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BGH Beschluss v. - AK 29/25

Instanzenzug: Az: 1 BGs 505/25

Gründe

I.

1Aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des ) ist der bis dahin flüchtige Beschuldigte am festgenommen worden. Seither befindet er sich ununterbrochen in Untersuchungshaft. In einem Haftprüfungsverfahren hat der Ermittlungsrichter des ) den Haftbefehl aufrechterhalten und die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.

2Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe in der Zeit von Sommer 2018 bis 2020 in L.          und anderenorts in drei Fällen eine Vereinigung unterstützt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet gewesen sei, und dabei in einem Fall durch dieselbe Handlung gemeinschaftlich mit anderen Beteiligten und mittels gefährlicher Werkzeuge sechs andere Personen an der Gesundheit geschädigt sowie gemeinschaftlich mit anderen rechtswidrig fremde Sachen beschädigt oder zerstört.

3Der Haftbefehl nimmt eine mutmaßliche Strafbarkeit des Beschuldigten wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Sachbeschädigung, gemäß § 129 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4, § 303 Abs. 1, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB an.

4Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus anzuordnen. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat daraufhin die Akten dem Senat zur Entscheidung über die Haftfortdauer nach § 121 Abs. 2 und 4 StPO vorgelegt.

5Die Verteidigung des Beschuldigten hat mit Schriftsatz vom zur Haftfortdauer Stellung genommen und die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise dessen Außervollzugsetzung, beantragt.

II.

6Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

71. Der Beschuldigte ist der ihm mit dem Haftbefehl zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.

8a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

9aa) Spätestens Anfang 2018 kamen mehr als sechs Personen, darunter die mittlerweile rechtskräftig verurteilte         E.       (vgl. zu dieser , juris) und ihr damaliger Lebensgefährte, zu einer militant-linksextremistischen Gruppierung mit Schwerpunkt in L.          zusammen. Die Vereinigung war darauf gerichtet, gewaltsam gegen einzelne Angehörige der rechtsextremen Szene vorzugehen und so mittels massiver körperlicher Gewalt rechtsextremistische Bestrebungen zu bekämpfen. Die Angehörigen des Personenzusammenschlusses und ihre Unterstützer – darunter der Beschuldigte – gehörten dem linksextremen politischen Spektrum an und hielten die Anwendung von Gewalt zur Verfolgung ihrer politischen Ziele für legitim. Es kam den Vereinigungsmitgliedern darauf an, im Rahmen eines militanten Antifaschismus fortlaufend und konzertiert aus ihrer Gruppierung heraus als Angehörige der „rechten Szene“ eingestufte Personen zu verletzen, und zwar auch unter Verwendung von Schlagwerkzeugen, um dadurch die Angegriffenen und – durch eine von den Taten ausgehende abschreckende Wirkung – weitere rechtsradikale Personen von ihrem politischen Wirken abzuhalten sowie die Opfer für ihre missbilligte politische Gesinnung abzustrafen.

10Die Gruppierung verfolgte zwei Agitationsstrategien: Zum einen ging es darum, zuvor nicht individuell ausgewählte Teilnehmer von Zusammenkünften der „rechten Szene“, namentlich Demonstrationen, bei ihrer Rückkehr von solchen Veranstaltungen zu verprügeln; diese Aktionen wurden als „Ausfahrten“ bezeichnet. Zum anderen griffen Vereinigungsmitglieder und Unterstützer zuvor besonders ausgewählte einzelne Zielpersonen aus dem rechtsradikalen Spektrum individuell an.

11Die in Verfolgung des Vereinigungszwecks verübten Gewaltakte wurden in der Regel sorgfältig geplant und vorbereitet. So wurden Zielpersonen und in Aussicht genommene Tatorte typischerweise vor den Taten intensiv ausgespäht. Bei den Angriffen, die stets von mehreren maskierten Personen koordiniert durchgeführt wurden, kam jedem Mitwirkenden eine zuvor festgelegte spezifische Rolle zu. Neben den unmittelbaren Angreifern, die mit Schlagwerkzeugen wie Teleskopschlagstöcken und Hämmern sowie mit Pfefferspray ausgestattet waren, gab es eine „Überblicksperson“, deren Aufgabe es war, während der Tat die Umgebung im Auge zu behalten, Zeugen von einem Dazwischentreten abzuhalten und nach kurzer Zeit das Kommando zum Rückzug zu geben. Bei den Taten wurden wiederholt weitere Personen aus der linksextremen Szene, die keine Vereinigungsmitglieder waren, jedoch mit der Vereinigung sympathisierten, einzelfallbezogen zur Mitwirkung hinzugezogen, und zwar nicht nur als weitere „Angreifer“, sondern auch als sogenannte „Späher“ oder „Scouts“ für das Auskundschaften von Tatopfern und Tatorten.

12Wesentlicher Teil der organisatorischen Vorkehrungen der Gruppierung waren sogenannte „Szenario-Trainings“. Bei diesen wurden Angriffe auf Zielpersonen, durch welche die Opfer zwar nachhaltig körperlich geschädigt, nicht aber getötet werden sollten, möglichst realitätsgetreu, insbesondere hinsichtlich des koordinierten Zusammenwirkens innerhalb der „Zugriffteams“, eingeübt und trainiert.

13Die Mitglieder der Vereinigung trafen zudem Vorsorge gegen eine Identifizierung einzelner Gruppenangehöriger und eine Aufdeckung der Gruppierung durch die Ermittlungsbehörden. So wurden einfache Mobiltelefone speziell für die Kommunikation im unmittelbaren Vorfeld einzelner Taten, etwa zwischen „Spähern“ und Personen des „Zugriffteams“, beschafft. Bei ihren Taten waren die Vereinigungsmitglieder und ihre Unterstützer stets maskiert. Sie trugen Handschuhe und trafen weitere Vorkehrungen, um keine Spuren, vor allem keine DNA-Spuren, an den Tatorten zu hinterlassen. Tatwerkzeuge wie Hämmer umhüllten sie zum Teil mit Plastiktüten, um eine Spurenanbringung an diese zu verhindern. Nicht zuletzt richteten Vereinigungsmitglieder auf dem Dachboden eines Mehrparteienhauses in L.         -Co.           ein „Tatmitteldepot“ ein, in dem sie Utensilien für die Tatbegehungen verwahrten, darunter Teleskopschlagstöcke und andere Schlagwerkzeuge.

14bb) Der Beschuldigte, der über umfangreiche Kampfsporterfahrung verfügt und entsprechende körperliche Fähigkeiten besitzt, war von 2018 bis 2020 als Kampftrainer für die Gruppe tätig, ohne selbst Vereinigungsmitglied zu sein. Zudem begleitete er Vereinigungsmitglieder bei „Ausfahrten“ und wirkte er an jedenfalls einem Überfall auf dem rechtsextremen Spektrum zugerechnete Personen als Angreifer mit. Im Einzelnen:

15(1) Bei einem am in L.           von der Vereinigung organisierten und veranstalteten „Großtraining“ in der Fußballhalle eines Sportvereins fungierte der Beschuldigte als Haupttrainer und Ausbilder. Die an diesem Tag abgehaltene „Schulung“ richtete sich an Vereinigungsmitglieder und Sympathisanten aus dem militant-linksextremistischen Spektrum. Unterrichtet und geübt wurden unter maßgeblicher Anleitung des Beschuldigten Kampftechniken und das konzertierte militante Vorgehen gegen „Gegner“ aus dem rechtsextremen Bereich. Ziel der Veranstaltung war es nicht nur, die Teilnehmer in die Lage zu versetzen, an erfolgreichen Überfällen der Vereinigung auf rechtsradikale Personen aktiv mitzuwirken, sondern auch, neue Vereinigungsmitglieder und Unterstützer aus der potentiell gewaltbereiten linksextremen Szene zu gewinnen. Durch seine Mitwirkung an der Veranstaltung in wichtiger Funktion erhöhte der Beschuldigte die Kampffähigkeit von Vereinigungsmitgliedern und Unterstützern; zudem bestärkte er sie in ihrer Mitwirkungsbereitschaft.

16(2) Im Sommer 2018 begleitete der Beschuldigte drei Vereinigungsmitglieder, darunter         E.      , bei einer „Ausfahrt“ als Mitglied des „Zugriffsteams“. Geplant war, im Zusammenhang mit einer Veranstaltung der rechten Szene in C.            auserkorene Tatopfer während einer Zugfahrt in einem Zugabteil zu attackieren; zur Mitwirkung an der letztlich nicht zur Ausführung gelangten Tat stellte sich der Beschuldigte der Vereinigung zur Verfügung.

17(3) Mitglieder und Unterstützer der Vereinigung beteiligten sich in einem Zeitraum von zwei Jahren an der Ausführung oder Vorbereitung von mindestens sieben weiteren Überfällen auf dem rechtsradikalen Spektrum zugeordnete Personen, wobei jedenfalls 17 Personen angegriffen und 15 Geschädigte zum Teil ganz erheblich verletzt wurden. Im Einzelnen geht es um folgende Taten, wobei der dringende Tatverdacht besteht, dass der Beschuldigte an einem am durchgeführten Überfall als Angreifer mitwirkte:

18(a) Am passten vier Mitglieder oder Unterstützer der Vereinigung einen zur „rechten Szene“ in L.          gehörenden Geschädigten, der für die NPD als Kommunalpolitiker aktiv gewesen war, beim Verlassen seines Wohnhauses in L.         ab und schlugen ihn nieder. Sie traten auf den zu Boden gebrachten Geschädigten ein; unter anderem versetzten sie ihm mindestens einen Fußtritt in das Gesicht. Zudem besprühte einer der Angreifer ihn mit Pfefferspray. Das Tatopfer erlitt erhebliche Verletzungen.

19(b) Am wurde ein regionaler Akteur der rechten Szene von vier oder fünf maskierten Mitgliedern oder Unterstützern der Vereinigung an seinem Wohnort in W.         überfallen und zu Boden gebracht. Die Täter schlugen – unter anderem mit einem Teleskopschlagstock – und traten mit Füßen auf ihn ein. Das Opfer erlitt potentiell lebensbedrohliche Verletzungen.

20(c) Am wurden Angehörige der Vereinigung darauf aufmerksam, dass ein Kanalarbeiter, der in L.         -Co.            seiner Arbeit nachging, eine Mütze des unter Rechtsradikalen verbreiteten Mode-Labels „                          “ trug. Spontan entschlossen sie sich, den Arbeiter anzugreifen und körperlich erheblich zu misshandeln, weil sie ihn – irrtümlich – wegen seiner Kopfbedeckung für einen „Nazi“ hielten und sein vermeintlich offenes Auftreten als solcher in dem von der linken Szene als „ihr Gebiet“ erachteten Stadtteil Co.             als inakzeptable Provokation empfanden. Der Geschädigte erhielt zunächst einen wuchtigen Fausthieb gegen das rechte Jochbein. Sodann wurde er durch weitere Schläge zu Boden gebracht. Dort wurde auf das Opfer, das zeitweilig bewusstlos war, weiter eingeschlagen und eingetreten, vorwiegend auf den Kopf und in den Rücken. Der Geschädigte wurde schwer verletzt.

21(d) In den frühen Morgenstunden des überfielen elf vermummte Personen, darunter der Beschuldigte, in Verfolgung des Vereinigungszwecks ein als Treffpunkt des örtlichen rechtsradikalen Spektrums bekanntes Lokal in E.           , das von einer überregional als Führungsfigur der rechtsextremen Szene von E.            bekannten und daher von der Vereinigung als Zielperson ausgewählten Person betrieben wurde. Diese und die anwesenden Gäste des Lokals sollten nachhaltig verletzt werden. Kurz nach Mitternacht betraten sieben der Angreifer, darunter der Beschuldigte, das Lokal, während die weiteren vier Personen aus der Gruppe draußen vor der Gaststätte zur Absicherung der Tat Stellung bezogen. Der Gastwirt und fünf weitere anwesende Personen wurden mit Teleskopschlagstöcken und Pfefferspray aus einem Reizstoffsprühgerät attackiert und verletzt. Es entwickelte sich eine tumultartige Auseinandersetzung, in deren Verlauf die Angreifer, darunter der Beschuldigte, Gaststätteninventar zerstörten. Es entstand Sachschaden in Höhe von etwa 2.000 €.

22(e) Da der Gastwirt – die primäre Zielperson – bei dem Angriff am nur leicht verletzt worden war, erachtete die Gruppierung diesen Überfall als Fehlschlag. Deshalb passten Vereinigungsmitglieder und Unterstützer ihn in der Nacht vom 13. auf den bei seiner Rückkehr aus der Gaststätte nach Hause auf der Straße vor seinem Wohnhaus ab und attackierten ihn dort unter Einsatz von Schlagwerkzeugen und Pfefferspray. Zudem wurden drei weitere Personen körperlich angegriffen und erheblich verletzt, die den Gastwirt mit einem Auto nach Hause gebracht hatten, den Überfall auf ihn bemerkten und ihm zu Hilfe kommen wollten.

23(f) Am fand in D.           anlässlich des 75. Jahrestages der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg eine als „Trauermarsch“ bezeichnete Demonstration rechtsextremer Personen statt. Angehörige der Vereinigung hatten sich entschlossen, in Umsetzung des Vereinigungszwecks von der Veranstaltung zurückkehrende Teilnehmer nach ihrem Ausstieg aus einem aus D.           kommenden Zug am Bahnhof von W.          abzupassen, unter Einsatz von Schlagwerkzeugen zu attackieren und zu verletzen.

24Am Bahnhof von W.          verließen gegen 19.30 Uhr sechs vom „Trauermarsch“ zurückkehrende Personen den Zug, die durch ihre Bekleidung und eine mitgeführte Reichskriegsflagge ohne Weiteres als Angehörige des rechtsextremen Spektrums erkennbar waren. Nachdem die arglosen Personen um das Bahnhofsgebäude herumgegangen waren, stürmten die vermummten Angreifer, die mit Schlagstöcken und einem Reizgassprühgerät bewaffnet hinter einer Gebäudeecke in Deckung gegangen waren, auf sie zu und griffen sie an. Während zwei der Angegriffenen unverletzt fliehen konnten, wurden die vier weiteren Opfer mit Schlagstöcken, Fausthieben und Pfefferspray attackiert, wobei sie unter anderem jeweils potentiell lebensbedrohliche Schläge gegen den Kopf erhielten. Auf ein Kommando hin beendeten die Angreifer schließlich ihre konzertierte und koordinierte Einwirkung auf die Opfer. Die vier körperlich misshandelten Tatopfer erlitten jeweils signifikante Verletzungen, darunter Kopfplatzwunden.

25(g) Im Frühsommer 2020 entschloss sich die Vereinigung zu einem körperlichen Angriff auf einen L.           Rechtsreferendar, der zur rechtsextremen Szene gehörte und als Teilnehmer an „rechten“ Kampfsportveranstaltungen sowie den als „Sturm auf Co.          “ bezeichneten Ausschreitungen Rechtsextremer in dem L.            Stadtteil Co.             am in Erscheinung getreten war. Das in Aussicht genommene Tatopfer sollte im Anschluss an einen Klausurtermin der zweiten juristischen Staatsprüfung vor seiner Wohnung abgepasst und zusammengeschlagen werden. In Vorbereitung der Tat spähten Vereinigungsmitglieder Anfang Juni 2020 die Wohnanschrift des Opfers sowie von diesem zurückzulegende Wege aus. Der Angriff selbst sollte am durchgeführt werden. Das Vorhaben wurde indes kurzfristig durch einen am Prüfungsort eingesetzten „Späher“ der Gruppierung abgebrochen, nachdem diesem aufgefallen war, dass der Rechtsreferendar an diesem Tag zu seinem Schutz von Einsatzkräften der Polizei begleitet wurde.

26b) Der dringende Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) beruht auf Folgendem:

27aa) In Bezug auf die kriminelle Vereinigung um die bereits rechtskräftig verurteilte        E.      und ihren früheren Lebensgefährten ergibt sich der dringende Tatverdacht insbesondere aus den durch Observationsmaßnahmen, Durchsuchungen sowie Auswertungen von Datenträgern gewonnenen Erkenntnissen sowie aus Aussagen von Zeugen, namentlich Bekundungen des früheren Mitbeschuldigten D.             , der sich aus der militant-linksextremistischen Szene losgesagt und umfassend mit den Ermittlungsbehörden kooperiert hat.

28bb) Hinsichtlich der gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfe konkreter Unterstützungshandlungen ergibt sich der dringende Tatverdacht maßgeblich aus Angaben des früheren Mitbeschuldigten D.              , die mit weiteren diesbezüglichen Beweisergebnissen korrespondieren. So hat der frühere Mitbeschuldigte D.               angegeben, der Beschuldigte habe ihm bei einem Treffen in B.          berichtet, an dem Überfall auf die Gaststätte in E.                unmittelbar beteiligt gewesen zu sein, und dabei Einzelheiten des Tatablaufs geschildert. Die danach vom Beschuldigten benannten Details stimmen mit Ergebnissen der polizeilichen Tatortaufnahme überein. Die Angaben D.               zur Trainertätigkeit des Beschuldigten korrespondieren mit handschriftlichen Notizen des Beschuldigten, die bei einer Durchsuchung seiner Wohnräume aufgefunden worden sind.

29Wegen der Einzelheiten zu den bisherigen Beweisergebnissen, die den dringenden Tatverdacht begründen, wird auf den Haftbefehl vom Bezug genommen.

302. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus, dass sich der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen gefährlicher Köperverletzung in Tateinheit mit Unterstützung einer kriminellen Vereinigung und mit Sachbeschädigung sowie wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung in zwei Fällen gemäß § 129 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4, § 303 Abs. 1, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB strafbar gemacht hat.

31a) Die Trainertätigkeit des Beschuldigten bei dem „Großtraining“ am in L.          sowie seine Beteiligung als Mitglied des „Zugriffsteams“ bei einer „Ausfahrt“ im Sommer 2018 sind hochwahrscheinlich jeweils als Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu werten. Seine Mitwirkung an dem Überfall auf die Gaststätte in E.             am ist vorläufig rechtlich als gefährliche Köperverletzung – in den Tatvarianten der gemeinschaftlichen Tatbegehung mit einem anderen Beteiligten und mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs – in Tateinheit mit Unterstützung einer kriminellen Vereinigung und mit Sachbeschädigung einzuordnen.

32b) Hinsichtlich der jeweiligen Strafbarkeit des Beschuldigten wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung gilt im Sinne eines dringenden Tatverdachts Folgendes:

33aa) Bei der Gruppierung, für die der Beschuldigte hochwahrscheinlich tätig wurde, handelte es sich um eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1 und 2 StGB (vgl. hierzu bereits , juris Rn. 55 ff.).

34(1) Eine Vereinigung ist nach § 129 Abs. 2 StGB ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses (vgl. BT-Drucks. 18/11275 S. 11). Danach müssen ein organisatorisches, ein personelles, ein zeitliches und ein interessenbezogenes Element gegeben sein (vgl. im Einzelnen , juris Rn. 55; vom – 3 StR 306/22, MMR 2024, 175 Rn. 39; vom – 3 StR 21/21, BGHSt 66, 137 Rn. 19; s. zudem BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 403/20, StV 2023, 739 Rn. 9; vom – 3 StR 61/21, BGHR StGB § 129 Abs. 2 Vereinigung 2 Rn. 8; vom – 3 StR 33/21, NStZ 2022, 159 Rn. 5; MüKoStGB/Anstötz, 5. Aufl., § 129 Rn. 14a ff.). Notwendig ist insbesondere das Tätigwerden in einem übergeordneten gemeinsamen Interesse. Dieses muss über die bezweckte Begehung der konkreten Straftaten und ein Handeln um eines persönlichen materiellen Vorteils willen hinausgehen (vgl. , juris Rn. 55; vom – 3 StR 306/22, MMR 2024, 175 Rn. 41; Beschluss vom – 3 StR 403/20, StV 2023, 739 Rn. 11; Urteil vom – 3 StR 21/21, BGHSt 66, 137 Rn. 21; Beschlüsse vom – 3 StR 61/21, BGHR StGB § 129 Abs. 2 Vereinigung 2 Rn. 9; vom – 3 StR 33/21, NStZ 2022, 159 Rn. 7; LK/Krauß, StGB, 13. Aufl., § 129 Rn. 40 f.; MüKoStGB/Anstötz, 5. Aufl., § 129 Rn. 22).

35(2) Hieran gemessen war die Gruppierung, für die der Beschuldigte hochwahrscheinlich tätig wurde, eine Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 2 StGB. Denn sie bestand aus mehr als sechs Personen (personelles Element) und war auf eine längere, nicht befristete Existenz angelegt (zeitliches Element). Die Vereinigung hatte, wie nicht zuletzt die umfangreichen Vorplanungen einzelner Angriffe, die „Szenario-Trainings“, das vorherige Ausspähen von Tatopfern und Tatorten, die sorgfältige Koordination des Tathandelns und das strukturierte arbeitsteilige Vorgehen bei den Angriffen zeigen, einen erheblichen Organisationsgrad (organisatorisches Element). Schließlich verfolgte die Gruppierung, deren Mitglieder und Unterstützer eine militant-linksextremistische Gesinnung teilten, mit dem Ziel, durch gewaltsame Angriffe auf dem rechten politischen Spektrum zugeordnete Personen rechtsextreme und neonazistische Kräfte zu bekämpfen, ein übergeordnetes gemeinsames (politisches) Interesse (interessenbezogenes Element).

36(3) Der Zweck und die Tätigkeit der Vereinigung waren auf die Begehung von Taten der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 StGB und damit auf Straftaten gerichtet, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind (§ 129 Abs. 1 Satz 1 StGB; vgl. zu den Anforderungen dieses Tatbestandsmerkmals , MMR 2024, 175 Rn. 47; Beschluss vom – AK 35/23 u. StB 34/23, BGHSt 68, 1 Rn. 33; LK/Krauß, StGB, 13. Aufl., § 129 Rn. 64).

37(4) Die Ausrichtung von Zweck und Tätigkeit der Vereinigung auf die vorgenannten Taten bedeutete eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und war insofern von einigem Gewicht (vgl. zu diesem Erfordernis , MMR 2024, 175 Rn. 60; Beschlüsse vom – 3 StR 403/20, StV 2023, 739 Rn. 16; vom – 3 StR 61/21, NJW 2021, 2979 Rn. 12; LK/Krauß, StPO, 13. Aufl., § 129 Rn. 53 ff.; MüKoStGB/Anstötz, 5. Aufl., § 129 Rn. 40).

38(5) Die Begehung von Körperverletzungsdelikten war für die Vereinigung nicht nur von untergeordneter Bedeutung im Sinne des § 129 Abs. 3 Nr. 2 StGB (vgl. hierzu , BGHSt 41, 47, 55 f.; LK/Krauß, StPO, 13. Aufl., § 129 Rn. 78 ff.; MüKoStGB/Anstötz, 5. Aufl., § 129 Rn. 72 f.). Vielmehr waren gewaltsame Angriffe gegen Personen aus dem rechtsextremen Spektrum alleiniges Ziel und ausschließlicher Zweck des Personenzusammenschlusses.

39bb) Die haftbefehlsgegenständlichen konkreten Aktivitäten des Beschuldigten – seine Trainertätigkeit bei dem „Großtraining“ am , seine Beteiligung als Mitglied des „Zugriffsteams“ bei einer „Ausfahrt“ im Sommer 2018 sowie seine Mitwirkung an dem Überfall in E.           am – sind als Unterstützungshandlungen im Sinne des § 129 Abs. 1 Satz 2 StGB zu werten. Dies gilt auch für die Mitwirkung an der „Ausfahrt“ im Sommer 2018, und zwar unabhängig davon, dass es bei dieser, soweit ersichtlich, zu keinem konkreten Angriff auf Personen der rechtsextremen Szene kam. Denn der Beschuldigte hielt sich an diesem Tag für eine Mitwirkung an einem Angriff konkret bereit. Das war für die Vereinigung objektiv nützlich, so dass der erforderliche Unterstützungserfolg zu bejahen ist.

403. Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Verfolgungszuständigkeit des Generalbundesanwalts sowie die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass des Haftbefehls ergibt sich aus § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG in Verbindung mit § 74a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 GVG. Der Fall hat eine die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit des Bundes legitimierende besondere Bedeutung im Sinne des § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GVG in Verbindung mit § 74a Abs. 2 GVG (vgl. in Bezug auf den hiesigen Tatkomplex BGH, Beschlüsse vom – StB 45+46/23, juris Rn. 15; vom – StB 29/22, NStZ 2022, 692 Rn. 10; vom – AK 42/21, juris Rn. 12; vom – AK 33/21, juris Rn. 69). Denn es handelte sich bei der Vereinigung nicht nur um eine länderübergreifend tätig gewordene Gruppierung (vgl. § 120 Abs. 2 Satz 2 GVG), sondern vor allem um einen politisch motivierten Personenzusammenschluss. Die Taten, auf deren Begehung die Vereinigung abzielte, waren gekennzeichnet durch eine Negierung des staatlichen Gewaltmonopols und die Anmaßung eines Rechts, gewaltsam gegen Personen vorzugehen, deren politische Haltung missbilligt wurde. Es ging der Gruppierung darum, jenseits des staatlichen Instrumentariums zur Wahrung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung als Akt der Selbstjustiz mit brutaler körperlicher Gewalt einzelne ausgewählte Personen für ihre rechtsextreme politische Haltung abzustrafen. Taten wie die aus der hier inmitten stehenden Vereinigung heraus begangenen sind geeignet, den friedlichen politischen Meinungskampf in Frage zu stellen und eine gewaltsame Eskalation der politischen Auseinandersetzung zu befördern. Diese Umstände verleihen dem Fall, der in der Öffentlichkeit und in der politischen Debatte über legitime Mittel zur Bekämpfung staatsfeindlicher rechtsextremistischer Bestrebungen hohe Aufmerksamkeit gefunden hat, gesamtstaatliche Bedeutung (vgl. zum diesbezüglichen Beurteilungsmaßstab BGH, Beschlüsse vom – AK 62/19, juris Rn. 19; vom – AK 47/16, juris Rn. 23; vom – StB 33/16, juris Rn. 25; vom – AK 20/08, BGHSt 53, 128 Rn. 33 ff.; Schmitt/Köhler/Schmitt, StPO, 68. Aufl., § 120 GVG Rn. 3a). Angesichts der Zielrichtung und des Gewichts des hochwahrscheinlichen Tathandelns des Beschuldigten stellt sich seine Unterstützung der Tätigkeit der Vereinigung als schwerwiegend und damit besonders bedeutsam im Sinne des § 120 Abs. 2 GVG dar.

414. Es ist der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gegeben. Es ist wahrscheinlicher, dass sich der Beschuldigte – sollte er auf freien Fuß gelangen – dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm stellen wird.

42Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung ungeachtet des Umstandes, dass die ihm zur Last gelegten Taten bereits geraume Zeit zurückliegen, nicht zuletzt wegen der großen Brutalität, mit der die Vereinigung ihre Ziele verfolgte, mit einer erheblichen unbedingten Freiheitsstrafe zu rechnen.

43Dem von der signifikanten Straferwartung ausgehenden großen Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthemmenden Umstände entgegen. Insofern gilt, dass die Annahme von Fluchtgefahr kein sicheres Wissen um die sie begründenden Tatsachen erfordert; es genügt derselbe Wahrscheinlichkeitsgrad wie bei der Annahme des dringenden Tatverdachts (vgl. BGH, Beschlüsse vom – AK 27/22, juris Rn. 36; vom – StB 43 u. 44/18, juris Rn. 37).

44Der Beschuldigte war bis zu seiner Festnahme am mehr als zwei Jahre lang flüchtig und untergetaucht. Dabei erfuhr er hochwahrscheinlich Unterstützung von einem größeren Kreis Gleichgesinnter aus der linksextremistischen Szene. Deshalb ist anzunehmen, er werde im Falle seiner Freilassung erneut untertauchen und sich dem Strafverfahren zu entziehen versuchen, zumal er gezeigt hat, dass er bereit ist, die mit einem Untertauchen verbundenen Entbehrungen auf sich zu nehmen. Der Umstand, dass der Beschuldigte eingebunden ist in ein Netzwerk von Sympathisanten und Gleichgesinnten, die ihm sehr wahrscheinlich auch bei einem erneuten Untertauchen logistische und finanzielle Unterstützung leisten würden, begründet einen weiteren Fluchtanreiz (vgl. , juris Rn. 62). Demgegenüber sind berufliche oder soziale Bindungen von beachtlichem Gewicht, die fluchthemmend wirken könnten, nicht ersichtlich; im Übrigen haben ihn in der Vergangenheit seine Sozialkontakte nicht davon abgehalten unterzutauchen.

45Der Zweck der Untersuchungshaft kann unter den gegebenen Umständen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO erreicht werden. Der Senat verkennt nicht, dass sich ausweislich des Vorbringens im Verteidigerschriftsatz vom die Großmutter des Beschuldigten bereit erklärt hat, einen hohen Geldbetrag als Kaution zu stellen. Eine Sicherheitsleistung im Sinne des § 116 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StPO ist jedoch angesichts des Umstandes, dass keine weiteren fluchthemmenden Umstände zu verzeichnen sind, nicht geeignet, der Fluchtgefahr hinreichend entgegenzuwirken.

465. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Das Verfahren ist bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.

47Die Ermittlungen waren und sind besonders umfangreich; die Akten umfassen derzeit 178 Stehordner. Es sind umfangreiche Auswertungen sichergestellter Asservate, darunter Datenträger, erforderlich gewesen. Zeugenvernehmungen haben sich als außergewöhnlich aufwändig erwiesen, weil Beweispersonen aus der linken Szene nicht kooperationsbereit gewesen sind und sich teilweise erst mit Zwangsmitteln zu einer Aussage haben bewegen lassen. Die Verhaftung weiterer mutmaßlicher Mitglieder oder Unterstützer der kriminellen Vereinigung, darunter eine mutmaßlich zentrale Führungsfigur der Vereinigung Ende 2024, hat es wegen des engen und konzertierten Zusammenwirkens dieser mit dem Beschuldigten erforderlich gemacht, ergänzende Ermittlungen anzustellen.

48Entgegen dem Vorbringen in zwei Verteidigerschriftsätzen vom ist auch unter Beschleunigungsgesichtspunkten nicht zu beanstanden, dass sich der Generalbundesanwalt entschlossen hat, den Beschuldigten gemeinsam mit weiteren, teilweise erst später festgenommenen Mitbeschuldigten anzuklagen und von einer Abtrennung des gegen ihn gerichteten Verfahrens abzusehen. Denn zum einen hängen die jeweiligen Tatvorwürfe – soweit ersichtlich – derart eng miteinander zusammen, dass getrennte Hauptverhandlungen in hohem Maße ineffizient wären. Zum anderen haben die Ermittlungen gegen weitere Beschuldigte aus dem Umfeld der kriminellen Vereinigung zu keiner Verzögerung der den Beschuldigten betreffenden Strafverfolgung geführt. So hat der Generalbundesanwalt mitgeteilt, voraussichtlich noch im Mai 2025 Anklage gegen den Beschuldigten und sechs mutmaßliche weitere Mitstreiter zum Oberlandesgericht Dresden erheben zu wollen. Daher steht auch zu erwarten, dass das Verfahren weiterhin mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung geführt werden wird.

496. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Schäfer                         Anstötz                         Kreicker

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:150525BAK29.25.0

Fundstelle(n):
CAAAJ-93447