Widerruf eines mit einem Kaufvertrag verbundenen Verbraucherdarlehensvertrags; Voraussetzungen einer Gerichtsstandbestimmung
Leitsatz
1. Der Widerruf eines mit einem Kaufvertrag im Sinne von § 358 BGB verbundenen Verbraucherdarlehensvertrags führt nicht dazu, dass alle Ansprüche auf Rückabwicklung an demselben Ort zu erfüllen sind.
2. Die Vermittlung des Darlehensvertrags durch den Verkäufer begründet in solchen Fällen keine Niederlassung der Darlehensgeberin am Ort der Vermittlung.
Gesetze: § 269 BGB, § 358 BGB, § 21 ZPO, § 29 ZPO, § 36 Abs 1 Nr 3 ZPO, § 36 Abs 3 S 1 ZPO, § 59 ZPO, § 60 ZPO
Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 11 UH 25/24
Gründe
1I. Der in Hanau ansässige Kläger nimmt die Beklagten - eine im Bezirk des Amtsgerichts Seligenstadt ansässige Kraftfahrzeughändlerin und eine im Bezirk des Amtsgerichts Mönchengladbach ansässige Bank - vor dem Amtsgericht Seligenstadt auf Rückzahlung von Zins- und Tilgungsleistungen in Anspruch.
2Der Kläger hat bei der Beklagten zu 1) im August 2023 ein Kraftfahrzeug gekauft. Einen Teil des Kaufpreises hat er mit einem bei der Beklagten zu 2) abgeschlossenen Verbraucherdarlehensvertrag finanziert. Dieser kam auf Vermittlung der Beklagten zu 1) in deren Räumlichkeiten zu Stande. Im Zeitraum von August 2023 bis Januar 2024 erbrachte der Kläger an die Beklagte zu 2) Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von insgesamt 1.420,37 Euro.
3Der Kläger ist aufgrund von Sachmängeln am Fahrzeug vom Kaufvertrag zurückgetreten. Anfang Dezember 2023 erhielt er die an die Beklagte zu 1) entrichtete Anzahlung sowie seinen in Zahlung gegebenen Altwagen zurück. Mit anwaltlichem Schreiben vom erklärte er gegenüber der Beklagten zu 2) den Widerruf des Darlehensvertrages, weil ihm die nach § 492 BGB erforderlichen Informationen nicht erteilt worden seien. Mit Schreiben vom erklärte die Beklagte zu 2), die Finanzierung mit dem Kläger habe ihre Erledigung gefunden. Dem Begehren nach Rückzahlung der erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen kam sie nicht nach.
4Der Kläger nimmt die beiden Beklagten vor dem Amtsgericht Seligenstadt gesamtschuldnerisch auf Zahlung von 1.420,37 Euro nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch.
5Die Beklagte zu 2) hat die örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt. Der Kläger hat daraufhin beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstands beantragt. Dieses hält die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung für erfüllt, sieht sich an einer entsprechenden Entscheidung aber durch die Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte gehindert und hat die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
6II. Die Vorlage ist zulässig.
71. Gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 ZPO hat ein Oberlandesgericht, das nach § 36 Abs. 2 ZPO an Stelle des Bundesgerichtshofs mit der Zuständigkeitsbestimmung befasst ist, die Sache dem Bundesgerichtshof vorzulegen, wenn es in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen will.
8Für die Zulässigkeit der Vorlage reicht es aus, dass die für klärungsbedürftig gehaltene Rechtsfrage nach Auffassung des vorlegenden Gerichts entscheidungserheblich ist und dies in den Gründen des Vorlagebeschlusses nachvollziehbar dargelegt ist. Dagegen ist nicht erforderlich, dass der Bundesgerichtshof diese Frage ebenfalls für entscheidungserheblich hält (Senat, Beschluss vom - X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 6; Beschluss vom - X ARZ 303/18, NJW 2018, 2200 Rn. 7).
92. Danach sind die Voraussetzungen für eine Vorlage erfüllt.
10a) Nach Auffassung zahlreicher Oberlandesgerichte sind sämtliche Ansprüche im Zusammenhang mit der Rückabwicklung eines widerrufenen Verbraucherdarlehensvertrags und eines damit im Sinne von § 358 BGB verbundenen Kaufvertrags an dem Ort zu erfüllen, an dem sich die veräußerte Sache im Zeitpunkt des Widerrufs vertragsgemäß befindet (, juris Rn. 78; OLG Braunschweig, Beschluss vom - 4 U 20/21, juris Rn 6; Saarländisches , juris Rn. 180; OLG Dresden, Urteil vom - 8 U 1084/20, juris Rn. 52, 54; , juris Rn. 4; , juris Rn. 21; OLG Frankfurt, Urteil vom - 17 U 492/19, juris Rn. 48).
11Auf der Grundlage dieser Auffassung kommt, wie das vorlegende Gericht zutreffend ausgeführt hat, eine Gerichtsstandbestimmung nicht in Betracht, weil für beide Beklagten ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand besteht.
12b) Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts ist der Erfüllungsort in der genannten Konstellation hingegen für jeden Anspruch gesondert zu bestimmen. Im Streitfall führe dies dazu, dass es keinen gemeinsamen Erfüllungsort für die beiden Beklagten gebe. Deshalb sei eine Gerichtsstandbestimmung zulässig.
13Damit ist die Entscheidungserheblichkeit der in Rede stehenden Frage hinreichend dargelegt.
14III. Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandbestimmung liegen vor.
151. Die Bestimmung des Gerichtsstands nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kann über den Wortlaut der Vorschrift hinaus nicht nur im Vorfeld einer Klage erfolgen, sondern auch dann, wenn wie im Streitfall bereits Klage erhoben worden ist (Senat, Beschluss vom - X ARZ 156/20, NJW-RR 2020, 1070 Rn. 10; Beschluss vom - X ARZ 321/18, NJW-RR 2019, 238 Rn. 10).
162. Die Beklagten werden als Streitgenossen im Sinne von §§ 59, 60 ZPO in Anspruch genommen und haben ihren allgemeinen Gerichtsstand bei verschiedenen Gerichten.
173. Zu Recht hat das vorlegende Gericht angenommen, dass ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand nicht besteht.
18Der Widerruf eines mit einem Kaufvertrag im Sinne von § 358 BGB verbundenen Verbraucherdarlehensvertrags führt nicht dazu, dass alle Ansprüche auf Rückabwicklung an demselben Ort zu erfüllen sind.
19a) Der Erfüllungsort im Sinne von § 29 ZPO bestimmt sich grundsätzlich nach materiellem Recht.
20Für vertragliche Verpflichtungen regelt § 269 BGB den Leistungsort, der dem Erfüllungsort entspricht. Danach hat die Leistung an dem Ort zu erfolgen, an welchem der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz bzw. seine Niederlassung hatte. Etwas anderes gilt nur, wenn die Parteien einen anderen Leistungsort vereinbart haben oder wenn sich aus den Umständen, insbesondere der Natur des Schuldverhältnisses, ein abweichender Erfüllungsort ergibt (, NJW-RR 2007, 777 Rn. 11).
21Danach ist der Leistungsort grundsätzlich auch bei gegenseitigen Verträgen für jede Leistung gesondert zu bestimmen. Dass dies zu unterschiedlichen Gerichtsständen führen kann, ist prinzipiell hinzunehmen (, NJW-RR 2007, 777 Rn. 12; Urteil vom - IX ZR 134/94, NJW 1995, 1546 f.).
22b) Auf dieser Grundlage liegt der Leistungsort für die geltend gemachte Rückzahlung von Zins- und Tilgungsleistungen am Sitz der jeweiligen Beklagten.
23Im Streitfall haben die beiden Beklagten folglich keinen gemeinsamen Gerichtsstand des Erfüllungsorts.
24c) Aus der Natur des Schuldverhältnisses ergibt sich im Streitfall kein abweichendes Ergebnis.
25aa) Aus der Natur des Schuldverhältnisses kann sich ein einheitlicher Leistungsort für alle Vertragspflichten ergeben, wenn diese einen besonderen Bezug zu einem bestimmten Ort haben.
26So wird ein einheitlicher Leistungsort bejaht bei klassischen Ladengeschäften des täglichen Lebens, bei denen regelmäßig sofort an Ort und Stelle gezahlt wird (, NJW 2012, 860 Rn 15). Entsprechendes gilt für einen Bauwerkvertrag, bei dem auch der Besteller eine seiner Hauptpflichten, nämlich die Abnahme des Werks, am Ort des Bauwerks zu erfüllen hat und bei dem es im wohlverstandenen Interesse beider Vertragsparteien liegt, eine gerichtliche Auseinandersetzung über etwaige Mängel des Bauwerks in dessen räumlicher Nähe durchführen zu können (, NJW 1986, 935). Auch für einen Energie- oder Wasserlieferungsvertrag ist im Hinblick darauf, dass der Abnehmer am Ort der Abnahme wesentliche Nebenpflichten zu erfüllen hat, ein einheitlicher Leistungsort für alle Vertragspflichten angenommen worden (, NJW 2003, 3418).
27Ein einheitlicher Erfüllungsort ist auch für Ansprüche aus der Wandelung eines Kaufvertrags nach der bis geltenden Fassung von § 462 BGB bejaht worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind in dieser Konstellation sowohl der Anspruch auf Rückgabe der Kaufsache als auch der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises an dem Ort zu erfüllen, an dem sich die Kaufsache im Zeitpunkt der Wandelung vereinbarungsgemäß befindet (, BGHZ 87, 104 = NJW 1983, 1479, juris Rn. 14). Diese auf das Reichsgericht zurückgehende Rechtsprechung beruht auf der Erwägung, dass der Käufer nach einer Wandelung grundsätzlich so gestellt werden soll, wie er ohne Abschluss des Kaufvertrages stünde, und dass die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe der Kaufsache zu erfolgen hat (RG, Urteil vom - Rep. II 543/02, RGZ 55, 105, 112 f.).
28bb) Diese Erwägungen lassen sich auf den Widerruf von zwei verbundenen Verträgen nach der seit geltenden Rechtslage nicht übertragen.
29Allerdings sind auch nach der nunmehr geltenden Rechtslage die beiderseits empfangenen Leistungen grundsätzlich zurückzugewähren, die Vertragsparteien also im Wesentlichen so zu stellen, wie sie ohne den Abschluss des widerrufenen Vertrags gestanden hätten.
30Anders als nach der bis geltenden Regelung in § 358 Abs. 4 Satz 1 und § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. sind nach einem Widerruf jedoch nicht mehr die Regeln über den gesetzlichen Rücktritt entsprechend anwendbar, die in § 348 Abs. 1 BGB eine Erfüllung Zug um Zug vorsehen. Nach § 358 Abs. 4 Satz 1 und § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB n.F. kann der Unternehmer die Rückzahlung vielmehr verweigern, bis er die Waren zurückerhalten oder der Verbraucher den Nachweis erbracht hat, dass er die Waren abgesandt hat. Damit fehlt es an einer wesentlichen Voraussetzung für die Annahme eines gemeinsamen Erfüllungsorts für die wechselseitigen Verpflichtungen.
31cc) Der Umstand, dass die Darlehensgeberin mit Ausübung des Widerrufs gemäß § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB hinsichtlich der Rechtsfolgen des Widerrufs in die Rechte und Pflichten des Unternehmers aus dem verbundenen Vertrag eintritt, hat auf den Erfüllungsort ebenfalls keinen Einfluss.
32§ 358 Abs. 4 Satz 5 BGB hat nicht das Ziel, dem Schuldner zusätzliche Ansprüche zu verschaffen. Die Vorschrift dient lediglich dem Zweck, eine bilaterale Abwicklung zwischen Verbraucher und Darlehensgeber zu gewährleisten, und lässt hierzu die Grundlage des mit einer Rückabwicklung "übers Dreieck" intendierten Schutzes eines jeden Beteiligten vor Einwendungen des jeweiligen Schuldners aus einem anderen Rechtsverhältnis entfallen (, NJW 2016, 2118 Rn. 35).
33Zur Erreichung dieses Ziels bedarf es nicht der Begründung eines anderen oder zusätzlichen Erfüllungsorts. Eine einheitliche Geltendmachung aller aus dem Widerruf resultierenden Ansprüche des Verbrauchers ist schon dadurch möglich, dass die Klage am Sitz des Darlehensgebers erhoben wird.
344. Ein gemeinsamer Gerichtsstand der Beklagten ergibt sich auch nicht aus § 12, § 17 Abs. 1 Satz 1 und § 21 ZPO.
35Die Vermittlung des Darlehensvertrages durch die Beklagte zu 1) begründet keine Niederlassung der Beklagten zu 2) am Ort der Vermittlung (ebenso für diese Konstellation: , juris Rn. 65).
36Für einen Gerichtsstand nach § 21 ZPO ist erforderlich, dass die Leitung der Niederlassung das Recht hat, aus eigener Entscheidung Geschäfte abzuschließen. Die bloße Vermittlung von Vertragsofferten genügt nicht (, NJW 1987, 3081).
375. Die in der Klageerhebung liegende Wahl des Gerichtsstands (§ 35 ZPO) steht der Zulässigkeit der Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht entgegen.
38Etwas anderes wäre nur dann anzunehmen, wenn sich ein gemeinschaftlich bestehender Gerichtsstand am gewählten Ort zuverlässig feststellen ließe (, NJW-RR 2019, 238 Rn. 17).
39IV. Der Senat bestimmt als zuständiges Gericht das Amtsgericht Mönchengladbach.
40Die Bestimmung des zuständigen Gerichts hat nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten und unter Berücksichtigung der Prozesswirtschaftlichkeit zu erfolgen (vgl. nur , NJW-RR 2008, 1514 Rn. 20).
41Für eine Bestimmung des Amtsgerichts Seligenstadt spricht im Streitfall der Umstand, dass dort bereits ein schriftliches Vorverfahren stattgefunden hat. Für die Bestimmung des Amtsgerichts Mönchengladbach spricht hingegen, dass bislang nur die Beklagte zu 2) der Klage entgegengetreten ist und dass der Darlehensgeber gemäß § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB derjenige Vertragspartner ist, gegen den die Rechtsfolgen eines Widerrufs grundsätzlich geltend zu machen sind. Den zuletzt genannten Gesichtspunkten kommt im Streitfall das größere Gewicht zu.
42V. Mit der Bestimmung des Amtsgerichts Mönchengladbach als zuständiges Gericht geht die Rechtshängigkeit ohne weiteres auf dieses über (vgl. , WM 2021, 40 Rn. 65).
Bacher Hoffmann Deichfuß
Marx von Pückler
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:060525BXARZ38.25.0
Fundstelle(n):
WAAAJ-91440