte im Jahr 2009 dazu bereit, dass ihre Personalien für die Erstellung einer Bahncard 25 für Z.            genutzt werden. Ihr Ehemann beantragte absprachegemäß zwei Bahncards unter Verwendung seiner und der Personalien der Angeklagten, wobei Lichtbilder von Z.          und B.              eingereicht wurden. Hiermit sollten die beiden Mitglieder des NSU Bahnfahrkarten zu einem ermäßigten Preis erwerben, unauffällig reisen und sich behelfsmäßig legitimieren können. Die Bahncards wurden im Jahr 2009 ausgestellt und bis zum Jahr 2012 verlängert. Als Dank erhielten die Angeklagte und ihr Ehemann eine Musikanlage sowie eine Reise mit ihren zwei Söhnen zu einem in Frankreich gelegenen Freizeitpark (Tatvorwurf III. 2 der Anklage).

13cc) Schließlich war die Angeklagte in die Abholung eines angemieteten Wohnmobils eingebunden, das für einen bewaffneten Banküberfall der Mitglieder des NSU bestimmt war. Sie fuhr Z.           und B.               im Oktober 2011 zu dem Abholtermin für das Wohnmobil. Dabei hielt sie einen solchen Raubüberfall für möglich und nahm ihn billigend in Kauf. Am begaben sich B.              und M.          mit diesem Fahrzeug zur Sparkassenfiliale in E.           . Dort bedrohten sie Kunden und Angestellte mit Faustfeuerwaffen, um Geld zu erlangen. Einer von ihnen schlug zudem dem Filialleiter mit einer Waffe auf den Kopf. Die Beute aus diesem Überfall betrug über 70.000 € (Tatvorwurf III. 3 der Anklage).

14c) Im Anschluss an diese Tat wurden B.               und M.          in dem angemieteten Wohnmobil von der Polizei umstellt. Sie setzten es in Brand und begingen Suizid. Z.           zerstörte nach Kenntniserlangung durch Brandlegung mittels Benzin die in Z.          gemeinsam bewohnte Wohnung und flüchtete mit Unterstützung des Ehemanns der Angeklagten. Während der Flucht versuchte sie, beide Eheleute über deren Mobiltelefone zu erreichen, und gab Exemplare des zuvor erstellten Bekennervideos des NSU bei der Post auf, bevor sie sich einige Tage später der Polizei stellte.

152. In der Anklageschrift wird dieser Sachverhalt als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in drei Fällen, davon in einem Fall (Tatvorwurf III. 3 der Anklage) in Tateinheit mit Beihilfe zur besonders schweren räuberischen Erpressung gewürdigt, strafbar gemäß § 129 idF vom , § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5 Satz 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1, § 253 Abs. 1, §§ 255, 27 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 1 StGB.

163. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Nichteröffnungs- beziehungsweise abweichenden Eröffnungsentscheidung im Wesentlichen ausgeführt, die Angeklagte sei der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nicht hinreichend verdächtig. Zwar bestehe für die objektive Tatseite ein hinreichender Tatverdacht. Entgegen der Bewertung des Generalbundesanwalts lasse sich den Ermittlungserkenntnissen jedoch keine ausreichende Wahrscheinlichkeit dafür entnehmen, dass die Angeklagte im Tatzeitraum Kenntnis von den Mordanschlägen des NSU unter Einsatz von Pistolen oder mittels Sprengstoff, damit von dem Bestehen einer terroristischen Vereinigung, gehabt oder dies auch nur billigend in Kauf genommen habe. Sie sei in tatsächlicher Hinsicht lediglich der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung hinreichend verdächtig, da sie darüber informiert gewesen sei, dass Z.           , B.              und M.          ihren Lebensunterhalt durch Raubüberfälle bestritten hätten. Diese Delikte seien allerdings verjährt. Allein die Beihilfe zur besonders schweren räuberischen Erpressung (Tatvorwurf III. 3 der Anklage) sei noch verfolgbar und führe zur diesbezüglichen Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht.

II.

17Die nach § 210 Abs. 2, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 2 und 3 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat Erfolg. Das Hauptverfahren ist vor dem Oberlandesgericht zu eröffnen, da ein die originäre Zuständigkeit des Oberlandesgerichts begründender (§ 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG) hinreichender Tatverdacht in Bezug auf eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in drei Fällen besteht.

181. Gemäß § 203 StPO ist die Eröffnung des Hauptverfahrens zu beschließen, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeklagte einer Straftat hinreichend verdächtig ist. Ein hinreichender Tatverdacht ist zu bejahen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist. Der hinreichende Tatverdacht setzt eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Verurteilung voraus; damit wird ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt, als dies beim dringenden Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 oder § 126a StPO der Fall ist. Erst recht ist zur Eröffnung des Hauptverfahrens nicht die für eine Verurteilung notwendige volle richterliche Überzeugung erforderlich (s. BGH, Beschlüsse vom – StB 25/22, juris Rn. 14; vom – StB 31/21 u.a., juris Rn. 9; vom – StB 3/03, BGHR StPO § 210 Abs. 2 Prüfungsmaßstab 2, jeweils mwN).

19Auch in Fällen, in denen zunächst gewisse – nicht unüberwindbar erscheinende – Zweifel verbleiben, kommt die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens regelmäßig nicht in Betracht, weil zur Klärung eben dieser Zweifel die überlegenen Erkenntnismittel der Hauptverhandlung heranzuziehen sind. Die nicht aufgrund öffentlicher Verhandlung ergehende und auf keiner unmittelbaren Beweisgewinnung beruhende Eröffnungsentscheidung soll erkennbar aussichtslose Fälle herausfiltern, ansonsten aber der Hauptverhandlung nicht vorgreifen (s. BGH, Beschlüsse vom – StB 17/18, juris Rn. 16; vom – StB 52/18, BGHSt 64, 1 Rn. 17; vom – StB 27/09, BGHSt 54, 275 Rn. 60, jeweils mwN). In einem derartigen Zweifelsfall dürfen diffizile Beweiswürdigungsfragen nicht im Zuge einer vorläufigen Tatbewertung auf Aktenbasis, ohne den unmittelbaren Eindruck gerade des Personalbeweises auf das erkennende Gericht, womöglich endgültig entschieden werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom – StB 29/24 u.a., juris Rn. 31; vom – StB 27/09, aaO, Rn. 79; BeckOK StPO/Ritscher, 55. Ed., § 203 Rn. 6; KK-StPO/Schneider, 9. Aufl., § 203 Rn. 5; LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 203 Rn. 14 mwN).

20Lehnt das Gericht, bei dem die Anklage eingereicht ist, die Eröffnung des Hauptverfahrens ab, so hat das Beschwerdegericht dessen Wahrscheinlichkeitsurteil und rechtliche Bewertung in vollem Umfang nachzuprüfen sowie die Voraussetzungen der Eröffnung selbständig zu würdigen (s. BGH, Beschlüsse vom – StB 25/22, juris Rn. 14; vom – StB 16/13, juris Rn. 16; vom – StB 20/08, BGHSt 53, 238 Rn. 24 ff.). Gleiches gilt, soweit sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vor einem Gericht niedriger Ordnung richtet (s. BGH, Beschlüsse vom – StB 75/24 u.a., juris Rn. 38; vom – StB 17/18, juris Rn. 11).

212. Die dem Senat danach obliegende umfassende Überprüfung hat ergeben, dass die Angeklagte nach vorläufiger Tatbewertung auf der Grundlage des vorliegenden Ermittlungsergebnisses – neben dem vom Oberlandesgericht zu Recht angenommenen hinreichenden Verdacht der Beihilfe zur besonders schweren räuberischen Erpressung betreffend den Tatvorwurf III. 3 der Anklage – in allen drei angeklagten Fällen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in tatsächlicher Hinsicht hinreichend verdächtig ist (dazu nachfolgend a]); dem abweichenden Wahrscheinlichkeitsurteil des Oberlandesgerichts ist nicht beizutreten (dazu unten b]). In rechtlicher Hinsicht steht das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung dem hinreichenden Tatverdacht weder ganz noch teilweise entgegen (dazu unten c]).

22a) Aus den in der Anklageschrift aufgeführten Beweismitteln ergeben sich zahlreiche Indizien, die nach den dargelegten rechtlichen Maßstäben den für die Eröffnung des Hauptverfahrens notwendigen Verdachtsgrad begründen. Dies gilt auch für die – nach der Auffassung des Oberlandesgerichts insoweit allein fragliche – subjektive Tatseite. Im Einzelnen:

23aa) Zunächst war die Angeklagte nach den Ermittlungserkenntnissen Z.          s enge Vertraute. Z.           selbst hat im Rahmen ihrer Vernehmungen einschließlich der Einlassung in der Hauptverhandlung die Angeklagte als ihren „stärksten Kontakt“ (SAO 13.2 Bl. 169) bezeichnet und angegeben, außerdem an den Kindern des Ehepaares „gehangen“ zu haben, die für sie „eine Art Ersatzkinder“ gewesen seien (SAO 13 Bl. 456; SAO 13.2 Bl. 170). Wie eng und vertrauensvoll der Kontakt der beiden Frauen gewesen sein muss, zeigt nicht zuletzt die vielfache Verwendung der Personalien der Angeklagten durch Z.           bei den verfahrensgegenständlichen Taten und darüber hinaus. So gab sich diese beispielsweise bei einer polizeilichen Vernehmung Anfang des Jahres 2007 als die Angeklagte aus und verwendete deren Personalausweis, entweder mit vorheriger Absprache oder jedenfalls nachträglicher Billigung.

24bb) Zudem belegt das Ermittlungsergebnis ein konspiratives Kontaktverhalten zwischen der Angeklagten und Z.           . Beide kommunizierten regelmäßig über öffentliche Telefonzellen miteinander. Auch nannte die Angeklagte die NSU-Mitglieder mit deren Tarnnamen.

25cc) Während schon das besonders enge Vertrauensverhältnis und das konspirative Verhalten der Angeklagten als Indizien für ihre Kenntnis von dem Leben der Mitglieder des NSU im Untergrund herangezogen werden können, hat Z.           selbst im Rahmen ihrer Vernehmungen angegeben, die Angeklagte habe gewusst, dass das NSU-Trio untergetaucht sei und „kein normales Leben“ führe (SAO 13.2 Bl. 168 f.). Hierüber habe es Gespräche gegeben. Die Angeklagte habe überdies die in der Wohnung der NSU-Mitglieder installierten Überwachungskameras nebst Monitor bei ihren regelmäßigen Besuchen wahrgenommen.

26dd) Für eine Kenntnis der Angeklagten von den Mordanschlägen des NSU spricht daneben das Verhalten Z.           s, der Angeklagten und ihres Ehemanns nach dem letzten Raubüberfall am . Die Ermittlungsergebnisse belegen, dass Z.            unmittelbar nach der Inbrandsetzung der Wohnung telefonischen Kontakt zu dem Ehemann der Angeklagten aufnahm, der direkt im Anschluss an das kurze Telefonat der Angeklagten eine SMS schickte und von ihr eine Antwort per SMS erhielt, wobei beide Nachrichten unwiederbringlich gelöscht sind (SAO 5 Bl. 365 f., 371 ff.; SAO 7 Bl. 530 ff.). Der Ehemann traf Z.            wenig später, brachte sie in die Wohnung der Eheleute, wo er sie mit frischer Kleidung seiner Ehefrau versorgte, und fuhr sie im Anschluss zum Bahnhof, von wo aus sie ihre Flucht fortsetzte. Noch am nächsten Morgen versuchte sie, die Angeklagte und ihren Ehemann telefonisch zu erreichen. Beide hatten jedoch am Vorabend ihre Mobiltelefone ausgeschaltet.

27Diese Erkenntnisse zum Nachtatgeschehen belegen das herausragende Vertrauensverhältnis, das Z.            zu der Angeklagten und ihrem Ehemann unterhielt. Dies legt nicht zuletzt die Kürze der zwischen den Beteiligten offenbar erforderlichen Kommunikation nahe. Es spricht vieles dafür, dass auf Seiten des Ehepaars Vorinformationen vorhanden waren, die das Vorgehen im Fall der Entdeckung einer Tat des NSU betrafen.

28ee) Ferner haben Durchsuchungsmaßnahmen ergeben, dass an einer Wand des Wohnzimmers der Angeklagten und ihres Ehemanns im April 2013, damit lange nach Bekanntwerden der Mordserie des NSU, unter den Bildern der eigenen Kinder eine Bleistiftzeichnung von B.            und M.           versehen mit dem Wort „Unvergessen“ hing (SAO 6 Bl. 336 ff.). Das an prominenter Stelle angebrachte Bild wirkt auf den Betrachter wie eine Verherrlichung der beiden verstorbenen NSU-Mitglieder.

29ff) Der Umstand, dass Z.            und der Ehemann der Angeklagten zu der Frage der Kenntnisverschaffung beziehungsweise -erlangung über die Mordtaten des NSU anderslautende Angaben gemacht haben, entkräftet nach vorläufiger Bewertung die vorstehenden Indizien nicht maßgebend. Denn anders als das Oberlandesgericht angenommen hat, bestehen sowohl bezüglich Z.           als auch des Ehemanns nach Aktenlage über „das bloße Vorliegen eines Motivs“ hinaus konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Bekundungen der Wahrheit zuwider getätigt worden sind.

30(1) Zunächst ist in den Blick zu nehmen, dass die Angaben der Z.           , wonach sie gegenüber der Angeklagten und deren Ehemann lediglich die Raubüberfälle zur Finanzierung des Lebensunterhaltes offengelegt haben will, schon für sich betrachtet wenig plausibel sind. Denn durch diese Teiloffenbarung wäre allenfalls die Frage danach beantwortet gewesen, wie Z.          , B.              und M.           ihr Leben im Untergrund finanzierten, nicht allerdings, was der Anlass dafür gewesen sein soll, das Leben im Untergrund fortzuführen, nachdem ihre Verantwortlichkeit für die Raubüberfälle – was die Argumentation des Oberlandesgerichts außer Betracht gelassen hat – bislang ersichtlich unentdeckt geblieben war. Offen bleibt, wie insoweit die Äußerung Z.          s, die Angeklagte habe den Grund gekannt, weswegen die drei untergetaucht gewesen seien („sie wusste, weswegen wir weg sind“; SAO 13.2 Bl. 215), zu verstehen ist. Die Begründung des Untertauchens mit einem offenen Haftbefehl gegen B.             , die gegenüber dem Ehemann abgegeben worden sein soll, als dieser 18 Jahre alt gewesen sei (SAO 13.2 Bl. 374), hatte bereits nach Z.            s Bekundung den Ehemann im Jahr 2007 angesichts der Dauer des Untertauchens nicht mehr überzeugt (SAO 13 Bl. 457).

31Zudem erscheinen die Angaben der Z.           , wonach sie die Mordserie des NSU gegenüber dem Ehemann der Angeklagten (erst) an dem Tag des Todes von B.              und M.           offengelegt haben will, äußerst fraglich. Für eine Offenbarung just an diesem Tag bestand kein Anlass. Vielmehr dürfte für Z.          , die für ihre Flucht auf die weitere Hilfe des Ehemanns angewiesen war, das Risiko einer Offenbarung von bislang verheimlichten Tötungsdelikten gerade zu diesem Zeitpunkt besonders hoch gewesen sein. Es erschließt sich nicht, weshalb sie in diesem Kontext – unter zeitlichem und situativem Handlungsdruck sowie auf Fluchthilfe angewiesen – nicht wie angeblich all die Jahre zuvor als Grund für ihre Flucht auf den tatsächlich an demselben Tag verübten Banküberfall verwiesen, sondern nunmehr alle Taten des NSU gegenüber dem Ehemann offengelegt haben soll. All die Risiken, die aus Sicht des Oberlandesgerichts gegen eine Offenbarung dieser Taten gegenüber dem Ehemann der Angeklagten sprachen, bestanden auch und besonders an diesem Tag.

32(2) Hinsichtlich des Ehemanns der Angeklagten liegen neben der vor allem in dem familiären Näheverhältnis begründeten offenkundigen Gefahr von entlastenden Aussagen ebenfalls konkrete Anhaltspunkte für die Unwahrheit seiner Bekundungen vor. So hat er gegenüber dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtages angegeben, von den Mord- und Sprengstoffanschlägen des NSU erst „aus dem Fernsehen“ erfahren zu haben und „erschrocken“ gewesen zu sein (SAO 13.2 Bl. 478). Wenn er zuvor von den Morden Kenntnis gehabt hätte, hätte er den Kontakt sofort abgebrochen (SAO 13.2 Bl. 373).

33Unabhängig davon, dass diese Angaben in Widerspruch zu den vorgenannten der Z.           stehen, wonach sie ihm am Tag der Flucht selbst von den Taten berichtet haben will (SAO 13.2 Bl. 161), sprechen objektive Beweismittel gegen ihre Richtigkeit:

34Zum einen ist hier die fremdenfeindliche und antisemitische Einstellung des sich noch im Strafverfahren vor dem Oberlandesgericht München über seinen Verteidiger selbst als „Nationalsozialist mit Haut und Haaren“ bezeichnenden Ehemanns der Angeklagten in den Blick zu nehmen. Sie ging bei ihm so weit, dass er sich die Worte „Die Jew Die“ („Stirb, Jude, stirb“) auf den Bauch tätowieren ließ (SAO 13.2 Bl. 394 f., 426, 478; SAO 6 Bl. 445 ff.). Schon dies lässt das behauptete Erschrecken und den hypothetischen Kontaktabbruch zweifelhaft erscheinen. Zum anderen spricht der bereits dargelegte Umstand, dass noch anderthalb Jahre nach öffentlichem Bekanntwerden der Taten des NSU in dem Wohnzimmer des Ehepaares neben den Bildern der eigenen Kinder eine Zeichnung der verstorbenen NSU-Mitglieder mit dem Zusatz „Unvergessen“ angebracht war, deutlich gegen die Richtigkeit der Angaben des Ehemanns der Angeklagten.

35(3) Insgesamt ergeben sich damit konkrete Anhaltspunkte, die gegen die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Z.           und des Ehemanns der Angeklagten zu der Frage der Kenntnisverschaffung beziehungsweise -erlangung über die vom NSU verübten Tötungsdelikte sprechen. Eine weitergehende Beurteilung ist dem Hauptverfahren und dem dort zu gewinnenden persönlichen Eindruck von den Zeugen sowie der Glaubhaftigkeit ihrer Bekundungen vorbehalten.

36gg) Nimmt man die vorliegenden Indizien in der Gesamtschau in den Blick, ergibt sich nach derzeitigem Erkenntnisstand folgendes Bild:

37Die Angeklagte war eine von Z.          s engsten Vertrauten. Sie wusste von deren Leben zusammen mit B.              und M.          im Untergrund. Hierfür überließ sie Z.           vielfach ihre Personalien zur Nutzung. Sie billigte sogar deren Verwendung gegenüber der Polizei. Sie fügte sich in die konspirative Kommunikation ein. Nach der letzten Tat des NSU waren es die Angeklagte und ihr Ehemann, zu denen Z.           während ihrer Flucht – teilweise erfolgreich – Kontakt suchte, um Unterstützung zu erlangen. Nach dem öffentlichen Bekanntwerden der Mordserie des NSU hing eine die verstorbenen NSU-Mitglieder verherrlichende Zeichnung neben den Kinderbildern der Eheleute in deren Wohnzimmer. Insbesondere auch dies legt nahe, dass die Angeklagte die ideologische Haltung ihres Ehemanns und der NSU-Mitglieder teilte.

38Dieses Gesamtbild begründet bei vorläufiger Tatbewertung nicht nur die bloße Möglichkeit, sondern die Wahrscheinlichkeit, dass sich in der Hauptverhandlung wird nachweisen lassen, dass die Angeklagte bei der Vornahme ihrer Unterstützungshandlungen in das Wirken der NSU-Mitglieder eingeweiht war und um die Mordanschläge der terroristischen Vereinigung wusste.

39hh) Die aufgezeigten Indizien legen eine derartige Kenntnis im Sinne des nach § 203 StPO erforderlichen Verdachtsgrades bereits ausreichend nahe. Als weitere Beweisanzeichen kommen in Betracht beispielsweise die Zuwendungen, welche die Angeklagte und ihr Ehemann von den Mitgliedern des NSU erhielten, sowie auf dessen Datenträgern aufgefundene und dort im November 2011 gelöschte Bilddateien, die unter anderem einen dem Schlussspruch der Vorgängerversionen des NSU-Bekennervideos nahezu wortgleichen Schriftzug als T-Shirt-Vorlagen enthielten (SAO 21 Bl. 302; NL 1 Bl. 110 ff.).

40b) Das Oberlandesgericht hat demgegenüber überspannte Anforderungen an das für die Eröffnung des Hauptverfahrens notwendige Wahrscheinlichkeitsurteil gestellt.

41Bei dieser Prognoseentscheidung ist in Betracht zu ziehen, dass Indizien einander ergänzen und verstärken; gerade infolge einer Häufung und wechselseitigen Durchdringung können sie Bedeutung für die Erwartung haben, ob das erkennende Gericht aufgrund der Hauptverhandlung eine Überzeugung wird gewinnen können (vgl. , juris Rn. 11; vom – 1 StR 292/15, juris Rn. 9; Beschluss vom – AK 4/18 u.a., juris Rn. 25). Dies gilt namentlich für innere Tatsachen, die von vorneherein nicht der unmittelbaren Wahrnehmung anderer zugänglich sind. Auf sie kann im Fall eines bestreitenden oder schweigenden Angeklagten allein aufgrund von Verhaltensweisen und Äußerungen rückgeschlossen werden (vgl. , StV 1984, 61; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 5 mwN). Einzelnen Umständen darf nicht insgesamt eine Bedeutung für den wahrscheinlichen Tatnachweis mit der Begründung abgesprochen werden, es handele sich nicht um „sichere“, „eindeutig belastende“ oder „zweifelsfrei belastende“ Indizien (vgl. , juris Rn. 10).

42Das Oberlandesgericht hat es für überwiegend wahrscheinlich gehalten, dass die Angeklagte die ideologische Überzeugung von Z.          , B.              und M.           teilte, sie die Mordanschläge im Fall der Kenntnis gebilligt hätte, deren Offenbarung durch die NSU-Mitglieder psychologisch nachvollziehbar gewesen wäre, und ihr Ehemann ebenso wie Z.            ein Motiv für entlastende falsche Angaben gehabt hat. Es besteht kein Anlass, der Beurteilung des hinreichenden Tatverdachts die – sich teilweise sogar widersprechenden – Bekundungen der beiden genannten Auskunftspersonen zu einer erst nachträglichen beziehungsweise ganz unterbliebenen Offenbarung der terroristischen Aktivitäten zugrunde zu legen, nur weil im Zwischenverfahren ein unmittelbarer Beweis für ihre Wahrheitswidrigkeit nicht ersichtlich ist.

43Die kleinteilige Betrachtung der im Ermittlungsverfahren angefallenen Erkenntnisse durch das Oberlandesgericht geht hingegen weit über eine vorläufige Tatbewertung hinaus. Sie hat den Charakter einer für die volle richterliche Überzeugung gebotenen Beweiswürdigung nach abgeschlossener Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung. Augenfällig wird dies etwa an den Ausführungen, der Staatsschutzsenat wolle im Hinblick auf den Vorsatz des Ehemanns der Angeklagten aus den vorhandenen Indizien die – möglichen – Schlüsse nicht ziehen, die das Oberlandesgericht München in dem Verfahren gegen ihn nach mehr als fünfjähriger Hauptverhandlung gezogen und eingehend dokumentiert hatte (SAO 1.5 Bl. 496 ff.).

44c) In rechtlicher Hinsicht besteht insgesamt ein hinreichender Verdacht in Bezug auf die Verletzung der in der Anklageschrift dargelegten Strafvorschriften. Bezüglich dieser Delikte ist keine Verfolgungsverjährung eingetreten:

45Für die wahrscheinliche Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, die mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren geahndet wird, sieht § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB grundsätzlich eine Verjährungsfrist von zehn Jahren vor. Vorliegend ist die Verjährung jedenfalls unterbrochen worden durch die richterliche Anordnung der Durchsuchung der Person und Wohnräume der Angeklagten vom (SAO 6 Bl. 291 ff.), die Anordnung der richterlichen Vernehmung der Angeklagten mit Beschluss des Ermittlungsrichters des (SAO 1 Bl. 312 f.) und die Erhebung der öffentlichen Klage am (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 4 und 6 StGB). Gemäß § 78c Abs. 3 Satz 1 StGB begann nach jeder dieser Unterbrechungshandlungen die Verjährung von neuem, begrenzt durch die absolute Verfolgungsverjährung im Sinne des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die für die drei Straftaten nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5 Satz 1 StGB erst 20 Jahre nach der jeweiligen Tatbeendigung (§ 78a StGB) eintritt. Für die wahrscheinliche Beihilfe zur besonders schweren räuberischen Erpressung beträgt nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB bereits die gesetzliche Verjährungsfrist 20 Jahre.

463. Angesichts des danach bestehenden hinreichenden Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in drei Fällen ist die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nach § 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG eröffnet. Die örtliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Dresden folgt aus § 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 5 Satz 1 GVG, weil die Tatorte der angeklagten Taten und der Wohnort der Angeklagten im dortigen Bezirk liegen.

III.

47Um die Unvoreingenommenheit des Tatgerichts zu wahren, ist es unter den gegebenen Umständen sachdienlich, von der Möglichkeit des § 210 Abs. 3 Satz 2 StPO Gebrauch zu machen und zu bestimmen, dass die Hauptverhandlung vor einem anderen Senat des Oberlandesgerichts stattzufinden hat. Diesem obliegt die nach § 122 Abs. 2 Satz 2 GVG zu treffende Entscheidung über seine Besetzung in der Hauptverhandlung.

Schäfer                         Berg                         Erbguth

               Kreicker                       Munk

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:160425BSTB69.24.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-93450