Instanzenzug: Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 8 U 11/21vorgehend LG Magdeburg Az: 10 O 334/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im November 2018 von einem Dritten einen VW T6 Multivan, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.
2Der Kläger hat im Wesentlichen die Rückzahlung des Kaufpreises zuzüglich Darlehenskosten nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen und die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie die Feststellung des Annahmeverzugs verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge im tenorierten Umfang weiter.
Gründe
3Die Revision hat Erfolg.
I.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Der Kläger habe keine Schadensersatzansprüche gemäß §§ 826, 31 BGB wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung. Zwar verfüge das Fahrzeug über eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermo-fensters. Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinne des § 826 BGB sei indes zu verneinen, weil es an einer Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) und an einem darauf gerichteten Unrechtsbewusstsein der Beklagten fehle. Aus der anlässlich des Gesprächs vom beim KBA vorgelegten Umschaltstrategie und dem Schreiben der Beklagten an das KBA vom sowie den von der Beklagten vorgelegten amtlichen Auskünften des KBA ergebe sich zudem, dass die Fahrkurvenerkennung sowie die Umschaltstrategie dem KBA seit Ende 2015 bekannt gewesen und nicht als unzulässig eingestuft worden seien. Dem Kläger sei mangels einer Stilllegungs-gefahr des Fahrzeugs auch kein Schaden entstanden.
6Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, auf die sich der Kläger berufen habe, bestünden ebenfalls nicht.
II.
7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
81. Ein Anspruch nach §§ 826, 31 BGB kann zwar nicht mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung wegen eines fehlenden Schadens verneint werden, weil keine Gefahr des Widerrufs der Zulassung bestehe oder bestanden habe. Mit Rücksicht auf den geldwerten Vorteil der jederzeitigen Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs genügt schon die rechtliche Möglichkeit einer Nutzungsbeschränkung, die mit der - hier zugunsten des Klägers revisionsrechtlich zu unterstellenden - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gegeben ist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 41 f. mwN).
9Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat das KBA jedoch den streitgegenständlichen Motortyp umfassenden Untersuchungen unterzogen und die vom Kläger gerügten Funktionen nicht als unzulässige Abschalteinrichtungen eingestuft. Damit kann das Verhalten der Beklagten bereits nicht als besonders verwerflich eingestuft werden (vgl. VIa ZR 282/22, juris Rn. 8 mwN).
102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
11Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EGFGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
12Die Berufungsentscheidung ist im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
13Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Brenneisen Messing
Katzenstein F. Schmidt
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:210525UVIAZR147.22.0
Fundstelle(n):
LAAAJ-93217