Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 13 U 105/21vorgehend LG Osnabrück Az: 10 O 3301/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im April 2017 von einem Händler einen gebrauchten VW Golf VII Variant 1,6 TDI, der mit einem Dieselmotor des Typs EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Der Kaufpreis wurde finanziert.
2Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Rückzahlung geleisteter Darlehensraten nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs und Übertragung des der Klagepartei zustehenden Anwartschaftsrechts zu verurteilen sowie ihn von noch nicht fälligen Darlehensraten freizustellen. Er hat ferner die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten begehrt und vorgerichtliche Anwaltskosten nebst Prozesszinsen geltend gemacht. Hinsichtlich weiterer ursprünglich geltend gemachter Zahlungsansprüche hat er den Rechtsstreit in zweiter Instanz einseitig für erledigt erklärt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine zuletzt gestellten Anträge weiter.
Gründe
3Die Revision hat Erfolg.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte gemäß §§ 826, 31 BGB zu. Es ergäben sich keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass Fahrzeuge mit EA 288-Motor die Typgenehmigung aufgrund einer Täuschung der Beklagten über Abschalteinrichtungen oder deren pflichtwidriges Verschweigen erhalten hätten. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) habe Motoren dieses Typs eingehend untersucht und dabei festgestellt, dass grenzwerterhebliche unzulässige Abschalteinrichtungen nicht vorhanden seien. Angesichts dessen lasse sich nicht feststellen, dass die Verantwortlichen bei der Beklagten die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtungen billigend in Kauf genommen hätten. In Bezug auf die vom Kläger behauptete Fahrkurvenerkennung würden nach den Untersuchungen des KBA auch bei deren Veränderung oder Deaktivierung die Grenzwerte in den Prüfverfahren nicht überschritten. Auch hinsichtlich des Thermofensters seien die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nicht dargetan.
6Einem Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB stehe auch die Tatbestandswirkung der uneingeschränkt gültigen EG-Typgenehmigung entgegen. Habe die zuständige Behörde in einem bestandskräftigen Verwaltungsakt dem Hersteller bescheinigt, dass das betreffende Fahrzeugmodell insbesondere im Hinblick auf die Schadstoffemissionen den Anforderungen genüge, so seien die Zivilgerichte regelmäßig daran gebunden. Die Beklagte könnte sich zwar auf die Tatbestandswirkung nicht berufen, wenn sie sich die EG-Typgenehmigung erschlichen und das KBA getäuscht hätte. Eine solche Ausnahmesituation liege hier aber nicht vor. Weder stehe auf Grund einer bestandskräftigen Entscheidung des KBA fest, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung in dem konkret erworbenen Fahrzeug installiert sei, noch bestehe auf der Grundlage des Vorbringens des Klägers die Möglichkeit, dass das KBA künftig eine solche Entscheidung treffen werde. Vielmehr halte das KBA die vom Kläger kritisierten Funktionen des Motors nach umfassenden Untersuchungen ausdrücklich nicht für unzulässige Abschalteinrichtungen.
7Ein Schadensersatzanspruch des Klägers ergebe sich ferner nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, da das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Schutzbereich dieser Vorschriften liege.
8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht stand.
91. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings einen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz aus § 826 BGB abgelehnt.
10Gegen die Abweisung eines Anspruchs gemäß § 826 BGB in Bezug auf das unstreitig im Klägerfahrzeug enthaltene Thermofenster wendet sich die Revision nicht. Der Kläger kann einen solchen Anspruch auch nicht auf die von ihm behauptete Fahrkurvenerkennung stützen.
11a) Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, kann zwar die Tatbestandswirkung einer EG-Typgenehmigung einem Anspruch eines Fahrzeugerwerbers aus § 826 BGB nicht entgegengehalten werden ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 10 bis 17; Urteil vom - VIa ZR 387/22, juris Rn. 8). Mit dieser Begründung hätte das Berufungsgericht daher nicht von der Berücksichtigung des entsprechenden Vortrags des Klägers absehen dürfen.
12b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat das KBA den streitgegenständlichen Motortyp jedoch bereits umfassenden Untersuchungen unterzogen und die vom Kläger gerügten Funktionen - also auch die Fahrkurvenerkennung - nicht als unzulässige Abschalteinrichtungen eingestuft. Damit kann das Verhalten der Beklagten bereits nicht als besonders verwerflich eingestuft werden (vgl. VIa ZR 282/22, juris Rn. 8 mwN).
13c) Die Verfahrensrüge der Revision, das Berufungsgericht habe dem beweisbewehrten Vortrag des Klägers nachgehen müssen, bei der in der Motorsteuerungssoftware seines Fahrzeugs implementierten Fahrkurvenerkennung handele es sich um eine prüfstandsbezogene unzulässige Abschalteinrichtung, hat der Senat im Übrigen geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
142. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
15Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
16Die Berufungsentscheidung ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
17Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR514.22.0
Fundstelle(n):
VAAAJ-93377