Leitsatz
Die Verwertung des in seinem Eigentum stehenden Leasinggegenstands durch den Leasinggeber nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Leasingnehmers führt nicht zur Anwendung der Grundsätze über die rechtliche Behandlung von Doppelsicherheiten.
Gesetze: § 135 Abs 2 InsO, § 143 Abs 3 S 1 InsO
Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 14 U 421/20vorgehend Az: 2 O 132/20
Tatbestand
1Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der L. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Geschäftsgegenstand der Schuldnerin war der Handel mit Kraftfahrzeugen. Die Beklagte war mit einem Anteil von 40 % Gesellschafterin der Schuldnerin und eine von zwei alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführern.
2Zur Absicherung aller bestehenden und künftigen Ansprüche aus einem Leasingvertrag zwischen der Schuldnerin als Leasingnehmerin und der P. GmbH als Leasinggeberin (nachfolgend nur noch: Leasinggeberin) übernahm die Beklagte mit Erklärung vom eine selbstschuldnerische Bürgschaft. Leasingobjekt war ein Mercedes SL 63 AMG (nachfolgend: Fahrzeug). Bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens beglich die Schuldnerin die anfallenden Leasingraten. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens übergab der Kläger das Fahrzeug an die Leasinggeberin, die es einer Verwertung zuführte. Der Netto-Verwertungserlös betrug 53.634,65 €. Die Leasinggeberin meldete zunächst eine Forderung aus dem Leasingvertrag in Höhe von 88.912,61 € zur Tabelle an, welche für den Ausfall festgestellt wurde. Nach Verwertung des Fahrzeugs zog sie den Erlös von der angemeldeten Forderung ab und verringerte ihre Forderungsanmeldung entsprechend.
3Der Kläger nimmt die Beklagte - soweit noch von Interesse - auf Zahlung in Höhe des Verwertungserlöses von 53.634,65 € nebst Zinsen in Anspruch, weil die Beklagte insoweit von ihrer Bürgschaftsschuld befreit worden sei. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision will die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen.
Gründe
4Die Revision ist begründet.
I.
5Das Berufungsgericht hat gemeint, der Kläger könne Zahlung in Höhe von 53.634,65 € nebst Zinsen von der Beklagten verlangen, weil diese nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in entsprechender Höhe von der zugunsten der Schuldnerin übernommenen Bürgschaftsschuld befreit worden sei und dies die Gläubiger der Schuldnerin benachteiligt habe. Die gläubigerbenachteiligende Wirkung bestehe darin, dass bei einer nach der gesetzlichen Regelung vorrangigen Befriedigung der Leasinggeberin aus der Bürgschaft eine Verwertung des Fahrzeugs vermieden worden wäre. Dass die gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung weder von der Schuldnerin noch von der Beklagten vorgenommen worden sei, sei unerheblich. Wegen der Beweiskraft des Tatbestands des landgerichtlichen Urteils könne die Beklagte auch nicht einwenden, dass es zu einer Befreiung von ihrer Bürgschaftsschuld nicht gekommen sei.
II.
6Das hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Der vom Kläger geltend gemachte Erstattungsanspruch entsprechend § 143 Abs. 3 Satz 1 InsO besteht nicht.
71. Wird die am Gesellschaftsvermögen und am Vermögen eines Gesellschafters gesicherte Forderung eines Darlehensgläubigers nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft durch Verwertung der Gesellschaftssicherheit befriedigt, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Gesellschafter zur Erstattung des an den Gläubiger ausgekehrten Betrags zur Insolvenzmasse verpflichtet (, BGHZ 192, 9 Rn. 12, 18 ff; vom - IX ZR 173/16, BGHZ 215, 262 Rn. 15; vom - IX ZR 201/20, ZInsO 2022, 424 Rn. 9; vom - IX 173/23, BGHZ 241, 321 Rn. 14). Das Gesetz regelt die Frage der Verwertung derart doppelter Sicherheiten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht. Im Interesse des gebotenen Schutzes der Masse ist die Regelungslücke dahingehend zu schließen, dass eine vorrangige Haftung der Gesellschaftersicherheit erreicht wird. Da es der freien Entscheidung des doppelt gesicherten Gläubigers unterliegt, die Gesellschafts- oder die Gesellschaftersicherheit in Anspruch zu nehmen (vgl. aaO Rn. 13 ff), kommt es im Falle der Inanspruchnahme der Gesellschaftssicherheit zu einer entsprechenden Anwendung der Anfechtungsvorschrift des § 143 Abs. 3 InsO (vgl. aaO Rn. 18 ff).
82. Es fehlt an einer Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 129 Abs. 1 InsO, die auch für den Erstattungsanspruch entsprechend § 143 Abs. 3 InsO erforderlich ist.
9a) Nach § 143 Abs. 3 Satz 1 InsO hat im Fall einer Anfechtung nach § 135 Abs. 2 InsO der Gesellschafter, der die Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete, die dem Dritten gewährte Leistung zur Insolvenzmasse zu erstatten. § 143 Abs. 3 InsO betrifft damit den Anfechtungstatbestand des § 135 Abs. 2 InsO. Der Bundesgerichtshof hat deshalb den - hier allein in Frage stehenden -Erstattungsanspruch in entsprechender Anwendung des § 143 Abs. 3 InsO an den Voraussetzungen des § 135 Abs. 2 InsO gemessen (vgl. , ZInsO 2022, 424 Rn. 10 ff). Insbesondere hat er den Erstattungsanspruch von einer Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 129 Abs. 1 InsO abhängig gemacht (vgl. aaO Rn. 11 ff).
10b) Eine Gläubigerbenachteiligung liegt vor, wenn die Rechtshandlung entweder die Schuldenmasse vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt und dadurch den Zugriff auf das Vermögen des Schuldners vereitelt, erschwert oder verzögert hat, mithin, wenn sich die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die Handlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gestaltet hätten (, ZInsO 2022, 424 Rn. 12 mwN; st. Rspr.).
11Für § 135 Abs. 2 InsO genügt eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung. Angefochten und im Interesse der Gläubigergesamtheit nach § 143 InsO rückgängig zu machen ist die gläubigerbenachteiligende Wirkung, die durch die Rechtshandlung verursacht wird. Damit können auch einzelne, abtrennbare Wirkungen sogar einer einheitlichen Rechtshandlung erfasst werden. Einen Rechtsgrundsatz, dass mehrere von einer Rechtshandlung verursachte Wirkungen nur insgesamt oder gar nicht anfechtbar seien, gibt es auch für solche Folgen nicht, die im Kausalverlauf fernerliegen als nähere, unanfechtbare Folgen (, ZInsO 2022, 424 Rn. 13 mwN).
12Die Befreiung des Gesellschafters von der übernommenen Sicherung benachteiligt die Gesellschaftsgläubiger, wenn das durch den Gesellschafter besicherte Darlehen entgegen der Vorstellung des Gesetzes aus Mitteln der Gesellschaft getilgt wird (vgl. , BGHZ 215, 262 Rn. 14). Tilgt eine Gesellschaft ein von ihr selbst und ihrem Gesellschafter besichertes Darlehen gegenüber dem Darlehensgeber, liegt die Gläubigerbenachteiligung bei der Anfechtung der Befreiung des Gesellschafters von seiner Sicherung in dem Abfluss der Mittel aus dem Gesellschaftsvermögen, weil der Gesellschafter im Verhältnis zur Gesellschaft zur vorrangigen Befriedigung der von ihm besicherten Verbindlichkeit verpflichtet ist ( aaO Rn. 16 ff; vom - IX ZR 201/20, ZInsO 2022, 424 Rn. 14). Dies gilt gleichermaßen für einen Anfechtungsanspruch in entsprechender Anwendung des § 143 Abs. 3 Satz 1 InsO (vgl. , BGHZ 192, 9 Rn. 20; vom , aaO).
13c) Nach diesen Grundsätzen fehlt es im Streitfall an einer Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 129 Abs. 1 InsO. Die Verwertung des Fahrzeugs durch die Leasinggeberin hat nicht zu einem Abfluss von Mitteln aus dem Vermögen der Schuldnerin geführt. Die Leasinggeberin war nicht Inhaberin eines Sicherungsrechts an dem Fahrzeug, sie war dessen Eigentümerin. Der Schuldnerin stand lediglich der entgeltliche und zudem auf die Dauer des Vertrags beschränkte Gebrauch zu. Die Rechte der Leasinggeberin am Fahrzeug stellten mithin keine Sicherung am Gesellschaftsvermögen dar. Zum Erwerb eines wie auch immer gearteten Mehrerlösanspruchs der Schuldnerin nach (unterstellt vorgesehener) Vollamortisation (vgl. Ellenberger/Bunte/Omlor, Bankrechts-Handbuch, 6. Aufl., § 80 Rn. 114) hätte es nur im Falle der Fortführung des Leasingvertrags kommen können. Derartige hypothetische Kausalverläufe vermögen eine Gläubigerbenachteiligung nicht zu begründen. Maßgeblich ist der reale Geschehensablauf (vgl. , ZIP 2020, 1253 Rn. 30 mwN). Der Leasingvertrag ist nicht fortgeführt worden.
143. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Beklagte auch nicht in Höhe des aus der Verwertung des Fahrzeugs erzielten Erlöses von ihrer Bürgschaftsverpflichtung frei geworden. Dies ergibt sich auch nicht aus der Tatbestandswirkung des § 314 ZPO.
15a) Der aus der Verwertung des dem Leasinggeber gehörenden Fahrzeugs erzielte Erlös führt bei einem Leasingvertrag nicht zu einer Befreiung der Beklagten von ihrer Bürgschaftsschuld. Der Restwert des Fahrzeugs ist ein Berechnungsposten bei der Ermittlung des Schadens, welcher der Leasinggeberin entstanden ist, weil der Leasingvertrag infolge der Insolvenz der Schuldnerin nicht fortgeführt worden ist. Da der Leasingvertrag nicht fortgeführt worden ist, ist der Leasinggeberin (teilweise) der von ihr kalkulierte Ertrag entgangen. Hingegen profitierte die Leasinggeberin davon, dass sie das Fahrzeug vorzeitig und damit mit einem höheren Verkehrswert zurückerhielt als von ihr berechnet (vgl. , ZIP 1996, 235, 238; vom - VIII ZR 367/03, NJW 2004, 2823, 2824; jeweils mwN). Daraus ergab sich eine im Grundsatz bessere Verwertungsmöglichkeit. Die Berechnung des Schadens, welcher der Leasinggeberin aus dem nicht fortgeführten Leasingvertrag entstanden ist, muss daher im Ausgangspunkt sowohl den entgangenen Ertrag als auch die bessere Verwertungsmöglichkeit berücksichtigen (vgl. , ZIP 1995, 845, 848; vom - VIII ZR 367/03, NJW 2004, 2823, 2824). Nur für den so berechneten Schaden muss die Schuldnerin einstehen und haftet dementsprechend die Beklagte aus der von ihr übernommenen Bürgschaft (§ 767 Abs. 1 Satz 1 BGB).
16b) Das Berufungsgericht durfte auch nicht aufgrund der Tatbestandswirkung des § 314 ZPO von einer Befreiung der Beklagten von ihrer Bürgschaftsschuld ausgehen.
17aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nehmen zwar auch Tatsachen in ihrer juristischen Einkleidung an der Tatbestandswirkung teil, wenn dies durch einen einfachen Rechtsbegriff geschieht, der jedem Teilnehmer des Rechtsverkehrs geläufig ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese Rechtstatsache auf rechtlich und tatsächlich schwierigen Vorgängen beruhen kann. Maßgeblich ist das von der Partei vorgetragene Ergebnis (vgl. , ZIP 1995, 1633; vom - V ZR 104/03, BGHZ 158, 295, 299 f; vom - VI ZR 61/17, NJW 2018, 693 Rn. 22).
18bb) Daraus folgt hier allerdings keine Tatbestandswirkung. Dem unstreitigen Tatbestand des landgerichtlichen Urteils ist zwar zu entnehmen, dass die Beklagte in Höhe des Verwertungserlöses "aus der Bürgschaftsübernahme frei" geworden sei. Dies wird jedoch nicht als Rechtstatsache festgestellt, sondern als - unrichtige (vgl. oben Rn.15) - rechtliche Schlussfolgerung ("sodass") aus dem ebenfalls geschilderten tatsächlichen Vorgang der Verwertung des Fahrzeugs. Bei richtiger rechtlicher Bewertung besteht daher ein Widerspruch zwischen der Schilderung des tatsächlichen Vorgangs und der rechtlichen Schlussfolgerung. Der Widerspruch steht der Tatbestandswirkung entgegen (vgl. , NJW 2011, 3294 Rn. 12 mwN).
194. Offenbleiben kann schließlich, ob und falls ja unter welchen Voraussetzungen die Besicherung von Ansprüchen aus einem Leasingvertrag in den Anwendungsbereich der Rechtsprechung zur entsprechenden Anwendbarkeit von § 143 Abs. 3 Satz 1, § 135 Abs. 2 InsO auf Rechtshandlungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei Doppelsicherheiten fällt.
20Gegenstand der bisherigen Rechtsprechung waren Doppelsicherheiten für Darlehensrückzahlungsansprüche (vgl. , BGHZ 192, 9; vom - IX ZR 201/20, ZInsO 2022, 424; vom - IX 173/23, BGHZ 241, 321). Dies entspricht dem Wortlaut des § 135 Abs. 2 InsO ("Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens"). Für eine Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO und einen der Sache nach nicht rückzahlbaren Baukostenzuschuss hat der Bundesgerichtshof angenommen, dass der Regressanspruch eines Bürgen auch dann eine einem Darlehensrückzahlungsanspruch gleichgestellte Forderung sein kann, wenn der Gesellschafter der Gesellschaft durch die Bürgschaft die Mittel zur Stellung der Sicherheit verschafft (vgl. , ZIP 2023, 705 Rn. 39). Ob dieser Gedanke auf die Rechtsprechung zur entsprechenden Anwendbarkeit von § 143 Abs. 3 Satz 1, § 135 Abs. 2 InsO auf Rechtshandlungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei Doppelsicherheiten übertragen werden kann, bleibt offen. Ebenso muss nicht entschieden werden, ob und unter welchen Voraussetzungen Forderungen des Leasinggebers aus einem Leasingvertrag einem Darlehensrückzahlungsanspruch entsprechen (vgl. Scholz/Bitter, GmbHG, 13. Aufl., § 135 InsO Rn. 224).
III.
21Das angefochtene Urteil ist wie tenoriert aufzuheben. Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat gemäß § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache zu entscheiden. Die Klage auf Erstattung des aus der Verwertung des Fahrzeugs erzielten Erlöses ist abzuweisen.
Schoppmeyer Schultz Selbmann
Harms Kunnes
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:100425UIXZR203.23.0
Fundstelle(n):
FAAAJ-91596