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BGH Urteil v. - VIa ZR 64/22

Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 6 U 241/21vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 4 O 3286/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Mai 2016 von einem Händler einen gebrauchten VW Golf Sportsvan 2.0 TDI, in dem ein Motor des Typs EA 288 verbaut ist. Am wurde das Fahrzeug vom Händler in Form einer Inzahlungnahme übernommen. Das Fahrzeug verfügt über eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung (Thermofenster) sowie eine Zykluserkennung (Fahrkurvenerkennung).

2Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen sowie zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten zu verurteilen. Das Landgericht hatdie Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine zuletzt gestellten Anträge weiter.

Gründe

3Die Revision hat Erfolg.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Dem Kläger stehe ein Schadensersatzanspruch weder nach § 826 BGB noch aus einem anderen Rechtsgrund zu. Es könne wegen der Tatbestandswirkung der gültigen EG-Typgenehmigung bereits nicht festgestellt werden, dass das Fahrzeug des Klägers von der Beklagten mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet worden sei. An diese Bewertung seien die Zivilgerichte gebunden. Die Beklagte könnte sich zwar auf die Tatbestandswirkung nicht berufen, wenn sie sich die EG-Typgenehmigung erschlichen und das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) getäuscht hätte. Eine solche Ausnahmesituation liege hier aber nicht vor. Weder stehe auf Grund einer bestandskräftigen Entscheidung des KBA fest, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung in dem konkret erworbenen Fahrzeug installiert sei, noch bestehe auf der Grundlage des Vorbringens des Klägers die Möglichkeit, dass das KBA künftig eine solche Entscheidung treffen werde. Vielmehr halte das KBA die vom Kläger kritisierten Funktionen des Motors nach umfassenden Untersuchungen ausdrücklich nicht für unzulässige Abschalteinrichtungen. Daher fehle es auch an einem Schaden des Klägers, weil keine Gefahr des Widerrufs der Zulassung des vom Kläger erworbenen Fahrzeugs bestehe oder bestanden habe.

6Ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheide auch deshalb aus, weil das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgaben- und Schutzbereich dieser Normen liege.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht stand.

81. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings einen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz aus § 826 BGB abgelehnt.

9a) Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, kann zwar die Tatbestandswirkung einer EG-Typgenehmigung einem solchen Anspruch eines Fahrzeugerwerbers nicht entgegengehalten werden ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 10 bis 17; Urteil vom - VIa ZR 387/22, juris Rn. 8). Mit dieser Begründung hätte das Berufungsgericht daher nicht von der Berücksichtigung des entsprechenden Vortrags des Klägers absehen dürfen.

10b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat das KBA jedoch die vom Kläger gerügten Funktionen bereits umfassenden Untersuchungen unterzogen und erachtet sie nicht als unzulässige Abschalteinrichtungen. Damit kann das Verhalten der Beklagten bereits nicht als besonders verwerflich eingestuft werden (vgl.  VIa ZR 282/22, juris Rn. 8 mwN).

112. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat.

12a) Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

13b) Einem solchen Anspruch kann auch nicht entgegengehalten werden, es fehle an einem ersatzfähigen Schaden, weil keine Gefahr des Widerrufs der Zulassung bestehe oder bestanden habe. Mit Rücksicht auf den geldwerten Vorteil der jederzeitigen Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs genügt schon die rechtliche Möglichkeit einer Nutzungsbeschränkung, die mit der - hier zugunsten des Klägers revisionsrechtlich zu unterstellenden - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gegeben ist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 41 f. mwN).

14c) Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

15Die Berufungsentscheidung ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

16Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

                                                  

                                              

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR64.22.0

Fundstelle(n):
RAAAJ-93215