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BGH Urteil v. - VIa ZR 991/22

Instanzenzug: OLG Bamberg Az: 8 U 221/21vorgehend LG Coburg Az: 15 O 294/20

Tatbestand

1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Dezember 2011 von einem Autohaus einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten (Erstzulassung am ) Audi A4 Avant 3.0 TDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 896 Gen1 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist.

2 Der Kläger begehrt im Wesentlichen im Wege des Schadensersatzes die Rückabwicklung des Kaufvertrags. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers, mit welcher er die Zahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung der Verpflichtung, für weitere Schäden aufzukommen (Berufungsantrag zu 2: Haupt- und Hilfsantrag), die Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu 3) und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 4) begehrt hat, zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers, mit welcher er die in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Anträge zu 1, 3 und 4 weiterverfolgt.

Gründe

3Die Revision hat Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten im Sinne von § 826 BGB sei nicht erkennbar. Im vorliegenden Fall habe der Kläger weder nachweisen können, dass im Motor seines Fahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Prüfstanderkennung verbaut worden sei, noch dass seinem Fahrzeug eine Betriebsbeschränkung bzw. Betriebsuntersagung gedroht habe oder drohe. Daher fehle ein wichtiger Umstand, durch den das sittenwidrige Verhalten beim Motor des Typs EA 189 begründet worden sei. Die Verwendung eines "Thermofensters" im Motor der Beklagten führe zu keinem Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 826 BGB, weil es an einem arglistigen Verhalten fehle, welches die Qualifizierung des Verhaltens der Beklagten als objektiv sittenwidrig rechtfertige. Auch stehe dem Kläger gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den §§ 6, 27 EG-FGV oder Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu. Bei diesen Vorschriften handele es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB.

II.

6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.

71. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV in der Fassung vom (künftig a.F.) abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV (sowohl in der Fassung vom als auch in der Fassung vom ) Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32; Urteil vom - VIa ZR 374/22, NJW-RR 2024, 577 Rn. 9 ff.).

9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV a.F. ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

10Die Berufungsentscheidung ist (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV a.F. zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

                                                    

                                            

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:070525UVIAZR991.22.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-91439