Instanzenzug: Az: 9 U 869/21vorgehend LG Mainz Az: 6 O 30/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb kreditfinanziert im Januar 2017 von einem Autohaus einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi A6 3,0 TDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 896 Gen2 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist.
2Der Kläger begehrt im Wesentlichen im Wege des Schadensersatzes die Rückabwicklung des Kaufvertrags. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat der Kläger beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 28.700 € (Kaufpreis) abzüglich einer ins Ermessen des Gerichts gestellten Nutzungsentschädigung zuzüglich Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1) und von 1.901,76 € (Kreditkosten) nebst Prozesszinsen (Berufungsantrag zu 2) zu verurteilen, die Verpflichtung der Beklagten festzustellen, für weitere Schäden aufzukommen (Berufungsantrag zu 3), den Annahmeverzug festzustellen (Berufungsantrag zu 4) und die Beklagte weiter zu verurteilen, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizustellen (Berufungsantrag zu 5). Die Berufung ist erfolglos geblieben. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner insoweit vom Senat zugelassenen Revision, als das Berufungsgericht die Berufung hinsichtlich der Berufungsanträge zu 1, zu 2, zu 4 und zu 5 zurückgewiesen hat.
Gründe
3Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Es bestünden keine Ansprüche des Klägers aus unerlaubter Handlung. Insbesondere rechtfertige sich ein Schadensersatzanspruch nicht aus § 826 BGB. Die Implementierung eines "Thermofensters" und die Programmierung des Automatikgetriebes rechtfertigten den Vorwurf eines sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten auf der Grundlage des zu Grunde zu legenden Sach- und Streitstands nicht. Weitere Abschalteinrichtungen habe der Kläger ins Blaue hinein vorgetragen. Ebenso wenig bestehe ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. Denn die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV seien - jedenfalls hier - keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich der Norm.
II.
6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
71. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
10Die Berufungsentscheidung ist (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR982.22.0
Fundstelle(n):
FAAAJ-91771