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BGH Urteil v. - 2 StR 100/24

Instanzenzug: Az: 2 StR 100/24 Beschlussvorgehend Az: 106 KLs 2/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in neun Fällen und versuchten Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Ferner hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 143.242,90 Euro sowie von Tatmitteln angeordnet. Mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft insbesondere gegen die Feststellungen und Wertungen der Strafkammer zur Höhe des Vermögensschadens, die Strafzumessung und die Einziehungsentscheidung. Das vom Generalbundesanwalt nur zum Teil vertretene Rechtsmittel erzielt den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet.

I.

2Nach den Feststellungen des Landgerichts betrieb der Angeklagte ab dem eine Teststation zur Durchführung von PoC-Antigentests zur Feststellung einer Infektion mit dem Coronavirus (SARS-CoV-2), so genannten Bürgertestungen. Zuvor hatte er sich als Leistungserbringer nach der Verordnung zum Anspruch auf Testung in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 (im folgenden TestV) registrieren lassen, wobei er im Beauftragungsschreiben des Gesundheitsamtes der Stadt Köln darauf hingewiesen worden war, dass die Vergütung der Leistungen ausschließlich nach den Regeln der TestV durch die Kassenärztliche Vereinigung erfolge. Zudem hatte sich der Angeklagte über das Online-Portal bei der örtlich zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung N. registriert.

3Dem Angeklagten oblag die Kommunikation mit den staatlichen Stellen, die Beschaffung der Sachausstattung für den Testbetrieb und die Abrechnung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung. Für die Durchführung des eigentlichen Testbetriebes beschäftigte er eine Vielzahl an Personen.

4Der Angeklagte hatte von Beginn an Kenntnis von den ihm als Leistungserbringer nach der TestV obliegenden Pflichten, insbesondere den Dokumentations- sowie Aufbewahrungs- oder Speicherungspflichten. Er legte auf die Dokumentation und Archivierung der im Zuge der Bürgertestungen ausgestellten Testbescheinigungen im Wissen um die gesetzlichen Vorgaben bezüglich der Abrechnungsvoraussetzungen besonderen Wert und instruierte seine Angestellten dahingehend ausdrücklich. Im Mai 2021 schloss er zudem einen Vertrag mit der T. GmbH, um eine Anbindung an das Corona-Warn-App-Schnelltest-Portal und somit an das System der Corona-Warn-App zu erreichen, da nach den seinerzeit gültigen Fassungen von § 7 Abs. 9 Satz 2 TestV in dem Zeitraum vom bis zum eine Vergütung für Testungen nur gewährt wurde, wenn der Leistungserbringer die Ergebnismitteilung und die Erstellung eines COVID-19-Zertifikats auch über die Corona-Warn-App des Robert Koch-Instituts anbot und auf Wunsch der getesteten Person über die Corona-Warn-App übermittelte.

5In der Teststation des Angeklagten wurden in den verfahrensgegenständlichen Leistungsmonaten April bis Juni 2021 sowie September 2021 bis März 2022 insgesamt 56.141 Testungen durchgeführt, die in Übereinstimmung mit den Vorgaben der jeweils gültigen TestV ordnungsgemäß dokumentiert und abgerechnet wurden. In Bezug auf insgesamt 21.440 abgerechnete Tests fehlte es an einer hinreichenden Dokumentation im Sinne der TestV. Zehn Prozent von ihnen (2.144) waren gar nicht durchgeführt, sondern der Abrechnung bewusst hinzugefügt worden, um eine höhere Vergütung zu erzielen.

6Der Angeklagte meldete die durchgehend entsprechend von ihm übersetzten Testzahlen jeweils zeitnah dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS). Die identischen Zahlen meldete er an die Kassenärztliche Vereinigung zum Zwecke der Abrechnung, und zwar für April und Mai 2021 gemeinsam (Fall II.1 der Urteilsgründe) und sodann jeweils monatlich für Juni 2021 bis Mai 2022 (Fälle II.2 bis II.13 der Urteilsgründe, die Fälle II.3 und II.4 der Urteilsgründe, die Juli und August 2021 betrafen, hat die Strafkammer nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt). Dabei war ihm bewusst, dass er zur Abrechnung der nicht durchgeführten Testungen nicht berechtigt war. Zudem waren ihm „die maßgebliche Bedeutung der Dokumentationspflicht für die Abrechenbarkeit der Leistungen“ und der Umstand bekannt, dass er zur Liquidation auch dieser – nicht ordnungsgemäß dokumentierten – Testungen nicht berechtigt war. Im Tatzeitraum machte er monatliche Vergütungen zwischen 37.225,50 Euro und 164.575 Euro, insgesamt einen Betrag von 964.494,15 Euro, geltend, von dem 196.842,90 Euro sowohl auf nicht durchgeführte als auch auf durchgeführte, aber nicht ordnungsgemäß dokumentierte Testungen entfielen.

7In neun Fällen (Fälle II.1, II.2, II.5 bis. II.9 sowie II.12 und II.13 der Urteilsgründe) zahlte die Kassenärztlichen Vereinigung auf die jeweilige Abrechnung des Angeklagten insgesamt 723.335,83 Euro aus, während in zwei Fällen (Fälle II.10 und II.11 der Urteilsgründe) aufgrund einer aus nicht näher aufklärbaren Gründen durch die Kassenärztliche Vereinigung verhängten Auszahlungssperre eine Auszahlung unterblieb.

8Der Angeklagte hat während der Hauptverhandlung zur Schadenswiedergutmachung einen Betrag von 50.000 Euro an die Kassenärztliche Vereinigung gezahlt und auf Rückzahlung eines Betrages von 3.600 Euro verzichtet, der aus seinem Barvermögen gepfändet worden war. Zudem hat er angeboten, auf einen ihm – seiner Ansicht nach – gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung zustehenden Anspruch auf Zahlung von 220.000 Euro zu verzichten oder seine lastenfreie Eigentumswohnung zur Schadenswiedergutmachung zu verwerten. Die Strafkammer hat mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Fälle das Verfahren nach § 154a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO „auf den Vorwurf der betrügerischen Abrechnung von Corona-Tests ohne Vorliegen jeglicher Testdokumentation beschränkt“ und „[d]arüberhinausgehende unrechtmäßige Abrechnungen von Corona-Tests in diesen Anklagefällen … ausgeschieden“.

II.

9Das vom Generalbundesanwalt teilweise vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat nur hinsichtlich des Strafausspruchs zum Nachteil des Angeklagten Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils gemäß § 301 StPO deckt zugleich den Angeklagten beschwerende Rechtsfehler in Bezug auf den Strafausspruch und die Einziehungsentscheidungen auf.

101. Der Schuldspruch ist rechtlich nicht zu beanstanden.

11Das Landgericht nimmt zu Recht an, der öffentlichen Hand sei ein Schaden in Höhe der Vergütungen entstanden, die der Angeklagte für nicht ordnungsgemäß dokumentierte Testungen erhalten hat.

12a) Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts seines Vermögens führt (Prinzip der Gesamtsaldierung). Maßgebend ist dabei der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswertes unmittelbar vor und nach der Verfügung (st. Rspr., vgl. nur , NZWiSt 2020, 322, 323, und vom – 5 StR 558/19, BGHSt 65, 110, 121 Rn. 45). In den für die Schadensbetrachtung anzustellenden Vermögensvergleich muss eine Vermögensmehrung beim Verfügenden einbezogen werden, wenn der Vermögenszuwachs unmittelbar durch die Verfügung erfolgt ist. Unmittelbar bedeutet, dass die Vermögensverfügung selbst Vorteil und Nachteil zugleich hervorbringt (vgl. , BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 54, und vom , aaO).

13b) Das Landgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass – abgesehen von den Versuchsfällen II.10 und II.11 der Urteilsgründe – ein Schaden in Höhe der Vergütungen entstanden ist, die die Kassenärztliche Vereinigung für im Sinne der maßgeblichen TestV nicht ordnungsgemäß (gar nicht oder unvollständig) dokumentierte Testungen geleistet hat. Entsprechende Auszahlungen sind nicht durch andere Vermögenswerte ausgeglichen worden, da jene in der irrtumsbedingten Annahme geleistet wurden, von einer Verbindlichkeit frei zu werden, die in Wirklichkeit mangels einer hinreichenden Dokumentation der Testungen nicht bestand (vgl. im Einzelnen , Rn. 36 f., 42 ff.).

14In Fällen, in denen der Zahlungsempfänger eine Leistung vorab erbringt und anschließend im Rahmen der Abrechnung über das Vorliegen tatsächlicher Anspruchsvoraussetzungen täuscht, ist grundsätzlich der gesamte ausgezahlte Betrag als Betrugsschaden anzusehen (vgl. , NStZ 2024, 488, 490 Rn. 18 mwN). Der Wert der zuvor erbrachten Leistung ist in diesem Falle nicht entgegenzurechnen (, BGHSt 65, 110, 122 f. Rn. 48 ff.). Diese verfassungsrechtlich unbedenkliche ( u.a., wistra 2021, 436, 437 f. Rn. 18) streng formale Betrachtungsweise (grundlegend: , NStZ 1995, 85, 86; nachfolgend: , BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 62; Beschlüsse vom 16.  Juni 2014 – 4 StR 21/14, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 83, und vom – 5 StR 46/17, wistra 2017, 486, 490 Rn. 52) trägt dem Umstand Rechnung, dass für die wirtschaftliche Bewertung eines Zahlungsvorgangs die rechtlichen Rahmenbedingungen maßgeblich sind, und spiegelt lediglich wider, dass erst die Anerkennung durch die Rechtsordnung einer Forderung in einem Rechtsstaat wirtschaftlichen Wert verleiht ( u.a., aaO).

152. Die Strafzumessung weist indessen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf.

16a) Allerdings hat das Landgericht zunächst rechtsfehlerfrei angenommen, der Vermögensschaden umfasse nicht auch die gesondert erfassbaren Vergütungen, die der Angeklagte für Testungen erhalten hat, die tatsächlich durchgeführt und ordnungsgemäß dokumentiert waren. Dem stand schon die mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft erfolgte wirksame (vgl. , Rn. 34, und vom – 3 StR 286/23, NStZ-RR 2024, 318 f.) Verfolgungsbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO auf nicht dokumentierte Tests entgegen. Auch bei streng formaler Betrachtungsweise folgt nicht, dass durch die Abrechnung fingierter oder formal mangelbehafteter Leistungen auch der Vergütungsanspruch für abgrenzbare vollkommen ordnungsgemäße Leistungen entfiele (, Rn. 27; , NZWiSt 2025, 23, 25; im Grundsatz anders , Rn. 24). Der Anspruch entfällt nur insoweit in seiner Gesamtheit, als er von dem Abrechnungsmangel konkret betroffen ist. Eine derartige „Kontamination“ der Gesamtabrechnung war weder § 7a TestV in der hier maßgeblichen Fassung zu entnehmen noch aus sonstigen Gründen geboten.

17b) Die Strafzumessung ist jedoch deshalb zugunsten des Angeklagten rechtsfehlerhaft, weil die Strafkammer für sämtliche Taten strafmildernd berücksichtigt hat, der Angeklagte habe nicht ausschließlich aus Gier, sondern zunächst aus der Motivation heraus gehandelt, die vorgeleisteten Kosten decken zu können, später jedenfalls auch, damit keine Auffälligkeiten entstünden. Dabei ist schon nicht ersichtlich, welche Auffälligkeiten im Falle einer ordnungsgemäßen Abrechnung hätten entstehen können, zumal die Zahl der abgerechneten Tests nach den Feststellungen ohnehin stark schwankte. Vor allem stellt die Tatbegehung zur Verdeckung vorangegangener Straftaten keinen Strafmilderungsgrund dar, weil dem Täter sonst zuvor begangene Straftaten zugutegehalten würden.

183. Darüber hinaus weist das angegriffene Urteil im Strafausspruch und betreffend die Einziehungsentscheidungen Rechtsfehler zulasten des Angeklagten auf (§ 301 StPO).

19a) Die Strafkammer hat die maßgeblich strafbestimmende Höhe des Vermögensschadens zum Nachteil des Angeklagten falsch berechnet. So hat sie den Schaden auf der Basis der geltend gemachten Vergütung für die nicht ordnungsgemäß dokumentierten Testungen berechnet, indem sie deren Zahl jeweils mit der Summe aus der Vergütung für die Testbeschaffung nach § 11 TestV in der jeweils gültigen Fassung und der Pauschale für die Durchführung der Tests nach § 12 TestV in der jeweils gültigen Fassung multipliziert hat. Hierbei hat sie jedoch nicht bedacht, dass nach den von ihr getroffenen Feststellungen nur ein – wenn auch überwiegender – Teil der geltend gemachten Vergütung zur Auszahlung gelangt ist. Die Differenz zwischen dem insgesamt ausgezahlten Betrag einerseits und der Summe der Vergütungen für die ordnungsgemäß dokumentierten Testungen in den Vollendungsfällen andererseits unterschreitet den Gesamtschadensbetrag von 196.842,90 Euro, den das Landgericht angesetzt hat.

20Darüber hinaus begegnet es Bedenken, dass das Landgericht die von ihm angeordnete Einziehung des „Mobiltelefons der Marke IPhone Pro 13“ und des Notebooks „McBook Air, Modell A2337“ bzw. den Verzicht auf die Rückgabe des Mobiltelefons nicht strafmildernd berücksichtigt hat. Sowohl die Anordnung der Einziehung als auch der Verzicht auf Gegenstände, die ansonsten nach § 74 Abs. 1 StGB eingezogen werden könnten, können einen Strafmilderungsgrund darstellen (, NStZ-RR 2022, 105). Eine Anordnung nach § 74 Abs. 1 StGB hat den Charakter einer Nebenstrafe; wird dem Täter auf diese Weise ein ihm zustehender Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, so ist dies deshalb ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben zu verhängenden Strafe und insoweit im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der den Täter treffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen ( aaO).

21b) Auch die Einziehungsentscheidungen leiden unter Rechtsfehlern zum Nachteil des Angeklagten.

22Das gilt zunächst für die Einziehung des Wertes von Taterträgen, weil das Landgericht die Höhe des Schadens und damit den der Einziehung unterliegenden Betrag fehlerhaft zulasten des Angeklagten berechnet hat (siehe oben II.3.a)).

23Auch, soweit das Landgericht ein „McBook“ als Tatmittel eingezogen hat, ist die Einziehungsentscheidung rechtsfehlerhaft. Bei der Einziehung von Tatmitteln nach § 74 StGB muss erkennbar sein, dass sich der Tatrichter bewusst war, eine Ermessensentscheidung zu treffen, und er von diesem Ermessen Gebrauch gemacht hat (BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 273/21, Rn. 2; vom – 3 StR 45/23, Rn. 5, und vom – 2 StR 451/23, Rn. 6 jew. mwN). An beidem fehlt es. Die Strafkammer hat die Einziehungsentscheidung damit begründet, dass der Angeklagte „[a]uf die Herausgabe der Asservate […] im Rahmen der Hauptverhandlung“ verzichtet hat. Ein solcher Verzicht geht jedoch nur hinsichtlich des ebenfalls eingezogenen Mobiltelefons aus dem Urteil und der von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmenden Anklageschrift (vgl. , NStZ-RR 2022, 105) hervor. Dort ist nur das Mobiltelefon sowohl als Einziehungsgegenstand als auch als Asservat benannt, so dass nur in Bezug auf dieses hinreichend belegt ist, dass dieser Gegenstand zu den vom Verzicht umfassten „Asservate[n]“ zählt.

244. Die Rechtsfehler zum Vorteil und zum Nachteil des Angeklagten, auf denen das angegriffene Urteil jeweils nicht ausschließbar beruht (§ 337 StPO), führen in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang zu dessen Aufhebung. Der Senat hebt die Feststellungen jeweils mit auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung.

Menges                   Appl                   Meyberg

                   Lutz                  Herold

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:120325U2STR100.24.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-92791