Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 5/34 KLs 7/24
Gründe
1Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
2Nach den Feststellungen zur Anlasstat (Fall II.1 der Urteilsgründe) hielt sich der Beschuldigte am am F. Hauptbahnhof auf. Er wollte nach A., hatte aber nicht genug Geld für eine Fahrkarte. Gegen Mitternacht bemerkte er auf dem Bahnhofsvorplatz die Bahnreisende H., die dort mit ihrem Koffer stand, rauchte und telefonierte. Der Beschuldigte trat an sie heran und bat um Geld, wurde jedoch von ihr ignoriert. Nach einer halben Minute packte der Beschuldigte plötzlich den Griff des Koffers, um den Koffer wegzunehmen und samt Inhalt für sich zu behalten. Als H. das bemerkte, hielt sie den Griff fest. Es kam zu gegenseitigem Zerren am Griff, wodurch der Beschuldigte H. zu sich riss. Dadurch lösten sich ihre künstlichen Fingernägel an drei Fingern ab, was Schmerzen verursachte, und sie zog sich eine Hautabschürfung am linken Knie zu. Durch die Krafteinwirkung wurde der Griff des Koffers verbogen. Ein Sicherheitsmitarbeiter der Bahn, der das Geschehen beobachtet hatte, eilte dazu. Als der Beschuldigte ihn sah, ließ er den Koffer los und blieb kurz stehen, bis weitere Sicherheitskräfte kamen. Als er sah, dass auch Beamte der Bundespolizei auf ihn zuliefen, rannte er weg. Drei Polizeibeamte und ein Sicherheitsmitarbeiter verfolgten ihn und konnten ihn einholen. Während ein Polizeibeamter ihn festhielt, wehrte sich der Beschuldigte dagegen und konnte zunächst eine Fixierung verhindern. Mit Hilfe eines zweiten Beamten wurden ihm Handfesseln angelegt. Auf dem Weg zurück zum Bahnhof versuchte sich der Beschuldigte aus dem Griff der Beamten zu befreien.
3Sachverständig beraten hat die Strafkammer angenommen, der Beschuldigte habe zum Tatzeitpunkt unter einer paranoiden Schizophrenie gelitten, weshalb seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben gewesen sei. Auf der Grundlage dieser Annahme hat sie die Unterbringung des Beschuldigten nach § 63 StGB angeordnet.
II.
4Dies hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Es fehlt an einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Anlasstat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation ausgewirkt hat.
51. Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Täters zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfordert prinzipiell eine mehrstufige Prüfung (st. Rspr.; vgl. nur , Rn. 39 mwN). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Täter eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass der Tat, die Motivlage und das Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können (vgl. etwa , mwN). Haben bei der Tat mehrere Faktoren zusammengewirkt und kommen daher mehrere Eingangsmerkmale gleichzeitig in Betracht, so dürfen diese nicht isoliert abgehandelt werden; erforderlich ist in solchen Fällen vielmehr eine umfassende Gesamtbetrachtung (vgl. etwa , NStR-RR 2024, 54, 55 mwN).
62. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Strafkammer hat nicht hinreichend belegt, dass die Anlasstat Symptomcharakter im Sinne des § 63 StGB hat.
7a) Die Strafkammer hat im Anschluss an den Sachverständigen ausgeführt, der Beschuldigte habe infolge der bei ihm diagnostizierten paranoiden Schizophrenie zum Tatzeitpunkt „formale Denkstörungen wie ein plan- und zielloses und damit ein auffällig desorganisiertes Verhalten sowie raptusartige aggressive Ausbrüche gezeigt“, die Erkrankung habe zu einer „völligen Verkennung der Realität“ geführt, wodurch die Einsichtsfähigkeit vollständig aufgehoben gewesen sei. Diese Ausführungen sind mit den Feststellungen zur Anlasstat nicht in Einklang zu bringen. Das Verhalten des Beschuldigten lässt während des gesamten Geschehens keine Realitätsverkennung erkennen. Vielmehr agierte der Beschuldigte sowohl bei der Umsetzung seines rational motivierten Tatplans als auch bei der nachfolgenden Flucht und Festnahme orientiert und situationsadäquat. Weder aus seinem Verhalten noch aus Äußerungen ergeben sich Anhaltspunkte für das Bestehen von handlungsbeeinflussenden Halluzinationen.
8b) Die tatgerichtlichen Erörterungen zur Schuldfähigkeit erweisen sich darüber hinaus insoweit als lückenhaft, als die Strafkammer nicht erkennbar dargelegt hat, welche Rolle die zusätzlich diagnostizierte dissoziale Persönlichkeitsakzentuierung bei der Tatbegehung gespielt hat. Dies bedurfte schon deshalb näherer Erläuterung, weil sich die beschriebenen Kennzeichen der dissozialen Persönlichkeitsakzentuierung – es komme zu „raptusartigen und aggressiven Ausbrüchen“, auch „zeige der Beschuldigte weder eine Deliktseinsicht noch ein Schuldverhältnis und habe kein Gefühl für die eigene Gefährlichkeit“ – mit den Symptomen der paranoiden Schizophrenie weitgehend überschneiden.
93.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:270225B2STR546.24.0
Fundstelle(n):
OAAAJ-91165