Suchen
EuGH Urteil v. - C-531/23

Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer – Arbeitszeitgestaltung – Tägliche und wöchentliche Ruhezeit – Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Richtlinie 2003/88/EG – Art. 3, 5, 6, 16, 17, 19 und 22 – Verpflichtung zur Einrichtung eines Systems, mit dem die Arbeitszeit von Hausangestellten gemessen werden kann – Abweichung – Nationale Gesetzgebung, die eine Ausnahme von der Verpflichtung zur Erfassung der tatsächlichen Arbeitszeit von Hausangestellten vorsieht

Leitsatz

Die Art. 3, 5 und 6 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung in Verbindung mit Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

sind dahin auszulegen, dass

sie sowohl einer nationalen Regelung als auch deren Auslegung durch nationale Gerichte oder einer auf einer solchen Regelung beruhenden Verwaltungspraxis entgegenstehen, nach denen Arbeitgeber von Hausangestellten von der Verpflichtung entbunden sind, ein System einzuführen, mit dem die Arbeitszeit von Hausangestellten gemessen werden kann, wodurch diesen die Möglichkeit vorenthalten wird, objektiv und zuverlässig festzustellen, wie viele Arbeitsstunden sie geleistet haben und wann diese Stunden geleistet wurden.

Gesetze: EUGrdRCh Art. 31 Abs. 2, RL 2003/88/EG Art. 3, RL 2003/88/EG Art. 5, RL 2003/88/EG Art. 6, RL 2003/88/EG Art. 16, RL 2003/88/EG Art. 17, RL 2003/88/EG Art. 19, RL 2003/88/EG Art. 22

Gründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 3, 5, 6 und 16, von Art. 17 Abs. 4 Buchst. b sowie der Art. 19 und 22 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9), der Art. 1 und 4 der Richtlinie 2010/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, und zur Aufhebung der Richtlinie 86/613/EWG des Rates (ABl. 2010, L 180, S. 1), der Art. 1, 4 und 5 der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (ABl. 2006, L 204, S. 23), der Art. 2 und 3 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16), von Art. 3 Abs. 2 EG sowie von Art. 20, Art. 21 und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen HJ, einer Hausangestellten, auf der einen und US und MU, ihren Arbeitgebern, auf der anderen Seite wegen der Entlassung von HJ und der Abgeltung von Überstunden sowie nicht genommenen Urlaubstagen.

 

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2003/88

3 Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 bestimmt:

„Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung.“

4 In Art. 2 der Richtlinie heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie sind:

1.

‚Arbeitszeit‘: jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt;

…“

5 Art. 3 („Tägliche Ruhezeit“) der Richtlinie 2003/88 lautet:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24‑Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird.“

6 Art. 5 („Wöchentliche Ruhezeit“) dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden gemäß Artikel 3 gewährt wird.

Wenn objektive, technische oder arbeitsorganisatorische Umstände dies rechtfertigen, kann eine Mindestruhezeit von 24 Stunden gewählt werden.“

7 Art. 6 („Wöchentliche Höchstarbeitszeit“) der Richtlinie 2003/88 lautet:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit nach Maßgabe der Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer:

a)

die wöchentliche Arbeitszeit durch innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder in Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern festgelegt wird;

b)

die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet.“

8 Art. 17 („Abweichungen“) Abs. 1 und 4 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1) Unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer können die Mitgliedstaaten von den Artikeln 3 bis 6, 8 und 16 abweichen, wenn die Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen und/oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann, und zwar insbesondere in Bezug auf nachstehende Arbeitnehmer:

a)

leitende Angestellte oder sonstige Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis;

b)

Arbeitskräfte, die Familienangehörige sind;

(4) Gemäß Absatz 2 dieses Artikels sind Abweichungen von den Artikeln 3 und 5 zulässig:

a)

wenn bei Schichtarbeit der Arbeitnehmer die Gruppe wechselt und zwischen dem Ende der Arbeit in einer Schichtgruppe und dem Beginn der Arbeit in der nächsten nicht in den Genuss der täglichen und/oder wöchentlichen Ruhezeit kommen kann;

b)

bei Tätigkeiten, bei denen die Arbeitszeiten über den Tag verteilt sind, insbesondere im Fall von Reinigungspersonal.“

9 Art. 22 („Sonstige Bestimmungen“) Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2003/88 bestimmt:

„(1) Es ist einem Mitgliedstaat freigestellt, Artikel 6 nicht anzuwenden, wenn er die allgemeinen Grundsätze der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer einhält und mit den erforderlichen Maßnahmen dafür sorgt, dass

a)

kein Arbeitgeber von einem Arbeitnehmer verlangt, im Durchschnitt des in Artikel 16 Buchstabe b) genannten Bezugszeitraums mehr als 48 Stunden innerhalb eines Siebentagezeitraums zu arbeiten, es sei denn der Arbeitnehmer hat sich hierzu bereit erklärt;

b)

keinem Arbeitnehmer Nachteile daraus entstehen, dass er nicht bereit ist, eine solche Arbeit zu leisten;

c)

der Arbeitgeber aktuelle Listen über alle Arbeitnehmer führt, die eine solche Arbeit leisten;

d)

die Listen den zuständigen Behörden zur Verfügung gestellt werden, die aus Gründen der Sicherheit und/oder des Schutzes der Gesundheit der Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit unterbinden oder einschränken können;

e)

der Arbeitgeber die zuständigen Behörden auf Ersuchen darüber unterrichtet, welche Arbeitnehmer sich dazu bereit erklärt haben, im Durchschnitt des in Artikel 16 Buchstabe b) genannten Bezugszeitraums mehr als 48 Stunden innerhalb eines Siebentagezeitraums zu arbeiten.

(3) Sofern die Mitgliedstaaten von den in diesem Artikel genannten Möglichkeiten Gebrauch machen, setzen sie die [Europäische] Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.“

Richtlinie 2006/54

10 Art. 1 der Richtlinie 2006/54 lautet:

„Ziel der vorliegenden Richtlinie ist es, die Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sicherzustellen.

Zu diesem Zweck enthält sie Bestimmungen zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in Bezug auf

a)

den Zugang zur Beschäftigung einschließlich des beruflichen Aufstiegs und zur Berufsbildung,

b)

Arbeitsbedingungen einschließlich des Entgelts,

c)

betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit.

Weiter enthält sie Bestimmungen, mit denen sichergestellt werden soll, dass die Verwirklichung durch die Schaffung angemessener Verfahren wirksamer gestaltet wird.“

11 Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

b)

‚mittelbare Diskriminierung‘ eine Situation, in der dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen des einen Geschlechts in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich;

…“

12 Art. 4 („Diskriminierungsverbot“) Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 bestimmt:

„Bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, wird mittelbare und unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltbestandteile und ‑bedingungen beseitigt.“

13 In Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:

„Im öffentlichen und privaten Sektor einschließlich öffentlicher Stellen darf es in Bezug auf folgende Punkte keinerlei unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben:

c)

die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen sowie das Arbeitsentgelt nach Maßgabe von [Art. 157 AEUV];

…“

Spanisches Recht

Arbeitnehmerstatut

14 Art. 34 Abs. 9 des Estatuto de los Trabajadores (Arbeitnehmerstatut) in der Fassung des Real Decreto-ley 8/2019, de medidas urgentes de protección social y de lucha contra la precariedad laboral en la jornada de trabajo (Königliches Gesetzesdekret 8/2019 über Sofortmaßnahmen im Bereich des sozialen Schutzes und zur Bekämpfung prekärer Beschäftigungsverhältnisse) vom (BOE Nr. 61 vom , S. 23156) (im Folgenden: Arbeitnehmerstatut) sieht vor:

„Das Unternehmen sorgt für die Erfassung der täglichen Arbeitszeit; unbeschadet der in dieser Bestimmung vorgesehenen flexiblen Arbeitszeit sind Beginn und Ende des Arbeitstags jedes Arbeitnehmers genau aufzuzeichnen.

Die Arbeitszeiterfassung wird im Wege von Tarifverhandlungen, einer Betriebsvereinbarung oder anderenfalls durch Entscheidung des Arbeitgebers nach Anhörung der gesetzlichen Vertreter der Arbeitnehmer im Unternehmen organisiert und eingerichtet.

Die Aufzeichnungen im Sinne dieser Bestimmung werden vom Unternehmen vier Jahre lang aufbewahrt und stehen den Arbeitnehmern, ihren gesetzlichen Vertretern, der Arbeitsaufsicht und der Sozialversicherung zur Verfügung.“

15 Art. 35 („Überstunden“) Abs. 5 des Arbeitnehmerstatuts bestimmt:

„Für die Berechnung der Überstunden wird die Arbeitszeit jedes Arbeitnehmers täglich aufgezeichnet und zum für die Zahlung der Vergütung festgelegten Zeitpunkt zusammengezählt, wobei dem Arbeitnehmer eine Kopie der Aufstellung im Beleg zur entsprechenden Zahlung übermittelt wird.“

Königliches Dekret 1620/2011

16 Art. 9 des Real Decreto 1620/2011, por el que se regula la relación laboral de carácter especial del servicio del hogar familiar (Königliches Dekret 1620/2011 zur Regelung der besonderen Arbeitsverhältnisse von Hausangestellten) vom (BOE Nr. 277 vom , S. 119046) enthält folgende Ausnahme von den Bestimmungen des Arbeitnehmerstatuts:

„1. Die wöchentliche Höchstarbeitszeit beträgt normalerweise 40 tatsächlich geleistete Arbeitsstunden, unbeschadet potenzieller zwischen den Parteien vereinbarten Anwesenheitszeiten, in denen der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung steht. Die Arbeitszeiten werden von den Vertragsparteien einvernehmlich festgelegt.

Nach Ableistung der täglichen Arbeitszeit und gegebenenfalls nach Ablauf der vereinbarten Anwesenheitszeit ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, im Haushalt des Arbeitgebers zu bleiben.

2. Unter Beachtung der Höchstarbeitszeit und der Mindestruhezeiten richten sich die Dauer der Anwesenheitszeit und das dafür zu zahlende Entgelt bzw. deren Vergütung nach den gleichen, zwischen den Parteien vereinbarten Bedingungen. In jedem Fall dürfen Anwesenheitszeiten, sofern kein Ausgleich durch gleichwertige bezahlte Ruhezeiten vereinbart wird, im Durchschnitt nicht mehr als 20 Stunden pro Woche während eines Bezugszeitraums von einem Monat betragen und sie dürfen nicht zu einem geringeren Satz entlohnt werden als die Regelarbeitszeit.

3. Für Überstunden gilt Art. 35 des Arbeitnehmerstatuts, vorbehaltlich seines Abs. 5.

3bis.  Für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer gelten die in Art. 12 Abs. 5 Buchst. h des Arbeitnehmerstatuts vorgesehenen Verpflichtungen zur Arbeitszeiterfassung nicht.

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

17 HJ arbeitete seit dem als Hausangestellte für US und MU.

18 Im Anschluss an ihre Entlassung am erhob HJ am beim Juzgado de lo Social n°2 de Bilbao (Arbeits- und Sozialgericht Nr. 2 Bilbao, Spanien) Klage auf Feststellung, dass die Entlassung ungerechtfertigt gewesen sei, sowie auf Verurteilung ihrer Arbeitgeber zur Zahlung der geleisteten Überstunden und der nicht genommenen Urlaubstage. Im Rahmen dieser Klage führte sie u.a. aus, zu einem monatlichen Bruttogehalt von 2.363,04 Euro in Vollzeit angestellt gewesen zu sein. Bis zum habe sie 46 Stunden pro Woche gearbeitet, ab dem 79 Stunden pro Woche.

19 Mit Urteil vom gab das genannte Gericht dieser Klage teilweise statt. Es erklärte die in Rede stehende Entlassung für ungerechtfertigt und verurteilte die Beklagten des Ausgangsverfahrens, HJ eine Entschädigung in Höhe von 364,39 Euro sowie 934,89 Euro als Abgeltung für nicht genommene Urlaubstage und Sonderzahlungen zu zahlen. Die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden und der geforderte Lohn seien von der Klägerin des Ausgangsverfahrens hingegen nicht nachgewiesen worden. Ihre Ausführungen könnten nämlich nicht allein deswegen als erwiesen angesehen werden, weil die Beklagten des Ausgangsverfahrens keine Aufzeichnungen der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmerin vorgelegt hätten, da das Königliche Dekret 1620/2011 bestimmte Arbeitgeber, darunter Haushalte, von der Verpflichtung zur Erfassung der tatsächlichen Arbeitszeit ihrer Angestellten ausnehme.

20 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens legte beim Tribunal Superior de Justicia del País Vasco (Obergericht des Baskenlands, Spanien), dem vorlegenden Gericht, ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil ein.

21 Dieses Gericht bezweifelt, dass die nationale Sonderregelung für Hausangestellte mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

22 Da es für Hausangestellte aufgrund der Ausnahme von der allgemeinen Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung schwierig sei, die geleistete Arbeitszeit nachzuweisen, könne eine solche Situation zum einen als Verstoß gegen die Richtlinie 2003/88 und die diesbezügliche Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere das Urteil vom , CCOO (C‑55/18, EU:C:2019:402), angesehen werden. Dies sei umso mehr der Fall, als die Klägerin des Ausgangsverfahrens nicht unter die in Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2003/88 genannte Ausnahme für Arbeitskräfte, die Familienangehörige seien, falle, und aufgrund ihrer Vollzeitbeschäftigung ebenso wenig unter die in Art. 17 Abs. 4 Buchst. b dieser Richtlinie vorgesehene Ausnahme für Tätigkeiten, bei denen die Arbeitszeiten über den Tag verteilt seien.

23 Zum anderen weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass sich aus dem Urteil vom , TGSS (Arbeitslosigkeit von Hausangestellten) (C‑389/20, EU:C:2022:120), ergebe, dass die Gruppe der Hausangestellten in Spanien überwiegend weiblich sei – sie bestehe nämlich zu 95 % aus Frauen. Folglich werfe die gegenüber Männern bestehende Ungleichbehandlung bei der Arbeitszeiterfassung Fragen nach der Einhaltung der Art. 20 und 21 der Charta sowie der Richtlinie 2006/54 auf.

24 Vor diesem Hintergrund hat das Tribunal Superior de Justicia del País Vasco (Obergericht des Baskenlands) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind die Art. 3, 5, 6 und 16, Art. 17 Abs. 4 Buchst. b sowie die Art. 19 und 22 der Richtlinie 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Charta nach der Unionsrechtsprechung (Urteil vom , CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402), die Art. 20 und 21 der Charta, Art. 3 Abs. 2 EG, die Art. 1 und 4 der Richtlinie 2010/41, die Art. 1, 4 und 5 der Richtlinie 2006/54 und die Art. 2 und 3 der Richtlinie 2000/78, auch im Zusammenhang mit der Unionsrechtsprechung (Urteil vom , TGSS [Arbeitslosigkeit von Hausangestellten], C‑389/20, EU:C:2022:120), dahin auszulegen, dass sie einer Rechtsnorm wie Art. 9 Abs. 3 des Real Decreto (Königliches Dekret) 1620/2011 entgegenstehen, die den Arbeitgeber von der Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeit der Arbeitnehmerin entbindet?

 

Zur Vorlagefrage

25 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 3, 5 und 6 der Richtlinie 2003/88 in Verbindung mit den Richtlinien 2000/78, 2006/54 und 2010/41 sowie mit Art. 20, Art. 21 und Art. 31 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der Arbeitgeber von Hausangestellten von der Verpflichtung ausgenommen sind, ein System einzurichten, mit dem die Arbeitszeit von Hausangestellten gemessen werden kann.

26 Vorab ist festzustellen, dass im Vorabentscheidungsersuchen nichts darauf hindeutet, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation unter die Bestimmungen der Richtlinie 2000/78 über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf im Allgemeinen oder unter jene der Richtlinie 2010/41 betreffend Selbständige fällt.

27 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Recht eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten nicht nur eine Regel des Sozialrechts der Union ist, die besondere Bedeutung hat, sondern auch in Art. 31 Abs. 2 der Charta, der nach Art. 6 Abs. 1 EUV der gleiche rechtliche Rang wie den Verträgen zukommt, ausdrücklich verbürgt ist (Urteil vom , CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28 Die Bestimmungen der Richtlinie 2003/88, insbesondere ihre Art. 3, 5 und 6, die dieses Grundrecht konkretisieren, sind in dessen Licht auszulegen und dürfen nicht auf Kosten der Rechte, die dem Arbeitnehmer nach dieser Richtlinie zustehen, restriktiv ausgelegt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 31 und 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

29 Außerdem sollen durch die Richtlinie 2003/88 Mindestvorschriften festgelegt werden, die dazu bestimmt sind, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer durch eine Angleichung namentlich der innerstaatlichen Arbeitszeitvorschriften zu verbessern (Urteil vom , CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30 Diese Harmonisierung der Arbeitszeitgestaltung auf der Ebene der Europäischen Union soll durch Gewährung von – u.a. täglichen und wöchentlichen – Mindestruhezeiten und angemessenen Ruhepausen sowie die Festlegung einer Obergrenze für die wöchentliche Arbeitszeit einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer gewährleisten (Urteil vom , CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31 Daher müssen die Mitgliedstaaten zum einen nach den Art. 3 und 5 der Richtlinie 2003/88 die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24‑Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden und pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden gewährt wird, und zum anderen gemäß Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88 für die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit eine Obergrenze von 48 Stunden – einschließlich Überstunden – vorsehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 38 und 39 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

32 Die Mitgliedstaaten müssen daher zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit der Richtlinie 2003/88 die Beachtung dieser Mindestruhezeiten gewährleisten und jede Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit verhindern (Urteil vom , CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33 Soweit die Art. 3 und 5 sowie Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88 jedoch nicht die konkreten Maßnahmen festlegen, mit denen die Mitgliedstaaten die Umsetzung der in ihnen vorgesehenen Rechte sicherstellen müssen, verfügen die Mitgliedstaaten hinsichtlich der konkreten Maßnahmen, mit denen sie die Umsetzung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte sicherstellen wollen, über einen gewissen Spielraum. Angesichts des von der Richtlinie 2003/88 verfolgten wesentlichen Ziels, einen wirksamen Schutz der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer sowie einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die praktische Wirksamkeit dieser Rechte in vollem Umfang gewährleistet wird, indem den Arbeitnehmern tatsächlich die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten und die Obergrenze für die durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit, die in dieser Richtlinie festgesetzt sind, zugutekommen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 41 und 42 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

34 Im Rahmen dieses Spielraums können die Mitgliedstaaten die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines Systems festlegen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, insbesondere die Form dieses Systems, und zwar gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs, sogar der Eigenheiten bestimmter Unternehmen, namentlich ihrer Größe; dies gilt unbeschadet von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88, nach dem die Mitgliedstaaten unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer u.a. von den Art. 3 bis 6 dieser Richtlinie abweichen können, wenn die Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen und/oder nicht festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 63).

35 Die von den Mitgliedstaaten festgelegten Modalitäten zur Sicherstellung der Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 dürfen jedoch auf keinen Fall zu einer Aushöhlung der in Art. 31 Abs. 2 der Charta und den Art. 3 und 5 sowie Art. 6 Buchst. b dieser Richtlinie verankerten Rechte führen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Arbeitnehmer als die schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen ist, so dass verhindert werden muss, dass der Arbeitgeber ihm eine Beschränkung seiner Rechte auferlegen kann (Urteil vom , CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37 Ebenso ist festzustellen, dass ein Arbeitnehmer aufgrund dieser schwächeren Position davon abgeschreckt werden kann, seine Rechte gegenüber seinem Arbeitgeber ausdrücklich geltend zu machen, da insbesondere die Einforderung dieser Rechte ihn Maßnahmen des Arbeitgebers aussetzen könnte, die sich zu seinem Nachteil auf das Arbeitsverhältnis auswirken können (Urteil vom , CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38 Ohne Einführung eines Systems, mit dem objektiv und verlässlich ermittelt werden kann, wie viele Arbeitsstunden ein Arbeitnehmer geleistet hat, wann sie geleistet wurden und wie viele über die Regelarbeitszeit hinausgehende Stunden als Überstunden geleistet wurden, erscheint es für die Arbeitnehmer äußerst schwierig oder in der Praxis gar unmöglich, die ihnen durch Art. 31 Abs. 2 der Charta und die Richtlinie 2003/88 verliehenen Rechte durchzusetzen, um tatsächlich in den Genuss der Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit sowie der in dieser Richtlinie vorgesehenen täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten zu kommen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 47 und 48).

39 Der Gerichtshof hat klargestellt, dass der Umstand, dass der Arbeitnehmer von anderen Beweismitteln Gebrauch machen kann, um Anhaltspunkte für eine Verletzung seiner Rechte beizubringen und eine Beweislastumkehr zu bewirken, kein solches System ersetzen kann, mit dem objektiv und verlässlich die Zahl der täglich oder wöchentlich vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeitsstunden festgestellt wird, da der Arbeitnehmer möglicherweise zögert, gegen seinen Arbeitgeber auszusagen, weil er befürchtet, dass dieser Maßnahmen ergreift, durch die das Arbeitsverhältnis zu seinen Ungunsten beeinflusst werden könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 54 und 55).

40 Vor diesem Hintergrund hat der Gerichtshof im Urteil vom , CCOO (C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 59 und 71) entschieden, dass die Richtlinie 2003/88, insbesondere deren Art. 3, 5 und 6, einer nationalen Regelung wie der spanischen Regelung, die auf den dem Urteil in der Rechtssache C‑55/18 zugrunde liegenden Sachverhalt anwendbar war, und der Auslegung dieser Regelung durch die nationalen Gerichte, wonach die Arbeitgeber nicht verpflichtet seien, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden könne, entgegensteht.

41 Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt sich, dass der spanische Gesetzgeber im Anschluss an das Urteil in der Rechtssache C‑55/18 durch Erlass des Königlichen Gesetzesdekrets 8/2019 das Arbeitnehmerstatut geändert hat, indem er in dessen Art. 34 Abs. 9 eine allgemeine Verpflichtung der Arbeitgeber eingeführt hat, ein System zur Erfassung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit jedes Arbeitnehmers einzuführen.

42 Insoweit bestätigt die spanische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen, dass das Arbeitsverhältnis von Hausangestellten im Arbeitnehmerstatut zwar als besonderes Arbeitsverhältnis eingestuft werde, die Bestimmungen dieses Statuts – einschließlich jener zur verpflichtenden Arbeitszeiterfassung – aber auf Hausangestellte anwendbar seien, soweit es keine abweichenden besonderen Bestimmungen gebe.

43 Was die Arbeitszeiterfassung betreffe, seien die einzigen abweichenden Bestimmungen des Königlichen Dekrets 1620/2011 jene in Art. 9 Abs. 3 und Abs. 3bis, die sich zum einen auf die Erfassungspflichten gemäß Art. 35 Abs. 5 des Arbeitnehmerstatuts (Kontrolle von Überstunden) bezögen und zum anderen auf Art. 12 Abs. 4 Buchst. c dieses Statuts (Kontrolle von im Rahmen von Teilzeitverträgen geleisteten Arbeitsstunden).

44 Entgegen dem Schluss, der sich aus der richterlichen Auslegung von Art. 9 Abs. 3 des Königlichen Dekrets 1620/2011 oder gar aus einer auf dieser Bestimmung beruhenden Verwaltungspraxis zu ergeben scheine, wonach Arbeitgeber in der Hausarbeitsbranche von der verpflichtenden Arbeitszeiterfassung entbunden seien, gebe es keine Abweichung von der Verpflichtung, die tägliche Arbeitszeit von Hausangestellten zu erfassen, da sich Art. 9 Abs. 3 und Abs. 3bis des Königlichen Dekrets 1620/2011 nicht auf Art. 34 Abs. 9 des Arbeitnehmerstatuts beziehe.

45 Insoweit ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof nicht befugt ist, im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens darüber zu entscheiden, wie nationale Vorschriften auszulegen sind oder ob ihre Auslegung durch das vorlegende Gericht richtig ist. Der Gerichtshof hat nämlich im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Unionsgerichten und den nationalen Gerichten in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die Vorlagefragen einfügen, von den Feststellungen in der Vorlageentscheidung auszugehen (Urteil vom , Angelidaki u.a., C‑378/07 bis C‑380/07, EU:C:2009:250, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46 Die Vorlagefrage ist also dahin zu verstehen, dass sie nicht nur die Bestimmung von Art. 9 Abs. 3 des Königlichen Dekrets 1620/2011 als solche betrifft, sondern auch deren Auslegung durch die nationalen Gerichte oder die auf dieser Bestimmung beruhende nationale Verwaltungspraxis.

47 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in der Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen, und ihre Pflicht nach Art. 4 Abs. 3 EUV, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt der Mitgliedstaaten und damit im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten obliegen (Urteil vom , CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 68).

48 Folglich müssen die mit der Auslegung des nationalen Rechts betrauten nationalen Gerichte bei dessen Anwendung sämtliche nationalen Rechtsnormen berücksichtigen und die im nationalen Recht anerkannten Auslegungsmethoden anwenden, um seine Auslegung so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der fraglichen Richtlinie auszurichten, damit das von ihr festgelegte Ergebnis erreicht wird. Das Erfordernis einer unionsrechtskonformen Auslegung umfasst die Verpflichtung der nationalen Gerichte, eine gefestigte Rechtsprechung gegebenenfalls abzuändern, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen einer Richtlinie unvereinbar ist (Urteil vom , CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 69 und 70).

49 In Anbetracht der in den Rn. 38 bis 40 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Rechtsprechung ist festzustellen, dass die richterliche Auslegung einer nationalen Bestimmung oder eine auf einer solchen Bestimmung beruhende Verwaltungspraxis, nach denen die Arbeitgeber kein System einführen müssen, mit dem die tägliche Arbeitszeit jedes Hausangestellten gemessen werden kann, wodurch Hausangestellten die Möglichkeit vorenthalten wird, objektiv und zuverlässig festzustellen, wie viele Arbeitsstunden sie geleistet haben und wann diese Stunden geleistet wurden, offensichtlich gegen die Bestimmungen der Richtlinie 2003/88, und zwar insbesondere gegen die sich aus den Art. 3, 5 und 6 dieser Richtlinie in Verbindung mit Art. 31 Abs. 2 der Charta ergebenden Rechte, verstößt.

50 Dagegen ergibt sich aus der in Rn. 34 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung, dass die allgemeine Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeit dem nicht entgegensteht, dass eine nationale Regelung entweder aufgrund des jeweiligen Tätigkeitsbereichs oder aufgrund der Eigenheiten bestimmter Arbeitgeber, namentlich ihrer Größe, Besonderheiten vorsieht, sofern diese Regelung den Arbeitnehmern wirksame Mittel zur Verfügung stellt, die die Einhaltung der Vorschriften u.a. über die wöchentliche Höchstarbeitszeit gewährleisten.

51 Ein System, das Arbeitgeber verpflichtet, die tägliche Arbeitszeit jedes Hausangestellten zu messen, kann aufgrund der Eigenheiten der Hausarbeitsbranche also Abweichungen in Bezug auf Überstunden und Teilzeitarbeit vorsehen, sofern dadurch die in Rede stehende Regelung nicht ihres Wesensgehalts beraubt wird, was hier vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist, das allein für die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zuständig ist.

52 Zur angeblichen mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/54 eine mittelbare Diskriminierung in einer Situation besteht, in der dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen des einen Geschlechts in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

53 Das Vorliegen eines solchen besonderen Nachteils könnte u.a. festgestellt werden, wenn nachgewiesen würde, dass sich die Vorschriften, Kriterien oder Verfahren auf einen signifikant höheren Anteil von Personen eines Geschlechts im Vergleich zu Personen des anderen Geschlechts ungünstig auswirken. Das nationale Gericht hat zu beurteilen, inwieweit die ihm vorgelegten statistischen Daten zuverlässig sind und ob sie sowohl die Gesamtheit der Beschäftigten berücksichtigen, für die die in Rede stehende nationale Regelung gilt, als auch den Anteil der Personen, die von der angeblichen Ungleichbehandlung betroffen sind, und derjenigen, die es nicht sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , TGSS [Arbeitslosigkeit von Hausangestellten], C‑389/20, EU:C:2022:120, Rn. 41 und 43 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

54 Das nationale Gericht hat nicht nur die Gesamtheit der Beschäftigten zu berücksichtigen, für die die nationale Regelung gilt, auf der die Ungleichbehandlung beruht, sondern muss auch die Gruppe der in den Anwendungsbereich dieser Regelung fallenden weiblichen mit der der männlichen Arbeitskräfte daraufhin vergleichen, wie hoch in jeder Gruppe der Anteil der Personen ist, die von der angeblichen Ungleichbehandlung betroffen sind, und derjenigen, die es nicht sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , TGSS [Arbeitslosigkeit von Hausangestellten], C‑389/20, EU:C:2022:120, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55 Im vorliegenden Fall scheint sich das vorlegende Gericht für die Annahme, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens Teil einer Gruppe von Arbeitnehmern mit deutlich überwiegendem Frauenanteil ist, auf das Urteil vom , TGSS [Arbeitslosigkeit von Hausangestellten] (C‑389/20, EU:C:2022:120), und die darin angeführten Statistiken zu stützen.

56 Eine richterliche Auslegung einer nationalen Bestimmung und/oder eine auf einer solchen Bestimmung beruhende Verwaltungspraxis, nach denen Arbeitgeber von ihrer Verpflichtung entbunden sind, ein System einzuführen, mit dem die tägliche Arbeitszeit jedes Hausangestellten gemessen werden kann, würden also insbesondere weibliche Arbeitnehmer gegenüber männlichen Arbeitnehmern benachteiligen.

57 Eine solche richterliche Auslegung und/oder eine solche Verwaltungspraxis würden eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellen, es sei denn, sie wären durch objektive Gründe gerechtfertigt, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Dies wäre dann der Fall, wenn die fragliche Bestimmung einem legitimen Ziel der Sozialpolitik dient und zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich ist, wobei eine solche Regelung nur dann zur Erreichung des geltend gemachten Ziels geeignet ist, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, dieses Ziel zu erreichen, und in kohärenter und systematischer Weise angewandt wird (Urteil vom , TGSS [Arbeitslosigkeit von Hausangestellten], C‑389/20, EU:C:2022:120, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58 Was das Vorliegen eines objektiven Grundes zur Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung betrifft, so ist eine solche Diskriminierung nach der Rechtsprechung nur zulässig, wenn sie einem legitimen, mit dem Vertrag vereinbaren Ziel dient und durch zwingende Gründe des öffentlichen Interesses gerechtfertigt ist. In einem derartigen Fall muss die Anwendung der in Rede stehenden Maßnahme zudem geeignet sein, die Verwirklichung des betreffenden Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zu seiner Erreichung erforderlich ist, wobei eine solche Regelung nur dann zur Erreichung des geltend gemachten Ziels geeignet ist, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, dieses Ziel zu erreichen, und in kohärenter und systematischer Weise angewandt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , TGSS [Arbeitslosigkeit von Hausangestellten], C‑389/20, EU:C:2022:120, Rn. 48 und 51 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

59 In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass die Mitgliedstaaten zwar bei der Wahl der zur Verwirklichung ihrer sozial- und beschäftigungspolitischen Ziele geeigneten Maßnahmen über einen weiten Entscheidungsspielraum verfügen, der betreffende Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Urheber der mutmaßlich diskriminierenden Vorschrift jedoch darzutun hat, dass diese durch objektive Gründe gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , TGSS [Arbeitslosigkeit von Hausangestellten], C‑389/20, EU:C:2022:120, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60 Im vorliegenden Fall enthält das Vorabentscheidungsersuchen keine Informationen zum mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Praxis verfolgten Ziel und die spanische Regierung hat sich hierzu ebenfalls nicht geäußert.

61 Folglich ist es letztlich Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation auch eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/54 darstellt.

62 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 3, 5 und 6 der Richtlinie 2003/88 in Verbindung mit Art. 31 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie sowohl einer nationalen Regelung als auch deren Auslegung durch nationale Gerichte oder einer auf einer solchen Regelung beruhenden Verwaltungspraxis entgegenstehen, nach denen Arbeitgeber von Hausangestellten von der Verpflichtung entbunden sind, ein System einzuführen, mit dem die Arbeitszeit von Hausangestellten gemessen werden kann, wodurch diesen die Möglichkeit vorenthalten wird, objektiv und zuverlässig festzustellen, wie viele Arbeitsstunden sie geleistet haben und wann diese Stunden geleistet wurden.

 

Kosten

63 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

Die Art. 3, 5 und 6 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung in Verbindung mit Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

sind dahin auszulegen, dass

sie sowohl einer nationalen Regelung als auch deren Auslegung durch nationale Gerichte oder einer auf einer solchen Regelung beruhenden Verwaltungspraxis entgegenstehen, nach denen Arbeitgeber von Hausangestellten von der Verpflichtung entbunden sind, ein System einzuführen, mit dem die Arbeitszeit von Hausangestellten gemessen werden kann, wodurch diesen die Möglichkeit vorenthalten wird, objektiv und zuverlässig festzustellen, wie viele Arbeitsstunden sie geleistet haben und wann diese Stunden geleistet wurden.

ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2024:1050

Fundstelle(n):
VAAAJ-93312