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BGH Urteil v. - VIa ZR 1013/22

Instanzenzug: Az: 8 U 209/21vorgehend Az: 4 O 312/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Mai 2017 einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi A6 Avant 3,0 TDI, der mit einem V6-Dieselmotor der Baureihe EA 896 Gen2 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist.

2Der Kläger begehrt im Wesentlichen im Wege des Schadensersatzes die Rückabwicklung des Kaufvertrags. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers, mit welcher er die Zahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung (35.893,14 €) zuzüglich Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 2), die Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu 3) und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 4) begehrt hat, durch Versäumnisurteils vom zurückgewiesen. Nach Einspruch des Klägers und dem Antrag, das Versäumnisurteil aufzuheben (Berufungsantrag zu 1), hat das Berufungsgericht - sinngemäß - das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Hiergegen richtet sich die vom Senat umfassend zugelassene Revision des Klägers, mit welcher er die in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Anträge weiterverfolgt, hinsichtlich des Berufungsantrags zu 2 nunmehr allerdings mit der Maßgabe, dass die Beklagte verurteilt werde, dem Kläger 34.475 € zu zahlen. Wegen des Differenzbetrags hat der Kläger die Revision vor Beginn der mündlichen Verhandlung der Revisionsbeklagten zur Hauptsache zurückgenommen.

Gründe

3Im Umfang der Revisionsrücknahme (in Höhe von 1.418,14 € nebst Zinsen) war der Verlust des eingelegten Rechtsmittels auszusprechen (§ 555 Abs. 1 und Abs. 6, § 516 Abs. 3 ZPO). Im Übrigen hat die Revision im tenorierten Umfang Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Das Landgericht, welches einen Anspruch aus § 826 BGB und aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV verneint hat, habe die Klage zu Recht abgewiesen, weil dem Kläger der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht zustehe. Insbesondere stehe ihm kein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte zu. Bei den vom Kläger behaupteten Funktionen ("Thermofenster", zwei verschiedene Getriebeschaltprogramme) handele es sich nicht um evident unzulässige Abschalteinrichtungen. Bei dieser Sachlage müssten weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Solche lägen nicht vor. Weitere unzulässige Abschalteinrichtungen habe der Kläger prozessual unbeachtlich ins Blaue hinein vorgetragen.

II.

6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

71. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht unter Verweis auf die landgerichtliche Entscheidung eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

10Die Berufungsentscheidung ist (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

                                                                

                                                        

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1013.22.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-91767