Erfolglose Organklage des BSW gegen ein gesetzgeberisches Unterlassen bzgl der Gestaltung der Stimmzettel zu einer Bundestagswahl - mangelnde Darlegung der Antragsbefugnis
Gesetze: § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 63 BVerfGG, § 30 Abs 3 BWahlG
Gründe
1Der Organstreit betrifft die Frage, ob der Deutsche Bundestag verpflichtet war, im Bundeswahlgesetz eine andere als die bestehende Regelung der Reihenfolge der politischen Parteien auf den Stimmzetteln zur Bundestagswahl vorzusehen.
A.
I.
2Die Antragstellerin ist eine Partei, die im Januar 2024 gegründet wurde. Zehn Abgeordnete des 20. Deutschen Bundestages, die zuvor Mitglieder der Partei Die Linke waren, sind seit diesem Zeitpunkt Mitglieder der Antragstellerin. Im Jahr 2024 trat die Antragstellerin zur Europawahl sowie zu drei Landtagswahlen an und errang jeweils mehr als 5 Prozent der gültigen Listenwahlstimmen. Bei der Wahl zum 21. Deutschen Bundestag erhielt sie lediglich 4,981 % der gültigen Zweitstimmen und nahm daher nicht an der Sitzverteilung teil.
II.
3Die Antragstellerin hat nach der Wahl zum 21. Deutschen Bundestag am , aber vor der Bekanntgabe des endgültigen Wahlergebnisses Organklage erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie begehrt in der Hauptsache die Feststellung, der Antragsgegner habe es unter Verletzung verfassungsrechtlicher Pflichten unterlassen, eine spezielle Regelung zur Reihenfolge der politischen Parteien auf den Stimmzetteln vorzusehen, die sie nicht mit "alten und neuen Kleinst- und Splitterparteien gleichsetzt". Ihr Eilantrag ist darauf gerichtet, diese Feststellung bereits vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorzunehmen.
41. Die Antragsschrift listet wie im Verfahren 2 BvE 6/25 zunächst "hoffentlich nicht notwendige Rügen" auf, die "bei Ablehnung der Eilanträge in einem förmlichen Einspruchsverfahren und anschließenden Wahlprüfungsbeschwerdeverfahren erforderlich sind bzw. dann erforderlich wären". Sodann stellt sie dar, dass es zu zahlreichen Fehlern bei der Stimmauszählung gekommen sei (vgl. im Einzelnen BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom - 2 BvE 6/25 -, Rn. 4 f. - BSW - Neuauszählung).
5Zur Gestaltung der Stimmzettel gibt die Antragstellerin die Regelung des § 30 Abs. 3 BWahlG wieder, wonach die Landeslisten von Parteien entsprechend ihrem Zweitstimmenergebnis bei der letzten Bundestagswahl gereiht werden und sich die übrigen Landeslisten in alphabetischer Reihenfolge anschließen. Im Folgenden geht die Antragstellerin davon aus, die alphabetische Reihenfolge gelte nach dieser Gesetzesnorm unterschiedslos für "bereits im Bundestag vertretene Parteien, die zudem, wie [die Antragstellerin], durch vorangegangene erfolgreiche Wahlteilnahme an der Europawahl und an drei Landtagswahlen sowie durch ihre Vertretung im Bundestag infolge von Parteiwechseln ihre politische, auch bundesweite Bedeutung hinreichend bewiesen" hätten, für "neue völlig unbedeutende, nahezu komplett unbekannte Kleinstparteien" sowie für "alle bisherigen Parteien, die bei der letzten Bundestagswahl antraten, aber allesamt (deutlich) unter der 5-Prozent-Hürde blieben (z.B. Freie Wähler; ÖDP; die Basis; VOLT; MLPD u.a.)".
62. Zur Zulässigkeit der Organklage führt die Antragstellerin unter Berufung auf landesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung aus, dass im Organstreit auch gesetzgeberisches Unterlassen angegriffen werden könne. Die Klärung der "Frage, ob die Antragstellerin bei der letzten Bundestagswahl auf dem Stimmzettel an korrekter Stelle sich befunden" habe, in einem Organstreitverfahren sei nicht durch die insoweit ebenfalls berechtigte Wahlprüfung gesperrt. Insbesondere sei der Antragstellerin ein weiteres Abwarten ausnahmsweise nicht zumutbar. Hierfür stützt sie sich wie im Verfahren 2 BvE 6/25 (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom - 2 BvE 6/25 -, Rn. 6) auf das Kurzgutachten von Prof. Dr. (...), nach dem ausnahmsweise ein "vorverlegtes Wahlprüfungsverfahren" zulässig sei.
73. Die Ausführungen der Antragstellerin zur Begründetheit ihres Organklageantrags entsprechen zunächst ebenfalls wortgleich denen im Verfahren 2 BvE 6/25 (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom - 2 BvE 6/25 -, Rn. 7 ff.).
8Sie meint, diese Ausführungen müssten entsprechend auch für die Frage der Stimmzettelgestaltung gelten. Es bestünden keine hinreichend sachlichen Gründe für die "Verbannung" der Antragstellerin auf den untersten Stimmzettelbereich. Die - unter Rückgriff auf landesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung wiedergegebenen - allgemeinen Maßstäbe zum Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien und der Wahlrechtsgleichheit verlangten eine strikte gerichtliche Kontrolle und zögen der Pauschalisierung und Typisierung enge Grenzen. Es sprächen gewichtige Argumente dafür, dass die Regelung des § 30 Abs. 3 BWahlG jedenfalls bezogen auf den Fall der Antragstellerin verfassungswidrig und zudem bei der Wahl am verfassungswidrig angewendet worden sei. Es sei nicht mehr vertretbar, die Antragstellerin, die ihre politische Bedeutung unter anderem durch die Teilnahme an vier Wahlen längst bewiesen habe, genauso zu behandeln wie völlig unbedeutende und unbekannte Splitterparteien. Sie sei den Parteien, die bereits unter ihrem Parteinamen an der letzten Bundestagswahl teilgenommen hätten, deutlich angenähert und unterscheide sich hierdurch offensichtlich und deutlich sowie auch grundlegend von alten wie neuen Splitterparteien. Sie habe deshalb nicht auf dem Stimmzettel ganz unten gereiht werden dürfen "deutlich hinter alten und neuen Splitterparteien wie zum Beispiel der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD), dem Bündnis Deutschland, der Partei 'Menschliche Welt' etc. etc." - die Antragstellerin erwähnt weiter die Piratenpartei und die Partei der Humanisten (PdH). Eine Regelung für "bereits im Parlament vertretene Parteien nach einem Parteiwechsel und die Bemessung der Bedeutung einer solchen Partei durch die Wahlergebnisse früherer (Bundes- und/oder Landtags-)Wahlen" wäre "genauso praktikabel und einfach handhabbar wie eine 'radikale Gleichmacherei' nur durch das Abstellen auf die alphabetische Reihenfolge". Dies gelte auch deshalb, weil Parteien, die im Bundestag mit fünf Abgeordneten und/oder in einem Landtag vertreten seien, keine Unterstützungsunterschriften sammeln müssten.
III.
9Von einer Zustellung der Antragsschrift an den Antragsgegner und einer Benachrichtigung nach § 65 Abs. 2 BVerfGG wurde abgesehen (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 GOBVerfG).
B.
10Die Organklage ist unzulässig, da die Antragstellerin eine Verletzung ihrer Rechte nicht den Begründungsanforderungen entsprechend dargelegt hat.
I.
11Nach § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG sind Anträge, die ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht einleiten, zu begründen; die erforderlichen Beweismittel sind anzugeben. § 23 Abs. 1 BVerfGG gilt als allgemeine Verfahrensvorschrift für alle Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, also auch für das Organstreitverfahren (vgl. BVerfGE 24, 252 <258>; 134, 141 <195 Rn. 161>; 136, 121 <124 f. Rn. 5>; 157, 1 <20 Rn. 61> - CETA-Organstreit I; 157, 300 <310 Rn. 25> - Unterschriftenquoren Bundestagswahl; 165, 270 <288 Rn. 55> - PartGuaÄndG 2018 - Organstreit; 166, 93 <146 Rn. 146> - Finanzierung Desiderius-Erasmus-Stiftung; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom - 2 BvE 11/20 -, Rn. 1). Die Verletzung des geltend gemachten verfassungsmäßigen Rechts muss sich aus dem Sachvortrag des Antragstellers als mögliche Rechtsfolge ergeben (vgl. BVerfGE 57, 1 <5>; 60, 374 <381>; 82, 322 <336>; 134, 141 <195 Rn. 161>; 157, 300 <310 Rn. 25>). Erforderlich, aber auch ausreichend ist es, dass die von dem Antragsteller behauptete Verletzung oder unmittelbare Gefährdung seiner verfassungsmäßigen Rechte unter Beachtung der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäbe nach dem vorgetragenen Sachverhalt möglich erscheint (vgl. BVerfGE 134, 141 <195 Rn. 161>; 138, 256 <259 Rn. 6>; 140, 1 <21 f. Rn. 58>; 150, 194 <201 Rn. 20>; 151, 191 <199 Rn. 22> - Bundesverfassungsrichterwahl II; 152, 8 <21 Rn. 29> - Anti-IS-Einsatz; 157, 1 <20 Rn. 59>; 157, 300 <310 Rn. 25>; 165, 270 <287 Rn. 53>; 166, 93 <146 Rn. 146>; stRspr).
II.
12Diesen Anforderungen genügt die Organklageschrift nicht.
131. Ungeachtet der Darlegungsmängel in Bezug auf ein mögliches verfassungswidriges Unterlassen des Gesetzgebers (vgl. insoweit BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom - 2 BvE 6/25 -, Rn. 18 ff.) können die Ausführungen schon deshalb eine Rechtsverletzung nicht begründen, weil sie an der - zunächst zwar zutreffend wiedergegebenen, sodann jedoch von der Antragstellerin ausgeblendeten - geltenden Rechtslage vorbeigehen. Die Annahme der Antragstellerin, sie sei nicht nur mit "neue[n] völlig unbedeutende[n], nahezu komplett unbekannte[n] Kleinstparteien", sondern auch mit "alle[n] bisherigen Parteien, die bei der letzten Bundestagswahl antraten, aber allesamt (deutlich) unter der 5-Prozent-Hürde blieben", gleichbehandelt worden, weil "[f]ür all diese unterschiedlichen Gruppen an Parteien […] die Gesetzesnorm [regelt], dass sich deren Reihenfolge nur nach dem Alphabet richtet", ist sachlich unzutreffend. Parteien wie etwa die MLPD, die Piratenpartei oder die PdH wurden - anders als die Antragstellerin - auf den Stimmzetteln nicht alphabetisch nach ihrem Parteinamen gereiht, sondern entsprechend ihrem Zweitstimmenergebnis bei der letzten Bundestagswahl.
14Vor diesem Hintergrund bleibt das Vorbringen, es liege eine ungerechtfertigte Gleichbehandlung vor, unverständlich. Es erschließt sich nicht, warum die Antragstellerin gerade die genannten Parteien erwähnt, um die von ihr angenommene, tatsächlich jedoch gar nicht bestehende Gleichbehandlung mit ihnen zu rügen. Ihr Vorbringen lässt sich auch nicht dahin verstehen, dass sie stattdessen die Gleichbehandlung mit ihnen begehrt. Sie verlangt nicht etwa, dass alle Parteien, die nicht im Bundestag vertreten sind, alphabetisch gereiht werden. Vielmehr vertritt sie die Auffassung, § 30 Abs. 3 BWahlG müsse eine Reihung vorsehen, die sie besser stellt als die von ihr zum Vergleich herangezogenen Parteien.
152. Die Ausführungen zu Gesichtspunkten, die die Antragstellerin in einem Wahlprüfungsverfahren geltend machen will, wenn ihr Eilbegehren keinen Erfolg haben sollte, und zu von ihr angenommenen Fehlern bei der Stimmauszählung haben zum Gegenstand des vorliegenden Organklageantrags keinen Sachbezug.
C.
16Mit der Ablehnung des Antrags im Organstreitverfahren wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nicht mehr in Betracht, wenn das Bundesverfassungsgericht im Hauptsacheverfahren bereits festgestellt hat, dass der Antrag unzulässig ist.
D.
17Der Antrag auf Erstattung der notwendigen Auslagen ist abzulehnen. Die Auslagenerstattung richtet sich im Organstreitverfahren nach § 34a Abs. 3 BVerfGG und kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn besondere Billigkeitsgründe vorliegen (vgl. BVerfGE 20, 119<133 f.>; 162, 207 <269 Rn. 186> - Äußerungsbefugnisse der Bundeskanzlerin; stRspr). Solche Gründe sind nicht vorgetragen und schon angesichts der Erfolglosigkeit des Organstreitantrags auch sonst nicht ersichtlich.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:es20250512.2bve000925
Fundstelle(n):
DAAAJ-92803