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BGH Beschluss v. - 2 StR 305/24

Instanzenzug: LG Gera Az: 9 KLs 411 Js 2964/23 jug

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen

–    schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 46 Fällen, davon in fünf Fällen in Tateinheit mit Herstellen von kinderpornographischen Schriften und in weiteren fünf Fällen in Tateinheit mit Herstellen von kinderpornographischen Inhalten,

–    sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern,

–    sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb,

–    sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in vier Fällen,

–    Besitzes kinderpornographischer Inhalte in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Inhalte in zwei Fällen und

–    des Besitzverschaffens kinderpornographischer Inhalte in sechs Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Besitzverschaffen von jugendpornographischen Inhalten

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.

2Seine auf die Sachrüge gestützte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

I.

3Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen missbrauchte der Angeklagte im Zeitraum Sommer 2016 bis Oktober 2022 in einer Vielzahl von Fällen Kinder und Jugendliche. Zum Teil fertigte er davon Bild- und Videodateien, die er in einigen Fällen über den Messengerdienst WhatsApp an Dritte versandte. Am und am fanden bei dem Angeklagten Hausdurchsuchungen statt, wobei jeweils große Mengen kinder- und jugendpornographischen Materials sichergestellt wurden.

II.

41. Der Schuldspruch bedarf – wie vom Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt – der teilweisen Änderung.

5Die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses im Zusammenhang mit Fall 64 der Urteilsgründe ist fehlerhaft. Gegenstand dieses Falls ist der Besitz von kinder- und jugendpornographischen Bild- und Videodateien, die bei der ersten Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten am sichergestellt wurden. Die Strafkammer ist insoweit von einer selbständigen Tat des Besitzes kinderpornographischer Inhalte gemäß § 184b Abs. 3 StGB in der Fassung vom in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Inhalte gemäß § 184c Abs. 3 StGB ausgegangen.

6Darin liegt eine unzutreffende konkurrenzrechtliche Bewertung im Verhältnis zu anderen urteilsgegenständlichen Fällen. Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt:

„Das von der Strafkammer angenommene Verhältnis von Tatmehrheit zwischen der Tat in Fall 64 und den zuvor vom Angeklagten begangenen Taten des Herstellens kinderpornografischer Schriften beziehungsweise Inhalte gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB [in den Fassungen bis zum ] (in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB a. F.) in den Fällen 7 und 9 bis 17 und des Drittbesitzverschaffens kinderpornografischer Inhalte gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB a. F. (zum Teil in Tateinheit mit Drittbesitzverschaffen jugendpornografischer Inhalte gemäß § 184c Abs. 1 Nr. 2 StGB) in den Fällen 58 bis 63 hält revisionsrechtlicher Überprüfung […] nicht stand.

Gegenstand dieser Fälle ist das Anfertigen kinderpornografischer Bild- und Videodateien anlässlich sexueller Handlungen zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger in der Zeit von Juli 2019 bis März 2021 (Fälle 7, 9 bis 17) und das Versenden kinder- und jugendpornografischer Bild- und Videodateien über Messengerdienste an Dritte im März und April 2021 (Fälle 58 bis 63), davon in einem Fall (Fall 58) den Nebenkläger zeigende Bildaufnahmen. Wenngleich die Urteilsgründe sich nicht eindeutig zu den Umständen verhalten, unter denen die tatgegenständlichen Dateien sichergestellt worden sind, können sie nach dem Zusammenhang der Urteilsgründe nur im Zusammenhang mit der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten am entdeckt worden sein. […] Der Angeklagte hatte die von ihm angefertigten und an Dritte versandten Dateien folglich am weiterhin in Besitz.

Dient das Herstellen kinderpornografischer Schriften zugleich der Verschaffung von Eigenbesitz und fallen deshalb der Herstellungs- und der Beschaffungsakt zusammen, wird das Unrecht der Tat von der Tatvariante des Herstellens gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB a. F. vollständig umfasst. Der – als Auffangtatbestand konzipierte – Besitz kinderpornografischer Schriften nach § 184b Abs. 3 StGB tritt in diesem Fall nicht nur hinter das Sich-Verschaffen kinderpornografischer Schriften nach dieser Vorschrift, sondern auch hinter die Tatvariante des Herstellens kinderpornografischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB a. F. zurück (vgl. , Rn. 5 f.). Etwas anderes gilt, wenn der Besitz in quantitativer Hinsicht über die hergestellten Schriften hinausgeht. Unter dieser Voraussetzung tritt der Besitz tateinheitlich zum Herstellen hinzu. Verschiedene in Tatmehrheit zueinander stehende Herstellungsakte im Sinne von § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB a. F. werden jedoch nicht durch den nachfolgenden Besitz nach § 184b Abs. 3 StGB zu einer Tat verklammert. Denn auf Grund der erheblich unterschiedlichen Strafdrohungen fehlt es an der insoweit vorausgesetzten annähernden Wertgleichheit der Delikte (vgl. , Rn. 5 f. m. w. N.).

Das Drittbesitzverschaffen kinderpornografischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB a. F. verdrängt ebenfalls grundsätzlich den Besitz solcher Schriften gemäß § 184b Abs. 3 StGB. Das betrifft jedoch ausschließlich den Zeitraum der Drittbesitzverschaffung, nicht die Zeit danach, und nur die verschafften Dateien. Geht der Besitz in zeitlicher und quantitativer Hinsicht über den für die Drittbesitzverschaffung erforderlichen Besitz hinaus, tritt das Dauerdelikt des verbotenen Besitzes tateinheitlich neben das Drittbesitzverschaffen (vgl. , Rn. 6). Auch insoweit gilt, dass der gleichzeitige Besitz des von mehreren Akten der Drittbesitzverschaffung betroffenen Materials nicht geeignet ist, diese Akte zu einer Tat zu verklammern (vgl. , Rn. 6).

Der Angeklagte hat sich daher in den Fällen 7 und 9 bis 17 jeweils des Herstellens von kinderpornografischen Schriften beziehungsweise Inhalten gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB a. F. (in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB a. F.) in Tateinheit mit Besitz kinderpornografischer Schriften beziehungsweise Inhalte gemäß § 184b Abs. 3 StGB (und Besitz jugendpornografische[r] Schriften beziehungsweise Inhalte gemäß § 184c Abs. 3 StGB) schuldig gemacht. In den Fällen 58 bis 63 hat er sich jeweils des Drittbesitzverschaffens kinderpornografischer Inhalte gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB a. F. (davon in den Fällen 59 und 61 in Tateinheit mit Drittbesitzverschaffen jugendpornografischer Inhalte gemäß § 184c Abs. 1 Nr. 2 StGB) in Tateinheit mit Besitz kinderpornografischer Inhalte gemäß § 184b Abs. 3 StGB (und Besitz jugendpornografischer Inhalte gemäß § 184c Abs. 3 StGB) schuldig gemacht. Ein im Verhältnis dazu selbständiger Besitz kinderpornografischer Inhalte (in Tateinheit mit Besitz jugendpornografischer Inhalte) in Fall 64 ist nicht gegeben.“

7Dem schließt sich der Senat an (vgl. auch , NStZ 2024, 669) und ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

82. Die Änderung des Schuldspruchs führt zum Wegfall der in Fall 64 der Urteilsgründe festgesetzten Einzelstrafe. Dies lässt die Gesamtfreiheitsstrafe unberührt. Der Senat kann ausschließen, dass die Strafkammer angesichts der hohen Zahl weiterer Einzelstrafen von bis zu fünf Jahren und sechs Monaten bei zutreffender konkurrenzrechtlicher Würdigung auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte, zumal eine Änderung des Konkurrenzverhältnisses den Unrechts- und Schuldgehalt regelmäßig nicht berührt (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 104/24, Rn. 8, und vom – 4 StR 226/21, Rn. 5 mwN).

9Im Übrigen weist der Strafausspruch Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht auf. Die Strafkammer war insbesondere nicht gehalten, die rechtsfehlerfrei auf § 66 Abs. 2 und 3 Satz 2 StGB gestützte Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung strafmildernd zu berücksichtigen. Eine derartige Pflicht käme nach bisheriger Rechtsprechung des Senats nur im Einzelfall bei Vorliegen besonderer – hier nicht ersichtlicher – Umstände in Betracht (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 188/20, Rn. 16; vom – 2 StR 18/21, StV 2022, 293, und vom – 2 StR 140/21, NStZ-RR 2021, 367, 368).

10Zudem neigt der Senat dazu, künftig in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 188/20, Rn. 16; vom – 2 StR 18/21, StV 2022, 293, und vom – 2 StR 140/21, NStZ-RR 2021, 367, 368) nicht mehr daran festzuhalten, dass die zugleich angeordnete Sicherungsverwahrung wegen einer nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB zu berücksichtigenden Wechselwirkung bestimmender Strafzumessungsgrund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO ist. Insbesondere der auf die Resozialisierung des Täters gerichtete § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB (vgl. , BGHSt 62, 184, 191 f. Rn. 24; LK-StGB/Schneider, 14. Aufl., § 46 Rn. 33) legt eine derartige Berücksichtigung nicht nahe, weil das insoweit in den Blick zu nehmende Übermaßverbot bei der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung durch die gegenwärtigen Anordnungs- und Vollstreckungsregelungen gewährleistet wird (vgl. , BGHR StGB § 46 Abs. 1 Strafzumessung 2, BGHR StPO § 267 Abs. 3 Satz 1 Strafzumessung 24, Rn. 7).

11Die bundesrechtliche Vorgabe des § 66c StGB, wonach bereits der der Maßregel vorausgehende Strafvollzug „behandlungs- und freiheitsorientiert“ ausgestaltet werden und dem Verurteilten eine individuelle und intensive Betreuung und Behandlung zuteilwerden muss (vgl. BT-Drucks. 17/9874, S. 11, 14), haben die Länder durch entsprechende, ein normatives Programm für die Vollzugsgestaltung in Form von Gestaltungsgrundsätzen enthaltende Regelungen in ihren Strafvollzugsgesetzen umgesetzt (vgl. Übersicht bei Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier-Neubacher, Strafvollzugsgesetze, 13. Aufl., Kapitel B III., vgl. auch dort Rn. 65 sowie Kapitel A, Rn. 39; van Gemmeren in Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Rn. 496a; Leuschner/Dessecker, FS 2024, 11 ff.). Verfahrensrechtlich abgesichert werden diese gesetzlichen Vorgaben durch den umgestalteten Rechtsschutz im Zusammenhang mit der Sicherungsverwahrung (vgl. BT-Drucks. 17/9874, S. 28). Das besondere gesetzgeberische Interesse an der Durchführung und Kontrolle entsprechender Maßnahmen findet in § 119a StVollzG Ausdruck, nach dessen Absatz 1 bei angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung eine periodische strafvollzugsbegleitende gerichtliche Kontrolle darüber vorgesehen ist, ob dem Gefangenen eine § 66c Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB entsprechende Betreuung angeboten wurde (vgl. , NStZ-RR 2016, 260 ff.; OLG Hamm, Beschlüsse vom – III-1 Vollz (Ws) 310/16, und vom – 1 Vollz (Ws) 340/18; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom – 3 Ws 366/18; , Rn. 9 ff.; KG, Beschlüsse vom – 2 Ws 183/19, StraFo 2020, 246 ff.; vom – 2 Ws 55/21, und vom – 2 Ws 59/23, Rn. 11 ff.; OLG Celle, Beschlüsse vom – 3 Ws 8/21 (StrVollz), FS 2021, 288 ff., und vom – 3 Ws 383/22, StraFo 2022, 403 f.).

123. Der geringfügige Teilerfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten teilweise von den durch sein Rechtsmittel veranlassten Kosten und Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).

Menges                        Appl                        Zeng

                    Grube                     Schmidt

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:280125B2STR305.24.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-91505