Leitsatz
Zu den Auswirkungen des Wegfalls der Pflegestufen I bis III gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. und der Einführung der gemäß § 15 SGB XI zu ermittelnden Pflegegrade 1 bis 5 durch das Zweite Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz - PSG II) vom (BGBl. I S. 2424) auf das Leistungsversprechen des Versicherers in der Invaliditätsversicherung, der eine Pflegerente bei Einstufung der versicherten Person in die Pflegestufe I, II oder III nach deutschem Sozialgesetzbuch verspricht.
Gesetze: § 133 BGB, § 157 BGB, § 313 Abs 1 BGB, § 15 SGB 11, § 15 Abs 1 S 1 aF SGB 11
Instanzenzug: Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 1 U 91/22 Urteilvorgehend LG Dessau-Roßlau Az: 4 O 41/22
Tatbestand
1 Die Klägerin unterhält bei der Beklagten seit Mai 2014 eine Invaliditätsversicherung unter Vereinbarung der Bedingungen zur B -Invaliditätsversicherung für Erwachsene (O Rente), Stand (im Folgenden: AVB). Versichert ist unter anderem eine Pflegerente bis zum Ende des Versicherungsjahres, in dem die versicherte Person das 67. Lebensjahr vollendet. Zur Pflegerente enthalten die Bedingungen die folgende Regelung:
"2.3 Rentenleistung bei einer Pflegebedürftigkeit (Pflegerente)
2.3.1 Voraussetzung für die Leistung
Die versicherte Person wird während der Vertragslaufzeit in die Pflegestufe I, Il oder III nach deutschem Sozialgesetzbuch eingestuft."
2 Die Voraussetzungen der Einstufung in die Pflegestufen I bis III waren bis zum in § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI in der damals geltenden Fassung (im Weiteren: SGB XI a.F.) geregelt. Daneben sah § 45a SGB XI a.F. Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung bei erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (sogenannte "Pflegestufe 0") vor. Mit dem Inkrafttreten der Pflegereform zum durch das Zweite Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz - PSG II) vom (BGBl. I S. 2424) traten an die Stelle der Pflegestufen I bis III und der erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz die gemäß § 15 SGB XI zu ermittelnden Pflegegrade 1 bis 5. Die Beklagte passte ihre Versicherungsbedingungen im Tarif der Klägerin nicht an.
3 Die Klägerin erkrankte an Krebs. Ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung stellte ihre Pflegebedürftigkeit nach dem Pflegegrad 2 seit dem fest.
4 Die beantragte Pflegerente lehnte die Beklagte ab. Aus einem bestehenden Pflegegrad 2 könne nicht automatisch auf eine nach den Vertragsbedingungen maßgebliche Pflegestufe I geschlossen werden. Eine Umrechnung der im Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zur Bestimmung des Pflegegrades ermittelten Punkte anhand der Vorgaben des früheren Rechts führe lediglich zu einer Einordnung in die ehemalige Pflegestufe 0.
5 Mit ihrer Klage hat die Klägerin zuletzt die Zahlung rückständiger Pflegerente von Januar bis August 2022 nebst Zinsen, zukünftiger Pflegerente ab September 2022 und den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht dieses Urteil abgeändert und die Beklagte bis auf einen Teil der geltend gemachten Zinsen antragsgemäß verurteilt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision hat die Beklagte zunächst die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehrt. Im Revisionsrechtszug haben die Parteien den Rechtsstreit bezüglich des Antrags auf Zahlung einer zukünftigen Pflegerente ab September 2022 in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.
Gründe
6 Die Revision hat Erfolg. Sie führt im Umfang des noch rechtshängig gebliebenen Teils des Rechtsstreits zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
7 I. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in VersR 2024, 286 veröffentlicht ist, ist der Auffassung, der Klägerin stehe die geltend gemachte Pflegerente zu. Aus Sicht des Versicherungsnehmers begründe die Einstufung der versicherten Person in eine Pflegestufe, wie sie nach dem SGB XI der Pflegekasse obliege, die Leistungspflicht des Versicherers. Versicherungsfall sei die durch die Entscheidung der Pflegekasse mit der Pflegestufe ausgewiesene Pflegebedürftigkeit. Der Vertrag enthalte einen autonomen Begriff der Pflegebedürftigkeit, nicht aber eine dynamische Verweisung auf den sozialrechtlichen Pflegebedürftigkeitsbegriff. Als Folge der Pflegereform sei der vertraglichen Regelung die Anknüpfung für den Versicherungsfall abhandengekommen, was zu einer planwidrigen Lücke geführt habe. Die ergänzende Auslegung des Versicherungsvertrags ergebe, dass die Pflegerente zu leisten sei, wenn die versicherte Person zumindest den Pflegegrad 2 erhalte. Der Vertrag sehe keine nochmalige inhaltliche Prüfung der Pflegebedürftigkeit durch den Versicherer vor, daher seien die Entscheidung der Pflegekasse und das zugrundeliegende Gutachten des Medizinischen Dienstes nicht im Einzelfall auf die Kriterien der Pflegestufe I zu untersuchen. Es könne weiterhin an die Entscheidung der Pflegekasse angeknüpft werden. Bei abstrakter Betrachtung entspreche der Pflegegrad 2 der Pflegestufe I oder komme ihr zumindest sehr nahe. Das ergebe sich auch aus der Wertung des § 140 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 Buchst. a SGB XI und den neuen Versicherungsbedingungen der Beklagten, die den Versicherungsschutz an das Vorliegen mindestens des Pflegegrades 2 knüpften.
8 II. Infolge der übereinstimmenden teilweisen Erledigungserklärung ist die Rechtshängigkeit des auf die Zahlung zukünftiger Pflegerente ab September 2022 gerichteten Antrags entfallen. Eine Erledigung der Hauptsache kann noch im Revisionsrechtszug erklärt werden (, ZIP 2021, 1109 Rn. 11; Beschluss vom - IX ZR 244/09, NJW-RR 2012, 688 Rn. 6). Sie führt im Umfang der übereinstimmenden Erledigungserklärungen zur Beendigung der Rechtshängigkeit des Rechtsstreits in der Hauptsache (Senatsurteil vom - IVa ZR 98/87, BGHZ 106, 359, 366 [juris Rn. 21]; aaO).
9 III. Mit Blick auf den rechtshängig gebliebenen Teil des Rechtsstreits hält das Berufungsurteil rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung hat das Berufungsgericht nicht annehmen dürfen, der Versicherungsfall für die Pflegerente gemäß Nr. 2.3.1 AVB sei eingetreten. Die ergänzende Auslegung typischer Vertragsgestaltungen, die - wie die Versicherungsbedingungen der Beklagten - regelmäßig mit gleichförmigem Inhalt im geschäftlichen Verkehr verwendet werden, unterliegt der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle (, BGHZ 241, 107 Rn. 23; vom - VII ZR 157/17, NJW 2018, 2469 Rn. 18 ff.; vgl. auch Senatsurteil vom - IV ZR 199/10, BGHZ 191, 159 Rn. 45 ff.). Auf Grundlage der bisherigen Feststellungen kann Nr. 2.3.1 AVB nicht ergänzend dahingehend ausgelegt werden, dass Versicherungsfall nach der Änderung des § 15 SGB XI zum durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz die Feststellung des Pflegegrades 2 oder höher ist.
10 1. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Versicherungsbedingungen der Beklagten infolge des Wegfalls der Pflegestufen gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. eine planwidrige Regelungslücke enthalten.
11 a) Eine die ergänzende Vertragsauslegung eröffnende Regelungslücke liegt vor, wenn die Parteien einen Punkt übersehen oder ihn bewusst offengelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für nicht regelungsbedürftig gehalten haben, und sich diese Annahme nachträglich als unzutreffend herausstellt. Dabei kann von einer planwidrigen Regelungslücke nur gesprochen werden, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zugrundeliegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrags eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen ist (, VersR 2023, 1248 Rn. 24; vom - VII ZR 157/17, NJW 2018, 2469 Rn. 23 m.w.N.). Unerheblich ist, ob die Lücke von Anfang an bestanden oder sich erst nachträglich ergeben hat (vgl. , NJW-RR 2008, 562 Rn. 14 m.w.N.).
12 b) Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht zu Recht eine Regelungslücke bejaht.
13 aa) Den Parteien ist der Anknüpfungspunkt für den in Nr. 2.3.1 AVB bestimmten Leistungsfall der Pflegerente abhandengekommen. Die Einstufung der versicherten Person in die Pflegestufe I, II oder III nach deutschem Sozialgesetzbuch kommt seit dem aufgrund der Änderung des § 15 SGB XI nicht mehr in Betracht, weil die Versicherten in der gesetzlichen Pflegeversicherung seitdem nicht mehr auf das Vorliegen von Pflegestufen, sondern von Pflegegraden begutachtet werden.
14 bb) Die Versicherungsbedingungen der Beklagten für die Pflegerente regeln deren Leistungsvoraussetzungen bei Fortfall der Pflegestufen aus § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. nicht. Insbesondere ist Nr. 2.3.1 AVB - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - nicht dahingehend auszulegen, dass die Klausel eine dynamische Verweisung auf den jeweils aktuellen sozialrechtlichen Pflegebedürftigkeitsbegriff enthielte.
15 Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (Senatsurteil vom - IV ZR 151/23, r+s 2025, 115 Rn. 26 m.w.N.; st. Rspr.).
16 Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer entnimmt dem Wortlaut von Nr. 2.3.1 AVB, dass Leistungsvoraussetzung für die Pflegerente der Beklagten eine Pflegebedürftigkeit ist, die durch Einstufung der versicherten Person in die Pflegestufe I, II oder III nach deutschem Sozialgesetzbuch belegt wird (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom - 16 U 73/21, BeckRS 2021, 59005 Rn. 28; , juris Rn. 59). Dagegen schließt er aus der Überschrift von Nr. 2.3 AVB, die mit ihrer Formulierung "Rentenleistung bei einer Pflegebedürftigkeit" den Versicherungsfall nur grob umreißt, nicht, dass Versicherungsfall jede Pflegebedürftigkeit der versicherten Person ist. Vielmehr nimmt er an, dass der in der Überschrift verwendete Begriff der Pflegebedürftigkeit in Nr. 2.3.1 AVB durch Anknüpfung an eine der Pflegestufen nach dem Sozialgesetzbuch konkretisiert wird. Dafür, dass stattdessen eine in den Versicherungsbedingungen nicht näher definierte Pflegebedürftigkeit genügen soll, enthält Nr. 2.3.1 AVB keinerlei Anhaltspunkte.
17 c) Die Planwidrigkeit der Regelungslücke hat das Berufungsgericht ebenfalls zu Recht angenommen. Ohne Ergänzung der Versicherungsbedingungen liefe das im Rahmen der Pflegerente gegebene Leistungsversprechen der Beklagten infolge des Wegfalls der sozialrechtlichen Pflegestufen leer (vgl. OLG Stuttgart r+s 2021, 279 Rn. 57; , juris Rn. 56). Einer angemessenen und interessengerechten Umsetzung des Versicherungsvertrags steht dies schon deshalb entgegen, weil Leistungspflichten und Ansprüche der Vertragsparteien betroffen sind (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297, 309 [juris Rn. 28]).
18 2. Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen aber dessen Annahme nicht, die Lücke im Versicherungsvertrag könne im Wege ergänzender Vertragsauslegung dahingehend geschlossen werden, dass nunmehr eine Pflegerente bei Einstufung mindestens in den Pflegegrad 2 im Sinne von § 15 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 SGB XI zu zahlen sei.
19 a) Grundlage einer ergänzenden Vertragsauslegung ist der hypothetische Parteiwille, so dass darauf abzustellen ist, was die Vertragsparteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten (, VersR 2023, 1248 Rn. 26 m.w.N.). Die ergänzende Auslegung von Versicherungsbedingungen hat nach einem objektiv-generalisierenden Maßstab zu erfolgen, der am Willen und Interesse der typischerweise beteiligten Verkehrskreise ausgerichtet sein muss; die Vertragsergänzung muss deshalb für den betroffenen Vertragstyp als allgemeine Lösung eines stets wiederkehrenden Interessengegensatzes angemessen sein (Senatsurteil vom - IV ZR 273/05, BGHZ 169, 86 Rn. 14; , BGHZ 241, 107 Rn. 23; vom aaO; jeweils m.w.N.). Sie erfordert hinreichend konkrete Anhaltspunkte (Senatsurteil vom - IV ZR 298/99, BGHZ 145, 393, 398 [juris Rn. 14]) und darf nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstands führen (, r+s 2025, 115 Rn. 35; vom20. November 2024 - IV ZR 263/23, ZEV 2025, 40 Rn. 27; jeweils m.w.N.).
20 b) Gemessen daran kann die ergänzende Auslegung des Berufungsgerichts auf Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen keinen Bestand haben.
21 aa) Es ist nicht auszuschließen, dass das Zusprechen einer Pflegerente bei Einstufung der versicherten Person in den Pflegegrad 2 im Sinne von § 15 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 SGB XI zu einer unzulässigen Erweiterung des Vertragsgegenstands führt. Das Berufungsgericht erkennt, dass der Begriff der Pflegebedürftigkeit durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz in § 14 SGB XI eine deutliche Erweiterung erfahren hat. Seiner Annahme, eine spürbare Erweiterung des Leistungsversprechens der Beklagten dadurch verhindern zu können, dass eine Pflegerente erst ab einer Einstufung in den Pflegegrad 2 gewährt wird, fehlt aber - wie die Revision zutreffend einwendet - eine tragfähige Grundlage. Nicht erheblich ist, inwieweit die bisherige Pflegestufe I dem Pflegegrad 2 entspricht. Maßgebend ist vielmehr, dass auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Beklagte bei Anknüpfung ihrer Leistungspflicht an die Einstufung in den Pflegegrad 2 in erheblichem Umfang Pflegerenten an solche versicherten Personen zu zahlen hätte, die nicht in eine der Pflegestufen I bis III nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. eingestuft worden wären.
22 Durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz sind nicht nur der Begriff der Pflegebedürftigkeit, sondern auch seine Definition in den §§ 14, 15 SGB XI gegenüber dem zuvor geltenden Recht deutlich erweitert worden (BTDrucks. 18/5926, S. 109). Die nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 SGB XI bei der Begutachtung maßgeblichen kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten und die gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 3 SGB XI zu berücksichtigenden Verhaltensweisen und psychischen Problemlagen erfassen - worauf die Revision zu Recht hinweist - auch solche Kriterien, die nach der bis Dezember 2016 geltenden Rechtslage nicht für die Einstufung in eine Pflegestufe, sondern im Rahmen der erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI a.F. von Bedeutung gewesen sind (vgl.BT-Drucks. aaO, S. 110 f.). Diese Kriterien können, worauf die Beklagte hingewiesen hat, zu einer Einstufung in den Pflegegrad 2 oder höher führen, obwohl sie keine Bedeutung für die Einstufung in eine der Pflegestufen I bis III gehabt hätten. Das Berufungsgericht hat dies bei seiner ergänzenden Auslegung unberücksichtigt gelassen.
23 Auf die Überleitungsvorschrift des § 140 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 Buchst. a SGB XI hat es sich stattdessen nicht stützen können. Die Überleitung der in die Pflegestufe I eingestuften Leistungsbezieher ohne erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz in den Pflegegrad 2 schließt - worauf die Revision zu Recht hinweist - nicht aus, dass in erheblichem Umfang versicherte Personen den Pflegegrad 2 erhalten können, obwohl sie nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. in keine der Pflegestufen I bis III eingestuft worden wären (vgl. auch , juris Rn. 57). Ebenso wenig lässt sich eine hinreichende Vergleichbarkeit von Pflegegrad 2 und Pflegestufe I auf den Willen des Gesetzgebers stützen, die Überleitungsregeln in § 140 Abs. 2 Satz 3 SGB XI im Einklang mit der mehrheitlichen Empfehlung des Expertenbeirats zur konkreten Ausgestaltung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs so zu gestalten, wie sich nach den Ergebnissen von Erprobungsstudien die Mehrheit der bisherigen Leistungsbezieher bei einer Neubegutachtung voraussichtlich stellen würde (BT-Drucks. 18/5926, S. 140). Ein hinreichender Rückschluss von der Feststellung eines Pflegegrades 2 auf die Einstufung in die Pflegestufe I nach altem Recht kann trotzdem nicht gezogen werden. Abgesehen davon, dass die Überleitungsvorschrift nach den Vorstellungen des Gesetzgebers keinen bisherigen Leistungsbezieher schlechter stellen sollte (BT-Drucks. 18/5926 aaO), bestätigt § 140 Abs. 2 Satz 3 SGB XI das Vorbringen der Beklagten, der Kreis der in den Pflegegrad 2 eingestuften Pflegebedürftigen erfasse schon deshalb nicht nur in Pflegestufe I eingestufte Leistungsbezieher, weil über die Kriterien des § 14 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGB XI auch eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz Berücksichtigung finde. Dem entspricht es, dass nach § 140 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Buchst. a SGB XI Leistungsbezieher bei festgestellter erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz auch ohne vorherige Einstufung in eine Pflegestufe in den Pflegegrad 2 übergeleitet werden.
24 bb) Die Revision rügt darüber hinaus zu Recht, dass das Berufungsgericht nicht in seine Überlegungen einbezogen hat, inwieweit einer Erweiterung des Leistungsversprechens möglicherweise eine unzureichende Kalkulation des Tarifs auf Seiten der Beklagten gegenübersteht. Sie verweist darauf, dass eine Anpassung des Leistungsversprechens auf eine Pflegerente ab einer Einstufung in den Pflegegrad 2 eine entsprechende versicherungsmathematische Kalkulation voraussetze. Die im Pflegegrad 2 beschriebenen Risiken seien in ihren versicherungsmathematischen Auswirkungen nicht mit denjenigen vergleichbar, die in Pflegestufe I beschrieben seien. Stattdessen erfordere die Anknüpfung an den Pflegegrad 2 deutlich höhere Rückstellungen für zu erwartende Leistungsansprüche. Dass ihre Tarifkalkulation eine Abänderung der sozialrechtlichen Beurteilung der Pflegebedürftigkeit nicht erfasst hat, hat die Beklagte unter Beweisantritt vorgetragen. Schon deshalb hat das Berufungsgericht die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten für den Nachfolgetarif, nach denen der Versicherungsfall der Pflegerente mit der Feststellung eines Pflegegrades 2 oder höher eintritt, zur Auslegung von Nr. 2.3.1 AVB nicht ohne Feststellungen zur Kalkulation des Nachfolgetarifs heranziehen dürfen.
25 IV. Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Sinne von § 561 ZPO als richtig dar. Insbesondere lässt sich anhand der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen, ob ein Anspruch der Klägerin auf rückständige Pflegerente nach einer Anpassung der Versicherungsbedingungen ihres Tarifs unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht kommt.
26 Die Grenzen zwischen ergänzender Vertragsauslegung und Vertragsanpassung nach den Regeln des Fehlens oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sind fließend. Ist für eine ergänzende Vertragsauslegung kein Raum, weil sie das Vertragsverhältnis derart umgestaltet, dass eine Herleitung aus dem Vertragswillen ausscheidet, bleibt gleichwohl der Anwendungsbereich für eine Vertragsanpassung wegen gestörter Geschäftsgrundlage eröffnet (Senatsurteil vom - IV ZR 126/16, VersR 2017, 741 Rn. 17; , VersR 2023, 1248 Rn. 22; vom - II ZR 67/12, BGHZ 197, 284 Rn. 26 f.). Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage berechtigt allerdings noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr muss gemäß § 313 Abs. 1 BGB als weitere Voraussetzung hinzukommen, dass dem Vertragsteil, der die Anpassung verlangt, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Durch diese Formulierung kommt zum Ausdruck, dass nicht jede einschneidende Veränderung der bei Vertragsschluss bestehenden Verhältnisse eine Vertragsanpassung rechtfertigt. Vielmehr ist erforderlich, dass ein Festhalten an der vereinbarten Regelung zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt. Ob dies der Fall ist, kann nur nach einer umfassenden Interessenabwägung unter Würdigung aller Umstände festgestellt werden (Senatsurteil vom - IV ZR 126/16, VersR 2017, 741 Rn. 22; , NJW 2015, 1523 Rn. 34; Beschluss vom - XII ZB 666/13, NJW 2015, 690 Rn. 23 f.; vgl. auch Senatsbeschluss vom - IV ZR 219/12, VersR 2013, 302 Rn. 7; jeweils m.w.N.).
27 Dem Willen des Gesetzgebers widerspricht eine Vertragsanpassung - entgegen der Auffassung der Revision - allerdings nicht. Allein aus der Beschränkung der Anpassungsmöglichkeiten in § 143 Abs. 1 und 2 SGB XI bei nach Art der Lebensversicherung kalkulierten Pflegeversicherungen, bei denen das ordentliche Kündigungsrecht ausgeschlossen ist, folgt für Versicherungsbedingungen in anderen Versicherungsverträgen, die auf die Pflegestufen im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. zurückgreifen, kein Anpassungsverbot.
28 Nach den bisher getroffenen Feststellungen lässt sich aber wiederum nicht beurteilen, ob im Rahmen der Abwägung durchgreifende Interessen der Beklagten betroffen sind und inwieweit ihr grundrechtlicher Schutz mit Blick auf ihre Vertragsfreiheit als Unternehmerin aus Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 126/16, VersR 2017, 741 Rn. 28; BVerfG NJW 2013, 3086 Rn. 21; vgl. auch Senatsurteil vom - IV ZR 199/10, BGHZ 191, 159 Rn. 42) bei Anpassung eines zivilrechtlichen Versicherungsvertrags im Wege mittelbarer Drittwirkung zugutekommt. Die Störung der Geschäftsgrundlage führt nach § 313 Abs. 1 BGB dazu, dass der Vertrag unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen an die veränderten Verhältnisse anzupassen ist (Senatsurteil vom aaO Rn. 29; , BGHZ 197, 284 Rn. 30). Dementsprechend ist auch hier zu prüfen, inwieweit sich eine mögliche Erstreckung der Pflegerente auf versicherte Personen, denen mindestens ein Pflegegrad 2 zuerkannt worden ist, auf die Tarifkalkulation der Beklagten auswirkt. Ein wesentlich erhöhtes Risiko, das die Grundlagen der Prämienkalkulation beeinflusst und das die Beklagte im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht voraussehen konnte, muss sie nicht kostenfrei tragen (Senatsurteil vom aaO Rn. 29).
29 V. Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben. Die Sache ist, da sie nicht entscheidungsreif ist, zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
30 Im Ausgangspunkt zu Recht verneint das Berufungsgericht eine ergänzende Auslegung von Nr. 2.3.1 AVB dahingehend, dass bei Fehlen einer Einstufung in eine der Pflegestufen I bis III eine diesen Pflegestufen entsprechende Pflegebedürftigkeit im Einzelfall nachzuweisen ist (vgl. OLG Stuttgart r+s 2021, 279 Rn. 56; , juris Rn. 65; a.A. OLG Schleswig, Beschluss vom - 16 U 73/21, BeckRS 2021, 59005 Rn. 28). Schon dem Klauselwortlaut entnimmt der durchschnittliche Versicherungsnehmer, dass die Leistungsvoraussetzungen der Pflegerente nicht auf die Pflegebedürftigkeit der versicherten Person, sondern auf deren Einstufung in eine Pflegestufe nach deutschem Sozialgesetzbuch abstellen. Auch der erkennbare Sinn und Zweck dieser Anknüpfung spricht dagegen, im Einzelfall den Nachweis der Pflegebedürftigkeit zu verlangen. Die Anknüpfung soll eine zusätzliche Begutachtung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten der versicherten Person im Rahmen der Leistungsprüfung entbehrlich machen. In der Pflegerente knüpft das Leistungsversprechen nicht unmittelbar an den körperlichen oder geistigen Zustand der versicherten Person, sondern allein an dessen sozialrechtliche Einordnung an. Dem entspricht es, dass Nr. 2.3.1 AVB im Zusammenhang mit den Leistungsvoraussetzungen der Pflegerente über den Verweis auf die sozialrechtlichen Pflegestufen hinaus keine Beurteilungskriterien für eine bedingungsgemäße Pflegebedürftigkeit enthält. Diese Anknüpfung der Leistungspflicht führt dem Versicherungsnehmer vor Augen, dass als Nachweis seiner Beeinträchtigung die Begutachtung der Pflegebedürftigkeit gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung oder einen anderen unabhängigen Gutachter maßgebend, aber auch ausreichend sein soll. Die Beklagte hat sich erkennbar an die Einstufung im sozialrechtlichen Verfahren binden wollen. Eine Überprüfung dieser Begutachtung eröffnen ihr die Versicherungsbedingungen nicht. In diesem Verzicht erkennt der durchschnittliche Versicherungsnehmer einen angemessenen Interessenausgleich. Während die versicherte Person davon profitiert, sich im Rahmen der Leistungsprüfung keiner zusätzlichen, oftmals belastenden Begutachtung unterziehen zu müssen, macht sich die Beklagte den Sachverstand des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung oder eines vergleichbaren unabhängigen Gutachters zunutze und erspart die mit einer erneuten Begutachtung verbundenen Aufwendungen.
31 Dessen ungeachtet scheidet eine Anpassung des Versicherungsvertrags gemäß § 313 Abs. 1 BGB dahingehend, dass als Leistungsvoraussetzung eine den Pflegestufen I bis III entsprechende Pflegebedürftigkeit im Einzelfall durch Sachverständigengutachten nachzuweisen ist, nicht von vornherein aus. Ergibt die vorzunehmende Aufklärung des Sachverhalts, dass die Anknüpfung des Versicherungsfalls an die Einstufung in einen Pflegegrad nach dem deutschen Sozialgesetzbuch eine Prämienanpassung zulässt, kann das Interesse des Versicherungsnehmers, im Rahmen der Leistungsprüfung von einer Begutachtung verschont zu bleiben, hinter sein Interesse an einer Vermeidung steigender Prämien zurücktreten. Das wird das Berufungsgericht zu prüfen haben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:300425UIVZR126.23.0
Fundstelle(n):
GAAAJ-91441